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Letztes Kapitel.

Wir werfen noch einen Scheideblick auf jene Helden dieser kleinen Geschichte, deren Geschick nicht im Laufe der Ereignisse seine Erledigung gefunden hat.

Herr Haredale flüchtete sich in jener Nacht. Ehe eine Verfolgung beginnen konnte, ja, sogar ehe Sir John vermißt oder aufgefunden wurde, hatte er das Königreich verlassen. Er begab sich geraden Weges nach einem Kloster, das durch ganz Europa den Ruf einer äußerst strengen Regel und einer großen Barmherzigkeit gegen die Reuigen besaß, die unter seinem Dache Schutz und eine Zufluchtsstätte gegen die Welt suchten. Dort legte er die Gelübde ab, die ihn fortan von der Natur und dem Verkehr mit der Menschheit ausschlossen, und wurde nach einigen Jahren der Reue und Buße in der düsteren Mönchsgruft begraben.

Es verflossen zwei Tage, ehe Sir John's Leiche aufgefunden wurde. Sobald er erkannt und nach Hause gebracht war, entlief sein getreuer Kammerdiener, das Glaubensbekenntniß seines Gebieters sich zum Muster nehmend, mit allem baaren Gelde und demjenigen beweglichen Gute, das er mitnehmen konnte, um als vollendeter Gentleman auf eigene Rechnung einen Anfang zu machen. Er verfolgte diese Laufbahn mit wunderbarem Erfolge und würde gewiß am Ende noch eine Erbin geheirathet haben, wenn nicht eine unglückliche Störung sein frühzeitiges Ableben herbeigeführt hätte. Er unterlag einer damals grassirenden contagiösen Krankheit, welche man volksthümlich das Kerkerfieber nannte.

Lord George Gordon blieb im Tower verhaftet bis zu Montag, dem fünften Februar des folgenden Jahres, an welchem Tage er zu Westminster feierlich wegen Hochverraths vor Gericht gestellt wurde. Man hatte mit der größten Geduld alle nur erdenklichen Vorfragen angestellt, und er wurde für »nicht schuldig« erklärt, weil kein Beweis vorhanden war, daß er die Menge in verrätherischer oder ungesetzlicher Absicht zusammenberufen habe. Aber doch gab es noch so viele Leute, welche sich die Unruhen nicht zur Witzigung hatten dienen lassen, daß in Schottland öffentlich Subscriptions-Listen aufgelegt wurden, um die Mittel beizuschaffen, ihn für die Kosten seiner Vertheidigung zu entschädigen.

In Folge der kräftigen Vorstellungen seiner Freunde verhielt er sich sieben Jahre lang beziehungsweise ruhig, indem er nur hie und da Gelegenheit nahm, zur Belustigung seiner Feinde seinen Eifer für den protestantischen Glauben in irgend einem tollen Schritte zu bekunden, obschon er von dem Erzbischof zu Canterbury förmlich exkommuniziert war, weil er sich geweigert hatte, vor einem geistlichen Kolleg als Zeuge zu erscheinen. Im Jahre 1788 ließ er sich durch irgend eine neue Geistesverrücktheit veranlassen, eine in sehr heftigen Ausdrücken abgefaßte Schmähschrift gegen die Königin von Frankreich zu veröffentlichen. Als Pasquillant angeklagt und (nach unterschiedlichen seltsamen Demonstrationen im Gerichtshof) schuldig erfunden, floh er, statt sich seinem Urtheil zu stellen, nach Holland, von wo aus ihn die ruhigen Bürgermeister von Amsterdam, die wenig Geschmack an seiner Gesellschaft fanden, schleunigst wieder nach Hause schickten. Er langte im Juli zu Harwich an und ging dann nach Birmingham, wo er sich im August öffentlich zum jüdischen Glauben bekannte. Er figurirte auch daselbst als Jude, bis er verhaftet und nach London zurückgebracht wurde, um die Strafe zu erstehen, der er entwichen war. Kraft dieses Urtheils wurde er im Monat Dezember auf fünf Jahre und zehn Monate nach Newgate gebracht; auch mußte er außerdem noch eine große Geldstrafe bezahlen und bedeutende Kautionen für sein künftiges Wohlverhalten stellen.

Nachdem er sich im Sommer des folgenden Jahrs an die Barmherzigkeit der französischen Nationalversammlung gewendet, welche der englische Minister nicht anerkennen wollte, fügte er sich darein, seine volle Strafzeit zu erstehen. Er ließ sich den Bart fast bis zum Gürtel wachsen, verrichtete in jedem Betracht die Ceremonien seiner neuen Religion, verlegte sich auf das Studium der Geschichte und gab sich auch gelegentlich mit Malerei ab – eine Kunst, worin er in jüngeren Jahren einige Geschicklichkeit gezeigt hatte. Von seinen früheren Freunden verlassen und in jeder Hinsicht wie der geringste Verbrecher im Gefängniß behandelt, lebte er heiter und entsagend dahin, bis er am ersten November 1793, erst dreiundvierzig Jahre alt, in seiner Zelle starb. Viele Menschen mit weit weniger Mitgefühl für das Unglück und die Noth ihrer Nebenmenschen, mit viel weniger Fähigkeiten und weit härterem Herzen, haben bedeutende Rollen gespielt und glänzenden Ruf hinterlassen. Doch hatte auch er seine Leidtragenden. Die Gefangenen beklagten seinen Verlust und vermißten ihn schmerzlich: denn er war trotz seiner geringen Mittel sehr wohlthätig, in Spendung seiner Almosen durchaus nicht auf die Verschiedenheit der Sekten und Glaubensbekenntnisse Rücksicht nehmend. Die weisen Männer auf den Heerstraßen der Welt dürften wohl sogar von diesem armen, verrückten Lord, der in Newgate starb, etwas lernen können.

Der ehrliche John Grueby weihte ihm bis zum letzten Augenblicke seine Dienste. Lord George hatte sich noch keine vierundzwanzig Stunden im Tower befunden, als sich der treue Diener einstellte und ihn bis zu seinem Tode nicht wieder verließ. Eine andere beharrliche Begleitung hatte er noch in der Person eines schönen Judenmädchens, das halb aus religiöser, halb aus romantischer Schwärmerei an ihm hing; ihr tugendhafter und uneigennütziger Charakter scheint jedoch auch den Splitterrichtern keinen Anlaß zum Tadel geboten zu haben.

Gashford hatte ihn natürlich verlassen. Er lebte eine Zeitlang von dem Handel mit den Geheimnissen seines Gebieters; als jedoch der Vorrath erschöpft und diese Einkommensquelle versiegt war, verschaffte er sich eine Anstellung bei dem ehrenwerthen Corps der Spione und Aushorcher, deren sich die Regierung bediente. Als eines dieser armseligen Werkzeuge plackte er sich bald auswärts, bald im Vaterlande, und unterzog sich lange dem mannigfaltigen Elend einer solchen Stellung. Vor zehn oder zwölf Jahren – länger ist es nicht – fand man einen mageren, abgezehrten, kranken und blutarmen Mann, den Niemand kannte, todt in dem Bette einer elenden Schenke zu Borough. Er hatte Gift genommen. Ueber seinen Namen ließ sich keine Auskunft finden, aber aus gewissen Notizen in einem Taschenbuche, das er bei sich führte, ließ sich entnehmen, daß er in der Zeit des berüchtigten Aufstandes Sekretär bei Lord George Gordon gewesen war.

Viele Monate nach Wiederherstellung von Friede und Ordnung – selbst, nachdem es schon aufgehört hatte, Modegespräch zu seyn, daß jeder Offizier – die Einquartierung wurde nämlich während der Unruhen von der Stadt bestritten – täglich vier Pfund und vier Schillinge, jeder gemeine Soldat zwei Schillinge und dritthalb Pence gekostet habe; viele Monate, nachdem sogar dieser wichtige Gegenstand vergessen und die vereinigten Bullenbeißer Mann für Mann getödtet, in's Gefängniß gesetzt oder deportirt waren, wurde Herr Simon Tappertit vermöge einer Amnestie aus seiner Untersuchungshaft entlassen, wohin er aus dem Spitale mit zwei hölzernen Beinen geschafft worden war. Seiner anmuthigen Gliedmaßen beraubt und von seiner so hohen Stellung herab in tiefste Armuth und äußerstes Elend gestürzt, hinkte er zu seinem alten Meister zurück, den er um eine Unterstützung anbettelte. Auf den Rath und unter dem Beistande des Schlossers etablirte er sich als Schuhwichser und schlug seine Bude in der Nähe der Gardekaserne auf. Hier, gewissermaßen in einem Hauptquartiere, verschaffte er sich bald umfassende Bekanntschaften, und an Levertagen sah man oft an zwanzig Halbsoldoffiziere in seinem Atelier, die sich der Reihe nach von ihm die Stiefel putzen ließen. In der That gedieh auch sein Handwerk zu einer solchen Ausdehnung, daß er im Laufe der Zeit nicht weniger als zwei Lehrlinge halten konnte und außerdem die Wittwe eines angesehenen Knochen- und Lumpensammlers in Milbank heirathete. Mit dieser Dame (die ihm in dem Geschäfte Beihülfe leistete) lebte er in großem häuslichen Glücke, das nur hin und wieder durch kleine Unwetter, wie sie eben nöthig sind, um die Atmosphäre des Ehestandshimmels zu säubern und aufzuklären, unterbrochen wurde. In manchen dieser Stürme konnte sich Herr Tappertit, in Behauptung seiner Vorrechte, so weit vergessen, seine Dame mit einer Bürste, einem Stiefel oder einem Schuh zurecht zu weisen, wofür sie sich (freilich nur in ganz außerordentlichen Fällen) dadurch rächte, daß sie ihm seine Beine wegnahm, und ihn dem Gespötte der schadenfrohen Gassenjugend Preis gab.

Miß Miggs, der keiner von allen Entwürfen, ehelichen und anderen, gedeihen wollte, und die sich jetzt in eine undankbare, Verdienste nicht zu würdigen verstehende Welt hinausgestoßen sah, wurde nachgerade sehr scharf und sauer, endlich aber so ätzend, und zwickte, kniff und raufte die Haare und Nasen der Jugend im goldenen Löwenhof dermaßen, daß sie durch einstimmigen Beschluß aus diesem Heiligthume ausgestoßen und ersucht wurde, lieber jeden andern Ort auf der Welt mit ihrer Gegenwart zu beglücken. Um diese Zeit traf es sich, daß die Friedensrichter für Middlesex vermittelst eines öffentlichen Anschlags eine weibliche Gefängnißwärterin für Bridewell suchten, und Tag und Stunde für die Beaugenscheinigung der Bewerberinnen festsetzte. Miß Miggs fand sich zu der bestimmten Zeit ein, wurde sogleich aus hundert vierundzwanzig Kandidatinnen erwählt und auserkoren und alsbald in das Amt eingesetzt, welches sie bis zu ihrem mehr als dreißig Jahre später erfolgten Ableben versah, diese ganze Zeit über in dem Stande der Jungfräulichkeit verbleibend. Man bemerkte, daß diese Dame, obgleich grimmig und unbeugsam gegen ihre ganze weibliche Heerde, doch besonders unnachsichtig gegen diejenigen war, welche einigen Anspruch auf Schönheit machen konnten, und man wollte oft einen Beweis ihrer unüberwindlichen Tugend und ihrer strengen Züchtigkeit in dem Umstande finden, daß sie gegen solche, welche sich fleischliche Vergehen hatten zu Schulden kommen lassen, durchaus kein Erbarmen zeigte, sintemal sie immer bei dem leichtesten Anlaß oder auch ohne irgend einen Grund die ganze Schale ihres Zornes über sie ausgoß. Unter die nützlichen Erfindungen, welche sie bei dieser Klasse von Gesetzübertreterinnen in Anwendung brachte und der Nachwelt vermachte, gehörte auch die Kunst, Jemanden mit dem Bart eines Schlüssels in der Nähe der Wirbelsäule auf das Kreuz einen ausgesucht boshaften Stoß oder Hieb zu versetzen. In gleicher Weise stammt auch die Methode von ihr ab, denen, welche kleine Füße haben, ganz zufällig mit den Ueberschuhen auf die Zehen zu treten – ein sehr merkwürdiges, scharfsinniges Verfahren, das früher nie üblich gewesen war.

Der Leser darf versichert seyn, daß es nicht lange anstund, bis Joe Willet und Dolly Varden Mann und Frau waren. Der Schlosser hatte seiner Tochter ein schönes Heirathsgut mitgeben können, und so eröffneten sie, mit einem hübschen Kapitale in der Bank, den Maibaum wieder. Auch kann man sich denken, daß es nicht sehr lange währte, bis man einen rothgesichtigen kleinen Knaben vor dem Maibaum herumstolpern und auf dem Rasen vor der Thüre sich tummeln sah. Wenn man nach Jahren zählt, so stund es auch nicht lange an, bis ein rothwangiges kleines Mädchen, ferner wieder ein rothwangiger kleiner Knabe, und allmälig ein ganzer Trupp von Mädchen und Knaben anlangten, so daß man, wenn man nach Chigwell ging, sicher darauf rechnen durfte, entweder auf der Straße nach dem Dorf, oder auf dem Rasen, oder in dem Maierhofe – denn der Maibaum war jetzt nicht nur ein Wirthshaus, sondern auch ein Maierhof – mehr kleine Joe's und Dolly's zu sehen, als man in der Geschwindigkeit zählen konnte. All dieß folgte sich in nicht sehr langer Zeit, aber es währte sehr lange, ehe Joe und Dolly oder der Schlosser und sein Weib um fünf Jahre älter aussahen; denn Heiterkeit und Zufriedenheit sind herrliche Schönheitsmittel und vortreffliche Bewahrer eines jugendlichen Aeußeren, darauf kann man sich verlassen. Auch stund es lange an, ehe es in ganz England ein zweites solches Landwirthshaus gab, als der Maibaum war: in der That ist es eine große Frage, ob sich bis auf diese Stunde ein anderes derartiges aufgethan hat, oder je aufthun wird. Auch währte es lange – denn »nie« ist, wie das Sprichwort sagt, ein langer Tag – bis man im Maibaum vergaß für verwundete Soldaten Interesse zu fühlen, oder bis Joe es unterließ, um seines alten Feldzugs willen sie zu erfrischen, oder bis der Sergeant aufhörte, hin und wieder seinen Besuch zu machen, oder bis sie es müde wurden, bei derartigen Anlässen mit einander von Schlachten und Belagerungen, von schlechtem Wetter, schwerem Dienst und tausend anderen zum Soldatenleben gehörigen Dingen zu plaudern. Dann die große silberne Schnupftabaksdose, welche der König Joe wegen seines Benehmens bei der Rebellion eigenhändig übermachte – welcher Gast kam je nach dem Maibaum, ohne seinen Finger und Daumen in diese Dose zu stecken und eine große Prise zu nehmen, wenn er auch vorher in seinem Leben nie geschnupft hatte, und vor lauter Nießen fast Krämpfe bekam? Dann der purpurgesichtige Weinhändler – wo ist der Mensch, der in seinen Zeiten lebte und ihn nie im Maibaum sah, in dessen bestem Zimmer er allem Anscheine nach so zu Hause war, als hätte er wirklich hier seine Wohnung? Und dann die Gastereien. Taufschmäuse, Weihnachtsfeierlichkeiten, Geburtsfeste, Hochzeitserinnerungstage und sonstige Arten von Feiertagen sowohl in dem Maibaum als in dem goldenen Schlüssel – wenn die nicht berühmt waren, was hätte es sonst seyn sollen?

Herr Willet der Aeltere, welcher, weiß Gott durch welche außerordentliche Mittel, auf den Gedanken gekommen war, Joe werde wohl heirathen wollen, weßhalb es gut für ihn, den Vater, sein dürfte, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen, wählte, um sich's recht behaglich zu machen, seinen Aufenthalt in einem kleinen Häuschen zu Chigwell, wo man ihm den Herd erweiterte und vergrößerte, den Kupferkessel aufhing und außerdem in dem kleinen Garten an der Vorderseite eine Kopie des Maibaums aufpflanzte, so daß er sich bald ganz heimisch fand. In dieser seiner neuen Wohnung fanden sich Tom Cobb, Phil Parkes und Solomon Daisy regelmäßig jeden Abend ein; und in der Kaminecke saßen alle Vier, zechend und rauchend, plaudernd und nickend, wie sie vor Alters gethan hatten. Man machte bald nachher zufälligerweise die Entdeckung, daß Herr Willet sich noch immer für einen Gastwirth von Profession zu halten schien, weßhalb Joe ihn mit einer Schiefertafel versah, auf welcher der alte Mann regelmäßig ungeheure Rechnungen für Essen, Trinken und Tabak ankreidete. Diese Leidenschaft nahm mit dem Alter zu, und es gewährte ihm eine wahre Wonne, neben dem Namen eines jeden seiner Gevattern eine Summe von ungeheurer Größe und unmöglicher Bezahlbarkeit anzuschreiben; auch hatte er an diesen Ausständen im Geheim eine so große Freude, daß man oft bemerken konnte, wie er hinter die Thüre ging, um danach zu schauen, und mit dem strahlendsten Gesichte wieder hervor kam.

Von dem Schrecken, den ihm die Aufrührer eingejagt, erholte er sich nie wieder, denn er verblieb in dem gleichen geistigen Zustande bis zum letzten Augenblicke seines Lebens. Dieses hätte indeß leicht ein schleuniges Ende nehmen können, als er zum Erstenmal seines erstens Enkels ansichtig wurde, denn er schien zu glauben, daß sich mit Joe ein Wunder zugetragen habe und daß etwas Erschreckliches vorgefallen sey. Da ihm jedoch ein geschickter Wundarzt schleunig zur Ader ließ, so erholte er sich wieder. Sechs Monate später zeigten sich wieder Symptome von Schlagfluß, und obgleich die Aerzte darüber einig waren, daß er sterben müsse, und es sehr übel nahmen, daß er es nicht that, so blieb er doch – vielleicht wegen seiner konstitutionellen Langsamkeit – beinahe noch sieben Jahre am Leben, nach welcher Zeit man ihn eines Morgens sprachlos im Bette fand. In diesem Zustande blieb er, ohne Zeichen einer sonstigen Krankheit, eine ganze Woche liegen; auf einmal kam er aber wieder zum Bewußtseyn, als er die Wärterin seinem Sohne in's Ohr flüstern hörte, daß es mit ihm ausgehe. »Ich gehe, Joseph,« sagte Herr Willet, indem er sich für einen Augenblick umwandte, »zu den Salvanners,« – und unmittelbar darauf gab er seinen Geist auf.

Er hinterließ ein großes Vermögen, sogar noch mehr, als man ihm geschätzt hatte, obgleich die Nachbarn, dem gewöhnlichen Brauche zu Folge, das, was Andere erworben haben müssen, zu berechnen, seine Habe in schönen runden Zahlen angeschlagen hatten. Joe erbte das Ganze, so daß er in der Gegend ein bedeutender Mann und vollkommen unabhängig wurde.

Es verfloß einige Zeit, ehe Barnaby das, was er durchgemacht, verschmerzen konnte, oder seine alte Gesundheit und Heiterkeit wieder erlangte. Er erholte sich jedoch allmälig, und obgleich er sich des Gedankens nicht entschlagen konnte, seine Verurtheilung und Rettung sey nur ein schrecklicher Traum gewesen, so war er doch in anderem Betracht vernünftiger geworden. Von der Zeit seiner Wiedergenesung an hatte er ein besseres Gedächtniß und eine festere Willenskraft; aber über seinem ganzen früheren Leben hing eine düstere Wolke, welche sich nie zerstreute.

Demungeachtet fühlte er sich jedoch nicht weniger glücklich, denn sein Drang nach Freiheit und seine Vorliebe für Alles, was sich bewegte, wuchs oder in den Elementen lebte, blieben ungemindert. Er wohnte mit seiner Mutter auf der Maibaum-Maierei, besorgte den Geflügelhof und das Vieh, arbeitete in einem eigenen Gärtchen und ließ sich allenthalben brauchen. Jedes Huhn und jedes Rind auf dem Hofe kannte ihn, wie er denn auch jedem einen Namen schöpfte. Nie gab es einen frohsinnigeren Haushälter, ein Wesen, das bei Alt und Jung so beliebt war, eine heiterere oder glücklichere Seele, als Barnaby; und obgleich ihn nichts hinderte, wo er wollte, umherzustreifen, so verließ er Sie doch nie, sondern blieb ihr immer eine Stütze und ein Trost.

Merkwürdig war es, daß er, obschon die Vergangenheit nur wie ein Nebel vor ihm lag, doch Hughs Hund aufsuchte und ihn unter seine Obhut nahm, deßgleichen, daß er sich nie bewegen ließ, wieder nach London zu gehen. Als schon viele Jahre über der Rebellion hingeschwunden waren und Edward mit seiner Gattin und einer Familie, fast so zahlreich wie Dolly's, nach England zurückkehrte – sie machten bald in dem Maibaum einen Besuch – erkannte er sie augenblicklich, und weinte und hüpfte vor Freuden. Aber sie zu besuchen, oder unter was immer für einem Vorwande, wie viel Lust er auch versprechen mochte, einen Fuß in die Straßen von London zu setzen – hiezu war er nicht zu bewegen. Er überwand diesen Widerwillen nie, nicht einmal in so weit, daß er sich die Stadt von ferne besehen hätte.

Greif gewann bald sein gutes Aeußeres wieder und wurde so glatt und glänzend, als nur je. Aber er beobachtete ein tiefes Schweigen. Ob er die Kunst zierlicher Rede in Newgate verlernt, oder ob er in den vergangenen unruhigen Zeiten ein Gelübde gethan hatte, vor der Hand seine Talente ruhen zu lassen, wissen wir nicht; nur so viel ist gewiß, daß er ein ganzes Jahr lang keinen andern Ton, als ein ernstes und anständiges Krächzen, von sich gab. Nach Abfluß dieser Periode hörte man ihn an einem heiteren, sonnigen Morgen, wie er sich im Stalle wegen des in diesen Blättern mehr erwähnten Kessels an die Pferde wandte, und ehe der Zeuge dieser seltsamen Erscheinung in das Haus eilen konnte, um Bericht zu erstatten und noch die feierliche Versicherung beizufügen, daß er das Thier habe lachen hören, spazierte der Vogel selbst mit phantastischen Schritten bis vor die Thüre des Schenkstübchens, wo er mit außerordentlichem Entzücken rief: »ich bin ein Teufel! ich bin ein Teufel! ich bin ein Teufel!« Von dieser Zeit an (obgleich man vermuthete, daß ihm der Tod des Herrn Willet senior sehr zu Herzen ging) übte und vervollkommnete er sich ohne Unterlaß in dem Volksdialekt, und da man ihn ein bloßes Kind von einem Raben nennen konnte, als Barnaby schon grau war, so plaudert er wahrscheinlich noch bis auf die gegenwärtige Zeit fort.


[Master Humphrey's Wanduhr.]


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