Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenzigstes Kapitel.

Nachdem Herr Dennis dieses Stück Arbeit ohne persönliche Beeinträchtigung oder Ungelegenheit abgethan, entschloß er sich, denn er war jetzt zu der achtbaren Ruhe des Privatlebens zurückgekehrt, ein halbes Stündchen oder so etwas in weiblicher Gesellschaft Trost zu holen. In dieser liebenswürdigen Absicht lenkte er seine Schritte nach dem Hause, wo Dolly und Miß Haredale noch immer eingesperrt waren, und wohin auf Herrn Simon Tappertit's Befehl auch Miß Miggs gebracht worden war.

Während Herr Dennis so durch die Straßen ging – die Lederhandschuhe auf dem Rücken in einander geschlagen und im Gesichte den Ausdruck heiterer Gedanken und beharrlicher Berechnung – hätte man ihn wohl für einen Pächter halten mögen, der Erwägungen über den Betrag seiner Ernte anstellt und sich im Vornhinein des reichen Segens der Vorsehung erfreut. Mochte er hinschauen, wohin er wollte, allenthalben zeigten ihm die Trümmerhaufen, wie viel er sich für sein Handwerk versprechen dürfe; die ganze Stadt schien für ihn gepflügt, gesät und durch das gedeihlichste Wetter begünstigt worden zu seyn; eine herrliche Ernte stand in Aussicht.

Es wäre vielleicht zu weit gegangen, wenn man behaupten wollte, Herr Dennis habe, als er die Waffen ergriff und zu gewaltsamen Handlungen seine Zuflucht nahm, um das große Ziel zu verfolgen, Old Bailey in aller seiner Reinheit und den Galgen in seiner früheren Anwendung und moralischen Größe zu erhalten – diesen glücklichen Stand der Dinge bestimmt im Auge gehabt  oder vorausgesehen. Er betrachtete ihn vielmehr als eine jener herrlichen Spenden, welche unzweifelhaft von Zeit zu Zeit zu Nutz und Frommen der Guten niederströmen und fühlte sich bei diesem segensreichen Reifen für den Galgen gewissermaßen persönlich bedacht. Nie war er sich selbst so in dem Lichte von Fortuna's Liebling und Schooßkind erschienen, und nie, in seinem ganzen Leben hatte er diese Dame so innig oder mit so ruhiger und tugendhafter Zuversicht geliebt.

Den Gedanken, selbst als Rebelle aufgegriffen und mit den übrigen bestraft zu werden – ja, schon den Gedanken an die Möglichkeit eines solchen Ereignisses wies Herr Dennis als eine eitle Chimäre von sich; er argumentirte nämlich, das von ihm zu Newgate eingeschlagene Verfahren und der Dienst, den er heute geleistet, würden mehr als zureichen, jedes Zeugniß, daß er mit unter dem Pöbel gewesen, zu entkräften: jede Beschuldigung seiner Betheiligung bei dem Aufruhr von Seite Derjenigen, die selbst in Gefahr waren, mußte nothwendig für null und nichtig erachtet werden: und wenn auch unglücklicherweise irgend eine kleine Unklugheit auf ihn herauskommen sollte, so drückte man dabei sicherlich ein Auge zu wegen des dermaligen besonderen Ruhens seines Amtes und der großen Nachfrage nach Funktionen, wie die seinigen waren. Mit einem Worte, er hatte seine Karten durchaus mit großem Bedacht gespielt, ganz zu rechter Zeit seine Fahne gewechselt, die beiden Hauptaufwiegler nebst einem ausgezeichneten Verbrecher in die Hände der Gerichte geliefert, und war daher ganz ruhig.

Mit einer einzigen Ausnahme – denn dieß gilt von allen Regeln, und selbst Herr Dennis theilte dieß Geschick – des Umstandes nämlich, daß Dolly und Miß Haredale in einem Hause, das fast an das seinige stieß, gewaltsam zurückgehalten wurde. Dieß war ein Stein des Anstoßes; denn wenn sie entdeckt und befreit wurden, so waren sie im Stande, durch ihr Zeugniß ihn in eine sehr gefährliche Lage zu bringen; sie aber laufen zu lassen, nachdem er ihnen zuvor einen Eid der Verschwiegenheit abgepreßt hatte, – das war eine Sache, an die er nicht denken durfte. Vielleicht war es mehr die Rücksicht auf die Gefahr, welche dem Henker von dieser Seite drohte, als seine Liebe zur Unterhaltung mit dem schönen Geschlecht, daß er sich jetzt so sehr beeilte, in ihre Gesellschaft zu kommen; denn bei jedem Schritte, den er that, verwünschte er Hugh's und Herrn Tappertit's verliebte Naturen aus tiefstem Herzensgrunde.

Als er in das armselige Gemach trat, in welchem sie eingesperrt waren, zogen sich Dolly und Miß Haredale schweigend in die hinterste Ecke zurück. Aber Miß Miggs, die hinsichtlich ihres Rufes besonders zart fühlte, sank augenblicklich auf ihre Kniee nieder und fing an, laut hinaus zu kreischen: »Was wird aus mit werden!« – »Wo ist mein Simmun!« – »Habt Barmherzigkeit, guter Herr, mit der Schwäche meines Geschlechtes!« – nebst vielen anderen kläglichen Lamentationen gleicher Beschaffenheit, deren sie sich mit großem Anstande und Schicklichkeitsgefühle entledigte.

»Miß, Miß,« flüsterte Dennis, indem er ihr mit dem Zeigefinger winkte, »kommt her – ich thue Euch nichts zu Leide. Kommt her, mein Lamm, wollt Ihr?«

Miß Miggs, die, sobald er die Lippen öffnete, zu schreien aufgehört und aufmerksam auf seine Worte gehorcht hatte, fing nach diesem zärtlichen Epithetum sogleich wieder an:

»Oh, ich bin sein Lamm! er sagt, ich sey sein Lamm! Oh, du grundgütiger Himmel, warum bin ich nicht alt und häßlich geboren? Warum mußte ich gerade die jüngste von sechsen seyn, die alle todt sind und in ihren gesegneten Gräbern liegen, eine verheirathete Schwester ausgenommen, die im goldenen Löwenhof Nr. 72 zweite Klingel rechts wohnt!«

»Habe ich Euch nicht gesagt, ich wolle Euch nichts zu Leide thun?« entgegnete Dennis, auf einen Stuhl deutend. »Warum denn so, Miß? Was gibt's denn?«

»Ich weiß nicht, was es geben mag,« rief Miggs, verzweifelnd ihre Hände zusammenschlagend. »Aber etwas muß es geben!"

»Ich sage Euch aber: nein,« erwiederte der Henker. »Zuerst hört einmal mit Eurem Schreien auf – Na, und setzt Euch daher; wollt Ihr, mein Hühnchen?«

Der einschmeichelnde Ton, womit er diese letzten Worte sprach. hätte vielleicht seines Zweckes verfehlt, wenn er sie nicht mit unterschiedlichen scharfen Rucken seines Daumens über die eine Schulter, einem gewissen Blinzeln und Stecken der Zunge in seine Backen begleitet hätte – Signale, aus denen die Jungfer nachgerade entnahm, daß er über Miß Haredale's und Dolly's Angelegenheiten heimlich mit ihr zu sprechen wünschte. Sie war mit einer gewaltigen Portion Neugierde begabt, und da ihre Eifersucht gleichfalls nicht unthätig war, so stand sie auf und kam ihm allmälig, freilich viel schaudernd, oft zurückfahrend und ein großes Muskelspiel um alle die kleinen Kehlknorpelchen entwickelnd, näher.

»Setzt Euch« sagte der Henker.

Um seinem Geheiß mehr Nachdruck zu geben, drückte er sie etwas plötzlich und vorschnell in einen Stuhl. Um sie sodann durch einen kleinen, harmlosen Scherz, wie ihn Frauenzimmer lieben, wieder zu versöhnen, verwandelte er seinen rechten Zeigefinger in einen ideellen Nagelpfriem oder Bohrer, und that, als wolle er ihr denselben in die Seite schrauben – worüber Miß Miggs abermals aufschrie und Symptome von einer Ohnmacht blicken ließ.

»Schätzchen, meine Liebe,« flüsterte Dennis, seinen Stuhl dicht neben den ihrigen rückend, »Wann war Euer junger Mann zum letzten Mal hier?«

» Mein junger Mann, guter Herr?« antwortete Miggs im Tone schmerzlichen Kummers.

»Ah! Simmun – Ihr kennt – ihn?« versetzte Dennis.

»Ja wohl da, nein!« rief Miggs mit einem Bitterkeitsausbruche – und während sie so sprach, blickte sie nach Dolly hin. » Mein – guter Herr!«

Dieß war es,eben, was Herr Dennis wollte und erwartete.

»Ah!« sagte er mit so freundlichem, um nicht zu sagen, verliebtem Blicke auf Miggs, daß sie, wie sie nachmals bemerkte, wie auf den schärfsten Whitechapelnadeln saß, da sie nicht wissen konnte, welche Absichten hinter einem solchen Gesichtsausdrucke lauern mochten: »ich fürchte das. Ich habe es selbst auch schon gesehen. Die Schuld liegt rein an ihr. Sie will ihn durchaus verlocken.«

»Ich möchte mich nicht,« rief Miggs ihre Hände faltend und mit der Miene andächtiger Unschuld gegen die Decke blickend, »ich möchte mich nicht so bloß stellen, wie sie thut; ich möchte nicht so schamlos seyn, wie sie; ich möchte nicht so aussehen, als sagte ich allen Mannsbildern, ›komm' und küß' mich‹« – und hier überflog ein krampfhaftes Schaudern ihren ganzen Körper – »nein, nicht um alle Erdenkronen, die man mir bieten möchte. Welten,« fügte Miggs feierlich bei, »sollten mich nicht so weit bringen. Nein und wenn ich eine Venis wäre.«

»Nun wißt Ihr aber wohl, daß Ihr eine Venis seyd,« sagte Herr Dennis zutraulich.

»Nein, ich bin's nicht, guter Herr,« entgegnete Miggs, indem sie mit einer Miene der Selbstverläugnung den Kopf schüttelte, welche anzudeuten schien, sie könnte eine seyn, wenn sie wollte, aber sie sey hoffentlich gescheidter. »Nein, ich bin's nicht, guter Herr. Legt mir so etwas nicht zur Last.«

Die ganze Zeit über hatte sie sich hin und wieder nach der Stelle, wohin sich Dolly und Miß Haredale geflüchtet, umgedreht, einen Schrei oder einen Seufzer ausgestoßen, oder mit ungemeinem Zittern die Hand auf's Herz gelegt, um das Ansehen zu gewinnen und den beiden Mädchen verstehen zu geben, daß sie sich nur protestirend und mit Widerwillen mit dem Gaste unterhalte und dem allgemeinen Besten ein großes persönliches Opfer bringe. Jetzt aber schaute sie Herrn Dennis mit einem so viel sagenden Blicke an und verzog sein Gesicht in einer so eigenthümlichen Weise, indem er sie ersuchte, noch etwas näher zu rücken, daß sie diese kleinen Kunstgriffe aufgab und ihm ihre ganze ungetheilte Aufmerksamkeit weihte.

»Wann war Simmun hier, frage ich?« raunte ihr Dennis in's Ohr.

»Seit gestern Morgen nicht mehr, und auch dann nur ein paar Minuten. Vorgestern ließ er sich den ganzen Tag nicht sehen.«

»Ihr wißt, er gedachte immer, die eine da zu entführen,« sagte Dennis, mit dem möglichst leichten Kopfrucke nach Dolly deutend. »Und Euch wollte er einem Andern übergeben.«

Miß Miggs, die nach dem ersten Theile dieser Rede schrecklich in Jammer gerathen war, erholte sich bei dem zweiten ein wenig und schien dadurch, daß sie ihre Thränen plötzlich unterdrückte, andeuten zu wollen, diese Maßregel könnte möglicherweise ihren Beifall haben – jedenfalls sey es noch eine große Frage.

»Aber unglücklicherweise,« fuhr Dennis, dem dieß nicht entging, fort, »war Jemand Anders auch in sie verliebt, seht Ihr; und selbst wenn's nicht wäre, so ist dieser Andere als Rebelle gefaßt worden und demnach alles vorbei mit ihm.«

Miß Miggs erlitt einen Rückfall.

»Nun möchte ich aber dieses Haus geräumt und Euch in Eure Rechte eingesetzt sehen,« sagte Dennis. »Wie wär's, wenn ich sie mir vom Hals schaffte – aus dem Wege, he?«

Miß Miggs strahlte wieder auf und entgegnete mit vielen Unterbrechungen und Pausen (Folgen ihrer überströmenden Gefühle), daß die Versuchungen für Simmun Gift gewesen wären. Er sey nicht Schuld daran, sondern sie (nämlich Dolly). Die Männer durchschauten nicht so diese schrecklichen Kunstgriffe, wie dieß bei Frauenzimmern der Fall sey, und ließen sich daher fangen und einthun, wie es auch bei Simmun gegangen. Sie habe zwar keine persönlichen Beweggründe, ihm an die Hand zu gehen – kein Gedanke – im Gegentheil, sie meine es gut mit allen Parteien. Aber so viel sie von der Sache verstehe, müsse sie sagen, daß Simmun, wenn er gewisse trügerische und arglistige Hexen (sie wolle keine Namen nennen, denn dieß widerstrebe ihrem Charakter) gewisse trügerische und arglistige Hexen heirathete – sich elend und unglücklich machen würde für sein ganzes Leben, weßhalb sie der Ansicht sey, daß Vorsichtsmaßregeln am Orte wären. So viel, fügte sie bei, müsse sie aufrichtig gestehen. Da aber dieß Privatgefühle seyen und vielleicht als Rachsucht betrachtet werden könnten, so bitte sie den Herrn, nicht weiter davon zu reden. Sie wünsche ihre Pflicht gegen alle Menschen, sogar gegen diejenigen, die von jeher ihre bittersten Feinde gewesen, zu erfüllen, und wolle daher nicht mehr auf ihn hören, was er auch sagen möge.

Damit verstopfte sie die Ohren und schüttelte den Kopf hin und her, um Herrn Dennis anzudeuten, daß sie gegen ihn so taub seyn würde, wie eine Blindschleiche, und wenn er sich außer Athem sprechen wollte.

»So schaut nur, mein Zuckerstengel,« sagte Herr Dennis; »wenn Eure Ansicht mit der meinigen übereinkömmt, und Ihr wolltet nur zu rechter Zeit ruhig davonschlüpfendavonschlüpfen, so kann ich das Haus morgen sauber haben und dieser ganzen Plackerei los seyn. – Aber haltet, da ist noch die Andere.«

»Welche Andere, Sir?« fragte Miggs, noch immer mit den Fingern in ihren Ohren und hartnäckig den Kopf schüttelnd.

»Je nun, die Große dort,« antwortete Dennis, indem er sich das Kinn strich und etwas vor sich hin murmelte ungefähr des Inhalts, daß er Herrn Gashford nicht in die Queere kommen möge.

Die noch immer stocktaube Miß Miggs versetzte, wenn Miß Haredale ein Hinderniß sey, so dürfe er sich in dieser Hinsicht völlig beruhigen: aus dem, was zwischen Hugh und Herrn Tappertit, als sie das letzte Mal hier gewesen, vorgegangen sey, habe sie entnommen, daß sie morgen Abend allein (nicht von ihnen, sondern von jemand Anders) fortgeschafft werden solle.

Auf diese Nachricht sperrte Herr Dennis die Augen weit auf, pfiff einmal, überlegte, einmal, schlug sich zum Schlusse an die Stirne und nickte mit dem Kopf, als hätte er jetzt den Schlüssel zu dieser geheimnißvollen Entfernung und sey damit ganz zufrieden. Dann theilte er Miß Miggs seinen Dolly betreffenden Plan mit, die jetzt mit einemmale tauber als je war und es auch während der ganzen Eröffnung verblieb.

Der merkwürdige Entwurf lief nämlich darauf hinaus, Herr Dennis wollte sogleich unter den Rebellen irgend einen wagehalsigen jungen Burschen (wie er sagte, hatte er schon auf einen sein Augenmerk) aufsuchen, der, erschreckt durch die Drohungen, mit denen er ihn hinhalten könnte, und beunruhigt durch die Aufgreifung so Vieler, die nicht besser und nicht schlechter als er wären, mit Freuden nach Allem greifen würde, was ihm und seinem Raube aus dem Bereiche der Gefahr und in's Ausland zu helfen vermöchte, selbst wenn seine Reise die lästige Zugabe einer unfreiwilligen Kumpanschaft erhielte; ja, es werde wahrscheinlich nur noch mehr Reiz und Verlockung darin liegen, wenn er höre, daß diese Kumpanschaft ein hübsches Mädchen sey. Habe er einmal die passende Person aufgefunden, so wolle er sie morgen Nacht, wenn man die Große geholt und Miß Miggs Reißaus genommen habe, herbringen. Dolly müsse dann geknebelt, in einen Mantel gehüllt und in irgend einem gelegenen Fuhrwerke nach der Themse hinunter geschafft werden, wo es Mittel genug gebe, sie in der Stille auf ein kleines Fahrzeug von zweideutigem Charakter zu schmuggeln, wo weiter keine Fragen gestellt würden. Was die Kosten dieser Entführung betreffe, so glaube er nach einem ungefähren Ueberschlag, daß zwei oder drei silberne Thee- oder Kaffeekannen nebst einem Trinkgeld (etwa einer Zuckerzange oder einem Theeseiher) mehr als hinreichend sein dürften. Silbergeschirr jeder Art sey von den Rebellen an mehreren einsamen Orten Londons, namentlich aber, wie er wisse, in Saint James Square begraben; man könne demselben zwar leicht beikommen, aber da nach Einbruch der Nacht kein Mensch dort zu finden und ein gelegenes Stückchen Wasser in der Mitte wäre, so lägen die nöthigen Fonds bereit und könnten jeden Augenblick erhoben werden. Hinsichtlich Dolly's müsse der Gentleman eben mit der nöthigen Vorsicht zu Werke gehen. Er verpflichte sich zu nichts, als sie fortzunehmen und zurückzuhalten; was er sonst noch mit ihr anfangen wolle, bleibe ganz ihm selbst überlassen.

Wenn Miß Miggs im Besitze ihres Gehörsinnes gewesen wäre, so hätte sie sich ohne Zweifel höchlich über die Unzartheit entsetzt, daß ein junges Frauenzimmer mit einem Fremden, und noch obendrein bei Nacht, durchgehen solle, denn ihr Sittlichkeitsgefühl war, wie bereits bemerkt, von der allerzartesten Art; aber sobald Herr Dennis zu sprechen aufgehört hatte, erinnerte sie ihn, daß er nur umsonst seinen Athem verschwendet habe. Sie fuhr (noch immer mit den Fingern in ihren Ohren) fort, daß nur eine strenge praktische Lection die Schlosserstochter von gänzlichem Verderben retten könne, und daß sie es so zu sagen für eine moralische Verbindlichkeit und für eine heilige Pflicht gegen die Familie halte, zu wünschen, daß ihr Jemand um ihres eigenen Besten willen diese Lection ertheile. Miß Miggs bemerkte auch noch, und zwar ganz richtig, als allgemeine Ansicht, auf die sie eben erst zufällig komme, sie glaube allerdings, daß der Schlosser und seine Frau jammern und klagen würden, wenn sie je, sey es nun durch gewaltsame Entführung oder auf eine andere Weise, ihr Kind verlieren sollten: wir wüßten jedoch in dieser Welt selten, was zu unserem Besten diene, sintemalen wir so sündige und unvollkommene Wesen seyen, daß hierin nur Wenige zu einer richtigen Ansicht gelangten.

Nachdem das Gespräch zu diesem befriedigenden Ziele geführt, trennten sie sich – Dennis, um seinen Plan zu bethätigen und sich noch einmal ein Bischen in seinen Domänen umzusehen, Miß Miggs, um, sobald der Henker fort war, sich in einem solchen Ausbruche von Aengsten und Nöthen zu ergehen (wie sie sagte, in Folge gewisser zarter Dinge, welche Herr Dennis ihr zu eröffnen die Frechheit und Anmaßung gehabt hatte), daß das Herz der kleinen Dolly recht eigentlich zum Schmelzen kam. In der That sagte und that sie auch so viel, um die verletzten Gefühle der Miß Miggs zu beschwichtigen, und sah dabei so schön aus, daß die ehrsame Jungfer ihr auf der Stelle hätte das Gesicht zerkratzen müssen, wenn sie nicht hinreichend Gelegenheit gehabt haben würde, ihren übersprudelnden Groll durch das Vorgefühl dessen, was der Aermsten bevorstand, zu sättigen.



 << zurück weiter >>