Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Dreizehntes Kapitel

Cagliostro, der in allen Klassen der Gesellschaft und selbst unter der Hofdienerschaft rätselhafte Verbindungen hatte, erfuhr schon am zweiten Tage, daß der Graf Louis von Bouillé in Paris angekommen sei, daß er von dem Marquis von Lafayette, seinem Vetter, dem König vorgestellt wurde, daß er sich gleich darauf dem Meister Gamain als Schlossergeselle vorgestellt hatte, daß er beim König leicht Zutritt gefunden, zwei Stunden vor Gamain die Tuilerien verlassen und sich zu seinem Freunde Achill von Chasteller begeben hatte und an demselben Abend mit der Extrapost nach Metz abgereist war.

Beausire war nach der Unterredung auf dem Friedhof nach Hause gekommen, wo er feststellen mußte, daß Mademoiselle Oliva verschwunden war.

Erst jetzt fiel es dem armen Beausire wieder ein, daß sich der Graf von Cagliostro geweigert hatte, mit ihm fortzugehen. Es war kaum noch zu bezweifeln: Oliva war von dem Grafen Cagliostro entführt worden! Er eilte nach der Wohnung des Grafen und fand wirklich seine Geliebte vor. Sie war wie eine Fürstin herausgeputzt und bewohnte eine ganze Zimmerflucht.

Der Graf beruhigte den unglücklichen Liebhaber mit fünfundzwanzig Louisdor und erteilte ihm sogar gütigst die Erlaubnis, Oliva nach Wunsch zu besuchen. Damit war Beausire völlig zufriedengestellt.

Alles ging also nach dem Wunsch des Grafen bis gegen Ende Dezember. Eines Morgens hörte der Doktor Gilbert um sechs Uhr früh dreimal an seine Tür klopfen.

Der Graf von Cagliostro trat ihm entgegen und begrüßte ihn lächelnd:

»Kommen Sie, lieber Gilbert, ich störe Sie fürwahr nicht umsonst. Kommen Sie mit mir mit, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Nach einer viertelstündigen Fahrt hielt der Wagen im Gefängnishofe von Bicêtre.

Mitten im Hofe waren fünf bis sechs Zimmerleute eben dabei, unter der Leitung eines kleinen, schwarzgekleideten Mannes eine Maschine von sonderbarer Gestalt aufzustellen.

Gilbert stutzte: er erkannte den Doktor Guillotin, den er bei Marat gesehen hatte.

»Guten Morgen, Baron«, sagte Guillotin. »Es freut mich, daß Sie der erste sind und den Doktor gleich mitbringen . . .«

Inzwischen war die Maschine fertig geworden. Ihr Anblick war so furchterregend, daß Gilbert schauderte; der Erfinder blickte entzückt auf sein Werk.

Die Grundlage der Maschine bildete eine mit Brettern belegte Fläche, zu welcher man auf einer leichtgezimmerten Treppe hinaufgelangte.

Auf dieser etwa fünfzehn Fuß großen Plattform, der Treppe gegenüber, erhoben sich zwei parallele, zehn bis zwölf Fuß hohe Pfähle mit Fugen nach der Innenseite, zwischen denen ein halbmondförmiges Fallbeil hing, das durch eine Feder oben festgehalten wurde; sobald jedoch die Feder zur Seite gedrückt wurde, fiel das schwere Beil, in den Fugen gleitend, von der Höhe hernieder.

Am Fuße der Pfähle befand sich ein Block mit einer Vorrichtung, durch welche ein erwachsener Mensch den Kopf stecken konnte.

Während Cagliostro und Gilbert sich über diese neue Erfindung unterhielten, erschienen neue Zuschauer.

Gilbert erkannte unter ihnen den alten Doktor Louis, einen Kollegen Guillotins, begleitet von dem Stadtbaumeister Giraud. Auch der Scharfrichter von Paris war dabei.

Nicht lange, und ein weiterer Zuschauer war angekommen: es war der Doktor Cabanis, der zu Gilbert und Cagliostro trat.

»Meine Herren,« sagte der Doktor Guillotin, »da wir niemanden mehr erwarten, so können wir anfangen.«

Er winkte, und aus einer Tür kamen zwei graugekleidete Männer, die einen Sack trugen, dessen Umrisse leicht erraten ließen, daß ein menschlicher Leichnam darin steckte.

An den Fenstern erschienen die blassen Gesichter der Gefangenen, die als ungebetene Zuschauer mit bestürzten Blicken dem unerwarteten, furchtbaren Schauspiel zusahen.

Am Abend desselben Tages, nämlich am 24. Dezember, war Empfang bei der Prinzessin von Lamballe.

Im Laufe des Vormittags war der junge Baron Isidor von Charny von einer Reise nach Turin zurückgekommen, wo er eine Mission an den Grafen von Artois erledigt hatte. Gleich nach seiner Ankunft begab er sich zum König und dann zur Königin, die ihn beide sehr huldreich empfingen.

Er überbrachte vom Grafen von Artois den Rat, sich Favras anzuvertrauen und nach Turin zu kommen.

Die Königin behielt Isidor eine Stunde bei sich und lud ihn ein, am Abend in den Salons der Prinzessin von Lamballe zu erscheinen.

Um neun Uhr abend begab Isidor sich dorthin.

Der König und die Königin waren noch nicht da. Monsieur, der etwas unruhig schien, sprach mit de la Châtre und d'Avrey.

Der Kreis der Vertrauten bestand aus den Herren von Lamets, Herrn von Ambly, de Castries, de Fersen, Suleau, lauter treuen Anhängern, aber zum Teil sogar tollen Köpfen.

Isidor von Charny kannte keinen dieser jungen Männer; als aber sein Name genannt wurde, streckten sich alle Hände ihm entgegen. Überdies brachte er ja Nachrichten aus der Fremde.

Zuerst sprach Suleau; er hatte der heutigen Sitzung der Nationalversammlung beigewohnt und mit angehört, wie der Doktor Guillotin von der Rednertribüne aus die Vorzüge der von ihm erfundenen Maschine gerühmt hatte. Der menschenfreundliche Mann hatte den Antrag gestellt, statt aller bisherigen Todeswerkzeuge, die den Grèveplatz so lange in Schrecken gesetzt hatten, statt Galgen, Rad und Scheiterhaufen seine Maschine anzuwenden. Die Nationalversammlung war, wie Suleau berichtete, nicht abgeneigt gewesen, diesem Antrag stattzugeben.

Sobald ein Türsteher den König und die Königin meldete, hörte alles Geplauder auf, um dem ehrerbietigsten Schweigen Platz zu machen.

Das Herrscherpaar trat ein.

Die Prinzessin von Lamballe und Madame Elisabeth empfingen die Königin. Monsieur ging auf den König zu.

»Lieber Bruder, könnten wir nicht mit der Königin und einigen Vertrauten in einem abgesonderten Zimmer ein Spiel machen, um unter dem Schein des Whist ungestört miteinander reden zu können?«

»Sehr gern, Bruder«, antwortete Ludwig XVI.; »verabrede es mit der Königin.«

Monsieur ging auf Marie Antoinette zu, die eben mit Isidor von Charny im Gespräch war.

»Liebe Schwester,« sagte Monsieur, »der König wünscht eine Partie Whist zu vieren zu machen. Wir vereinigen uns gegen Sie, und er überläßt Ihnen die Wahl Ihres Partners.«

»Nun, meine Wahl ist getroffen«, erwiderte die Königin, die wohl merkte, daß die Whistpartie nur ein Vorwand war; – »Herr Baron von Charny, Sie werden mit von der Partie sein, und beim Spielen können Sie uns von Turin erzählen.«

»So! Sie kommen von Turin, Baron?« sagte Monsieur.

»Ja, gnädigster Herr.«

Monsieur errötete, hustete und entfernte sich.

Unterdessen begrüßte der König die Gesellschaft und ging dann mit der Königin zum Spiel. Er sah sich nach dem vierten Spieler um. »Aha! Herr von Charny, Sie wollen die Stelle Ihres Bruders vertreten? . . . Er hätte keinen besseren Ersatzmann finden können; seien Sie willkommen.«

Als die Königin bemerkte, daß der Respekt die Gesellschaft von dem königlichen Tische entfernt hielt und nichts zu befürchten war, sagte sie zu Monsieur, ohne das Spiel zu unterbrechen:

»Herr Bruder, der Baron hat Ihnen also gesagt, daß er von Turin gekommen ist?«

»Jawohl«, erwiderte Monsieur.

»Er hat Ihnen gesagt, daß der Graf von Artois und der Prinz von Condé uns dringend einladen, nach dort zu kommen?«

»Ich habe sogar hinzugesetzt,« mischte sich Isidor jetzt ein, »daß ich bei einem Edelmann war, der Eurer Majestät, wie wir alle, treu ergeben und bereit ist, für Sie zu sterben; aber er ist unternehmender als wir alle, und er hat einen Plan entworfen . . . es ist der Marquis von Favras.«

»Wirklich?« sagte die Königin. »Wir kennen ihn! . . . Und Sie glauben an seine Ergebenheit, Herr Baron?«

»Ja, Eure Majestät, ich bin derselben gewiß.«

»Und wie weit ist der Plan gediehen?« fragte die Königin.

»Wenn Seine Majestät heute abend ein Wort zu sagen geruht, so können Sie morgen um diese Zeit in Peronne sein.«

Der König schwieg; Monsieur zerknitterte einen Coeurbuben in der Hand.

»Sire,« sagte die Königin zu ihrem Gemahl, »hören Sie, was der Baron sagt?«

»Jawohl, ich habe es gehört«, antwortete Ludwig XVI. mit Unmut.

»Und Sie, Herr Bruder?« fragte die Königin ihren Schwager.

»Ich bin ebensowenig taub wie der König«, erwiderte Monsieur. »Das ist allerdings ein Vorschlag . . .«

Der König wandte sich hastig an seinen Bruder und sah ihn scharf an.

»Und wenn ich abreise,« sagte er, »wirst du mich begleiten?«

Monsieur wechselte die Farbe. »Ich habe noch keine Vorkehrungen getroffen . . .«

»Wie! Du warst nicht darauf vorbereitet?« sagte der König; »und du beschaffst dem Marquis von Favras das Geld? Du hast keine Vorkehrungen getroffen, und erhältst jede Stunde Nachricht über das Komplott? . . .«

»Komplott?« wiederholte Monsieur erblassend.

»Allerdings, denn es ist ein Komplott . . . ein so wirkliches Komplott, daß der Marquis, wenn es an den Tag kommt, zum Tode verurteilt wird, wenn du ihn nicht rettest, wie wir Herrn von Bezenval gerettet haben.«

Der König stand auf.

»Sire,« sagte die Königin, »Sie mögen den Vorschlag nun annehmen oder nicht, so sind Sie dem Marquis eine Antwort schuldig.«

»Charny soll antworten,« sagte Ludwig XVI., »daß der König in eine Entführung nicht einwilligen kann.«

Dann entfernte er sich.

»Ich verstehe,« sagte Monsieur, »wenn der Marquis von Favras den König ohne seine Erlaubnis entführt, so wird er sehr willkommen sein, – vorausgesetzt, daß es ihm gelingt.«

»Herr Baron,« sagte die Königin, »eilen Sie sofort zu dem Marquis von Favras, und sagen Sie ihm die Worte Seiner Majestät: ›Der König kann in eine Entführung nicht einwilligen.‹ Er mag die Worte verstehen, wie er will, oder Sie mögen sie ihm erklären.«

Der König, der sich so plötzlich vom Spieltisch entfernt hatte, war auf die jungen Kavaliere zugegangen, deren laute Heiterkeit seine Aufmerksamkeit erregte.

Als der König herzutrat, trat tiefe Stille ein.

»Wie, meine Herren,« fragte er, »ist denn der König so unglücklich, daß er die Freude verstummen macht, wenn er sich zeigt?«

»Sire, es wurde über die Nationalversammlung gelacht. Wissen Eure Majestät, wovon in der ganzen heutigen Sitzung der Nationalversammlung die Rede gewesen ist?«

»Ja, und es hat mich sehr interessiert . . . Die Verhandlung betraf eine neue Maschine zur Hinrichtung der Verbrecher.«

»Ja, Sire«, sagte Suleau; »der Doktor Guillotin bietet seine Erfindung der Nation an, ich habe vorgeschlagen, wir wollen die Maschine zu Ehren des Erfinders Guillotine nennen.«

»Sind denn schon Versuche damit angestellt worden?«

»Ich bin dabeigewesen, Sire«, sagte eine ernste Stimme.

Der König sah sich um und erkannte Gilbert, der während des Gesprächs in den Salon gekommen war.

»Ah! Sie sind's, Doktor«, sagte der König etwas betroffen. »Wie ist der Versuch gelungen?«

»Bei den beiden ersten sehr gut, Sire; bei dem dritten war der Halswirbel wohl durchschnitten, aber man mußte ein Messer zu Hilfe nehmen, um den Kopf vollends vom Rumpfe zu trennen.«

Die jungen Leute hörten mit verstörten Blicken zu.

»Wie, Sire,« sagte Charles Lameth, »man hat heute morgen drei Menschen hingerichtet?«

»Ja, meine Herren; es waren freilich drei Leichen.«

»Sire, das Instrument bildet im Vergleich mit allen anderen bis jetzt bekannten Maschinen dieser Art unleugbar einen Fortschritt; aber das Mißlingen bei dem dritten Leichnam ist ein Beweis, daß diese Maschine noch verbessert werden muß.«

»Und wie sieht sie aus?« fragte der König, der an allem, was Mechanik betraf, den lebhaftesten Anteil nahm.

Gilbert suchte die Konstruktion zu erklären; aber der König konnte sich nach dieser Schilderung keinen deutlichen Begriff von der Form des Instrumentes machen.

»Kommen Sie, Doktor,« sagte er, »machen Sie mir eine Skizze, ich kann mir dann besser ein Bild machen.«

Gilbert fing an zu zeichnen, und der König sah ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu.

Als er kaum fertig war, sagte der König lebhaft:

»Es wundert mich gar nicht, daß der Versuch mißlungen ist, zumal beim drittenmal, man muß wirklich gar keinen Begriff von Mechanik haben, um einem Gegenstande, der einen harten, Widerstand leistenden Stoff durchschneiden soll, die Form eines Halbmondes zu geben.«

»Welche Form würden ihm denn Eure Majestät geben?«

»Natürlich die Form eines Dreiecks, und ich stehe Ihnen dafür, daß Sie fünfundzwanzig Köpfe nacheinander abschlagen können, ohne daß das Eisen auch nur einmal den Dienst versagt . . .«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, ertönte ein Schrei des Entsetzens.

Der König sah sich um und erblickte die Königin, die ohnmächtig in Gilberts Arme sank.

Sie hatte die greuliche Maschine, die ihr Cagliostro vor zwanzig Jahren einmal im Schlosse Faverney-Maison-Rouge gezeigt hatte, erkannt.

Die Soiree wurde natürlich unterbrochen.

Man brachte die Königin in das Schlafzimmer der Prinzessin und legte sie in einen bequemen Armsessel. Selbst der König entfernte sich; nur Doktor Gilbert blieb da. Endlich bewegte die Königin wie in einem schweren Traume langsam den Kopf hin und her, stieß einen leisen Klageton aus und schlug die Augen auf.

Gilbert wollte sich entfernen; jedoch die Königin streckte die Hand nach ihm aus und sagte: »Bleiben Sie!« und zu der Prinzessin von Lamballe gewandt: »Therese, melde dem König, daß ich wieder zu mir gekommen bin, und sieh zu, daß ich nicht unterbrochen werde. Ich habe mit dem Doktor Gilbert zu reden.«

»Doktor,« begann die Königin jetzt, nachdem die Prinzessin sich entfernt hatte, »wundern Sie sich nicht über den Zufall, der Sie in entscheidenden oder erschütternden Augenblicken meines Lebens fast immer in meine Nähe bringt?« Die Königin sah ihn scharf an. »Sie sind ein seltener Mensch, Herr Gilbert. Ich war gegen Sie eingenommen . . . Dieses Vorurteil ist jetzt beseitigt.«

»Geruhen Eure Majestät meinen innigsten Dank anzunehmen.«

»Doktor,« begann die Königin von neuem, »glauben Sie an Ahnungen oder Prophezeiungen?«

»Ganz wenige hochbegabte Menschen können durch ein tiefes Eindringen in die Vergangenheit dahin gelangen, die künftigen Dinge wie durch einen Schleier hindurch zu sehen. Aber diese Ausnahmen sind selten, und gleichwohl gibt es einen Mann, der zuweilen durch unleugbare Tatsachen alle Beweisgründe meines Verstandes widerlegt hat.«

»Dieser Mann ist Ihr Lehrer und Meister, nicht wahr, Herr Gilbert, der allmächtige, unsterbliche Mann, der göttliche Cagliostro!«

»Eure Majestät, mein einziger Lehrer und Meister ist die Natur . . . Cagliostro ist nur mein Retter.«

»Und er hat Ihnen Dinge prophezeit, die in Erfüllung gegangen sind?«

»Sonderbare, unglaubliche Dinge!«

»Wenn er Ihnen also einen frühen, entsetzlichen, schmachvollen Tod prophezeit hätte, so würden Sie sich auf diesen Tod vorbereiten?«

»Ja,« erwiderte Gilbert, »aber zuvor würde ich einem solchen Tode durch alle möglichen Mittel zu entgehen suchen.«

»Zu entgehen? . . . Nein, Doktor, nein, ich sehe wohl, daß ich verloren bin!« sagte die Königin. »Diese Revolution ist ein Abgrund, in welchen der Thron stürzen muß; das Volk ist ein Löwe, der mich verschlingen wird!«

»Eure Majestät,« erwiderte Gilbert, »es hängt nur von Ihnen ab, diesen gereizten Löwen zu zähmen . . .«

»Doktor, ich habe mit diesem Volke auf immer gebrochen . . . Es haßt mich, ich verachte es.«

»Eure Majestät täuschen sich«, erwiderte Gilbert. »Das Volk lehnt sich nicht auf; der König und die Königin treten dem Volk entgegen mit der kalten Losung der Standesrechte und der absoluten Gewalt, während man ringsum nur die Sprache der Brüderlichkeit und Vaterlandsliebe hört. Werfen Sie einen Blick auf eines jener improvisierten Feste, und Sie werden fast immer auf einem Hügel einen Altar sehen, und auf dem Altar ein Kind, das von allen adoptiert, mit Geschenken und Segenswünschen überhäuft wird. Dieses Kind ist das neugeborene Frankreich. Noch ist es Zeit, Eure Majestät: nehmen Sie das Kind vom Altar und werden Sie seine Mutter!«

»Doktor,« antwortete die Königin, »Sie vergessen, daß ich andere Kinder habe; wollte ich Ihrem Rate folgen, so würde ich meine leiblichen Kinder zugunsten eines fremden enterben.«

»Wenn dem so ist,« erwiderte Gilbert mit dem Ausdruck tiefen Schmerzes, »dann hüllen Sie diese Kinder in Ihren Kriegsmantel und verlassen Frankreich mit ihnen. Eure Majestät haben recht, das Volk wird Sie verschlingen, und Ihre Kinder mit Ihnen . . . aber es ist keine Zeit zu verlieren.«

»Und Sie werden der Abreise kein Hindernis in den Weg legen, Herr Gilbert?«

»Keineswegs.«

»Das trifft sich ja herrlich«, sagte die Königin; »denn ein Edelmann hat sich bereit erklärt, zu handeln.«

»Wie!« sagte Gilbert erschrocken, »Eure Majestät meinen doch nicht den Marquis von Favras? Ich muß Eure Majestät warnen; auch den Marquis verfolgt eine unheilvolle Prophezeiung von demselben Propheten.«

»Und welches Schicksal prophezeit er dem Marquis?«

»Einen frühen, schrecklichen, schmachvollen Tod, wie jener, von welchem soeben die Rede war.«

»Nun, dann hatten Sie recht, es ist keine Zeit zu verlieren, um den Unglückspropheten Lügen zu strafen.«

»Eure Majestät sind also entschlossen, die Hilfe des Marquis von Favras anzunehmen?«

»Ich habe schon zu ihm geschickt, Herr Gilbert, und erwarte seine Antwort.«

In diesem Augenblick trat der Baron von Charny ein und sagte:

»Der Marquis von Favras ist vor einer Stunde verhaftet und in das Châtelet-Gefängnis gebracht worden.«

Aus den Augen der Königin schoß ein leuchtender Blitz, aber in dieser Aufwallung des Zornes schien sich ihre ganze Kraft zu erschöpfen, sie sank ermattet in einen Sessel.

 


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