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Neunundvierzigstes Kapitel.

Der Pöbelhaufen hatte sich gleich bei dem ersten Zusammenlauf in vier Divisionen getheilt: in die von London, die von Westminster, die von Southwark und die schottische. Da jedoch diese Divisionen in verschiedenen Corps, die in allerlei Figuren aufgestellt waren, ihre Unterabtheilungen hatten, so war die Anordnung (mit Ausnahme einiger Häuptlinge und Führer) der Masse so unverständlich, als der Plan einer großen Schlacht einem gemeinen Soldaten. Es gebrach ihr jedoch nicht an Methode, denn bald nach dem Aufbruche hatten die Schaaren sich in drei große Haufen gesondert, um ganz in der Lage zu seyn, dem Uebereinkommen gemäß, auf verschiedenen Brücken den Fluß zu kreuzen und in getrennten Detachements gegen das Haus der Gemeinen vorzurücken.

An der Spitze der Abtheilung, welche sich vermittelst der Westminsterbrücke dem Schauplatze ihrer Thätigkeit nähern sollte, stand Lord George selbst – ihm zur Rechten Gashford und etliche Schufte von dem heillosesten Aussehen, die eine Art von Generalstab um ihn bildeten. Die Führung des zweiten Haufens, welcher bei Blackfriars vorrücken sollte, war einem leitenden Comitee, das ungefähr aus zwölf Männern bestand, anvertraut, während der dritte, welcher über die Londonbrücke und durch die Hauptstraßen ziehen sollte, damit ihre Zahl und ihre ernstliche Absicht von den Bürgern besser erkannt und gewürdigt werden möchte, von Simon Tappertit (nebst einigen Subalternen aus der Brüderschaft der vereinigten Bullenbeißer), Dennis, dem Henker, Hugh und etlichen Andern angeführt wurde.

Sobald das Commandowort gegeben war, schlug jede dieser großen Abtheilungen die ihr angewiesene Richtung ein und zog stille und in vollkommener Ordnung ab. Der durch die City marschierende Haufen war viel stärker, als die andern, und bildete eine so merkwürdig lange Reihe, daß die Vorderen fast schon vier Meilen zurückgelegt hatten, ehe sich der Nachtrab in Bewegung setzte, obgleich sie drei Mann hoch, und jedes Glied dicht hinter dem andern einherzogen.

Hugh hatte in seiner tollen Laune Barnaby an die Spitze dieser Abtheilung gestellt, und so marschirte derselbe zwischen diesem seinem gefährlichen Freunde und dem Henker, wie mancher unter den Tausenden, welche an diesem Tage Zuschauer waren, sich nachher noch recht gut erinnerte. Alles Uebrige in der Entzückung des Augenblicks vergessend, glühte sein Angesicht, und seine Augen leuchteten vor Wonne. Wie er da, ohne auf die Last des großen Banners, das er trug, sondern nur auf dessen Blitzen in der Sonne und das Rauschen in dem Sommerwinde zu achten, stolz, glücklich und über alle Beschreibung hochgetragen, einhermarschirte – das einzige leichtherzige, arglose Wesen in dem ganzen Gewühl!

»Wie kömmt dir dieß vor?« fragte Hugh, als sie durch die überfüllten Straßen zogen und nach den Fenstern hinaufschauten, an denen sich die Zuschauer drängten. »Sie sind wohl Alle ausgezogen, um unsere Flaggen und Fahnen zu sehen? He, Barnaby? Gelt, Barnaby ist der bedeutendste Mann in dem ganzen Haufen! Seine Fahne ist die größte und auch die prächtigste. Keiner in der ganzen Parade kann sich mit Barnaby messen. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Ha, ha, ha!«

»Macht keinen solchen Lärm, Bruder,« brummte der Henker mit einem mißbilligenden Blicke auf Barnaby. »Hoffentlich meint er doch nicht, es gäbe nichts zu thun, als diesen blauen Fetzen zu tragen, wie ein Junge, der in die Vakanz zieht. Ich hoffe, daß Ihr auch zum Handeln bereit seyd, he? Euch mein' ich,« fügte er bei, indem er Barnaby rauh mit dem Ellenbogen anstieß.

Barnaby, der eben bewundernd seine Fahne betrachtet hatte, schaute nun mit einem leeren Blick auf den Frager und dann auf Hugh.

»Er versteht Eure Redeweise nicht,« sagte der Letztere.

»Nun, so will ich mich deutlicher aussprechen, Barnaby, alter Knabe, merkt auf, was ich Euch sage.«

»Ich will aufmerken,« entgegnete Barnaby, indem er ängstlich umherschaute; »aber ich wollte, daß ich sie irgendwo sehen könnte.«

»Wen sehen?« fragte Dennis in barschem Tone. »Ihr seyd doch hoffentlich nicht verliebt, Bruder? Ihr wißt, so was können wir jetzt nicht brauchen. 's handelt sich jetzt um keine Liebesangelegenheiten.«

»Sie würde sich zuverlässig etwas auf mich einbilden, wenn sie mich sehen könnte, he, Hugh?« sagte Barnaby. »Müßte es nicht ihr Herz erfreuen, wenn sie mich an der Spitze dieses großen Haufens erblickte? Ich weiß, sie würde Freudenthränen weinen. Wo mag sie nur jetzt seyn? Sie sieht mich nie, wenn ich mich am besten ausnehme, und was kümmert mich alle Schönheit und Lust, wenn sie nicht dabei ist.«

»Nun, was ist das für ein Gesalbader?« fragte Dennis im Tone der äußersten Verachtung. »Wir haben doch hoffentlich keine sentimentalen Mitglieder unter uns.«

»Das braucht Euch nicht zu beunruhigen, Bruder,« rief Hugh; er spricht nur von seiner Mutter.«

»Von was?« entgegnete Herr Dennis mit einem tüchtigen Fluche.

»Von seiner Mutter.«

»Und habe ich mich dieser Section da angeschlossen und bin ich an diesem denkwürdigen Tage ausgerückt, um Männer von ihren Müttern schwatzen zu hören?« brummte Dennis in hohem Aerger, »'s ist schon schlimm genug, wenn ein Mann von seinem Schatz spricht, aber gar von seiner Mutter!«

Dabei steigerte sich sein Widerwille so sehr, daß er auf den Boden spie und kein Wort mehr sagen mochte.

»Barnaby hat Recht,« rief Hugh mit einem Grinsen, »und ich sage es gleichfalls. Doch schau einmal, du kühner Junge – wenn sie nicht hier ist, um dich zu sehen, so liegt der Grund darin, weil ich für sie gesorgt und weil ich ihr ein Halbdutzend Gentlemen, jeden mit einer blauen Fahne (aber nicht halb so schön, als die deinige) geschickt habe, um sie in vollem Staat nach einem Hause zu führen, wo Alles voll goldener und silberner Banner hängt, und wo du Alles finden würdest, was nur dein Herz erfreuen könnte. Dort wartet sie, bis du kömmst, und leidet an nichts Mangel.«

»Ah!« entgegnete Barnaby mit vor Wonne strahlendem Gesichte; »ist das wirklich wahr? Nun, so etwas höre ich gerne. Das ist schön! Guter Hugh!«

»Aber, Gott behüte, das ist noch gar Nichts gegen das, was kommen wird,« entgegnete Hugh mit einem Blinzeln gegen Dennis, der seinen neuen Waffenbruder mit großem Erstaunen ansah.

»Ei, in der That?« rief Barnaby.

»Nein, gar nichts,« sagte Hugh. »Geld, aufgekrämpte Hüte und Federn, rothe Röcke und Goldborten, die schönsten Goldborten, die schönsten Sachen, die es gibt, gegeben hat oder geben wird – Alles gehört uns, wenn wir treu sind gegen jenen braven Gentleman – den besten Herrn von der Welt. Wir brauchen unsere Fahnen nur ein paar Tage zu tragen und zu behaupten. Weiter haben wir nichts zu thun.«

»Weiter nichts?« rief Barnaby mit funkelnden Augen, indem er den Schaft seiner Fahne fester umfaßte. »Nun, ich stehe Euch dafür, dieß soll gut genug behauptet werden. Ihr habt sie in gute Hände gegeben. Hugh kennt mich. Niemand soll sie meinen Händen entreißen.«

»Wohl gesprochen!« rief Hugh. »Ha, ha! Edel gesprochen! Das ist noch der alte, wackere Barnaby, mit dem ich manchen und manchen Tag geklettert und gesprungen bin – ich wußte es ja, daß ich mich in Barnaby nicht täuschen würde. – Seht Ihr denn nicht, Mensch,« fügte er flüsternd bei, indem er an Dennis Seite schlüpfte,« daß dieser Bursche ein Naturmensch ist, mit dem man Alles anfangen kann, wenn man nur auf dem rechten Wege an ihn kömmt. Ein Bischen Verrücktheit abgerechnet, ist er allen Ernstes ein ganzes Dutzend Männer werth, und Ihr werdet's selber finden, wenn Ihr einmal mit ihm anbinden wollt. Ueberlaßt ihn nur mir. Ihr werdet bald sehen, ob er von Nutzen ist oder nicht.«

Herr Dennis nahm diese erklärenden Bemerkungen mit vielem Kopfnicken und Augenblinzeln hin und beobachtete von diesem Augenblicke an ein weit schonenderes Benehmen gegen Barnaby. Hugh legte den Finger an seine Nase, trat an seinen vorigen Platz zurück und zog stumm weiter.

Zwischen zwei und drei Uhr Nachmittags trafen die drei großen Abtheilungen bei Westminster zusammen, wo sie sich in eine ungeheure Masse vereinigten und ein furchtbares Geschrei erhoben. Dies geschah nicht blos, um ihre Anwesenheit kund zu thun, sondern galt zugleich als ein Signal für diejenigen, welchen die Aufgabe zu Theil geworden war, die Vorhöfe der beiden Häuser, die verschiedenen Zugänge und die Gallerietreppen zu besetzen. Nach den letzteren eilten nun Hugh und Dennis, ihren Zögling mit sich schleppend, nachdem dieser seine Fahne einem Andern aus ihrer Abtheilung übergeben hatte, welcher sich damit an der Außenthüre aufpflanzte. Da die Andern hinten nachdrängten, so wurden sie, wie von einer großen Woge, bis an die Thüre der Gallerien getragen, von wo aus sie wegen des Gedränges, das die Zugänge verstopfte, nicht mehr zurück konnten, selbst wenn sie gewollt hätten. Man pflegt von einer großen Menschenmasse zu sagen, daß man den Leuten hätte auf den Köpfen gehen können. Bei dem gegenwärtigen Anlasse war dieß wirklich der Fall, denn ein Knabe, der, weiß Gott wie, unter das Gewühl gekommen und in augenscheinlicher Erstickungsgefahr war, kletterte auf die Schulter eines neben ihm stehenden Mannes und spazierte auf den Hütten und Köpfen der Leute in die offene Straßen hinaus, auf seinem Wege die ganze Länge von zwei Treppen und einer langen Gallerie zurücklegend. Doch auch dort war der Schwarm nicht minder dicht, denn ein unter das Gewühl geworfener Korb hüpfte von Kopf zu Kopf, von Schulter zu Schulter und wirbelte darüber hin, bis man nichts mehr von ihm sehen konnte, ohne auch nur ein einzigesmal zwischen den Leuten nieder zu fallen oder dem Boden nahe zu kommen.

Durch dieses ungeheure Gedränge – unter welchem sich wohl hin und wieder einige ehrliche Eiferer befinden mochten, das aber bei Weitem der Mehrzahl nach aus dem wahren Abschaum und Auswurf Londons bestand, dessen Gedeihen durch schlechte Kriminalgesetze, heillose Gefängnißeinrichtungen und die möglichst erbärmliche Polizei üppig genährt wurde – mußten sich diejenigen Mitglieder der beiden Parlamentshäuser, welche nicht vorsichtig genug gewesen waren, sich schon früher auf ihrem Posten einzufinden, durchkämpfen und gewaltsam Bahn brechen. Ihre Wagen wurden angehalten und zerbrochen, die Räder abgerissen, die Fensterscheiben in tausend Stücke zerschmissen, die Thüren eingeschlagen, Kutscher, Laquaien und Herren von ihren Sitzen heruntergerissen und in den Koth geworfen. Lords, Gemeine und hochwürdige Bischöfe wurden ohne Unterschied des Ranges umhergeworfen, gezwickt und mit Füßen getreten, durch unterschiedliche Abstufungen der Mißhandlung weiter und weiter geschoben und endlich, mit zerfetzten Kleidern, abgerissenen Haarbeuteln, über und über mit Puder bestreut, der ihnen mit Schlägen und Ohrfeigen aus dem Haare geklopft worden, sprach- und athemlos ihren Collegen zugeschickt. Ein Lord befand sich so lange in den Händen des Pöbels, daß die Pairs bereits entschlossen waren, in Masse hinauszudringen und ihn zu retten, was sie auch eben auszuführen im Begriffe waren, als zum Glück der Mißhandelte unter ihnen erschien, aber so mit Staub und Beulen bedeckt, daß ihn seine besten Freunde kaum zu erkennen vermochten. Das Getümmel und der Aufruhr nahmen mit jedem Augenblicke zu. Die Luft donnerte von Flüchen, Geheul und Zetergeschrei. Der Pöbel wüthete und tobte unablässig, wie ein tolles Ungeheuer, und jede neue Unbill, die er übte, diente nur dazu, seinen Muth zu steigern.

Im Hause selbst war die Sachlage sogar noch drohender. Lord George, vor ihm ein Mann, der die ungeheure Petition in Tragriemen durch die Vorhalle bis zur Thüre des Hauses der Gemeinen schleppte, wo sie von zwei Pedellen des Hauses entgegengenommen und zur Vorlegung auf den Tisch hinaufgelüpft wurde – hatte seinen Sitz in Zeiten und lange vorher eingenommen, ehe der Sprecher seine Gebetsformel verlas. Da seine Anhänger gleichzeitig mit ihm hereinströmten, so waren, wie wir gesehen haben, Vorhalle und Zugänge in einem Nu angefüllt. Die Mitglieder wurden demnach nicht blos auf den Straßen angegriffen, sondern auch innerhalb der Mauern des Parlaments bedrängt, wie denn auch überhaupt der Tumult innen und außen so groß war, daß diejenigen, welche zu sprechen versuchten, kaum ihr eigenes Wort hören, geschweige denn sich über das für die Sachlage passende Verfahren berathschlagen oder sich gegenseitig zu einem würdevollen und beharrlichen Widerstand ermuthigen konnten. So oft sich ein eben angekommenes Mitglied mit zerrissenen Gewändern und zerrauften Haaren durch das Gedränge in die Vorhalle kämpfte, erscholl jedesmal ein gellendes Triumphgeschrei; und wenn die Thüre des Hauses, die man den Ankommenden nur behutsam und theilweise öffnete, einen flüchtigen Blick in das Innere thun ließ, so wurde der Haufen noch wilder und wüthender, wie Raubthiere, die eine Beute erspähen, und stürmte gegen das Portal an, so daß Schloß und Riegel krachten und sogar das Gebälk erzitterte.

Die Fremdengallerie, welche sich unmittelbar über der Thüre des Hauses befand, war leer, da man sie auf das erste Gerücht von Unruhen hin hatte schließen lassen, und nur Lord George nahm hin und wieder dort seinen Platz, um bequemer nach der zu ihr führenden Treppe zu gelangen und dem Volke Nachrichten über die Vorgänge im Innern mittheilen zu können. Auf dieser Treppe hatten Barnaby, Hugh und Dennis sich aufgepflanzt. Sie bestand aus zwei kleinen, steilen, schmalen, parallel laufenden Stiegen vor zwei in einen niedrigen Gang führenden Thürchen, von wo aus man in die Gallerie gelangte. Dazwischen befand sich ein schräges Fenster ohne Scheiben, durch welches die achtzehn bis zwanzig Fuß weiter unten gelegene Vorhalle Luft und Licht erhielt.

Auf einer dieser kleinen Stiegen – nicht auf der, an welcher Lord George von Zeit zu Zeit zum Vorschein kam, sondern auf der andern – sah man Gashfords verschmitztes Gesicht, der die Ellenbogen auf das Geländer stützte und das Kinn auf seiner Hand ruhen ließ. So oft er diese Haltung auch nur im Mindesten veränderte – wenn auch nur durch die leiseste Bewegung seines Armes – so konnte man darauf zählen, daß der Tumult sich nicht nur in seiner Nähe, sondern auch in der Vorhalle draußen steigerte; denn ohne Zweifel stand an letzterem Platze ein Mensch, der beharrlich nach dem Secretär aufsah, ihn beobachtete und den Uebrigen gewissermaßen zum Telegraphen diente.

»Ruhe!« rief Hugh mit einer Stimme, die sogar die brüllende Menge übertönte, als Lord George oben an der Treppe erschien. »Neuigkeiten! Neuigkeiten von Mylord!«

Aber der Lärm machte demungeachtet fort, bis Gashford umschaute. Nun trat eine augenblickliche Stille ein – selbst unter den Leuten auf den Gängen draußen und auf den andern Treppen, welche nichts von dem Signale sehen oder hören konnten, aber demungeachtet mit wunderbarer Schnelligkeit Kunde davon erhielten.

»Gentlemen,« sagte Lord George, der sehr blaß und aufgeregt war, »wir müssen beharrlich seyn. Man spricht von Aufschub, aber wir dürfen es nicht dahin kommen lassen. Man spricht davon, unsere Petition am nächsten Dienstag in Erwägung zu ziehen, aber wir müssen dafür sorgen, daß es jetzt geschieht. Die Aussichten auf einen guten Erfolg sind zur Zeit noch schlecht, aber es muß und wird gelingen!"

»Es muß und wird gelingen!« echoete der Pöbel.

Und unter dem Gebrüll und Beifallsrufe desselben verbeugte er sich, ging wieder hinein und kam bald darauf wieder zurück. Eine zweite Geberde von Seiten Gashfords bewirkte augenblicklich eine Todtenstille.

»Ich fürchte,« sagte er dießmal, »daß wir wenig Grund haben, Gentlemen, uns von den Verhandlungen des Parlaments Abhülfe zu versprechen. Wir müssen daher unsern Beschwerden selbst abhelfen, müssen uns wieder versammeln und unser Vertrauen auf die Vorsehung sehen, die unsere Bemühungen mit einem glücklichen Erfolge krönen wird.«

Da diese Anrede etwas gemäßigter war, als die vorige, so wurde sie lange nicht so günstig aufgenommen. Der Lärm und der Unwille hatte so ziemlich seine höchste Höhe erreicht, als er noch einmal zurückkam und berichtete, das Gerücht von dem Aufstande habe sich viele Meilen weit verbreitet; wenn der König höre, in welcher Masse sie sich versammelt hätten, so zweifle er nicht im Geringsten, Seine Majestät werde Privatordre erlassen, daß ihren Wünschen willfahrt werde; und so fuhr er noch eine Weile mit derselben, kindischen Unsicherheit und Unentschlossenheit, welche für seine Sache charakteristisch war, zu sprechen fort, als an der Thüre, wo er stand, plötzlich zwei Herren erschienen, sich an ihm vorbei drängten, einige Treppen herunterstiegen und dem Volk die Stirne boten.

Die Kühnheit dieses Benehmens übte die Wirkung einer plötzlichen Ueberraschung. Auch wurde die Verblüffung des Pöbels nicht gemindert, als einer der Herren sich an Lord George wandte und ihn mit lauter, aber ruhiger und gefaßter Stimme, so daß man ihn recht gut verstehen konnte, folgendermaßen anredete:

»Ihr mögt, wenn es Euch beliebt, diesen Leuten sagen, Mylord, daß ich General Conway bin, von dem sie schon gehört haben werden, und daß ich mich dieser Petition, wie auch ihrem und Eurem Treiben entgegenstemme. Ihr könnt ihnen sagen, daß ich ein Soldat und die Freiheit dieses Platzes mit meinem Schwerte zu schützen Willens bin. Ihr seht, Mylord, daß die Mitglieder dieses Hauses an dem heutigen Tage in Waffen ihre Sitzungen halten; auch ist Euch bekannt, wie enge der Eingang dazu ist, und Ihr müßt wissen, daß sich Männer innerhalb dieser Mauern befinden, die entschlossen sind, diesen Paß bis auf's letzte zu vertheidigen, und von deren Waffe mancher fallen wird, wenn Eure Anhänger so fortfahren. Seht Euch vor, was Ihr thut.«

»Und Mylord George,« sagte der andere Gentlemen, ihn in der gleichen Weise anredend, »ich wünsche, daß ihr dieß von mir höret – von Obrist Gordon – Eurem nahen Verwandten. Wenn einer unter dieser Bande, deren Tumult uns taub macht, über die Schwelle dieses Hauses der Gemeinen tritt, so ist es hoch und theuer geschworen, daß ich in demselben Augenblick meinen Degen – nicht ihm, sondern Euch in den Leib rennen werde!«

Damit traten sie wieder zurück, die Gesichter fortwährend der Menge zugekehrt, worauf jeder einen Arm des irregeleiteten Lord nahm, den sie in den Gang hineinzogen; dann schlossen und verriegelten sie die Thüre von innen.

Dieß war so rasch vor sich gegangen und das Benehmen der beiden Herren – die nicht mehr zu den jungen gehörten – so entschlossen und ritterlich gewesen, daß die Menge wankte und sich mit schüchternem Blicke gegenseitig anstierte. Viele machten den Versuch, die Thüre zu gewinnen; einige der Muthlosesten riefen, man würde am besten thun, heimzugehen, und baten ihre Hintermänner, Platz zu machen. Der panische Schreck und die Verwirrung griffen reißend um sich, als endlich Gashford Hugh zuflüsterte.

»Was soll das?« brüllte Hugh der Menge zu. »Warum zurückgehen? Wo könntet Ihr besser an Eurem Orte seyn, als hier, Jungen? Ein guter Anlauf gegen diese Thüren und ein gleichzeitiger unten – das ist Alles, was wir brauchen. Vorwärts also! Wer sich an der Thüre drunten fürchtet, soll zurücktreten, damit die Herzhaften versuchen können, wer sich zuerst den Eingang erzwingt. Es muß gehen! Acht gegeben!«

In einem Nu hatte er sich über das Geländer in die Vorhalle hinuntergeworfen, und kaum stand er auf dem Boden, als Barnaby sich schon an seiner Seite befand. Der Gehülfe des Kaplans und einige Mitglieder des Hauses, welche damit beschäftigt waren, die Leute durch Bitten zum Rückzug zu veranlassen, eilten hastig von hinnen, und dann warfen sich beide Haufen in buntem Durcheinander und unter lautem Gejubel auf die Thüren, das Haus in allem Ernst belagernd.

Ein zweiter Angriff hätte nothwendig erfolgreich seyn und die Bande in einen Kampf mit denen verwickeln müssen, die zur Vertheidigung innen standen, was unausbleiblich ein großes Gemetzel zur Folge gehabt haben würde; aber in dem Augenblicke, als dieser geschehen sollte, wichen die Hintersten zurück, und das Gerücht ging von Mund zu Mund, daß man zu Wasser einen Boten abgeschickt habe, um Militär herbeizuholen, das sich bereits in den Straßen aufstelle. Die Furcht, einen Angriff in den engen Zugängen aushalten zu müssen, wo das Gesindel so dicht in einander gekeilt war, veranlaßte ein eben so ungestümes Entweichen, als die Bande hereingestürmt war. Da der ganze Sturm mit einemmale umlenkte, so wurden auch Barnaby und Hugh mit fortgerissen; und so flüchtete allmälig, kämpfend, zertretend und abwechselnd selbst unter die Füße getreten werdend, die ganze Masse in die offene Straße hinaus, wo bereits eine große Abtheilung der Leibgarde, sowohl Reiterei als Infanterie, aufgerückt war, die den Raum so rasch vor sich her lichtete, daß das Volk wie Schnee vor ihren Tritten zu schmelzen schien.

Auf das Commandowort »Halt!« versperrten die Soldaten die Straße in die Quere, und die Aufrührer, durch ihre letzten Anstrengungen athemlos und erschöpft, bildeten sich gleicherweise zu einer freilich sehr unregelmäßigen und ungeordneten Colonne. Der commandirende Offizier ritt hastig zwischen den offenen Raum der beiden Abtheilungen, von einer Magistratsperson und einem Beamten von dem Hause der Gemeinen begleitet, denen ein paar Reiter ihre Pferde hatten abtreten müssen. Die Aufruhrakte wurde verlesen, aber Niemand rührte sich von der Stelle.

Hugh und Barnaby standen Seite an Seite in der vordersten Reihe der Insurgenten. Letzterem hatte Jemand beim Herausdrängen auf die Straße seine köstliche Flagge wieder in die Hand gegeben, die er behutsam und fest hielt; sie war jetzt aufgerollt und, um die Stange gebunden, so daß sie wie ein riesiger Kampfstock aussah. Wenn je ein Mensch aus vollem Herzen und mit ganzer Seele bei einer gerechten Sache betheiligt und verpflichtet zu seyn glaubte, seinem Führer bis auf den letzten Augenblick anzuhängen, so war dieß bei dem armen Barnaby gegenüber dem Lord George Gordon der Fall.

Nach einem vergeblichen Versuche, sich Gehör zu verschaffen, gab die Magistratsperson das Zeichen und die Cavallerie ritt auf die Haufen ein. Aber auch dann noch galopirte der Friedensbeamte dahin und dorthin, um die Leute zu ermahnen, daß sie sich fortbegeben sollten, und obgleich schwere Steinwürfe die Mannschaft trafen und mitunter verzweifelt beschädigten, so war doch nur Ordre gegeben worden, blos die thätigsten Anführer zu greifen, im Uebrigen aber das Gesindel mit der flachen Klinge auseinander zu jagen. Sobald die Pferde eindrangen, machte der Haufen an vielen Punkten Platz, und die Garden, die ihren Vortheil verfolgten, räumten tüchtig auf, als zwei oder drei der Vordersten, die durch die wogende Volksmasse von ihrer Mannschaft abgeschnitten waren, geraden Wegs auf Barnaby und Hugh, welche man ihnen ohne Zweifel als diejenigen, die in die Vorhalle hinuntergesprungen waren, bezeichnet hatte, losgeritten kamen. Sie hieben jetzt etwas nachdrücklicher um sich und versetzten den ungestümsten ihrer Gegner einige leichte Fleischwunden, in Folge derer da und dort einer stöhnend und viel Verwirrung veranlassend einem Kameraden in die Arme fiel.

Bei dem Anblick klaffender Wunden und blutiger Gesichter, die einen Augenblick in dem Gedränge sichtbar wurden und dann wieder unter der Masse verschwanden, wurde Barnaby blaß und unwohl. Demungeachtet aber wich er nicht von der Stelle und heftete, seine Stange noch fester umfassend, sein Auge auf den nächsten Soldaten. Hugh flüsterte ihm mit grimmigem Gesichte etwas in's Ohr, worauf er blos mit dem Kopfe nickte.

Der Soldat sprengte näher heran, ließ sein Roß sich bäumen, wenn das Volk auf ihn eindrang, hieb nach den Händen derjenigen, die nach den Zügeln greifen und sein Pferd zurücktreiben wollten, und winkte seinen Kameraden, ihm zu folgen. Noch immer stand Barnaby da, keinen Zoll breit von der Stelle weichend und des Herankommenden harrend. Einige riefen ihm zu, er solle fliehen, und andere waren eben im Begriffe, sich um ihn zu schaaren, damit er nicht gefangen würde, als die Stange über den Häuptern der Nahestehenden wegflog und der Sattel des Soldaten in einem Nu leer war.

Dann wandte er sich mit Hugh um und floh. Die Menge trat auseinander, um sie durchzulassen, und schloß sich wieder eben so rasch hinter ihnen, weßhalb man die von ihnen eingeschlagene Richtung nicht verfolgen konnte. Keuchend, von Staub bedeckt, mit glühenden Gesichtern und durch die Anstrengung erschöpft, erreichten sie wohlbehalten das Flußufer, wo sie mit aller Eile in ein Boot sprangen, das sie bald aus dem Bereiche unmittelbarer Gefahr führte.

Während sie den Strom hinabglitten, hörten sie deutlich den Jubelruf des Volkes, und in der Meinung, die Soldaten wären zum Rückzug gezwungen worden, ließen sie die Ruder einige Minuten ruhen, unschlüssig, ob sie zurückkehren sollten, oder nicht. Aber die über die Westminsterbrücke ziehenden Massen überzeugten sie bald, daß das Gesindel sich zerstreute, woraus Hugh ganz richtig folgerte, das Gejubel habe wohl der Magistratsperson gegolten, die wahrscheinlich versprochen habe, das Militär abziehen zu lassen, wenn die Tumultuanten sich auf der Stelle nach Hause begäben. Sie hielten es daher für räthlich, ihre Flucht fortzusetzen. Hugh meinte, sie sollten bis Blackfriars fahren, an der Brücke landen und sehen, wie sie nach dem Stiefel kämen, wo sie nicht nur Erfrischung und ein sicheres Unterkommen, sondern auch zuverlässig viele von ihren Kameraden antreffen würden. Barnaby willigte ein, und so ruderten sie gen Blackfriars weiter. Sie stiegen in einem kritischen Augenblicke und, zum Glücke für sie, noch gerade zu rechter Zeit an's Land, denn als sie in die Fleet-Straße kamen, fanden sie dort alles in einer ungewöhnlichen Aufregung. Auf ihre Frage, was es gäbe, sagte man ihnen, daß eine Abtheilung der Garde zu Pferd eben durchgekommen sey, um einige Aufrührer, die sie zu Gefangenen gemacht hatte, nach Newgate in Gewahrsam zu bringen. Sie waren froh, mit so knapper Noth dem Reitertrupp entkommen zu seyn, und verloren keine Zeit mit weiterem Fragen, sondern eilten so schnell, als Hugh es für nöthig hielt, um nicht aufzufallen oder eine unbequeme Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dem Stiefel zu.



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