Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Zweiundfünfzigstes Kapitel

Die Lage war bedenklich; Longwy war gefallen, Verdun in der größten Gefahr, der Feind nur noch fünfzig Meilen von Paris entfernt; der König und die königliche Familie waren daher kostbare Geiseln, die den entschiedensten Gegnern der Revolution das Leben sicherten.

Es wurden Kommissare in den Temple geschickt. Fünfhundert Soldaten wären nicht imstande gewesen, dieses Gefängnis zu bewachen; ein Kommissar ersann ein wirksameres Mittel als alle Piken und Bajonette in Paris: den Temple mit einem dreifarbigen Bande zu umgeben und folgende Inschrift daraufzusetzen: »Bürger, achtet diese Schranken, sie sind notwendig für unsere Überwachung und für unsere Verantwortlichkeit.«

Sonderbare Zeit, in der man starke Türen einschlug, Eisengitter zertrümmerte – und vor einem Bande zurückwich! Das Volk kniete vor dem dreifarbigen Bande nieder und küßte es.

Am 2. September speiste der König zur gewohnten Stunde; nach dem Essen begab er sich, wie gewöhnlich, mit der Königin, Madame Elisabeth, Madame Royale und dem kleinen Dauphin in den Garten.

Während des Spaziergangs wurde das Schreien und Lärmen draußen immer heftiger. Es war etwa drei Uhr, eben wurde mit der Ermordung der aus dem Stadthause zur Abbaye gebrachten Gefangenen der Anfang gemacht.

Kaum war die königliche Familie wieder in dem Zimmer der Königin versammelt, so erschienen zwei Munizipalbeamte; der eine, ein vormaliger Kapuziner namens Mathieu, trat auf den König zu und sagte:

»Sie wissen nicht, was vorgeht? Das Vaterland ist in der größten Gefahr.«

»Wie kann ich hier etwas erfahren?« erwiderte der König; »ich bin ja im Gefängnis, und niemand wird zu mir gelassen!«

»Nun, dann will ich Ihnen sagen, was Sie nicht wissen: Der Feind ist in die Champagne eingerückt, der König von Preußen marschiert gegen Châlons.«

Die Königin konnte eine Äußerung der Freude nicht unterdrücken. Der Munizipalbeamte bemerkte dies.

»O ja,« sagte er, sich zu Marie Antoinette wendend, »wir wissen wohl, daß wir samt unseren Frauen und Kindern umkommen werden; aber Sie haben alles zu verantworten, Sie werden vor uns sterben, dem Volke muß Genugtuung werden!«

»Wir sind in Gottes Hand«, antwortete der König; »ich habe für das Volk alles getan und habe mir nichts vorzuwerfen.«

Derselbe Munizipalbeamte wandte sich nun zu dem Kammerdiener Hue, der nahe an der Tür stand.

»Dich«, sagte er, »habe ich im Auftrage des Gemeinderats zu verhaften.«

»Hue!« sagte der König; »was hat er denn getan?«

»Das kümmert mich nicht; aber er wird heute abend abgeführt und seine Papiere versiegelt werden.« – Dann sagte er beim Fortgehen zu Cléry: »Nehmen Sie sich in acht! Es wird Ihnen ebenso gehen, wenn Sie Winkelzüge machen.«

Am folgenden Tage, dem 3. September, war Ludwig XVI. um elf Uhr morgens mit seiner Familie in dem Zimmer der Königin. Ein Munizipalbeamter erschien und gab Cléry Befehl, sich in das Zimmer des Königs zu begeben.

Manuel war da, und bei ihm befanden sich einige Mitglieder des Gemeinderats. In allen Gesichtern war eine große Unruhe bemerkbar.

»Was sagt der König zu der Verhaftung seines Kammerdieners?« fragte Manuel.

»Seine Majestät ist sehr besorgt«, antwortete Cléry.

»Es wird ihm nichts geschehen«, antwortete Manuel; »ich habe indes Auftrag, dem König zu sagen, daß er nicht wiederkommen wird; sagen Sie ihm, daß ihm der Gemeinderat einen andern Kammerdiener schicken wird.«

»Es ist nicht mein Amt, den König zu betrüben,« antwortete Cléry; »verschonen Sie mich daher mit dieser Botschaft, die ihm sehr unangenehm sein wird.«

Manuel sann eine kleine Weile nach. – »Es ist gut,« sagte er endlich, »ich will zur Königin gehen.«

Er ging sogleich hinunter und fand den König.

Ludwig XVI. hörte die Nachricht, die ihm der Gemeindeprokurator zu melden hatte, mit seiner gewohnten Ruhe an. Dann erwiderte er:

»Gut, ich danke Ihnen; ich werde mich durch den Kammerdiener, meines Sohnes bedienen lassen, und wenn's der Gemeinderat nicht erlaubt, so bediene ich mich selbst.«

»Haben Sie sich über etwas zu beschweren?« fragte Manuel.

»Es fehlt uns an Wäsche«, sagte der König.

Um ein Uhr äußerte der König den Wunsch, einen Spaziergang zu machen. Die Munizipalbeamten verweigerten die Erlaubnis.

Um zwei Uhr setzte sich die königliche Familie zu Tisch. Nach einer Weile hörte man Trommelwirbel und lautes Getümmel, welches dem Temple immer näher kam.

Die königliche Familie begab sich in das Zimmer der Königin. – Der Lärm kam immer näher.

Was hatte dieses Schreien und Toben zu bedeuten? Die Gefangenen in La Force wurden niedergemetzelt wie in der Abbaye. Dort führte Hébert den Vorsitz, wie hier Maillard; das Gemetzel war in La Force noch furchtbarer als in der Abbaye.

Unter den dortigen Gefangenen war die unglückliche Prinzessin von Lamballe, die treueste Freundin der Königin. Die Erbitterung gegen sie war außerordentlich groß; man nannte sie die Ratgeberin der Österreicherin.

Die Prinzessin war nach England gegangen, sie hätte dort bleiben und in Ruhe leben können, aber als sie von dem Angriff auf die Tuilerien erfuhr, kam sie nach Paris zurück, um ihren Platz bei der Königin wieder einzunehmen.

An diesem Morgen erschienen zwei Nationalgardisten in ihrer Zelle.

»Stehen Sie auf,« sagte der eine zu der Prinzessin, »Sie müssen zur Abbaye gehen.«

»Ach, meine Herren,« erwiderte sie, »es ist mir unmöglich, das Bett zu verlassen; ich bin so schwach, daß ich nicht gehen kann.«

Dann setzte sie mit kaum verständlicher Stimme hinzu: »Sie können mich ja so gut hier umbringen wie anderswo.«

Einer der beiden neigte sich zu ihr und sagte leise, während der andere an der Tür lauschte:

»Gehorchen Sie, Madame; wir wollen Sie retten!«

»Dann entfernen Sie sich,« antwortete die Gefangene, »ich will mich ankleiden.«

Als sie aus der Tür trat, stand sie vor dem Blutgericht!

Hébert führte, wie schon erwähnt, den Vorsitz.

Bei dem Anblick der Männer, die mit aufgeschlagenen Hemdärmeln um den Tisch saßen, und ihrer mit Blut bespritzten Helfershelfer, die zur Vollziehung der Urteile bereit waren, fiel sie in Ohnmacht. Sie wurde dreimal befragt, aber sie sank jedesmal bewußtlos nieder, ohne antworten zu können.

»Sie wissen ja, daß man Sie retten will!« flüsterte ihr der Nationalgardist zu.

Dieses Versprechen gab ihr einige Kraft wieder.

»Was wollen Sie von mir, meine Herren?« fragte sie.

»Wer sind Sie?« fragte Hébert.

»Marie Luise, Prinzessin von Savoyen. Oberintendantin des Hauses der Königin.«

»Hatten Sie Kenntnis von dem Komplott des Hofes am 10. August?«

»Ich weiß von keinem Komplott.«

»Schwören Sie Freiheit, Gleichheit und Haß gegen den König, die Königin und die königliche Familie.«

»Das erste will ich gern beschwören, das übrige aber kann ich nicht schwören, weil ich es nicht fühle.«

»Schwören Sie doch!« flüsterte ihr der Nationalgardist zu, »oder Sie sind verloren!«

Aber als hätte sie gefürchtet, die Todesangst werde ihr den schmachvollen Schwur erpressen, hielt sie die Hand auf den Mund. Sie seufzte gepreßt.

»Sie hat geschworen!« rief der Nationalgardist, der sie geleitete.

Dann setzte er leise hinzu: »Gehen Sie geschwind aus der Tür, die vor Ihnen ist. Draußen rufen Sie: ›Es lebe die Nation!‹ und Sie sind gerettet.«

Als sie aus der Tür trat, wurde sie von einem ihr auflauernden Mörder ergriffen. Es war der große Nikolaus, derselbe, der den beiden Leibgardisten zu Versailles die Köpfe abgeschnitten hatte.

Diesesmal hatte er versprochen, die Prinzessin zu retten. Er zog sie auf einen blutigen, grauenerregenden Gegenstand zu und sagte: »Rufen Sie: ›Es lebe die Nation!‹ . . . So rufen Sie doch!«

Sie war gewiß im Begriff zu rufen, aber unglücklicherweise schlug sie die Augen auf. Sie stand vor einem Leichenhaufen, auf welchem ein Mann mit plumpen Schuhen herumtanzte, so daß das Blut unter seinen Füßen hervorspritzte wie der Traubensaft unter den Füßen des Winzers.

Entsetzt wendete sie sich ab und vermochte nur die Worte zu stammeln: »Pfui, wie gräßlich!«

Auch dieser Ausruf wurde absichtlich überhört. – Man sagt, ihr Schwiegervater, der Herzog von Penthièvre, hatte hunderttausend Franken gegeben, um sie zu retten.

Man schob sie in das Priestergäßchen, als plötzlich ein Elender, ein Haarkräusler namens Charlot die Reihen durchbrach und ihr mit seiner Pike die Haube vom Kopfe stieß. Ob er ihr nur die Haube abreißen oder sie ins Gesicht treffen wollte, läßt sich nicht entscheiden.

Ihr Blut floß. Der Anblick von Blut weckt Blutdurst. Ein Mann warf der Prinzessin ein Holzscheit an den Kopf. Sie wankte und sank auf die Knie nieder. Nun war sie nicht mehr zu retten. Von allen Seiten drang man mit Säbeln und Piken auf sie ein. Die Unglückliche gab keinen Laut von sich.

In einem Augenblick waren ihre Kleider zerrissen, und sie war nackt der Menge preisgegeben. Man legte sie auf einen Eckstein, und vier Männer wischten das aus sieben Wunden fließende Blut ab. So blieb sie von acht Uhr bis Mittag liegen. Ein Bewaffneter näherte sich und hieb ihr den Kopf ab.

Der Unmensch, der dieses Verbrechen beging, das an einem Leichnam vielleicht noch scheußlicher ist als an einem lebenden Wesen, hieß Grison.

Ein zweiter, namens Rodi, schnitt ihr die Brust auf und riß ihr das Herz heraus.

Kopf und Herz steckte man auf Piken und zog damit zum Temple. Eine große Menschenmenge folgte den Unholden. Man trat in einen Friseurladen ein und stellte den Kopf auf einen Tisch. »Frisieren Sie mir diesen Kopf,« sagte der Pikenträger, »er wird im Temple seine Aufwartung machen.«

Dann ging der Zug unter dem lauten Geschrei der Menge weiter.

Dieses Geschrei hatte die königliche Familie, die eben bei Tisch saß, gehört. – Die Mörder verlangten, daß eine Deputation von zehn Mördern, darunter die drei Pikenträger, eingelassen würden; sie sollten die Runde um den Turm machen, um der Königin die blutigen Trophäen zu zeigen. Das Ansinnen war so vernünftig, daß es ohne Widerrede bewilligt wurde.

Der König saß an einem Tische und tat so, als ob er mit der Königin Triktrak spielte. Plötzlich bemerkte der König, daß der eine Beamte hastig die Tür verschloß und die Fenstervorhänge zuzog.

»Was gibt's denn?« fragte der König.

In diesem Augenblick wurde an die Tür geklopft.

Offiziere und einige Munizipalbeamte traten ein.

»Es geht das Gerücht,« sagte ein Offizier, »es sei niemand mehr im Turm und Sie wären alle entkommen. Zeigen Sie sich am Fenster, um das Volk zu beruhigen.«

Der König sah keinen Grund, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten.

»Tun Sie es,« sagte einer, »man will Ihnen den Kopf und das Herz der Prinzessin von Lamballe zeigen, um Ihnen zu beweisen, wie das Volk seine Tyrannen behandelt. Ich rate Ihnen, sich sehen zu lassen, wenn Sie nicht wollen, daß der Kopf der Prinzessin hierhergebracht wird.«

Die Königin fiel mit einem lauten Schrei in Ohnmacht.

Der König sah sich um und sagte zu dem Offizier:

»Sehen Sie, was Sie getan haben!«

»Meine Mutter«, sagt Madame Royale in ihren Memoiren, »blieb seit jener Schreckensszene stumm und unbeweglich. Sie sah nichts von allem, was im Zimmer vorging; das Entsetzen hatte sie zur Bildsäule gemacht.«

 


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