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Neunundfünfzigstes Kapitel.

Es ist nöthig, daß wir nach dieser Wendung der Dinge zu Hugh zurückkehren, der, wie wir gesehen haben, die Empörer aufforderte, von dem Kaninchenhag abzuziehen, sich zu zerstreuen und auf dem gewöhnlichen Sammelplatze wieder einzutreffen, worauf er in der Dunkelheit, aus der er aufgetaucht, verschwand und in jener Nacht nicht mehr sichtbar wurde.

Er machte in dem Gebüsche, das ihn vor den Blicken seiner tollen Gefährten verbarg, Halt und wartete, um sich zu überzeugen, ob sie seiner Aufforderung zum Rückzuge Folge leisten, oder ob sie noch bleiben und auf's Neue nach ihm rufen würden. Einige waren, wie er wohl sah, durchaus nicht geneigt, ohne ihn zu gehen, und wandten sich der Stelle zu, wo er sich verborgen hatte, als wollten sie seinen Fußtritten folgen und ihn drängen, zurück zu kommen; da es jedoch diesen Leuten, denen noch obendrein ihre Freunde zuriefen, nicht sehr darum zu thun war, sich in die dunkleren Partieen der herrschaftlichen Güter zu wagen, wo sie leicht überrascht und aufgegriffen werden konnten, wenn ihnen etwa einige Nachbarn oder Angehörige der Familie unter den Bäumen auflauerten, so gaben sie diesen Gedanken bald wieder auf, sammelten in der Eile ein Häuflein Gleichgesinnter und zogen mit ihnen ab.

Sobald Hugh Gewißheit hatte, daß die große Masse der Rebellen diesem Beispiele folgte und der Grund sich hastig lichtete, stürzte er in den dichtesten Theil des kleinen Gehölzes und brach sich durch die krachenden Zweige geraden Weges nach einem fernen Lichte Bahn, das ihm, nebst der düstern Glut hinter ihm, zum Führer diente. Als er dem blinkenden Leuchtthurme, dem er seine Schritte zulenkte, näher und näher kam, begann sich der rothe Schein einiger Fackeln zu enthüllen, und die Stimmen von Männern, die in gedämpftem Tone mit einander sprachen, unterbrachen hin und wieder das Schweigen, das hier, mit Ausnahme des ferne her tönenden Gejubels, obwaltete. Endlich hatte er das Gehölz hinter sich; er sprang über einen Graben und stand jetzt in einem dunkeln Hohlwege, wo ein kleiner Haufen übel aussehender Hallunken, die er vor etwa zwanzig Minuten verlassen hatte, mit Ungeduld seiner Ankunft entgegen sah.

Sie hatten sich um eine alte Postchaise, die sie selbst kutschirten, und auf deren Handpferd Einer aus ihrer Mitte saß, versammelt. Die Blenden waren aufgezogen und an den beiden Fenstern hielten Herr Tappertit und Herr Dennis Wache. Der Erstere hatte sich das Kommando über den Trupp angemaßt, denn er rief den näherkommenden Hugh an, worauf diejenigen, welche sich um den Wagen herum auf den Boden gelegt hatten, aufsprangen und sich um ihn schaarten.

»Nun,« fragte Simon mit leiser Stimme; »ist Alles in Ordnung?«

»So ziemlich,« antwortete Hugh in demselben Tone. »Sie zerstreuen sich jetzt – und hatten schon angefangen, ehe ich sie verließ.«

»Und ist das Feld frei?«

»Für unsere Leute denke ich wohl,« sagte Hugh. »Es wird nicht viele geben, die, wenn sie von ihrer Arbeit dort wissen, heute Nacht mit ihnen anbinden möchten. – Hat Keiner einen Trunk bei sich?«

Jeder hatte bei der Plünderung des Kellers sich Einiges zugeeignet; es wurden ihm daher im Nu ein halb Dutzend Flaschen angeboten. Er wählte die größte, setzte sie an seinen Mund und goß den Wein gurgelnd in seine Kehle hinunter. Nachdem er sie geleert hatte, warf er sie weg und streckte die Hand nach einer andern aus, die er in gleicher Weise mit einem Zuge austrank. Eine dritte leerte er nur zur Hälfte, um den Rest zum Beschlusse aufzubewahren; dann sagte er:

»Habt Ihr nicht auch etwas zu essen? Ich bin so hungrig, wie ein gieriger Wolf. Welcher von euch war in der Speisekammer, he?«

»Ich, Bruder,« antwortete Dennis, seinen Hut herunternehmend und in der Krone desselben nachsuchend. »Es muß da irgendwo ein Stück kalte Wildpretpastete seyn, wenn's Euch damit gedient ist.«

»Ob's mir damit gedient ist?« rief Hugh, indem er sich an den Weg setzte. »Nur her da! Hurtig! Leuchte mir Einer, und steht um mich herum! Ich will mein Nachtessen staatsmäßig einnehmen, meine Jungen. Ha, ha, ha!«

Da Alle tief in's Glas geguckt hatten und eben so wild waren, als er selbst, so gingen sie auf seine lärmende Stimmung ein und stellten sich um ihn herum, während zwei von ihnen, welche Fackeln hatten, rechts und links an seine Seite traten, um ihm zu leuchten, damit er nicht genöthigt seyn möchte, sein Bankett in der Dunkelheit abzuhalten. Inzwischen war es Herrn Dennis gelungen, ein großes Pastetenstück, welches er so dicht in seinen Hut hinein gekeilt hatte, daß es kaum wieder herausgehen wollte, loszubringen, und legte es ihm vor, worauf Hugh von Einem aus dem Trupp ein schartiges, zackiges Messer borgte, und dann mit aller Macht über sein Mahl herfiel.

»Ich möchte Euch empfehlen, Bruder, alle Tage ein Stündlein vor dem Essen ein Bischen Feuer zu schlucken,« sagte Dennis nach einer Pause. »Es scheint Euch zuzuschlagen und Euern Appetit zu reizen.«

Hugh sah zuerst nach ihm, dann nach den geschwärzten Gesichtern auf, die ihn umgaben; worauf er für einen Augenblick seine Mahlzeit unterbrach, um das Messer über seinem Kopfe zu schwingen, und in ein brüllendes Gelächter ausbrach.

»Wollt Ihr Ordnung halten, he?« rief Simon Tappertit.

»Ei, sollte es einem Manne nicht erlaubt seyn, sich gütlich zu thun, edler Capitän,« versetzte sein Lieutenant, indem er die Männer, die dazwischen standen, mit dem Messer auseinander wies, um nach Simon hinsehen zu können, »sich ein Bischen gütlich zu thun nach einer Arbeit, wie die meinige war? Welch ein harter Capitän! Welch ein strenger Capitän! Welch ein tyrannischer Capitän! Ha, ha, ha!«

»Ich wollte, es hielte ihm Einer von euch eine Flasche an den Mund, um ihn zur Ruhe zu bringen,« sagte Simon; »es dürfte uns sonst leicht das Militär zu Leibe rücken.«

»Und was wäre es dann?« entgegnete Hugh. »Wer kümmert sich darum? Wer fürchtet sich? Laßt sie nur kommen, sage ich, laßt sie nur kommen. Je mehr, desto luftiger. Gebt mir den kühnen Barnaby an die Seite und wir zwei wollen mit dem Militär fertig werden, ohne Einen von euch zu bemühen. Barnaby ist der rechte Kerl für die Soldaten. Barnaby soll leben!«

Da aber die Mehrzahl der Anwesenden bereits müde und erschöpft war, deßhalb auch für heute kein besonderes Verlangen nach einer zweiten Beschäftigung unterhielt, so schloß sie sich Tappertit an und drängte Hugh, sich mit seinem Nachtessen zu beeilen, denn sie hätten bereits schon zu lange gezögert. Nun wußte aber er selbst auch, obgleich er in der Glanzhöhe seiner Tollheit stand, welche Gefahr sie liefen, wenn sie länger in der Nähe des Schauplatzes ihrer kürzlichen Unthat blieben, weßhalb er ohne weitere Vorstellung sein Mahl beendigte, sich auf die Beine half, auf Herrn Tappertit zuging und ihn auf den Rücken schlug.

»Wohlan denn,« rief er, »ich bin bereit. Wir haben brave Vögel in unserm Käfig da drinnen, he? Köstliche Vögel – zarte, liebende, kleine Turteltauben. Ich habe sie eingethan – ich habe sie in den Käfig gesteckt – will doch einmal hineinsehen!«

Während dieser Worte schob er den kleinen Mann zur Seite, stieg auf den halb niedergelassenen Kutschentritt, stieß die Blende mit Gewalt nieder und stierte in den Wagen hinein, wie ein Währwolf in seine Höhle.

»Ha, ha, ha! und du hast gekracht, gezwickt und dich gesträubt, mein hübsches Schätzchen?« rief er, indem er eine kleine Hand erfaßte, die sich vergebens loszumachen bemüht war: »du, so helläugig und kirschlippig, mit einem so leckeren Leibchen? Aber ich liebe dich dafür nur um so mehr, Schätzchen. Ja, wahrhaftig. Ich wollte mir's gefallen lassen, wenn du mit dem Messer nach mir stächest, so ferne es dir Freude machte, wenn du mich nachher dafür kuriren müßtest. Dein stolzes und spöttisches Wesen gefällt mir. Du nimmst dich schöner darin aus, als je, und wen gäbe es auch, den man mit dir vergleichen könnte, mein artiges Dingelchen!«

»Nun!« sagte Herr Tappertit, der mit beträchtlicher Ungeduld Zeuge dieser Anrede gewesen; »'s ist jetzt genug damit. Kommt einmal herunter.«

Die kleine Hand unterstützte diese Erinnerung damit, daß sie Hugh's großen Kopf mit aller Gewalt zurückstieß und die Blende wieder aufzog, worüber ihr ungeschlachter Verehrer in ein schallendes Gelächter ausbrach, dem er die Betheuerung beifügte, er müsse noch einen Blick von ihr haben, denn ihr süßes Gesichtchen habe ihn beinahe toll gemacht. Die bisher unterdrückte Ungeduld des Haufens brach aber jetzt in ein offenes Murren aus, weßhalb er sein Vorhaben aufgab und sich auf den Bock setzte, wo er sich damit begnügte, von Zeit zu Zeit an die Vorderfenster des Wagens zu klopfen und einen Blick hineinzustehlen versuchte. Herr Tappertit stieg auf den Kutschentritt, hängte sich an die Thüre an und erließ von da aus mit gebieterischer Stimmung und Haltung an den Kutscher seine Befehle. Die Uebrigen setzten sich hinten auf oder rannten, so gut sie konnten, neben dem Wagen her, wobei sich Einige, Hugh's Beispiel nachahmend, bemühten, das hochgepriesene Gesichtchen zu sehen – eine Unverschämtheit, die ihnen durch Winke von Herrn Tappertit's Knüttel verwiesen wurde. So verfolgten sie ihre Richtung auf Umwegen und gewundenen Pfaden in ziemlich guter Ordnung und erträglicher Stille, nur hin und wieder Halt machend, um Athem zu schöpfen oder sich über die beste Weise, wie man nach London kommen könne, zu streiten.

Mittlerweile versuchte Dolly – die schöne, bezaubernde, herzengewinnende, kleine Dolly – ihr Haar war zerrauft, ihre Kleider zerrissen, ihre schwarzen Wimpern von Thränen feucht, ihr Busen klopfend, ihr Gesicht, jetzt blaß vor Furcht, jetzt wieder vor Unwillen purpurn geröthet, ihr ganzes Aeußere hundertmal schöner in diesem Contrast, als je zuvor – vergeblich Emma Haredale zu beruhigen und ihr einen Trost zu geben, dessen sie selbst so sehr bedurfte. Die Soldaten würden gewiß kommen; sie mußten befreit werden; es war rein unmöglich sie durch die Straßen von London zu führen, wenn sie den Drohungen ihrer Hüter Trotz boten und die Hülfe der Vorübergehenden anriefen. Sie war überzeugt – vollkommen überzeugt, daß ihnen Beistand werden mußte, wenn ihr Ruf in den besuchtesten Straßen erklang. So sagte die arme Dolly und versuchte auch, sich diese Ueberzeugung einzureden; aber der unabänderliche Schluß aller dieser Beweismittel lief darauf hinaus, daß Dolly in Thränen ausbrach, mit gerungenen Händen rief, was sie thun oder denken sollten, und wer die Ihrigen zu Hause in dem goldenen Schlüssel trösten würde; und dann schluchzte sie auf's Kläglichste.

Miß Haredale, deren Charakter sonst ruhiger war, und deren Gefühle sich weniger auf der Oberfläche zeigten, lebte in fürchterlicher Angst und war eben erst aus einer Ohnmacht zu sich gekommen. Sie war leichenblaß und ihre Hand, welche Dolly fest hielt, ganz kalt; dem ungeachtet aber bat sie ihre Leidensgefährtin, nicht zu vergessen, daß sie unter dem Schutze der Vorsehung stünden und daß viel von ihrer eigenen Klugheit abhinge; sie hätten weit bessere Aussicht, bei ihrer Ankunft in London sich Beistand zu verschaffen, wenn sie sich ruhig verhielten und dadurch die Wachsamkeit der Schurken, in deren Hände sie gefallen wären, einschläferten; wenn die Bande der Gesellschaft nicht ganz gelöst seyen, so müßte alsbald eine hitzige Verfolgung beginnen; auch sey sie vollkommen überzeugt, ihr Onkel werde weder rasten, noch ruhen, bis er sie aufgefunden und gerettet hätte. Mit diesen letzteren Worten aber verstummte sie, denn nach dem, was sie bereits gesehen und erlebt hatte, war der Gedanke, er könnte in dieser Nacht einer allgemeinen Schlächterei der Katholiken erlegen seyn, nicht gar zu ausschweifend oder unwahrscheinlich. In ihrem Entsetzen über die Schauerscenen dieser Nacht und über diejenigen, die ihnen noch vorbehalten seyn mochten; saß sie starr und fast so weiß und kalt wie Marmor da, unfähig eines Gedankens, eines Wortes oder auch nur einer Schmerzensäußerung.

Oh, wie oft, wie vielmal während dieser langen Fahrt dachte Dolly an ihren alten Liebhaber – den armen, treuen und verachteten Joe! Wie oft und vielmal rief sie sich jenen Abend in's Gedächtniß, als sie ihm in die Arme lief, flüchtig vor demselben Menschen, dessen verhaßter Blick sogar in die Dunkelheit, worin sie saß, drang und in entsetzlicher Bewunderung durch die Fensterscheiben herein schielte! Und wenn sie Joe's gedachte, was für ein tapferer Bursche er war, und wie er kühn herangeritten wäre, sich unter diese Schurken stürzend, ja, und wären es doppelt so viele gewesen – da drückte sie ihre kleinen Händchen zusammen und preßte ihren Fuß auf den Boden – der Stolz, den sie einen Augenblick darüber empfand, ein solches Herz gewonnen zu haben, schwand in einem Strom von Thränen dahin, und sie schluchzte bitterer, als je.

Als es tiefer in die Nacht hineinging und sie auf ganz unbekannten Wegen weiter fuhren – denn sie konnten keinen der Gegenstände, die ihnen hin und wieder im Fluge auftauchten, erkennen – steigerte sich ihre Angst. Auch war hiezu guter Grund vorhanden, denn wie hätte es bei zwei hübschen jungen Mädchen anders seyn können, die von einer Bande wagehälsiger Hallunken entführt wurden, ohne zu wissen, wohin, und sich den Blicken solcher Kerle aussetzen mußten? Als sie endlich in einer ihnen ganz unbekannten Vorstadt Londons anlangten, war es bereits Mitternacht vorbei und alles dunkel und leer in den Straßen. Auch war dieß noch nicht das Schlimmste, denn als der Wagen an einem abgelegenen Orte Halt machte, öffnete Hugh plötzlich den Schlag, sprang hinein und setzte sich zwischen Beide.

Es half nichts, daß sie um Hülfe riefen. Er schlang jedem der Mädchen einen Arm um den Nacken und schwur hoch und theuer, sie mit Küssen zu ersticken, wenn sie jetzt nicht so stumm wären, wie die Gräber.

»Ich bin hereingekommen, um Euch ruhig zu erhalten,« sagte er, »und dieß sind die Maßregeln, die ich dazu einschlagen will. Seyd daher mäuschenstille, meine hübschen Damen – oder machet meinetwegen Lärm, es ist mir nur um so lieber.«

Sie fuhren in gestrecktem Trabe weiter, muthmaßlich mit wenigerer Begleitung, als zuvor, denn da man die Fackeln ausgelöscht hatte, so war es zu dunkel, um mit Sicherheit darüber urtheilen zu können. Sie wichen bei seiner Berührung in die äußersten Ecken des Wagens zurück; aber Dolly mochte es machen, wie sie wollte, sein Arm umschlang ihren Leib und hielt sie fest. Schrecken und Abscheu lähmte ihre Zunge, so daß sie weder zu schreien, noch zu sprechen vermochte, aber sie zerrte an seiner Hand aus Leibeskräften, als wollte sie sich zu Tode kämpfen, kauerte sich auf den Boden, senkte das abgewendete Köpfchen und stieß ihn mit einer Gewalt zurück, über die sie eben so verwundert war, als er. Endlich machte der Wagen abermals Halt.

»Lüpft mir diese da heraus,« sagte Hugh zu dem Manne, der den Kutschenschlag öffnete, als er Miß Haredale's Hand ergriff und bemerkte, wie schwer sie niederfiel. »Sie ist ohnmächtig.«

»Um so besser,« brummte Dennis – denn dieser liebenswürdige Gentleman war es. »Dann macht sie doch keinen Lärm. Ich habe die Ohnmächtigen weit lieber, weil sie nicht sehr zärtlich und ruhig sind.«

»Könnt Ihr sie allein herausbringen?« fragte Hugh.

»Weiß nicht, bis ich's probirt habe. Ich sollt's übrigens meinen, daß ich's kann, denn ich habe zu meiner Zeit ziemlich Viele in die Höhe gebracht,« sagte der Henker. »Auf denn! Sie ist nicht leicht, Bruder; alle diese schönen Mädels da fallen ordentlich in's Gewicht. Noch einmal auf! Nun haben wir's!«

Er hatte inzwischen die junge Dame mit seinen Armen aufgerafft und stolperte mit seiner Last weiter.

»Jetzt sieh' einmal, mein hübsches Vögelchen,« sagte Hugh, indem er Dolly an sich zog. »Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe – einen Kuß für jeden Schrei. Rufe nur zu, Schätzchen, wenn du mich liebst. Schrei, einmal, Jüngferlein – nur ein einzigesmal, mein Herzkäferchen, wenn du mich liebst.«

Dolly stieß sein Gesicht mit aller Gewalt weg, senkte ihr Haupt, ließ sich aus dem Wagen nehmen und wurde nun von Hugh nach einer armseligen Hütte gebracht, wo sich bereits Miß Haredale befand. Ihr Träger drückte sie an seine Brust und ließ sie sachte auf den Boden nieder.

Arme Dolly! Sie mochte anfangen, was sie wollte – sie sah nur um so hübscher und verlockender aus. Wenn ihre Augen zornig blitzten und ihre kirschrothen Lippen leicht aus einander wichen, um ihren heftigen Athem durchzulassen, wer konnte da widerstehen? Wenn sie weinte und schluchzte, als müßte ihr das Herz brechen, wenn sie über ihr Unglück in der süßesten Stimme stöhnte, die je an das Ohr eines Hörers schlug, wer konnte da unempfindlich bleiben gegen die kleine, hinreißende Schnippischkeit, die sich selbst hin und wieder sogar in ihrem tiefen und aufrichtigen Kummer kund gab? Wenn sie, wie jetzt, in einem augenblicklichen Selbstvergessen an der Seite ihrer Freundin auf die Kniee sank, sich über sie hinbeugte, ihre Wange an die ihrige legte und den Arm um sie schlang, welches sterbliche Auge hätte sich enthalten können, nach dem zarten Leibchen, dem wallenden Haare, dem verstörten Anzuge und der völligen, unwillkürlichen Hingebung der blühenden, kleinen Schönheit hinzusehen? Wer konnte Zeuge seyn, wie sie so freigebig mit ihren Liebkosungen war, ohne zu wünschen, an Emma Haredale's Platz zu stehen – sie zu seyn, oder Dolly; entweder der umarmende oder der umarmte Gegenstand? Hugh wenigstens nicht – und eben so wenig Dennis.

»Ich will euch 'was sagen, ihr jungen Frauenzimmerchen,« begann Herr Dennis, »ich selber bin nichts für die Mädels und habe in dem gegenwärtigen Handel nichts weiter zu schaffen, als daß ich meinen Freunden hilfreiche Hand leiste; wenn ich aber noch viel derartiges Zeug sehe, so will ich's redlich gestehen, möchte ich statt des Helfers auch ein Bischen den Prinzipal spielen.«

»Warum habt Ihr uns hieher gebracht?« entgegnete Emma. »Wollt Ihr uns ermorden?«

»Ermorden?« rief Dennis indem er sich auf einem Schemel niederließ und der Fragerin sehr gnädige Blicke zusendete. »Ei mein Schätzchen, wer könnte wohl so appetitliche Hühnchen, wie Euch, ermorden wollen? Wenn Ihr mich übrigens gefragt hättet, ob man Euch hergebracht habe, um Euch mit Männern zu versorgen, so läge doch wenigstens ein Sinn darin.«

Dabei warf er Hugh einen grinsenden Blick zu, der denselben, sein Auge von Dolly abwendend, erwiederte:

»Nein, nein, von Ermorden ist keine Rede, mein Täubchen,« sagte Dennis. »Nichts der Art. Ganz im Gegentheil.«

»Ihr seyd älter, als Euer Kamerad da, Sir,« erwiederte Emma zitternd. »Habt Ihr kein Mitleid mit uns? Bedenkt Ihr nicht, daß wir Frauenzimmer sind?«

»Oh, freilich, meine Beste,« versetzte Dennis. »Es würde Einem schwer werden, es nicht zu thun, wenn man so ein paar Musterbildlein vor Augen hat. Ha, ha! O ja, ich bedenke das. Wir alle bedenken das, Miß.«

Er schüttelte dabei schalkhaft den Kopf, schielte wieder nach Hugh hin und lachte gewaltig, als hätte er Wunder was Gutes gesagt und sich wacker hervorgethan.

»Was da ermorden, mein Schatz. Nicht daran zu denken. Ich will Euch übrigens 'was sagen, Bruder,« sagte Dennis mit einem gravitätischen Blicke auf Hugh, indem er seinen Hut schief rückte, um sich bequemer hinter den Ohren kratzen zu können, »es ist doch merkwürdig und ein Beweis von der erstaunlichen Gleichheit und Würde unserer Gesetze, daß es keinen Unterschied macht zwischen Männern und Weibern. Ich habe bisweilen den Richter zu einem Straßenräuber oder Hauseinbrecher sagen hören, wenn er die Weibspersonen an Hals und Füßen gebunden – Ihr entschuldigt, mein Schätzchen, daß ich hier der Sache erwähne – und sie in den Keller gesteckt hatte – er habe keine Rücksicht für Frauenzimmer gezeigt. Nun, ich sage, daß da der Richter sein Geschäft nicht verstand, Bruder, und wenn ich der Straßenräuber oder der Hauseinbrecher gewesen wäre, so hätte ich ihm geantwortet: ›was schwatzt Ihr da, Mylord? Ich habe den Weibsbildern eben so viel Rücksicht erwiesen, als ihnen das Gesetz erweist, und was wollt Ihr weiter von mir?‹ Wenn man in den Zeitungen die Zahl der Frauenspersonen nachzählen wollte, die in den letzten zehen Jahren nur in dieser Stadt allein abgethan wurden,« fügte Herr Dennis gedankenvoll bei, »so würde man staunen über die Summe – ja, wahrhaftig, man würde es kaum glauben. 'S ist 'was Würdiges, 'was Schönes um die Gleichheit des Gesetzes; aber wir haben keine Sicherheit dafür, daß es fortbesteht. Da sie jetzt einmal angefangen haben, diese Papisten zu begünstigen, so darf man sich nicht wundern, wenn sie weiter gehen und nächster Tage auch dieß ändern. Meiner Seele, mich wenigstens nähm's nicht Wunder!«

Dieses Thema, vielleicht wegen seiner allzuausschließlichen und gewerbsmäßigen Natur, fesselte Hughs Interesse nicht in dem Grade, als sein Freund wohl erwartet hatte. Es blieb Letzterem jedoch keine Zeit, die Sache weiter zu verfolgen, denn in diesem Augenblicke trat Herr Tappertit ein, bei dessen Anblick Dolly einen Freudenschrei ausstieß, worauf sie sich geradezu in seine Arme warf.

»Ich wußte es, ich war vollkommen überzeugt davon!« rief Dolly. »Mein lieber Vater ist vor der Thüre. Gott sey Dank! Der Himmel segne Euch dafür, Sim!«

Simon Tappertit meinte Anfangs, die Tochter des Schlossers, die jetzt nicht länger im Stande sey, ihre geheime Leidenschaft für ihn zu unterdrücken, wolle nunmehr derselben den Zügel schießen lassen und mit der Erklärung herausrücken, daß sie ihm für immer angehören wolle, weßhalb er bei diesen Worten ein gewaltiges Schafsgesicht schnitt – um so mehr, da sie von Hugh und Dennis mit einem lauten Gelächter aufgenommen wurden, welches sie veranlaßte, zurückzuweichen und ihn mit ernsten, festen Blicken zu betrachten.

»Miß Haredale,« sagte Sim nach einer peinlichen Pause, »ich hoffe, Ihr habt es hier so gemächlich, als es die Umstände erlauben. Dolly Varden, mein Schätzchen – mein Leben – mein Herzenskind – ich hoffe, daß Euch in gleicher Weise nichts abgeht.«

Arme kleine Dolly! Sie erkannte jetzt, wie die Sachen standen, bedeckte das Gesicht mit ihren Händen und schluchzte noch bitterlicher, als zuvor.

»Miß Varden,« sagte Simon, indem er die Hand auf seine Brust legte, »Ihr seht jetzt in mir nicht mehr einen Lehrling, einen Arbeiter, einen Sklaven, ein Opfer der Tyrannei Eures Vaters, sondern den Führer eines großen Volkes, den Capitän einer edlen Schaar, in welcher diese Herren gewissermaßen Korporale und Sergeanten sind. Ihr erblickt in mir keine Privatperson, sondern einen öffentlichen Charakter – keinen Schloßausbesserer, sondern einen Heiler der Wunden seines unglücklichen Vaterlands. Dolly Varden, süße Dolly Varden, seit wie vielen Jahren habe ich einem solchen Zusammentreffen entgegen gesehen! Welche lange Reihe von Jahren ist es nicht mein beharrliches Sehnen und Denken gewesen, Euch zu erheben und in eine edle Stellung zu bringen! Jetzt löse ich mein Wort. Schaut in mir Euren Gatten. Ja, schöne Dolly – liebliche Herzensfängerin – Simon Tappertit ist ganz Euer Eigenthum.«

Mit diesen Worten trat er auf sie zu, aber Dolly wich so weit sie konnte, zurück und sank dann zu Boden. In der Meinung, daß dieß wahrscheinlich nichts weiter als mädchenhafte Bescheidenheit sey, versuchte Simon, sie aufzuheben, worauf ihm indeß Dolly, zur Verzweiflung gereizt, mit den Händen in's Haar fuhr, unter einer Thränenfluth ihn ein schändliches Wichtlein nannte, das er von je her gewesen sey, und ihn also schüttelte, zerzauste und schlug, bis er aus Leibeskräften um Hülfe schrie. Hugh hatte sie nie halb so verehrt, als in diesem Augenblicke.

»Sie ist diese Nacht in einem aufgeregten Zustande,« sagte Simon, indem er sein zerzaustes Gefieder wieder glatt strich, »und weiß nicht, was ihr gut ist. Wenn man sie bis Morgen allein läßt, so wird sie schon ein Bischen zur Raison kommen. Schafft sie in das nächste Haus!«

Hugh hatte sie in einem Nu auf dem Arm. Möglich, daß Herrn Tappertit's Herz wirklich besänftigt durch ihre Betrübniß war; vielleicht fühlte er aber einigermaßen die Unschicklichkeit, daß sich seine künftige Braut in den Armen eines andern Mannes abkämpfte. Er befahl ihm daher nach weiterer Ueberlegung, sie wieder nieder zu setzen, und machte ein verdrießliches Gesicht, als sie an Miß Haredale's Seite flog, sich an ihre Kleider anklammerte und in den Falten derselben ihr glühendes Antlitz verbarg.

»Sie sollen bis Morgen bei einander hier bleiben,« sagte Simon, der jetzt seine Würde wieder ganz gesammelt hatte – »bis Morgen, Kommt mit!«

»Ei ja, kommt mit, Capitän,« rief Hugh. »Ha, ha, ha!«

»Ueber was lacht Ihr?« fragte Simon strenge.

»Ueber nichts, Capitän, über nichts,« versetzte Hugh. Und mit diesen Worten schlug er den kleinen Mann mit der Hand auf die Schulter und lachte, aus irgend einem unbekannten Grunde,noch zehnmal stärker als zuvor.

Herr Tappertit betrachtete ihn mit stolzer Geringschätzung, die übrigens das Lachen nur noch verstärkte, vom Kopf bis zu den Füßen, wandte sich sodann an die Gefangenen und sprach:

»Ihr werdet bemerken, meine Damen, daß dieser Ort von allen Seiten wohl bewacht ist, und daß der mindeste Lärm nothwendig mit den unangenehmsten Folgen verknüpft seyn muß. Morgen sollt ihr Beide mehr von unsern Absichten hören. Inzwischen aber hütet Euch an das Fenster zu treten, oder Jemanden von den Vorbeigehenden anzurufen; denn wenn Ihr dieß thut, so wird man im Augenblick wissen, daß ihr aus einem katholischen Hause kommt, und alle Anstrengungen unserer Leute werden nicht im Stande seyn, Euer Leben zu retten!«

Mit dieser schließlichen Verwarnung, welche allerdings nur zu vielen Grund hatte, wandte er sich der Thüre zu, wohin ihm Hugh und Dennis folgten. Ehe sie die Stube verließen, machten sie nochmals Halt, und sahen, wie sich die beiden Mädchen gegenseitig in die Arme fielen; dann gingen sie aus der Hütte hinaus, verschlossen die Thüre und stellten um das ganze Haus sichere Wachtposten auf.

»Nun, ich muß sagen,« brummte Dennis, als sie sich gemeinschaftlich entfernten, »das ist ein leckeres Paar Mädchen. Die des Herrn Gashford ist so schön als die andere, he?«

»Bst!« entgegnete Hugh hastig. »Keine Namen genannt. Es ist eine schlimme Gewohnheit.«

»Ei, wenn Ihr keine Namen hören wollt, so sage ich weiter nichts, als daß ich nicht an seiner Stelle seyn möchte, wenn er mit seinen Absichten gegen sie herausrückt,« erwiederte Dennis. »Sie ist eine von jenen hübschen, schwarzaugigen, stolzen Dirnen, denen ich bei einer solchen Gelegenheit nicht zu nahe kommen möchte, wenn sie ein Messer in der Hand haben. Ich habe sonst schon mehr von diesem Schlage gesehen und kann mich auf Eine erinnern, die vor vielen Jahren abgethan wurde – es handelte sich dabei auch um einen Herrn – die sagte zu mir, und ihre Lippen zitterten, wenn schon ihre Hand so fest war, als ich nur je eine sah; ›Dennis,‹ sagte sie, ›ich bin meinem Ende nah; aber wenn ich einen Dolch in dieser Hand hätte, und er wär' mir nahe genug, daß ich ihn erreichen könnte, so wollte ich ihn selbst jetzt noch todt vor mir niederstrecken;‹ – ja, so sagte sie – und sie hätt's auch gethan.«

»Wen wollte sie niederstechen?« fragte Hugh.

»Wie kann ich das wissen, Bruder?« antwortete Dennis. »Sie hat mir's nie gesagt; nein, gewiß nicht.«

Hugh sah einen Augenblick aus, als hätte er Lust, an diese unzusammenhängende Rückerinnerung weitere Fragen zu knüpfen; – aber Simon Tappertit, der sich in tiefen Betrachtungen ergangen hatte, gab seinen Gedanken eine neue Richtung.

»Hugh!« sagte Sim, »Ihr habt Euch heute brav gehalten und sollt dafür belohnt werden. Ihr gleichfalls, Dennis. Gibt's kein junges Frauenzimmer, das Ihr zu entführen geneigt wäret?«

»N–nein,« entgegnete dieser Gentleman, indem er sich in seinem grauen Bart kratzte, der um ein paar Zoll zu lang war. »Wüßte gerade keine Besondere.«

»Gut also,« versetzte Sim, »wir wollen denn sehen, wie wir Eure Verdienste anderweitig belohnen. Was Euch anbelangt, alter Knabe« – er wandte sich dabei an Hugh – »so sollt Ihr innerhalb drei Tagen Miggs haben – Ihr wißt, die Person, die ich Euch versprochen habe. Merkt's Euch. Ihr habt mein Wort dafür.«

Hugh dankte ihm sehr herzlich, und während er dieß that, kehrte sein Lachkrampf mit solchem Ungestüm zurück, daß er sich mit einer Hand die Seite halten und die andere auf die Schulter seines kleinen Capitäns stützten mußte, ohne dessen Beistand er sich zuverlässig auf den Boden überkugelt haben würde.



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