Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Fünfzigstes Kapitel

Nach dem 10. August war ein besonderer Gerichtshof eingesetzt worden, um die in den Tuilerien begangenen Diebstähle zu ermitteln.

Auch unser alter Bekannter Beausire, vormaliger Gefreiter, war mit vielen andern Leuten in die Tuilerien gegangen; keineswegs wegen seiner patriotischen Gefühle; nein, Beausire wollte sehen, ob die, die den Thron verloren, nicht zugleich einige tragbare und leicht in Sicherheit zu bringende Kleinodien verloren hatten.

Um jedoch den Schein zu retten, hatte Beausire eine rote Jakobinermütze aufgesetzt, einen langen Schleppsäbel umgeschnallt und Hemd und Hände mit Blut besudelt.

Zum Unglück für ihn befand sich in den Tuilerien ein Mann, der nicht schrie, nicht unter die Betten schaute und keine Schränke öffnete. Er ging in den Gemächern auf und ab; von Zeit zu Zeit stand er still und sagte: »Vergeßt nicht, Bürger, die wehrlosen Frauen und die Wertgegenstände unberührt zu lassen!«

Gegen halb zehn Uhr sah Pitou, der den Wachtposten in der großen Halle kommandierte, einen riesigen Mann von der Treppe herunterkommen. Der letztere redete ihn an, als ob er den Auftrag erhalten hätte, Ordnung in die Verwirrung zu bringen und die Rache in Gerechtigkeit zu verwandeln.

»Kapitän, Sie werden sogleich einen Mann mit einer roten Mütze auf dem Kopf herunterkommen sehen. Verhaften Sie ihn und lassen Sie ihn durchsuchen, er hat einen Brillantschmuck gestohlen.«

»Sehr wohl, Herr Maillard«, antwortete Pitou, militärisch salutierend.

Beausire kam wirklich die große Treppe herunter und rief, seinen Säbel schwenkend: »Es lebe die Nation!«

Pitou gab seinen beiden Untergebenen Tollier und Maniquet einen Wink. Beausire bemerkte dies, blieb stehen und machte Miene, umzukehren.

»Halt,« sagte Pitou, »hier geht der Weg!«

»Sagen Sie, Kamerad, ist der Weg hier frei?«

»Ja, der Weg ist frei,« antwortete Pitou, »aber vorher muß sich jeder durchsuchen lassen.«

»Einen Patrioten, einen Sieger, einen Mann, der viele Aristokraten niedergesäbelt hat, will man durchsuchen?«

»So lautet der Befehl«, sagte Pitou. »Stecken Sie daher Ihren Säbel ein, Kamerad, ich würde sonst genötigt sein, Gewalt zu gebrauchen.«

»Gewalt!« erwiderte Beausire. »So sprichst du, weil du zwanzig Mann unter deinem Befehl hast.«

»Wenn wir beide allein wären,« unterbrach ihn Pitou, »würde ich's geradeso machen wie jetzt: ich würde dich fassen, dir den Säbel entreißen und ihn unter meinen Füßen zerbrechen, weil er von einem Diebe getragen worden ist.«

»Ein Dieb!« rief der Mann mit der roten Mütze; »ich, Herr von Beausire – ein Dieb!«

»Durchsucht ihn!« sagte Pitou.

»Gut, durchsucht mich!« erwiderte Beausire, die Arme ausstreckend.

Dieser Erlaubnis bedurfte es nicht, um die Durchsuchung vorzunehmen; aber zum größten Erstaunen Pitous fand man in den Taschen des vormaligen Gefreiten nichts als ein beschmutztes Spiel Karten und elf Sous.

»Gehen Sie,« sagte Pitou, »Sie sind frei.«

Maillard kam die Treppe herunter.

»Nun,« fragte er, »haben Sie etwas gefunden?«

»Nein«, antwortete Pitou.

»Dann bin ich glücklicher gewesen als Sie. Sehen Sie, ich habe den Brillantschmuck gefunden, aber der Spitzbube hat etwas gemerkt und die Diamanten herausgebrochen. Er hat sie so versteckt, daß wir sie nicht gefunden haben. – Ich will die Sache ins reine bringen«, fuhr Maillard fort und setzte seine langen Beine in Bewegung, um den ehrenwerten Herrn von Beausire zu verfolgen. Aber dieser war längst verschwunden, als Maillard auf die Straße trat.

Da der Verfolger sein Opfer nicht mehr fand, machte er einem befreundeten Apotheker in dessen Laden einen Besuch.

Als er etwa eine Viertelstunde da war, erschien eine Frau von sieben- bis achtunddreißig Jahren, die unter ihrem zerlumpten Kleid noch einige Spuren früheren Reichtums bewahrte.

Maillard sah die Eintretende an und wurde durch ihre auffallende Ähnlichkeit mit der Königin überrascht.

»Mein Mann ist krank,« sagte sie, »ich brauche ein Abführmittel für ihn, aber es darf nicht mehr als elf Sous kosten.«

Diese letzten Worte erregten die Aufmerksamkeit Maillards.

»Warum darf's nicht mehr als elf Sous kosten?« fragte der Apotheker.

»Weil mir mein Mann nicht mehr geben konnte.«

Maillard, der nie zerstreut war, widmete der Unbekannten seine ganze Aufmerksamkeit.

Nach einer Weile stand er auf und zog den Apotheker beiseite.

»Haben Sie bemerkt?« fragte er seinen Freund.

»Was denn?« fragte dieser.

»Die Ähnlichkeit der Frau, die eben fortging.«

»Mit der Königin«, sagte der Apotheker lachend. »Es ist eine historische Ähnlichkeit. Die Frau lebt mit einem vormaligen Gefreiten, nachmaligen Gauner und geheimen Kundschafter namens Beausire zusammen.«

»Was sagen Sie?« sagte Maillard, der auffuhr, als ob ihn eine Schlange gebissen hätte. »Und für ihn hat sie das Abführmittel geholt . . . Wenn ich nur wüßte, wo er wohnt.«

»Er wohnt in der Judenstraße Nummer sechs, wenige Schritte von hier.«

»Sagen Sie, in welcher Zeit wird Ihre Arznei wirken?«

»Nicht vor zwei Stunden.«

»Das ist mir lieb, dann habe ich Zeit. Adieu, lieber Freund.«

Maillard begab sich wieder in die Tuilerien, ließ sich zwei Soldaten geben und ging mit diesen nach der Judenstraße 6.

Hier versuchte Maillard die Tür zu öffnen; aber der Riegel war vorgeschoben.

»Wer ist da?« fragte die schleppende Stimme der Demoiselle Oliva.

»Im Namen des Gesetzes, machen Sie auf«, antwortete Maillard.

Als Maillard eben zum zweiten Male anklopfen wollte, tat sich die Tür auf.

Beausire lag im Bett, und auf dem Nachttische bemerkte Maillard zu seiner größten Befriedigung die leere Medizinflasche.

Man wartete die Wirkung ab, die pünktlich eintraf; das Resultat war höchst befriedigend: Beausire hatte für etwa hunderttausend Franken Diamanten verschluckt.

Das Schwurgericht verurteilte den Dieb zum Tode am Galgen.

 


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