Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Achtunddreißigstes Kapitel

Pitou traf alle nötigen Vorkehrungen zur Beerdigung der Entschlafenen. Zum Abbé Fortier mochte er nicht gehen. Er ging daher wegen der Totenmesse zu dem Meßner und bestellte den Totengräber.

Dann ging er nach Haramont, um seinem Leutnant Maniquet, seinem Unteroffizier und seinen einunddreißig Nationalgardisten anzuzeigen, daß die Beerdigung der Madame Billot am folgenden Tage um elf Uhr morgens stattfinden werde.

Man wußte nur zu gut, was Billot für die Idee, die alle Herzen entflammte, getan und gelitten hatte. Die gesamte Haramontaner Nationalgarde versprach daher, sich freiwillig und pünktlich in voller Parade auf dem Meierhofe einzufinden.

Abends kehrte Pitou nach Pisseleux zurück. Vor der Tür fand er den Tischler, der den Sarg brachte.

Katharina betete an dem Bette ihrer Mutter. Die Leiche war gewaschen und frisch angekleidet worden. Jetzt wurde sie in den Sarg gelegt, und für Katharina kam die schwere Stunde, in der sie auf immer von ihrer Mutter Abschied nehmen mußte . . .

»Lebe wohl, Mutter!« sagte sie; »noch einmal, zum letzten Male . . . lebe wohl!«

Dann verließ sie mit Pitou das Sterbezimmer.

Als Katharina an ihr Kämmerlein kam, hielt Pitou sie zurück.

»Ich meine, Mademoiselle Katharina,« stammelte Pitou etwas verlegen, »es ist an der Zeit, den Meierhof zu verlassen . . . Sind Sie nicht auch der Meinung?«

»Ich verlasse den Meierhof erst, wenn meine Mutter ihn für immer verlassen hat«, antwortete das junge Mädchen.

Am andern Morgen um zehn Uhr kamen die zum Begräbnis eingeladenen Freunde in großer Anzahl auf den Meierhof.

Der Bürgermeister von Villers-Cotterêts, der gute Herr Longpré, war einer der ersten, die erschienen, um der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Um halb elf Uhr rückte unter Trommelschlag und mit fliegender Fahne die Haramontaner Nationalgarde an. Sie war vollzählig erschienen, es fehlte nicht ein einziger Mann.

Katharina in tiefer Trauer, ihren ebenfalls ganz schwarzgekleideten Knaben auf dem Arm, empfing jeden Ankommenden, und keiner hatte ein anderes Gefühl, als Achtung für die trauernde Mutter und ihr so früh verwaistes Kind.

Man erwartete nur noch den Priester, die Kirchendiener und die Leichenträger, aber sie kamen nicht.

Pitou kannte den Abbé Fortier und ahnte, was kommen würde.

Der Abbé Fortier wollte bei dem Begräbnis der Madame Billot nicht erscheinen, unter dem Vorwande, daß die Pächtersfrau vor ihrem Ableben nicht gebeichtet hatte.

Diese Vermutung, die Pitou dem Bürgermeister gegenüber äußerte, machte auf alle Anwesenden einen peinlichen Eindruck.

Eine Weile sah man sich schweigend an, dann hörte man eine Stimme:

»Nun, wenn der Abbé Fortier die Messe nicht lesen will, so mag er's bleiben lassen.«

Es war die Stimme des Leutnants Maniquet.

»Meine Herren,« sagte der Bürgermeister, »ich rate Ihnen, sich nach Villers-Cotterêts zu begeben. Dort wird sich alles aufklären.«

Pitou gab vier Nationalgardisten einen Wink; man schob die Gewehrläufe unter den Sarg und hob ihn auf.

An der Haustür zog der Trauerzug vor der knienden Katharina vorüber. An ihrer Seite kniete der kleine Isidor.

Dann küßte sie die Schwelle, die sie nicht wieder zu überschreiten glaubte, und sagte aufstehend zu Pitou:

»Sie können mich in der Waldhütte bei dem Vater Clouis finden.« –

Der Trauerzug bewegte sich schweigend auf der Landstraße fort, als die letzten plötzlich hinter sich laut rufen hörten.

Ein Reiter sprengte heran. Pitou sah sich um.

»Sie da, Herr Billot!« sagte er. »Jetzt möchte ich nicht in der Haut des Abbé Fortier stecken!«

Als der Name Billot genannt wurde, machte der ganze Zug halt. An der Spitze des Leichenzuges angekommen, stieg Billot vom Pferde und sagte laut:

»Guten Tag, Freunde! Ich danke euch.«

Dann nahm er den Platz unmittelbar hinter dem Sarge ein.

Alle sahen Billot neugierig an. An der Stirn und um das linke Auge war die Haut noch mit Blut unterlaufen.

»Wissen Sie, was vorgegangen ist?« fragte Pitou.

»Ich weiß alles«, antwortete Billot.

In düsterer Stimmung folgte Billot dem Sarge.

Bei den ersten Häusern von Villers-Cotterêts standen viele Menschen, die den Leichenzug erwarteten und sich ihm anschlossen.

Als der Leichenzug auf dem Marktplatz ankam, zählte er mehr als fünfhundert Personen; die Kirche ward sichtbar.

Was Pitou erwartet hatte, war wirklich der Fall: die Kirche war geschlossen. Vor dem Haupteingang wurde haltgemacht.

Billot war noch blasser, der Ausdruck seines Gesichts noch drohender geworden.

Der Kirchendiener wurde von Herrn Longpré herbeigerufen und befragt.

Der Abbé Fortier hatte allen an der Kirche angestellten Personen verboten, an dem Begräbnis in irgendeiner Weise teilzunehmen.

»Der Abbé Fortier hat die Schlüssel in Verwahrung genommen, um versichert zu sein, daß die Kirche nicht geöffnet wird«, sagte der Kirchendiener.

»Wir wollen die Schlüssel von dem Abbé holen!« riefen zweihundert Stimmen.

»Das würde sehr lange dauern,« entgegnete Billot, »und der Tod ist nicht gewohnt, zu warten, wenn er an eine Tür klopft.«

Er sah sich nach allen Seiten um. Der Kirche gegenüber wurde ein Haus gebaut.

Billot ergriff einen Balken und hob mit einem einzigen Ruck das ungeheure Stück Holz vom Boden auf. Der riesenstarke Mann wankte unter der zu schweren Last, und im ersten Augenblick glaubte man, Billot werde unter derselben zusammenbrechen.

Diese Schwäche dauerte jedoch nur wenige Sekunden. Der Landwirt blieb fest auf den Füßen stehen, und nachdem er das Gleichgewicht wiederbekommen hatte, ging er langsam, aber festen Schrittes zur Kirchentür.

Beim dritten Stoß sprangen Riegel, Schlösser und Angeln auf, die Tür war offen.

Billot ließ den Balken fallen.

Vier Männer hoben ihn auf und trugen ihn mit Mühe an den Platz zurück, wo Billot ihn aufgenommen hatte.

»Jetzt, Herr Bürgermeister,« sagte der Pächter von Pisseleux, »lassen Sie den Sarg meiner armen Frau, die nie einem Menschen etwas zuleide getan hat, mitten in den Chor stellen . . . Und du, Pitou, hole den Meßner, die Sänger und die Chorknaben; ich hole den Abbé.«

Einige der Anwesenden wollten den Landwirt begleiten; aber er lehnte jede Begleitung ab.

»Laßt mich allein«, sagte er; »die Sache wird vielleicht ernst . . . und ich will die Verantwortung meiner Handlungen allein übernehmen.«

Es war seit Jahresfrist das zweitemal, daß der revolutionäre Landwirt mit dem royalistischen Priester in Streit geriet.

Die Haustür des Abbé Fortier war verschlossen wie die Kirchentür.

Billot sah sich um; das einzige brauchbare Werkzeug war ein halb umgestürzter Prellstein.

Der Pächter faßte ihn, rüttelte mit aller Gewalt hin und her und riß ihn heraus.

Dann hob er den schweren Stein hoch auf und schleuderte ihn gegen die Tür des Pfarrhauses. Die Tür war zertrümmert.

Ein Fenster tat sich auf, und der Abbé kam, mit lauter Stimme um Hilfe rufend, zum Vorschein.

Plötzlich sah man das bleiche Gesicht des Landwirts hinter dem Abbé erscheinen; dieser hielt sich am Fensterkreuz fest. Billot schlang den rechten Arm um den Leib des Abbé, stemmte sich fest auf beide Beine und riß ihn mit einem Ruck von dem Fensterkreuz los. Das zerbrochene Holz war dem Abbé in den Händen geblieben.

Inzwischen hatte Pitou die ganze Kirchendienerschaft herbeigeholt. In unglaublich kurzer Zeit war alles bereit, und es fehlte nur noch der Abbé.

Plötzlich sah man den Pächter von Pisseleux wieder zum Vorschein kommen. Er zog den Abbé so schnell mit sich fort, als ob er allein gegangen wäre.

Mit Schrecken gewahrte der Abbé die zertrümmerte Kirchentür. Er trat in die Sakristei und kam im Meßgewand und mit dem Sakrament in der Hand wieder heraus; aber als er sich umdrehte, um die kirchliche Feier zu beginnen, streckte Billot die Hand aus.

»Genug, du unwürdiger Diener Gottes«, sagte er; »ich wollte nur deinen Stolz beugen . . . nun will ich der Welt zeigen, daß eine wahrhaft fromme Christin, wie meine Frau, das Gebet eines fanatischen, boshaften Priesters entbehren kann.«

»Freunde,« sagte er dann, »zum Friedhof!«

Das Friedhofstor war geschlossen wie die Kirchentür.

Sonderbar! Billot mochte dieses schwache Hindernis nicht mit Gewalt beseitigen. Die Toten schienen ihn mit ehrerbietiger Scheu zu erfüllen.

Auf einen Wink des Pächters eilte Pitou fort und brachte nach kurzer Zeit den Schlüssel.

Billot und Pitou ließen den Sarg hinab. Sie erfüllten diese letzte Pflicht in so einfacher, natürlicher Weise, daß es keinem der Anwesenden einfiel, seine Hilfe anzubieten.

Als die ersten Erdschollen auf den Sarg fielen, hielt Billot inne und drückte die Hand auf die Augen, die sich mit Tränen füllten. Dann streckte er die Hand über das Grab aus und sagte:

»Du arme Dulderin! ein fanatischer Priester hat dir das Begräbnis verweigert . . . ein übermütiger Junker hat meine Tochter entehrt . . . die Verräter am Vaterlande haben das Blut vieler Bürger, haben auch mein Blut auf dem Marsfelde vergossen . . . darum schwöre ich ewigen Krieg dem Fanatismus, dem Übermut, dem Verrat am Vaterlande!«

Endlich sagte er, sich zu der schweigend zuhörenden Versammlung wendend:

»Freunde, Brüder! Statt der Verräter, die sich zu dieser Stunde über das Geschick Frankreichs beraten, wird eine neue Versammlung einberufen werden. Wollt ihr mich zu eurem Vertreter in dieser Versammlung ernennen?«

Ein allgemeiner beistimmender Zuruf beantwortete den Antrag Billots, dessen Kandidatur für die gesetzgebende Versammlung sofort an dem Grabe seiner Frau angenommen wurde.

Jeder einzelne nahm nun mit warmem Händedruck von Billot Abschied, der nach dem Meierhof zurückkehrte.

Er suchte nun soviel bares Geld wie nur irgend möglich zusammenzubringen. Es war ein gutes Jahr gewesen. Er entrichtete seinem Gutsherrn den Anteil an der Ernte, behielt seinen eigenen Anteil, bewahrte das zur Aussaat nötige Getreide und Viehfutter auf, und nachdem er endlich noch eine Summe zur Bestreitung der Wirtschaftskosten ausgesetzt hatte, ließ er eines Morgens seinen jungen Freund Pitou kommen.

Der Landwirt hatte den »Kapitän« nie holen lassen. Pitou begab sich daher nicht ohne Sorge auf den Meierhof.

Billot begrüßte Pitou jedoch, wie immer, mit einem herzlichen Händedruck; ja, er drückte ihm mit noch größerer Wärme die Hand, als er sonst zu tun pflegte, und ließ sie nicht los.

Pitou sah den Pächter erstaunt an.

»Pitou,« sagte Billot nach einer kurzen Pause; »du bist ein ehrlicher Mann. Ich gehe nach Paris und will dir die Aufsicht über meine Wirtschaft anvertrauen. Du kannst die Wirtschafterin, die die Aufsicht mit dir führen soll, selbst wählen. Ich frage dich nicht, wer es ist, ich brauche ihren Namen nicht zu wissen, und wenn die Zeit kommt, wo meine Gegenwart in Paris nicht mehr notwendig ist, werde ich dich acht Tage vorher davon in Kenntnis setzen, damit die Wirtschafterin Zeit hat, sich zu entfernen, wenn ich sie nicht sehen soll oder sie mich nicht sehen mag.«

»Gut, Herr Billot«, sagte Pitou.

»Du wirst alles finden, was zum Betriebe der Wirtschaft notwendig ist,« fuhr Billot fort, »in dem Speicher ist das Getreide zur Aussaat, in den Scheuern Heu, Stroh und Hafer für die Pferde, und in dieser Schublade Geld für den Lohn und die Beköstigung der Dienstleute.«

Er übergab Pitou den Schlüssel.

Pitou schloß den Landwirt in seine Arme.

»Und wenn Sie mich drüben etwa brauchen . . .« sagte er.

»Sei nur ruhig, Pitou,« fiel ihm Billot ins Wort, »ich werde dich nicht vergessen.«

Um fünf Uhr nachmittags stieg Billot zu Villers-Cotterêts in den nach Paris abgehenden Eilwagen, und um sechs Uhr kamen Pitou, Katharina und der kleine Isidor auf dem Meierhofe an.

 


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