Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Siebentes Kapitel

Der König war jetzt allein; einen Augenblick blieb er regungslos stehen. Endlich ging er auf die Tür zu, als ob er gefürchtet hätte, die Königin habe sich nur zum Schein entfernt. Er riß die Tür auf und schaute durch die Vorgemächer und Korridore.

Draußen wartete nur sein Kammerdiener.

»François,« sagte Ludwig XVI., »kennst du die Wohnung des Grafen von Charny?«

»Sire,« antwortete der Kammerdiener, »der Graf von Charny hat eigentlich keine Wohnung, er hat nur eine kleine Dachstube im Flora-Pavillon bezogen.«

»Weißt du, wo die Dachstube ist?«

»Ja, Sire.«

»Nun, so hole mir den Grafen von Charny; ich wünsche ihn zu sprechen.«

Der Graf fand den König in seinem Schlafzimmer. Ludwig XVI. sah sich um, als Charny eintrat.

»Ich habe Sie in einer wichtigen Angelegenheit zu mir bitten lassen,« sagte der König, »aber ich bin gerade beim Frühstück, und beim Essen spreche ich nicht gern von Geschäften.«

»Wie Eure Majestät befehlen«, antwortete Charny.

»Wir wollen also für jetzt die Geschäfte ruhen lassen und von etwas anderem sprechen . . . von Ihnen zum Beispiel. Ich fragte soeben, wo Sie in den Tuilerien wohnten; wissen Sie wohl, lieber Graf, was François mir geantwortet hat? Sie hätten nur eine Dachstube angenommen.«

»Das ist wahr, Sire.«

»Warum denn, Graf?«

»Weil ich allein bin.«

»Lieber Graf, Sie antworten, als ob Sie ein unverheirateter junger Offizier wären.«

»Sire,« antwortete Charny mit Wehmut, »ich glaube nicht, daß sich meine Gemahlin entschließen würde, meine Wohnung mit mir zu teilen.«

»Was bedeutet das? Nach kaum dreijähriger Ehe wohnt der Graf von Charny in den Tuilerien und die Gräfin von Charny in der Rue Coq-Héron!«

»Sire, darauf weiß ich nur zu antworten: die Gräfin wünscht allein zu wohnen.«

»Hören Sie, Graf,« sagte Ludwig XVI. mit jener Gutmütigkeit, die dem Hausvater, wie er sich selbst zuweilen nannte, so gut stand, »das ist zum Teil Ihre Schuld. Sie sind undankbar gewesen gegen das arme Fräulein von Faverney, das Sie so innig liebt.«

»Das mich so innig liebt, Sire? . . .« erwiderte Charny mit einiger Bitterkeit. »Verzeihen Sie, haben Eure Majestät nicht gesagt, das Fräulein von Faverney liebe mich?«

»Ich weiß nicht, ob die Zeichen nur für mich allein sichtbar waren, lieber Graf; aber ich weiß, daß die Gräfin Sie in der Schreckensnacht vom 6. Oktober keinen Augenblick aus dem Auge verloren hat und daß alle Herzensangst, die sie empfand, in ihren Augen zu lesen war. Als die Tür meines Zimmers angegriffen wurde, machte die arme Frau eine Bewegung, um sich zwischen Sie und die Angreifer zu werfen.«

Charny war tief bewegt.

»Nun, genug davon . . . Ich will während Ihrer Abwesenheit mit der Königin darüber reden«, sagte der König, der sein Frühstück eingenommen hatte und vom Tische aufstand.

»Gehen Sie in mein Kabinett, lieber Graf, ich bin jetzt in der Stimmung, offenherzig mit Ihnen zu sprechen.«

In seinem Zimmer angekommen, sagte Ludwig XVI.: »Herr Graf, mir ist etwas aufgefallen. In der Nacht vom 5. zum 6. Oktober hatten Sie zwischen der Wache bei der Königin und bei mir zu wählen. Sie teilten Ihren Bruder der Königin zu und blieben bei mir.«

»Sire,« erwiderte Charny, »ich bin das Haupt der Familie, so wie Sie das Haupt des Staates sind; ich hatte daher das Recht, bei Ihnen zu sterben.«

»Ich halte Sie für einen treuen Freund«, fuhr Ludwig XVI. fort; »ich glaube Ihnen daher eine geheime und gefahrvolle Sendung ohne Bedenken anvertrauen zu können.«

»O Sire,« sagte Charny mit Begeisterung, »Sie erheben mich zu hoch! Ich habe immer nur nach der Ehre gestrebt, ein treuer Untertan zu sein.«

»Herr Graf, Sie können die jüngsten Ereignisse nicht mit erlebt haben, ohne einen bestimmten Schluß daraus zu ziehen. Wie urteilen Sie über meine Lage und welche Mittel würden Sie mir vorschlagen, sie zu verbessern?«

»Sire,« antwortete Charny, »erlauben Sie mir, ganz frei und offen zu reden?«

»Reden Sie, Graf; wenn ich Sie um Rat frage, so wünsche ich zugleich Ihre Meinung zu vernehmen.«

»Sire, ich habe das Gastmahl in Versailles mißbilligt; ich habe die Königin dringend gebeten, in Ihrer Abwesenheit das Theater nicht zu besuchen; ich war in Verzweiflung, als Ihre Majestät die Kokarde der Nation mit Füßen trat und die schwarze Kokarde aufstecken ließ. Das Volk liebt Sie, das Volk ist für den König; aber das Volk leidet Not, es erhebt sich und wirft alles nieder, was ihm in den Weg kommt, denn es kennt seine Kraft nicht; wenn es einmal losgelassen ist, gleicht es einer großen Feuersbrunst, es brennt alles nieder, was ihm Widerstand leistet. Sie haben gesehen, Sire, wie sehr sich das Volk von Paris nach seinen Souveränen sehnte; Sie haben es zu Versailles in Wut und mordend gesehen . . . Sie haben es aber auch hier vor den Tuilerien gesehen, wie es Ihre Majestät und die königliche Familie jubelnd begrüßte.«

»Ja, ja, das habe ich gesehen,« sagte der König, »und daher kommt meine Unschlüssigkeit. Ich frage mich, welches das wahre Volk ist, ob das mordende und sengende oder das jubelnde und schmeichelnde.«

»Oh, das letzte, Sire, das letztere! Vertrauen Sie diesem, und es wird Sie gegen das andere verteidigen.«

»Graf, Sie wiederholen genau dasselbe, was mir der Doktor Gilbert heute morgen sagte.«

»Wenn ich die Ehre und das Unglück hätte, König zu sein, Sire, so würde ich meine rechte Hand dem General Lafayette, die linke Hand dem Herrn von Mirabeau reichen.«

»Graf,« erwiderte der König mit einiger Heftigkeit, »wie können Sie mir einen solchen Rat geben? Sie kennen ja die Bedeutungslosigkeit des einen und verachten die Sittenlosigkeit des andern.«

»Sire, es, handelt sich hier nicht um meine Sympathien, sondern um die Rettung Eurer Majestät und um die Zukunft des Königtums.«

»Aber wenn ich die Hand dazu böte, und die Bildung eines Ministeriums, in dem beide Platz finden würden, nicht zustande käme, was wäre dann zu tun?«

»Wenn alle Mittel, die Eure Majestät von der Vorsehung erhalten haben, erschöpft, und alle von den Umständen gebotenen Pflichten erfüllt wären, so dürfte es Zeit sein, auf Ihre und der Ihrigen Sicherheit bedacht zu sein.«

»Sie würden mir also raten, zu fliehen?«

»Ich würde Eurer Majestät raten, sich mit Ihren zuverlässigen Regimentern und Edelleuten nach Metz, Nancy, Straßburg oder in sonst eine Festung zurückzuziehen.«

Das Gesicht des Königs strahlte vor Freude.

»So, das würden Sie mir raten?« sagte er. »Sie kennen alle Generale, die mir Beweise ihrer Aufrichtigkeit gegeben haben; sagen Sie aufrichtig, welchem würden Sie den gefährlichen Auftrag erteilen, seinen König zu entführen?«

»O Sire,« erwiderte Charny, »es ist eine schwere Verantwortung, Ihnen in einer solchen Wahl zu raten.«

»Beruhigen Sie sich, Graf«, sagte der König; »ich habe meine Wahl bereits getroffen, und eben an den Mann meiner Wahl will ich Sie senden. Hier ist der Brief, den Sie ihm zu übergeben haben.«

»Sire,« begann Charny nach kurzem Besinnen, »ich denke an den Marquis von Bouillé, als Untertan würde ich ihm meinen König ohne Bedenken anvertrauen.«

Als der Graf den Namen nannte, konnte der König einen Ausruf der Freude nicht unterdrücken.

»Lesen Sie die Adresse des Briefes, Graf«, sagte er.

Charny nahm den Brief aus den Händen des Königs und las: »An Herrn Francis Claude Amour, Marquis von Bouillé, Kommandant der Stadt Metz.«

Dem Grafen von Charny traten Tränen der Freude in die Augen.

»Dieser Vorschlag zur Flucht ist nicht der einzige, der mir gemacht worden ist . . . Kennen Sie den Marquis von Favras?«

»Ja, Sire. Er ist ein braver Soldat, ein Edelmann, der ohne Murren sein Leben hingeben wird, um sein Wort zu halten.«

»Er ist nicht der Führer des Unternehmens«, erwiderte der König. »Monsieur, mein Bruder, hat die Sache in die Hand genommen, Ja, Monsieur beschafft Geld, Monsieur bereitet alles vor, Monsieur will sich aufopfern und hier bleiben, wenn ich mit Favras abgereist bin!«

Charny stutzte:

»Aber warum will denn Monsieur mit Eurer Majestät nicht abreisen? Warum bleibt Seine Königliche Hoheit hier?«

»Aus Patriotismus . . . wenn etwa der König abgesetzt und ein Regent ernannt werden muß, wird das Volk den Regenten gleich bei der Hand haben.«

»Sire,« fragte Charny mit einer Verbeugung, »soll meine Reise ein Geheimnis bleiben?«

»Es kann immerhin bekannt werden, daß Sie abreisen, wenn nur der Zweck Ihrer Abreise ein Geheimnis bleibt.«

»Und nur der Marquis von Bouillé darf den Zweck erfahren?«

»Ja, der Marquis allein . . . und zwar erst, nachdem Sie sich von seiner Gesinnung überzeugt haben. Der Brief, den Sie ihm überbringen, ist ein bloßes Einführungsschreiben. Hier, lesen Sie«, setzte er hinzu, indem er dem Grafen den offenen Brief reichte.

Charny nahm den Brief und las:

»Tuilerienpalast, 19. Oktober.

Ich hoffe, Herr Marquis, daß Sie mit Ihrer Stellung als Gouverneur von Metz noch zufrieden sind. Der Herr Graf von Charny wird Sie auf seiner Durchreise fragen, ob es Ihr Wunsch ist, daß ich mehr für Sie tue. In diesem Falle würde es mich sehr freuen, Ihnen angenehm zu sein, so wie ich diese Gelegenheit ergreife, Sie meiner vollkommensten Hochachtung zu versichern.

Ludwig.«

»Jetzt gehen Sie, lieber Graf«, sagte der König. Er reichte ihm noch einmal die Hand, die der Graf ehrfurchtsvoll küßte.

Vor seiner Wohnung erwartete Charny der Kammerdiener der Königin, Weber.

Die Königin wolle ihn sprechen und wünsche ihn auf der Stelle zu sehen.

Der Wunsch der Königin war für ihn Befehl, er konnte sich ihm nicht entziehen.

Charny gab seinem Bedienten einige Befehle in bezug auf die Abreise und folgte dem Kammerdiener auf dem Fuße.

So wie er war, in der vollen Uniform eines diensttuenden Offiziers, trat er in das Zimmer der Königin.

Charny verneigte sich und blieb fast auf der Türschwelle stehen.

»Treten Sie näher, Herr Graf, wir sind allein«, sagte Marie Antoinette.

Charny trat näher, dann erwiderte er mit sanfter, aber zugleich so fester Stimme, daß nicht die mindeste Unschlüssigkeit darin zu erkennen war:

»Ich stehe Eurer Majestät zu Befehl.«

»Graf,« fuhr die Königin sehr freundlich fort, »haben Sie nicht gehört, was ich zu Ihnen sagte? Wir sind allein.«

»Jawohl, Majestät«, antwortete Charny; »aber ich sehe nicht ein, inwiefern dieses Alleinsein das Verhalten eines Untertanen gegen seine Fürstin ändern kann.«

»Als ich Sie rufen ließ und von Weber erfuhr, daß Sie ihm auf dem Fuße folgten, glaubte ich, ein Freund begebe sich zu seiner Freundin.«

Ein bitteres Lächeln spielte um den Mund des Grafen.

»Ja, Graf,« setzte die Königin hinzu, »ich verstehe dieses Lächeln und weiß, was Sie denken. Sie sagen zu sich selbst, ich sei in Versailles ungerecht gewesen, und in Paris sei ich launenhaft.«

Sie reichte ihm ihre weiße, zarte, vollkommen schöne Hand.

Charny faßte die königliche Hand, drückte einen ehrerbietigen Kuß darauf und wollte sie wieder loslassen, aber Marie Antoinette hielt sie fest.

»Ich gestehe,« sagte sie, »ich bin ungerecht gegen Sie gewesen, lieber Graf . . . Ihr Bruder fiel für mich; ich hätte ihn mit Ihnen beweinen sollen . . . Aber in diesen zehn Tagen der Einsamkeit habe ich meine Schuld abgetragen, ich habe ihn beweint . . . Sehen Sie, lieber Graf, ich weine noch.«

»Ich versichere Eurer Majestät,« sagte er, »daß ich sehr dankbar bin für die Tränen, die Sie meinem Bruder nachweinen . . . Leider habe ich kaum Zeit, Ihnen meinen Dank auszudrücken . . .«

»Wieso, was meinen Sie?« fragte Marie Antoinette erstaunt. »Sie reisen ab?«

»Um mich eines Auftrages zu entledigen, den mir der König zu erteilen geruhte.«

»Und Sie verlassen Paris?« fragte die Königin mit Bangigkeit.

»Ja, ich verlasse Paris.«

Die Königin mußte ihre Bewegung gewaltsam bekämpfen.

»Und Sie reisen . . . allein?« fragte sie.

»Ja, Madame, allein!«

Marie Antoinette atmete erleichtert auf.

»Wohin gehen Sie denn?« fragte sie weiter.

»Ich weiß, daß der König kein Geheimnis vor Eurer Majestät hat«, antwortete Charny ehrerbietig; »geruhen Sie daher, Ihren erlauchten Gemahl zu befragen; ich zweifle keinen Augenblick, daß Seine Majestät Ihnen alles sagen wird.«

Marie Antoinette sah Charny erstaunt an.

»Aber warum soll ich den König fragen, wenn ich es von Ihnen erfahren kann?« sagte sie.

»Weil das Geheimnis, das mir anvertraut ist, dem König, und nicht mir gehört.«

»Es ist gut, Herr Graf. Gehen Sie . . .«

Charny verneigte sich noch einmal und ging festen Schrittes der Tür zu. Aber in dem Augenblick, als er die Hand an den Türknopf legte, breitete Marie Antoinette die Arme nach ihm aus und rief:

»Charny!«

Der Graf sah sich betroffen um.

»Charny, kommen Sie hierher!«

Der Graf trat zögernd näher.

»Kommen Sie näher . . . noch näher«, fuhr die Königin fort. »Sehen Sie mich an . . . Sie lieben mich nicht mehr, nicht wahr?«

Charny fühlte einen eiskalten Schauer durch seine Adern rieseln; er glaubte einen Augenblick, die Besinnung zu verlieren.

Es war das erstemal, daß sich die stolze Fürstin vor ihm beugte.

In jedem andern Moment würde er ihr zu Füßen gefallen sein und sie um Verzeihung gebeten haben; aber die Erinnerung an seine Unterredung mit dem König hielt ihn zurück.

»Es ist gut, Graf,« sagte Marie Antoinette, »Sie sind frei . . . gehen Sie.«

Einen Augenblick wurde Charny von dem unwiderstehlichen Verlangen ergriffen, der Königin zu Füßen zu fallen; aber seine unerschütterliche Treue zum König bezwang die Liebe zur Königin, die er für erloschen hielt und die fast inniger und glühender als je zuvor wieder aufgelodert wäre. Er eilte zum Zimmer hinaus.

Die Königin sah ihm mit Tränen der Bitterkeit nach und lauschte auf seine verhallenden Schritte im Korridor. Dann zog sie die Glocke. Weber erschien.

»Geh in die Rue Coq-Héron Nummer 9, zu der Gräfin von Charny und sage ihr, daß ich sie heute abend zu sprechen wünsche.«

Marie Antoinette war tief ergriffen, als ihr der Kammerdiener die Gräfin von Charny meldete.

»Ich heiße Sie willkommen, Andrea, wie immer«, sagte sie.

»Wenn Eure Majestät immer so mit mir gesprochen hätten,« erwiderte Andrea mit ihrer gewohnten Offenheit, »so würden Sie nicht nötig gehabt haben, mich rufen zu lassen.«

»Die Antwort ist hart, Andrea,« erwiderte Marie Antoinette, »aber ich habe sie nicht anders verdient.«

Marie Antoinette heftete ihren klaren, forschenden Blick auf die Gräfin.

»Es ist jetzt Zeit, daß wir uns aussprechen,« sagte sie, »und deshalb habe ich Sie rufen lassen . . . Sie lieben Ihren Gemahl?«

Andrea wurde leichenblaß, aber sie blieb stumm.

»Sie lieben Ihren Gemahl?« wiederholte die Königin.

»Ja«, sagte Andrea.

Die Königin fuhr auf wie eine verwundete Löwin.

»Oh, ich dachte es wohl!« sagte sie. »Seit wann lieben Sie ihn?«

»Seit der ersten Stunde, wo ich ihn gesehen habe.«

Marie Antoinette wich vor dieser Marmorstatue, die sich eine Seele zuschrieb, erschrocken zurück.

»Und Sie haben geschwiegen?«

»Eure Majestät wissen es besser als irgend jemand.«

»Warum aber schwiegen Sie?«

»Weil ich bemerkte, daß auch Sie ihn liebten.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie ihn mehr liebten als ich, da ich nichts gesehen habe?«

»Eure Majestät haben nichts gesehen,« erwiderte Andrea mit Bitterkeit, »weil er Sie liebte!«

»Ja . . . und ich sehe jetzt, weil er mich nicht mehr liebt . . . Das meinen Sie, nicht wahr?«

Andrea schwieg.

»Aber so antworten Sie mir doch«, sagte die Königin; »antworten Sie und gestehen Sie, daß er mich nicht mehr liebt . . .«

Andrea antwortete mit keiner Gebärde, nicht durch die leiseste Bewegung.

»Das ist zum Rasendwerden!« rief die Königin. »Töten Sie mich lieber auf der Stelle . . . Sagen Sie, er liebt mich nicht mehr, nicht wahr?«

»Das kann Ihnen nur der Graf sagen«, antwortete Andrea.

»Er wird Sie gewiß in sein Vertrauen gezogen haben?«

»Nie hat sich der Graf gegen mich darüber ausgesprochen.«

»Auch heute morgen nicht?«

»Ich habe den Grafen heute morgen nicht gesehen.«

Die Königin sah Andrea mit einem Blick an, der tief in ihr Herz zu dringen suchte.

»Sie wollen wohl behaupten, daß Sie von der Abreise des Grafen nichts wissen?«

»Er hat mir geschrieben, Majestät,« sagte Andrea, »hier ist der Brief.«

Marie Antoinette faltete den Brief auseinander, rückte den Armleuchter näher und las:

»Madame!

In einer Stunde verlasse ich Paris auf ausdrücklichen Befehl des Königs.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wohin ich gehe und wie lange ich ausbleiben werde. Ich hatte anfangs die Absicht, Ihnen meine Abreise mündlich anzuzeigen, aber ohne Ihre Erlaubnis wagte ich es nicht, Ihnen einen Besuch zu machen.

Für den Fall, daß es mir auf der Reise so ginge wie dem unglücklichen Georges, habe ich meine Maßregeln getroffen, damit Sie von einem Ereignis, welches Ihnen die Freiheit zurückgeben würde, in Kenntnis gesetzt werden. Dann erst würden Sie erfahren, welche Bewunderung ich Ihrer hochherzigen Aufopferung zolle; Sie waren jung, schön, und zum Glück geboren, und sind so schlecht belohnt worden von der hohen Frau, der Sie Jugend, Schönheit und Glück geopfert haben!

Mein einziger Wunsch ist, daß Sie dem Unglücklichen, der Ihren Wert so spät erkannt hat, eine Erinnerung widmen.

Ich scheide mit dem Gefühl inniger Verehrung.

Graf Olivier von Charny.«

Marie Antoinette reichte der Gräfin den Brief zurück.

Andrea nahm ihn an sich.

»Sagen Sie noch, daß Sie verraten sind?« sagte Andrea mit Wehmut. »Habe ich das Vertrauen, das Sie in mich setzten, nicht gerechtfertigt?«

»Verzeihen Sie mir, Andrea«, sagte die Königin. »Oh, ich mußte so viel leiden.«

»Sie haben gelitten? Das sagen Eure Majestät in meiner Gegenwart? Sie haben gelitten . . . und gleichwohl mußten Sie nicht wie ich mit ansehen, daß sich der geliebte Mann gleichgültig von Ihnen abwandte und sein Herz einer andern schenkte . . . Sie haben nicht gehört, daß der Mann Ihres Herzens, von Ihrem Bruder tödlich verwundet, in seinem Fieberwahn beständig jene andere rief, deren Vertraute Sie waren . . . Sie haben nicht gesehen, wie sich diese andere in die Korridore schlich, in denen Sie selbst herumirrten, um diese Fieberphantasien zu hören, welche deutlich bewiesen, daß seine unsinnige Leidenschaft erst mit seinem Leben enden sollte . . . Sie haben es nicht mit angesehen, wie dieser Mann Ihrer Nebenbuhlerin zu Füßen sank . . . ja, Ihrer Nebenbuhlerin, denn in der Liebe verschwindet jeder Unterschied des Ranges . . . Sie waren es nicht, die bei Ihrer Freundschaft, bei der gefährdeten königlichen Würde beschworen wurde, die Frau des Mannes zu werden, den Sie seit drei Jahren vergötterten . . . wohlverstanden, ich sollte eine Frau ohne Gatte werden, ich sollte der Vorhang sein, den man zwischen die Augen der Menge und fremdes Glück ziehen wollte . . . Sie haben dieses schwere Opfer nicht gebracht . . . Sie haben Ihren Gemahl nicht verlassen, um ihn nur . . . als Geliebten Ihrer Nebenbuhlerin wiederzusehen! . . . Oh, ich schwöre es Ihnen, diese letzten drei Jahre waren schrecklich! Ich habe nichts versprochen,« sagte sie, »und wieviel habe ich gehalten . . . Eure Majestät hatten mir zweierlei versprochen . . .«

»Andrea! Andrea!« sagte die Königin.

»Sie hatten mir versprochen, den Grafen von Charny nicht wiederzusehen. Dieses Versprechen war um so heiliger, da ich es nicht verlangt hatte . . .«

»Andrea . . .«

»Dann hatten Sie mir versprochen, mich als Schwester zu behandeln.«

»Andrea . . .«

»Sie gaben dieses Versprechen in einem Augenblick, in dem ich Ihnen mein Leben, meine Liebe, mein zeitliches und ewiges Glück geopfert hatte . . . In jenem Augenblick übergaben Sie mir ein Billett, es lautete: ›Andrea, Sie haben mich gerettet; ich verdanke Ihnen meine Ehre, mein Leben gehört Ihnen. Bei dieser Ehre schwöre ich Ihnen, daß Sie mich Schwester nennen können . . .‹«

»Verzeihe mir, Andrea, verzeihe mir; ich glaubte, er liebe dich . . .«

»Sie glaubten also, Madame, er müsse eine andere lieben, weil er gleichgültig gegen Sie wurde?«

Andrea hatte so viel gelitten, daß sie schonungslos wurde.

»Sie haben also bemerkt, daß er gleichgültiger gegen mich wurde?« sagte Marie Antoinette mit tiefem Schmerz.

Andrea antwortete nicht.

»Mein Gott! Was soll ich tun, um mir seine Liebe zu erhalten? Oh, wenn du es weißt, Andrea, meine Freundin, meine Schwester, so sage mir's, ich bitte, ich beschwöre dich!«

Die Königin streckte beide Hände nach ihr aus.

Andrea wich einen Schritt zurück.

»Wie kann ich das wissen?« sagte sie, »er hat mich ja nie geliebt!«

»Ja, aber er kann dich lieben . . .«

»Und wenn sich dieses Unglück ereignete, so vergessen Sie nicht, daß ich ihm dann die Mitteilung machen müßte, die ich Ihnen gemacht habe!«

»Sie würden ihm sagen, daß Gilbert Ihnen Gewalt angetan? Sie würden ihm sagen, daß Sie einen Sohn haben? Sie würden nichts tun, um sich die Zuneigung des Grafen zu erwerben?«

»Nein, Madame, ebensowenig in Zukunft, wie ich es früher getan habe.«

»Und wenn er erklärt, daß er Sie liebt, wenn Sie ihm Ihre Gegenliebe gestehen, wollen Sie dann . . .«

»O Madame!« sagte Andrea, die Königin unterbrechend.

»Ja, ja,« fuhr Marie Antoinette fort, »Sie haben recht, Andrea, meine Freundin, meine Schwester, ich bin ungerecht, rücksichtslos . . . Aber wenn ich auch alles verliere, meine Macht, meinen Ruf, meine Freunde . . . diese Liebe kann ich nicht verlieren; ihr würde ich Macht, Ruf und Freunde opfern!«

»Haben Ew. Majestät noch etwas zu befehlen?« sagte Andrea mit der eisigen Kälte, die sie nur in dem Augenblicke verlassen hatte, als sie von ihren Leiden gesprochen.

»Nein, ich danke Ihnen . . . ich wollte Ihnen meine Freundschaft zurückgeben, und Sie schlagen sie aus . . . Leben Sie wohl, leben Sie wohl, nehmen Sie wenigstens meinen Dank mit.«

Andrea machte eine kalte, tiefe Verbeugung und entfernte sich langsam und schweigend wie eine Erscheinung.

 


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