Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Vierzehntes Kapitel

Am Tage nach der Verhaftung des Marquis von Favras machte folgendes Schreiben die Runde durch ganz Paris:

»Der Marquis von Favras ist mit seiner Frau in der Nacht vom 24. zum 25. verhaftet worden, weil er den Anschlag geplant hatte, dreißigtausend Mann aufzuwiegeln, um den General Lafayette und den Bürgermeister von Paris ermorden zu lassen, und uns sodann die Zufuhr von Lebensmitteln abzuschneiden.

Monsieur, der Bruder des Königs, steht an der Spitze der Verschwörung.«

Dieses Schreiben erregte ungeheures Aufsehn.

Am 26. abends waren die Abgeordneten im Stadthause versammelt, und während der Bericht des Untersuchungskomitees vorgelesen wurde, meldete der Türsteher, Monsieur wünsche vorgelassen zu werden.

Die Stadtverordneten sahen einander an. Der Name Monsieur war seit gestern in jedermanns Munde.

Bailly warf einen fragenden Blick auf die Versammlung, und da er in den Augen aller die gleiche Antwort zu lesen schien, sagte er:

»Sagen Sie Seiner Hoheit, daß wir bereit sind, Monsieur zu empfangen.«

Einige Sekunden später trat Monsieur ein.

Er war allein; sein Gesicht war blaß, und sein ohnehin etwas unsicherer Gang war noch wankender als gewöhnlich.

Er warf einen noch schüchternen Blick auf die zahlreiche Versammlung und begann:

»Meine Herren, der Wunsch, eine Verleumdung zu widerlegen, führt mich in Ihre Mitte. Der Marquis von Favras ist vorgestern verhaftet worden, und heute streut man absichtlich das Gerücht aus, ich hätte mit ihm in Verbindung gestanden . . . Im Jahre 1772 trat der Marquis in meine Schweizergarde; 1775 schied er wieder aus. Seit jener Zeit habe ich nie ein Wort mit ihm gesprochen . . .«

Ein Gemurmel erhob sich; aber ein Blick Baillys stellte die Ruhe wieder her; Monsieur fuhr fort:

»Seit Monaten meiner Einkünfte beraubt, und in Sorge um die bedeutenden Zahlungen, die ich zu leisten habe, wünschte ich meine Verbindlichkeiten zu erfüllen, ohne dem Staatsschatz zur Last zu fallen; ich beschloß daher eine Anleihe zu machen. Vor etwa vierzehn Tagen sagte mir Herr de la Châtre, der Marquis von Favras sei in der Lage, diese Anleihe bei einem Genueser Bankier zustande zu bringen; ich unterschrieb einen Schuldschein auf zwei Millionen, denn diese Summe brauchte ich teils zur Erfüllung meiner Zahlungsverbindlichkeiten, teils zur Bestreitung meiner Hofhaltung. Da es ein bloßes Geldgeschäft war, so beauftragte ich meinen Intendanten damit. Den Marquis von Favras habe ich nicht gesehen; ich habe nicht an ihn geschrieben; kurz, ich habe keinerlei Verbindung mit ihm gehabt. Was er sonst noch unternommen hat, ist mir ganz unbekannt.Diese Worte des Prinzen sind historisch.

Gleichwohl erfuhr ich gestern, daß ein Rundschreiben in der Hauptstadt zirkuliert. Sie werden nicht von mir erwarten, meine Herren, daß ich mich zu einer Rechtfertigung herablasse, aber man nenne mir eine einzige meiner Handlungen, eine einzige meiner Reden, wodurch ich gezeigt hätte, daß das Glück des Königs und des Volkes aufgehört hat, der einzige Gegenstand meiner Gedanken und Wünsche zu sein; ich habe meine Gesinnungen und Grundsätze nie geändert, und werde sie auch nie ändern!«

Bailly antwortete:

»Es gereicht den Vertretern der Gemeinde Paris zur großen Befriedigung, den Bruder eines geliebten Königs, der die französische Freiheit wiederhergestellt, in ihrer Mitte zu sehen. Monsieur ist der eigentliche Schöpfer der bürgerlichen Gleichheit; er will nur nach seinen patriotischen Gesinnungen beurteilt werden. Diese Gesinnungen sprechen sich aus in den Erklärungen, welche Monsieur der Versammlung zu geben geruht.«

Monsieur hatte den Marquis von Favras verleugnet, und aus dem Lobe, das ihm der tugendhafte Bailly gespendet, sehen wir, daß der Erfolg seinen Erwartungen entsprach.

Ludwig XVI., dem dies wohl kein Geheimnis bleiben konnte, entschloß sich, die Konstitution zu beschwören.

Eines Morgens meldete der Türsteher dem Präsidenten der Nationalversammlung, daß der König vorgelassen zu werden wünsche.

Die Volksvertreter sahen einander erstaunt an. Man ließ Ludwig XVI. eintreten, und der Präsident räumte ihm seinen Sessel ein.

Der König wurde mit lautem Jubel begrüßt. Er nahm das Wort: Er habe das Bedürfnis gefühlt, der Nationalversammlung über ihre Wirksamkeit Glück zu wünschen; er habe die schöne Einteilung Frankreichs in Departements zu loben; aber vor allem müsse er seine Begeisterung für die Konstitution ausdrücken.

Die darauffolgende Rede des Königs wurde sehr beifällig aufgenommen, denn mit Ausnahme von Camille Desmoulins und Marat war noch ganz Frankreich royalistisch, viele Abgeordneten vergossen Tränen der Rührung. Jedermann streckte die Hand empor und schwur auf eine Konstitution, die noch gar nicht vorhanden war.

Der König entfernte sich – aber der König und die Nationalversammlung konnten sich so nicht trennen: man eilte ihm nach und begleitete ihn bis zu den Tuilerien, wo die Abgeordneten von der Königin empfangen wurden.

Aber Marie Antoinette, die stolze Tochter der Kaiserin Maria Theresia, wird nicht so rasch von Begeisterung ergriffen; sie stellt den Abgeordneten der Nation ihren Sohn vor.

»Meine Herren,« sagte sie, »ich teile alle Gefühle des Königs; ich schließe mich von ganzem Herzen dem Schritte an, den er in seiner Liebe zum Volke getan hat. Hier ist mein Sohn; ich werde ihn frühzeitig lehren, die Tugenden seines guten Vaters nachzuahmen, die öffentliche Freiheit zu achten und die Gesetze zu wahren, deren feste Stütze er, wie ich hoffe, einst sein wird.«

Eine Begeisterung, die durch solche Worte nicht abgekühlt wird, mußte wohl sehr groß sein; der Enthusiasmus der Nationalversammlung war aufs höchste gestiegen. Es wurde die sofortige Eidesleistung beantragt; die Eidesformel wurde in derselben Sitzung festgesetzt, und der Präsident schloß mit den Worten:

»Ich schwöre, der Nation, dem Gesetze und dem Könige treu zu sein, und soviel in meiner Macht, die von der Nationalversammlung beschlossene und vom Könige angenommene Konstitution zu wahren.«

Alle Mitglieder der Versammlung, mit Ausnahme eines einzigen, hoben die Hand auf und wiederholten: »Ich schwöre es!«

Die Nationalversammlung ordnete ein Tedeum an. Man erneuerte nun noch am Altar, im Angesichte Gottes, den bereits geleisteten Eid.

Der König begab sich indes nicht in die Notre-Dame-Kirche und leistete daher auch den Eid nicht.

Seine Abwesenheit wurde wohl bemerkt; aber man war so hochgestimmt, so vertrauungsvoll, daß man sich mit dem ersten Vorwande, den er angab, begnügte.

»Warum sind Sie nicht bei dem Tedeum gewesen? Warum haben Sie nicht, wie die übrigen, am Altar geschworen?« fragte die Königin ironisch.

»Weil ich wohl lügen, aber nicht meineidig werden will«, war die Antwort.

 


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