Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Fünfundvierzigstes Kapitel

Kaum war Maudat ermordet, wurde Santerre zu seinem Nachfolger ernannt. Santerre ließ sogleich in allen Straßen Generalmarsch schlagen und erteilte den Befehl, in allen Kirchen die Sturmglocken zu läuten. Dann schickte er Patrouillen aus mit dem Befehl, bis zu den Tuilerien vorzudringen und vor allem die Nationalversammlung zu schützen.

Gegen Morgen hatte man elf Personen verhaftet und festgesetzt.

Ihren Führer Suleau nahm man ins Verhör.

»Wo sind Sie verhaftet worden?«

»Auf der Terrasse des Schlosses.«

»Was hatten Sie da zu tun?«

»Ich hatte Befehl vom Gemeinderat, mich im Schlosse von der Lage der Dinge zu unterrichten und Bericht darüber zu erstatten.«

»Haben Sie diesen Befehl bei sich?«

»Hier ist er.«

Der Befehl war deutlich und bündig. Man mußte Suleau mit seinen zehn Leuten freigeben.

Als aber der Name bekannt wurde, rief die Menge: »Suleau soll mit seinem ganzen Anhang sterben!«

Suleau hörte die Stimmen, die seinen Tod verlangten. Er rief den Kommandanten des aus zweihundert Nationalgardisten bestehenden Postens, der ihn bewachte.

»Lassen Sie mich hinaus,« sagte er; »ich will als Opfer der Volkswut fallen. Dann ist alles abgetan, und zehn Leben werden gerettet.«

Man wollte die Tür nicht öffnen. Er versuchte aus dem Fenster zu springen, aber seine Mitgefangenen hielten ihn zurück; sie konnten nicht glauben, daß man sie ohne weiteres den Würgern überliefern werde. Sie irrten sich. Der Präsident Bonjour, durch das Geschrei der Volksmenge eingeschüchtert, gab der Forderung der Menge Gehör und verbot der Nationalgarde, dem Willen des Volkes entgegen zu handeln.

Die Nationalgarde gehorchte. Die Tür wurde frei. Das Volk stürzte in das Gefängnis und ergriff den ersten, der ihm in die Hände fiel.

Es war ein gewisser Abbé Bouyon, dramatischer Dichter. Er wurde dem Kommissär, der ihn zu retten suchte, mit Gewalt entrissen und in den Hof geschleppt und sank, von einem Bajonett durchbohrt, zu Boden.

Während dieses Kampfes entkamen zwei Gefangene.

Nach dem Abbé Bouyon kam ein vormaliger Leibgardist, namens Solminac, an die Reihe. Er leistete kräftigen Widerstand, sein Tod wurde dadurch nur um so entsetzlicher.

Dann wurde ein dritter, dessen Name nicht bekannt ist, niedergemacht. Der vierte war Suleau.

Suleau war stark. Er schlug drei bis vier Männer mit kräftiger Faust zu Boden und entriß einem der Mörder den Säbel. Ein furchtbarer Kampf begann. Zwei seiner Gegner lagen schon blutend zu seinen Füßen. Suleau machte sich dreimal los und schlug sich durch bis zur Tür; aber um sie zu öffnen, mußte er sich umdrehen. So wurde er einen Augenblick wehrlos, und dieser Augenblick genügte den Mördern, um ihm mit zwanzig Säbeln und Bajonetten den Garaus zu machen.

Während Suleau noch mit den Mördern kämpfte, entkam ein dritter von den Gefangenen.

Der fünfte entlockte allen einen Ausruf der Bewunderung. Es war ein vormaliger Leibgardist des Königs, namens Vigier, den man den »schönen Vigier« nannte. Da er ebenso mutig und gewandt als schön war, kämpfte er länger als eine Viertelstunde, fiel dreimal zu Boden, stand dreimal wieder auf und färbte auf dem ganzen Hofe fast jeden Pflasterstein mit seinem Blute, aber auch mit dem Blute seiner Mörder. Endlich wurde er, wie Suleau, durch die Übermacht erdrückt und niedergemetzelt.

Die vier übrigen wurden fast ohne Widerstand niedergemacht.

Die neun Leichname wurden auf den Vendômeplatz geschleppt, enthauptet, ihre Köpfe auf Piken gesteckt und in den Straßen von Paris umhergetragen.

Während dieser letzten Mordszene – es war zwischen acht und neun Uhr morgens – verlangten elftausend Nationalgardisten, durch die Sturmglocke Barbarouxs und den Generalmarsch Santerres zusammengerufen, den Befehl, gegen die Tuilerien zu rücken. Man ließ sie eine Stunde warten. Zwei Gerüchte wurden verbreitet: man erwarte Zugeständnisse aus den Tuilerien, und die Vorstadt Saint-Marceau sei noch nicht bereit, und ohne sie könne man nicht vorrücken.

Eine Schar von tausend Pikenträgern wurde ungeduldig; sie durchbrach die Reihen der Nationalgarde und erklärte, sie würde allein die Tuilerien nehmen. Einige Verbündete aus Marseille stellten sich an ihre Spitze und wurden durch einstimmigen Zuruf als Führer begrüßt. – Dies war der Vortrab des Aufstandes.

Inzwischen war der Adjutant, welcher Zeuge der Ermordung Maudats gewesen, im Galopp nach den Tuilerien zurückgeeilt; aber erst, nachdem der König den unheilvollen Gang durch die Höfe gemacht hatte, konnte der Offizier zu Ludwig XVI. und Marie Antoinette gelangen und ihnen die traurige Nachricht melden. Die Königin konnte es nicht glauben, sie ließ sich die schreckliche Geschichte einmal, zweimal erzählen. Dann ließ sie durch ihren Kammerdiener Weber den Generalprokurator Röderer holen.

Auf der Schloßuhr schlug es neun Uhr.

Während Weber den Herrn Röderer suchte, begab sich der Schweizerhauptmann Durler in den ersten Stock hinauf, um vom Könige oder Schloßkommandanten die letzten Befehle in Empfang zu nehmen.

Der Graf von Charny bemerkte ihn.

»Was wünschen Sie, Kapitän?« fragte er.

»Ich komme, um die letzten Befehle in Empfang zu nehmen, denn die Spitze der Aufrührerschar ist schon bis an den Karussellplatz vorgedrungen.«

»Der Befehl lautet: Mutige Abwehr, denn der König ist entschlossen, in unserer Mitte zu sterben.«

Der Kapitän hatte die Wahrheit gesagt: der Vortrab der Aufrührer wurde schon sichtbar. Es waren die tausend Pikenträger, an deren Spitze etwa zwanzig Marseiller und dreißig bis vierzig Gardes-Françaises, von demselben Korps, das drei Jahre vorher die Bastille genommen hatte, marschierten. Mitten unter den letzteren glänzten die goldenen Epauletten eines jungen Kapitäns. Es war Pitou, der auf Billots Empfehlung einen wichtigen Auftrag bekommen hatte.

Hinter diesem Vortrabe marschierte in beträchtlicher Entfernung ein starkes Korps Nationalgardisten und Verbündete mit zwölf Kanonen.

Als den Schweizern der Befehl des Schloßkommandanten mitgeteilt wurde, begab sich jeder von ihnen schweigend und entschlossen auf seinen Posten. Die Edelleute, die nur Waffen von kurzer Tragweite, Säbel oder Pistolen hatten, erwarteten in trunkener Wut den mörderischen Kampf mit dem Volke, mit dem alten Gegner, dem stets besiegten, aber seit acht Jahrhunderten immer größer gewordenen Riesen.

Jetzt wurde an der Tür geklopft, und mehrere Stimmen riefen: »Parlamentäre!« Zugleich kam ein weißes Schnupftuch über der Mauer zum Vorschein.

Man holte den Generalprokurator Röderer.

»Offnen Sie die Tür!« sagte er und befand sich vor den Führern der Pikenmänner.

»Freunde,« sagte der Generalprokurator, »ihr habt für einen Parlamentär und nicht für eine bewaffnete Schar Einlaß begehrt. Wo ist der Parlamentär?«

»Hier!« antwortete Pitou mit seiner sanften Stimme und seinem gutmütigen Lächeln.

»Wer sind Sie?«

»Ange Pitou, Befehlshaber der Verbündeten zu Haramont.«

»Was wünschen Sie?« fragte er weiter.

»Einlaß für mich und meine Freunde.«

Pitous Freunde waren in Lumpen gekleidet und machten grimmige Gesichter; sie schienen mit ihren Piken sehr gefährliche Feinde.

»Warum wünschen Sie Einlaß?«

»Um die Nationalversammlung zu blockieren. Wir haben zwölf Kanonen, und nicht eine wird abgefeuert, wenn geschieht, was wir wollen.«

»Was wollen Sie denn?«

»Die Absetzung des Königs.«

»Bedenken Sie,« mahnte Röderer, »die Sache ist von großer Wichtigkeit.«

»Jawohl, von großer Wichtigkeit«, erwiderte Pitou. »Es ist drei viertel zehn, wir geben Ihnen bis zehn Uhr Bedenkzeit. Wenn wir Schlag zehn keine Antwort haben, so greifen wir an.«

»Inzwischen erlauben Sie doch, daß das Tor wieder geschlossen wird?«

»Allerdings. – Freunde,« sagte er zu seinen Begleitern, »geht zurück.«

Die Pikenmänner gehorchten. Aber die Belagerer hatten die furchtbaren Vorbereitungen zu ihrem Empfange gesehen.

Als die festgesetzte Frist eben ablief, kam ein Mann aus den Tuilerien und gab Befehl, das Tor zu öffnen.

Die Belagerer drangen ungestüm durch das geöffnete Tor, steckten die Hüte auf Piken und Säbel und ließen die Nation, die Nationalgarde und die Schweizer hochleben.

Die Nationalgardisten antworteten: »Es lebe die Nation!« Die Schweizer hingegen verharrten in ihrem düsteren Stillschweigen.

Erst vor den Mündungen der Kanonen hielten die Eindringenden an und schauten sich nach allen Seiten um.

Die große Vorhalle war voll von Schweizern. Eine Abteilung war in drei Reihen auf der Haupttreppe aufgestellt.

Einige fanden die Sache bedenklich, unter diesen Pitou. Sie versuchten durch Späße und Scherze mit den Nationalgardisten und Schweizern die Gefahr zu umgehen.

Die Patrioten waren mit alten Pistolen, verrosteten Flinten und neuen Piken bewaffnet, es wäre vielleicht besser für sie gewesen, wenn sie gar keine Waffen gehabt hätten.

Die Artilleristen waren zu ihnen übergegangen, die Nationalgarde schien geneigt, sich ebenfalls zu ihnen zu gesellen; sie suchten nun auch die Schweizer zu überreden.

Einer von ihnen trug eine Stange mit einem Haken; er sagte zu seinem Nachbar: »Wie wär's, wenn ich einen Schweizer angelte?«

Der Nachbar lachte. Der andere streckte seine Hakenstange vor, faßte damit das Lederzeug eines Schweizers und zog ihn an sich.

Der Schweizer leistete nicht mehr Widerstand, als eben nötig war, um nicht das Ansehen gänzlicher Willenlosigkeit zu haben.

Der Mann mit der Stange ging langsam zurück, und der Schweizer wurde aus der Vorhalle in den Hof gezogen wie ein geangelter Fisch.

Lautes Gelächter brach unter den Sansculotten aus. »Weiter! weiter!« rief es von allen Seiten.

Der Hakenmann, durch diesen Zuruf ermutigt, zog einen zweiten Schweizer in den Hof. Das ganze Regiment wäre vielleicht übergegangen, wenn nicht das Kommando: »Legt an!« dem Unfug ein Ende gemacht hätte.

Während sich die Gewehre senkten, feuerte einer der Angreifenden einen Pistolenschuß auf ein Fenster des Schlosses ab.

Pitou sah voraus, was kommen mußte.

»Werft euch nieder!« rief er seinen Leuten zu. »Nieder auf die Erde, oder ihr alle seid verloren.«

Er selbst warf sich platt auf die Erde nieder, aber ehe die übrigen Zeit hatten, seiner Aufforderung Folge zu leisten, ertönte das Kommando: »Feuer!« Eine furchtbare Salve krachte unter der Vorhalle, die sich mit Pulverrauch füllte.

Die dichtgedrängte Menschenmasse der Pikenträger schwankte und wogte wie ein vom Winde bewegtes Kornfeld; dann sank sie nieder wie von der Sichel durchschnittene Halme. – Kaum ein Drittel war am Leben geblieben, es floh davon.

Die Fliehenden zerstreuten sich über den Karussellplatz; einige liefen der Seine zu, andere in die Straße St. Honoré; sie schrien Verrat und Mord.

Am Pont-Neuf begegneten sie dem Hauptkorps, das von zwei Männern zu Pferde und einem Mann angeführt wurde.

»Zu Hilfe!« riefen die Fliehenden, »man mordet unsere Brüder!«

»Wer?« fragte Santerre.

»Die Schweizer . . . sie haben auf uns geschossen, während wir ihnen Bruderschaft anboten.«

Santerre wandte sich zu dem andern Reiter.

»Was sagen Sie dazu?«

»Was ich dazu sage?« erwiderte ein kleiner blonder Mann mit sehr bemerkbarem deutschem Akzent; »ich sage: der Soldat muß dahin gehen, wo er die Gewehre krachen und die Geschütze donnern hört.«

»Ich glaube, lieber Billot,« sagte Santerre zu dem Mann zu Fuß, »daß wir in einer so wichtigen Sache nicht nur den Mut, sondern auch die Erfahrung zu Hilfe rufen müssen.«

»Der Meinung bin ich auch.«

»Ich schlage daher vor, dem Bürger Westermann, der ein wirklicher General und ein Freund Dantons ist, den Oberbefehl zu übertragen; ich selber erbiete mich, ihm als gemeiner Soldat zu gehorchen.«

»Ich bin mit allem einverstanden,« sagte Billot, »vorausgesetzt, daß wir, ohne einen Augenblick zu verlieren, losmarschieren.«

»Nehmen Sie den Oberbefehl an, Westermann?«

»Ja, ich nehme ihn an«, war die lakonische Antwort des Preußen.

»Dann erteilen Sie Ihre Befehle.«

»Vorwärts, marsch!« rief Westermann.

Der Generalprokurator Röderer, der sich inzwischen wieder in das Schloß begeben hatte, folgte dem Kammerdiener Weber. – Die Königin saß am Kamin, den Rücken gegen das Fenster gekehrt. Als die Tür aufging, sah sie sich rasch um.

»Nun, wie steht's?« fragte sie; »Sie sind einer der ersten Stadtbeamten, Ihre Anwesenheit ist ein Schild für das Königtum; ich wünsche daher von Ihnen zu erfahren, was wir zu hoffen oder zu fürchten haben.«

»Eure Majestät, zu hoffen ist wenig, zu fürchten alles.«

»Das Volk rückt also wirklich gegen das Schloß an?«

»Die Vorhut steht schon auf dem Karussellplatz und verhandelt mit den Schweizern.«

»Ich habe den Schweizern Befehl gegeben, Gewalt durch Gewalt zu vertreiben! Sie sind doch nicht zum Ungehorsam geneigt?«

»Nein, Madame, die Schweizer werden auf ihrem Posten sterben.«

»Und wir dagegen auf unserm Posten!« erwiderte Marie Antoinette; »ebenso wie die Schweizer im Dienste der Könige kämpfen müssen, sind die Könige die Verteidiger des Königtums.«

Röderer schwieg.

»Habe ich etwa das Unglück, mit Ihrer Ansicht nicht übereinzustimmen?« fragte die Königin.

»Nach meiner Meinung ist der König verloren, wenn er in den Tuilerien bleibt.«

»Wohin sollen wir uns denn wenden?« sagte die Königin, erschrocken aufstehend.

»In diesem Augenblick«, erwiderte Rüderer, »gibt es für die königliche Familie nur einen Zufluchtsort, die Nationalversammlung.«

»Wie sagen Sie?«.fragte die Königin, die nicht recht gehört zu haben glaubte.

»Die Nationalversammlung«, erwiderte Röderer.

»Und Sie glauben wirklich, daß ich diese Leute um etwas bitten würde?«

Röderer schwieg.

»Es gibt Feinde verschiedener Art,« setzte Marie Antoinette hinzu, »ich habe lieber mit denen zu tun, die mich offen und am hellen Tage angreifen, als mit denen, die mir heimlich zu schaden suchen.

»Wollen Eure Majestät den Bericht eines Sachkundigen anhören und die Streitkräfte, über die Sie zu verfügen haben, kennenlernen?«

»Weber, hole mir einen Offizier, Mailladoz, Lachennaye oder . . .«

Sie wollte sagen: oder den Grafen von Charny, aber sie schwieg.

Weber entfernte sich.

»Eure Majestät würden selbst urteilen können, wenn Sie ans Fenster treten wollten.«

Die Königin zog die Vorhänge zurück und sah den Karussellplatz, sogar den Königshof voll von Pikenträgern.

»Mein Gott!« rief sie, »sie sind ja bis in den Schloßhof gedrungen.«

In diesem Augenblick ging die Tür auf.

»Kommen Sie! kommen Sie!« rief die Königin, ohne zu wissen, wen sie anredete.

Charny trat ein. – »Hier bin ich, Madame«, sagte er.

»Ach, Sie sind's! . . . Dann habe ich nichts zu fragen. Sie haben mir ja schon gesagt, was uns zu tun übrigbleibt.«

»Darf ich fragen,« sagte Röderer, »was Ihnen nach der Meinung des Herrn Grafen übrigbleibt?«

»Zu sterben«, antwortete die Königin.

»Eure Majestät sehen, daß mein Vorschlag annehmbarer ist.«

»Welchen Vorschlag haben Sie gemacht?« fragte Charny.

»In der Nationalversammlung Schutz zu suchen«, antwortete Röderer.

»Das ist freilich nicht der Tod,« sagte Charny, »aber die Schmach!«

»Hören Sie wohl!« sagte die Königin.

»Sollte es nicht möglich sein, einen Mittelweg einzuschlagen?« erwiderte Röderer.

Weber trat vor:

»Könnte man nicht in die Nationalversammlung schicken und zum Schutze des Königs eine Deputation in das Schloß kommen lassen?«

»Gut,« sagte die Königin, »ich gebe meine Zustimmung . . . Herr von Charny, wenn Sie diesen Vorschlag annehmbar finden, so teilen Sie ihn dem König mit.«

Charny verneigte sich und ging.

»Weber, folge dem Grafen und melde mir die Antwort des Königs.«

Weber kam zurück.

»Der König nimmt den Vorschlag an,« sagte er, »und die Herren Champion und Dejoly begeben sich sogleich in die Nationalversammlung.

Da . . . Das Schloß erbebte, als ob es in seiner Grundfeste erschüttert würde. – Die Königin schrie laut auf und wich einen Schritt zurück, jedoch die Neugier lockte sie wieder ans Fenster.

»Oh, sehen Sie!« rief sie mit sprühenden Augen. »Sehen Sie, die Meuterer fliehen . . . Sie zerstreuen sich nach allen Richtungen . . . und Sie sagten, wir hätten keine andere Zuflucht mehr als die Nationalversammlung! Sehen Sie doch, die Schweizer machen einen Ausfall und verfolgen sie . . . Oh, der Karussellplatz ist frei . . . Viktoria! Viktoria!«

»Ich beschwöre Eure Majestät,« sagte Röderer, »folgen Sie mir!«

Die Königin kam wieder zu sich und folgte dem Generalprokurator.

»Wo ist der König?« fragte Röderer den ersten Kammerdiener, der ihm begegnete.

»Der König ist in der Galerie des Louvre«, antwortete der Gefragte.

»Eben dahin wollte ich Eure Majestät führen«, sagte Röderer.

Marie Antoinette folgte ihrem Führer, ohne seine Absicht zu ahnen.

Der König stand mit dem Schweizeroberst Maillardoz und fünf bis sechs Edelleuten an einem Fenster . . . Er hielt ein Fernglas in der Hand. – Die Königin näherte sich dem Fenster, um zu sehen, was vorging.

Die unabsehbare Reihe der Aufrührer rückte von der Seine her gegen die Tuilerien an. Auf allen Türmen von Paris heulten die Sturmglocken; auch die große Glocke von Notre-Dame brummte dazwischen. Die Sonne warf ihre glühenden Strahlen auf die Gewehrläufe und Lanzenspitzen. Es herrschte tiefe Stille, man hörte nur ein summendes Geräusch und das dumpfe Rasseln der Geschützräder.

»Was sagen Eure Majestät dazu?« fragte Röderer die Königin.

Hinter dem Könige hatten sich etwa fünfzig Personen versammelt. Marie Antoinette warf einen langen Blick auf die Umstehenden. Dieser Blick schien bis in die Tiefe der Herzen zu dringen und darin den letzten Rest treuer Ergebenheit zu suchen.

Da zog die Königin dem Schweizerhauptmann Maillardoz zwei Pistolen aus dem Gürtel.

»Sire,« sagte sie, »jetzt ist der Augenblick da, zu siegen oder mitten unter Ihren Freunden zu sterben.«

Diese mutigen Worte der Königin trieben die Begeisterung auf den höchsten Grad. Man erwartete in atemloser Spannung die Antwort des Königs.

Ludwig XVI. nahm die Pistolen und gab sie dem Obersten Maillardoz zurück. Dann wandte er sich zu dem Generalprokurator von Paris und fragte:

»Sie meinen, ich soll mich in die Nationalversammlung begeben?«

»Ja, Sire«.

»Kommen Sie, meine Herren,« sagte der König, »hier ist nichts mehr zu tun.«

Marie Antoinette seufzte, nahm den Dauphin auf den Arm und sagte zu der Prinzessin von Lamballe und Madame de Tourzelles:

»Kommen Sie, meine Damen . . . der König will es ja so.«

Die Edelleute, die zurückblieben, sahen einander an, als ob sie sagen wollten: »Für diesen König sind wir also hierhergekommen, um den Tod zu suchen?«

Lachennaye verstand die stumme Frage. »Nein, meine Herren,« sagte er, »wir opfern uns für das Königtum. Der Mensch ist sterblich, das Prinzip unvergänglich!«

»Sire,« sagte der Schweizeroberst, der den König auf dem Wege durch den Garten zu beschützen hatte, »sind Eure Majestät bereit?«

»Ja«, sagte der König.

»Dann kommen Sie, Sire.«

Plötzlich hörte man ein lautes Getümmel. Das Tor, das unweit des Café de Flore in die Tuilerien führte, war gesprengt. Eine Volksmasse, die erfahren hatte, daß sich der König in die Nationalversammlung begeben wollte, stürzte in den Garten. Ein Mann, der diese Schar anzuführen schien, trug als Banner einen Kopf auf einer Pike.

Der Oberst ließ haltmachen und befahl seinen Leuten, sich bereit zu halten.

»Herr von Charny,« sagte die Königin, »versprechen Sie mir, mich zu töten, wenn Sie sehen, daß ich diesen Unholden nicht entgehen kann!«

»Das kann ich Ihnen nicht versprechen, Madame«, antwortete Charny.

»Warum nicht?«

»Weil der Weg zu Eurer Majestät nur über meine Leiche geht.«

»Das ist der Kopf des armen Maudat«, sagte der König, »ich erkenne ihn.«

Die Mörderbande wagte sich nicht näher, aber sie überhäufte den König und die Königin mit Schmähungen. Fünf bis sechs Schüsse fielen, ein Schweizer sank tot nieder, ein anderer wurde verwundet.

Der Oberst wollte Feuer geben, aber der Graf von Charny hielt ihn zurück.

»Sie haben recht«, erwiderte der Oberst, und der Zug setzte seinen Weg durch den Garten fort.

Vor der Reitschule wurde halt gemacht und ein Bote abgeschickt, um der Nationalversammlung zu melden, daß der König in ihrer Mitte Zuflucht suche.

Die Nationalversammlung schickte eine Deputation ab, allein das Erscheinen dieser Deputation verdoppelte die Wut der Menge. Man hörte nur das wilde, verworrene Geschrei: »Abdankung oder Tod!«

»Abdankung oder Tod!«

Ein Mann von kolossaler Gestalt, der unter allen am lautesten schrie, suchte mit seiner Pike bald den König, bald die Königin zu treffen. Das Wutgeschrei wurde immer heftiger. Die Schweizer waren nach und nach von der anstürmenden Menge auseinandergetrieben worden. Die königliche Familie hatte nur noch die sechs Edelleute, die mit ihr aus den Tuilerien gekommen waren, den Grafen von Charny und die Deputation der Nationalversammlung um sich. Man mußte noch mehr als dreißig Schritte durch eine dichtgedrängte Menge gehen, und es war offenbar, daß man dem König und zumal der Königin nach dem Leben trachtete.

Unten an der Treppe begann der Kampf.

»Herr Graf,« sagte Röderer zu Charny, »stecken Sie Ihren Degen ein, oder ich stehe für nichts.«

Charny gehorchte, ohne ein Wort zu sagen.

Die königliche Gruppe wurde von der wogenden Menge gegen die Nationalversammlung gedrängt wie eine Barke, die von den Wellen geschaukelt und fortgetrieben wird. Der König sah sich genötigt, einen Mann zurückzustoßen, der ihm die Faust vor das Gesicht hielt. Der kleine Dauphin, der fast erdrückt wurde, rief um Hilfe und streckte die Arme aus. Ein Mann stürzte auf ihn zu und entriß ihn seiner Mutter.

»Mein Sohn!« rief Marie Antoinette. »Herr von Charny, um Gottes willen! retten Sie meinen Sohn!«

Charny ging auf den Mann zu, der den Knaben forttrug, aber kaum hatte er sich von der Königin entfernt, so streckten sich zwei oder drei Arme nach ihr aus, und eine Hand faßte ihr Halstuch.

Marie Antoinette schrie laut auf. Charny vergaß die Mahnung Röderers, und sein Degen durchbohrte den Verwegenen, der Hand an die Königin gelegt hatte.

Die Menge brüllte vor Wut, als sie einen der ihrigen fallen sah, und stürmte mit verdoppelter Gewalt auf die Gruppe los. Die Weiber schrien: »Stoßt sie doch nieder, die Österreicherin! Gebt uns Waffen, wenn ihr nicht den Mut habt!«

Zwanzig entblößte Arme kamen zum Vorschein, um sie zu fassen. Aber Marie Antoinette war außer sich vor Schmerz. »Mein Sohn! mein Sohn!« rief sie, ohne an ihre eigene Gefahr zu denken.

Inzwischen war man fast bis an die Schwelle des Sitzungssaales gekommen; die Menge machte noch einen letzten Versuch, aber sie merkte, daß diese Beute ihr entgehen würde. Charny war so im Gedränge, daß er nur noch mit dem Degengefäß um sich schlagen konnte. Unter den drohenden geballten Fäusten entdeckte er eine Hand, die eine Pistole hielt und die Königin suchte. Er ließ seinen Degen los, faßte die Pistole mit beiden Händen, entriß sie dem Meuchler und schoß den nächsten Gegner damit nieder.

Darauf bückte er sich, um seinen Degen aufzuheben; aber der Degen war schon in den Händen eines Meuterers, der ihn gegen die Königin zückte.

Charny stürzte auf den Meuchler los.

In diesem Augenblick trat die Königin unmittelbar nach Ludwig XVI. in den zum Sitzungssaale führenden Gang. Sie war gerettet.

Kaum hatte sie den Gang betreten, so wurde die Tür hinter ihr zugeschlagen. Charny konnte ihr nicht mehr folgen, er erhielt zugleich einen Schlag mit einer eisernen Stange auf den Kopf und einen Lanzenstich in die Brust.

»Wie meine Brüder!« sagte er niedersinkend. »Arme Andrea!«

In demselben Augenblick verkündete der Geschützdonner den Beginn des Kampfes zwischen den Aufständischen und der Besatzung des Tuilerienschlosses.

 


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