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Vierundsechzigstes Kapitel.

Ihr bisheriges Schweigen unterbrechend, erhoben sie, sobald sie sich in Reihe und Glied vor dem Gefängnisse aufgestellt hatten, ein gewaltiges Geschrei und verlangten den Kerkermeister zu sprechen. Diese Heimsuchung kam dem Letzteren nicht ganz unerwartet, denn seine Wohnung, die auf die Straße hinausging, war stark verbarrikadirt, das Pförtchen an der Gefängnißsthüre verschlossen und an keinem Gitter oder Schießloche eine Seele zu sehen. Sie hatten ihre Aufforderung noch nicht oft wiederholt, als ein Mann auf dem Dache der Kerkermeisterswohnung erschien und fragte, was sie wollten.

Einige sagten dieß, Andere das, und Etliche antworteten blos mit Grunzen und Zischen. Da es bereits ziemlich dunkel und das Haus hoch war, so bemerkten Viele in dem Gedränge gar nicht, daß Jemand gekommen war, um ihnen Rede zu stehen, denn sie fuhren mit ihrem Geschrei fort, bis sich die Nachricht allmälig durch den ganzen Haufen verbreitet hatte. Es stund wohl zehn Minuten oder darüber an, ehe sich eine Stimme auch nur halbwegs vernehmlich machen konnte. Inzwischen blieb die Gestalt dem Sommerabendhimmel zugekehrt, auf dem Dache sitzen und schaute auf die gedrängt volle Straße hinunter.

»Seyd Ihr Herr Akerman, der Kerkermeister?« fragte Hugh endlich.

»Freilich ist er's, Bruder,« flüsterte Dennis.

Hugh kehrte sich jedoch nicht daran, sondern wollte die Antwort von dem Manne selber haben.

»Ja,« sagte er, »ich bin es.«

»Ihr habt einige unserer Freunde in Eurem Gewahrsam, Meister?«

»Ich habe ein hübsches Häufchen Leute in meinem Gewahrsam.«

Er schaute bei diesen Worten nach dem Gefängnisse hinunter; und die Meinung, daß er in die verschiedenen Höfe sehen und Alles, was ihrem Anblicke durch die starren Wände entzogen war, überschauen könne, reizte und stachelte das Gesindel dermaßen, daß es wie ein Rudel Wölfe zu heulen anfing.

»Liefert uns unsere Freunde aus,« sagte Hugh. »Die Uebrigen mögt Ihr behalten.«

»Meine Pflicht fordert es, daß ich sie Alle behalte. Ich will meiner Pflicht getreu seyn.«

»Wenn Ihr die Thore nicht aufschließt, so brechen wir sie nieder,« entgegnete Hugh. »Wir wollen durchaus unsere Freunde heraus haben.«

»Ihr guten Leute, ich kann nichts thun, als euch ermahnen, daß ihr auseinander geht,« erwiederte Akerman. »Bedenkt, was für ernste Folgen es nach sich ziehen wird, wenn ihr diesen Platz stört, und die Meisten von euch werden es bitter bereuen, wenn es zu spät ist.«

Nach diesen Worten schickte er sich an, wieder zurückzugehen, er wurde jedoch durch die Stimme des Schlossers angehalten.

»Herr Akerman!« rief Gabriel. »Herr Akerman!«

»Ich will auf Keinen von euch mehr hören,« versetzte der Kerkermeister, indem er sich gegen den Sprecher wandte und mit der Hand abwehrte.

»Aber ich gehöre nicht zu diesem Haufen,« entgegnete Gabriel. »Ich bin ein ehrlicher Mann, Herr Akerman; ein achtbarer Professionist – Gabriel Varden, der Schlosser. Ihr kennt mich.«

»Ihr unter diesen Leuten?« rief der Kerkermeister mit verwunderter Stimme.

»Ich wurde mit Gewalt fortgeschleppt – mitgebracht, um das Schloß an dem großen Thore für sie aufzumachen,« erwiederte der Schlosser. »Ihr seyd mein Zeuge, Herr Akerman, daß ich mich weigere, es zu thun, und daß ich es nicht thun werde, mag auch daraus folgen, was will. Wenn Gewalt an mir geübt wird, so bitte ich, Euch deß zu erinnern.«

»Gibt es kein Mittel, Euch zu helfen?« fragte der Kerkermeister.

»Keines, Herr Akerman. Ihr werdet Eure Schuldigkeit thun und ich die meinige. Noch einmal, ihr Spitzbuben und Gurgelschneider,« sagte der Schlosser, sich gegen das Gesindel umwendend, »ich thue es nicht. Heult, bis ihr heiser seyd. Ich thue es nicht.«

»Halt – halt!« rief der Kerkermeister hastig. »Herr Varden, ich kenne Euch als einen Ehrenmann und weiß, daß Ihr nichts Ungesetzliches thun werdet, wenn es nicht aus Zwang geschieht –«

»Aus Zwang, Sir,« fiel ihm der Schlosser in's Wort, welcher fühlte, daß der Ton, worin dieß gesprochen war, die Ansicht in sich begriff, daß er, der als ein alter Mann ganz allein unter einem wüthenden Haufen stand, welcher ihn von allen Seiten einengte und ihm zusetzte, für ein Nachgeben hinreichend entschuldigt sey; »aus Zwang, Sir, geschieht bei mir nichts.«

»Wo ist der Mann,« rief der Kerkermeister besorgt,« der mich vorhin anredete?«

»Hier!« entgegnete Hugh.

»Wißt Ihr, welche Strafe auf dem Morde steht, und daß Ihr das Leben dieses ehrlichen Handwerksmannes in Gefahr setzt, wenn Ihr ihn zwingt, unter euch zu bleiben?«

»Wir wissen das recht wohl,« antwortete er,« denn für was sonst hätten wir ihn hieher gebracht? Gebt uns unsere Freunde heraus, Meister, und Ihr sollt Euren Freund haben. Ist das nicht ein ehrlicher Handel, meine Jungen?«

Der Pöbel pflichtete ihm mit einem brüllenden Hurrah bei.

»Ihr seht nun, wie die Sachen stehen, Sir!« rief Varden. »Haltet sie in König Georgs Namen ab. Vergeßt nicht, was ich gesagt habe. Gute Nacht!«

Nun war es mit den Unterhandlungen vorbei. Ein Schauer von Steinen und andern Wurfgeschossen nöthigte den Kerkermeister, sich zurückzuziehen. Das Gesindel stürmte heran, umschwärmte die Mauer und drängte Gabriel Varden dicht vor das Thor.

Vergeblich legte man den Korb mit Werkzeug vor ihm auf den Boden. Weder Versprechungen noch Schläge, weder Belohnungsverheißungen noch die Bedrohung mit augenblicklichem Tode konnten ihn vermögen, den Dienst zu leisten, um dessen willen sie ihn hergebracht hatten.

»Nein,« rief der Schlosser, »ich will nicht!«

Nie war ihm das Leben so theuer gewesen, als eben jetzt, aber nichts konnte ihn bewegen. Wo er hinschaute, die wilden Gesichter, die ihn von allen Seiten anstierten, das Geschrei derjenigen, die wie grimmige Raubthiere nach seinem Blute dürsteten, der Anblick der sich vorwärts drängenden Kerle, welche ihre Kameraden niedertraten, während sie sich mühten, an ihn zu kommen, und über den Köpfen der Andern weg mit Aexten und Eisenstangen nach ihm schlugen – nichts von alle dem vermochte ihn einzuschüchtern. Er schaute von Mann zu Mann, von Gesicht zu Gesicht, und noch immer rief er, obgleich mit beschleunigtem Athem und blasserem Antlitze, sein beharrliches »Ich will nicht!«

Dennis versetzte ihm einen Schlag in's Gesicht, der ihn zu Boden fällte. Aber alsbald war er wie ein Mann in der Blüthe seines Lebens wieder auf den Beinen, und während ihm das Blut über die Stirne schoß, packte er den Henker an der Kehle.

»Du feiger Hund!« rief er. »Gib mir meine Tochter. Gib mir meine Tochter!«

Sie rangen mit einander. Einige riefen: »Schlagt ihn todt!« während Andere, die jedoch nicht nahe genug waren, ihn mit den Füßen zertreten wollten. Mochte der Henker zerren, wie er wollte, er konnte sich von den umkrallenden Händen des alten Mannes nicht losreißen.

»Ist das der ganze Lohn, den ich von Euch erhalte, Ihr undankbares Ungeheuer?« rief er, mühsam herausgurgelnd und unter vielen Flüchen.

»Gib mir meine Tochter!« rief der Schlosser, der nun so wüthend war, als der ihn umringende Haufen. »Gib mir meine Tochter!«

Er lag wieder am Boden, raffte sich nochmals auf und balgte sich mit zwanzigen von dem Gesindel, die ihn von Hand zu Hand warfen, als ein langer Kerl, frisch von der Schlachtbank weg, dessen Kleider und hohe Stiefeln noch von Fett und Blut dampften, ein Schlächterbeil erhob und mit einem schrecklichen Fluche nach dem unbeschützten Haupte des alten Mannes zielte. In demselben Augenblicke aber, wie er den Streich führen wollte, fiel er selbst, als wäre er vom Blitze getroffen, und über seinen Körper weg stürzte ein einarmiger Mann an des Schlossers Seite. Ihm folgte ein Anderer, und Beide packten den Schlosser mit derber Faust.

»Ueberlaßt ihn uns!« riefen sie Hugh zu, indem sie sich einen Weg durch die widerstrebende Menge zu bahnen suchten. »Ueberlaßt ihn uns! Warum verschwendet ihr eure ganze Kraft an einem solchen Burschen, während doch ein paar Leute in etlichen Minuten mit ihm fertig werden können! Verliert keine Zeit! Denkt an die Gefangenen! Denkt an Barnaby!«

Der Ruf ging durch den ganzen Haufen. Hämmer begannen an der Mauer zu rasseln, und Jeder mühte sich, das Gefängniß zu erreichen und unter den Vordersten zu seyn. Die Beiden kämpften sich so verzweifelt durch das Gedränge und Gewühl, als wären sie mitten unter Feinden und nicht unter ihren Freunden, zogen sich mit dem Schlosser zurück und schleppten ihn gerade durch das Herz der Masse.

Und nun begannen die Streiche wie ein Hagelwetter gegen das Thor und das feste Gebäude zu fallen, denn diejenigen, welche den Eingang nicht erreichen konnten, verschwendeten ihre ungestüme Wuth an Allem, selbst an den großen Steinblöcken, an welchen ihre Waffen in Stücke sprangen und wovon ihnen Hände und Arme prickelten, als leisteten sogar die Mauern gegen ihr Unwesen kräftigen Widerstand und gäben ihnen ihre Schläge zurück. Der Klang von Eisen auf Eisen mischte sich in den betäubenden Tumult und übertönte ihn bei weitem, als die schweren Schmiedehämmer gegen das mit Metallplatten und Nägeln beschlagene Thor donnerten, so daß die Funken davon sprühten. Die Leute arbeiteten zu Hauf und lösten sich in kurzen Zwischenräumen ab, damit ihre ganze Kraft dem Werke geweiht seyn möchte; aber noch immer stand das Portal – so grimmig, so dunkel und fest, als nur je, ohne die mindeste Veränderung, als die Beulen, welche auf der verwetterten Oberfläche zurückgeblieben waren.

Während Einige ihre äußerste Kraft auf dieses mühsame Werk verwendeten und Andere, welche Leitern an das Gefängniß legten, die überhohen Mauern zu erklettern suchten, waren wieder Andere beschäftigt, die hundert Mann starke Polizeiwache zurückzuwerfen, und sie, kraft ihrer Masse, unter die Füße zu treten. Eine weitere Abtheilung belagerte das Haus, auf welchem sich der Kerkermeister gezeigt hatte, erbrach die Thüre, schaffte das Möbelwerk heraus und häufte es gegen das Gefängnißthor, um ein lustiges Feuer anzuzünden, womit dasselbe niedergebrannt werden sollte. Sobald dieser Anschlag allgemein begriffen wurde, warfen die bisherigen Arbeiter ihre Werkzeuge weg und halfen den Holzhaufen vergrößern, bis derselbe halb in die Straße hineinreichte und so hoch aufgethürmt war, daß man zuletzt an Leitern hinanklettern mußte, um oben noch mehr Brennstoff beizulegen. Nachdem das ganze Eigenthum des Kerkermeisters bis auf das geringste Bruchstück hinaus auf diesen kostbaren Scheiterhaufen geworfen war, beschmierten und besprengten sie denselben mit Pech, Theer und Harz, was sie alles mitgebracht hatten. Ebenso hielten sie es auch mit allem Holzwerk rund um die Gefängnißthüre, so daß auch nicht der kleinste Balken verschont blieb. Nachdem diese höllische Taufe vorüber war, steckten sie den Stoß mit angezündeten Schwefelhölzern und brennendem Werge in Flammen, stellten sich darum her und erwarteten das Ergebniß.

Das sehr trockene und gefirnißte Möbelwerk war ohnehin schon brennbar genug, und loderte daher unter den angewendeten Kunstgriffen in einem Nu in hellen Flammen auf. Das Feuer brauste wild und hoch auf, schwärzte die Gefängnißmauer und züngelte an der hohen Vorderseite wie brennende Schlangen hin. Anfangs drängten sie sich um die Lohe und legten ihr Frohlocken nur durch Blicke an den Tag; aber als es heißer und ungestümer wurde – als es prasselte, aufzischte und wie ein Hochofen brauste – als es an den gegenüberliegenden Häusern wiederstrahlte und nicht nur die blassen, ängstlichen Gesichter an den Fenstern, sondern auch die innersten Winkel der Wohnungen erleuchtete – als man durch die tiefrothe Glut das Feuer mit dem Thore spielen und scherzen sah, jetzt an dessen hartnäckiger Oberfläche hinleckend, jetzt wieder in wilder Unbeständigkeit abgleitend und hoch gegen den Himmel sich aufschwingend, dann wieder zurückkehrend, um es mit seinen heißen Armen zu umfassen und es in's Verderben zu locken – als es einen so hellen Schein verbreitete, daß man auf der Thurmuhr der heiligen Grabkirche, die so Manchem die Stunde des Todes gezeigt, die Ziffer so deutlich ablesen konnte, wie am lichten Mittag, und der Wetterhahn auf der Spitze in den ungewohnten Strahlen wie ein herrlicher Juwel glitzerte – als die geschwärzten Steine und die düsteren Ziegel sich in dem tiefen Wiederscheine rötheten und die Fenster wie polirtes Gold aussahen, die Straße hinauf eine lange Reihe von feurigen Punkten bildend – als Mauern und Thürme, Dächer und Schornsteine in dem zitternden Glanze wie betrunken zu wackeln und wanken schienen – als hundert Gegenstände, die man zuvor nie gesehen, sich den Blicken enthüllten und die bekanntesten Dinge ein so ganz neues Aussehen gewannen – da begann der Pöbel sich zu einem wirbelnden Tanze zu vereinigen, und mühete sich, mit lautem Gellen, Geheul und Zetergeschrei, wie es zum Glücke selten gehört wird, die Flamme zu nähren und sie in ihrer Höhe zu erhalten.

Obgleich die Hitze so gewaltig war, daß der Anstrich der dem Gefängniß gegenüber liegenden Häuser vertrocknete, wie im Uebermaße des Schmerzes Blasen zog, borst und abfiel; obgleich die Scheiben aus den Fenstern fielen, das Blei und Eisen auf den Dächern die unvorsichtig tastende Hand versengte und die Sperlinge aus den Rinnen davon flogen, von dem Rauche aber schwindlich gemacht, flatternd in den lodernden Holzstoß niederfielen – immer noch wurde das Feuer von tüchtigen Händen geschürt und unablässig von Männern umwandelt. Auch erlahmte der Eifer nicht, denn man drängte sich so sehr gegen die Flamme, daß die Vorderen Mühe hatten, sich fest genug aufzustellen, um nicht hineingestoßen zu werden. Wenn einer ohnmächtig wurde oder niedersank, kämpften Dutzende um seinen Platz, obgleich sie wußten, daß sie dort beinahe erdrückt wurden oder vor Durst zu Grunde gehen mußten. Die Umsinkenden, wenn sie nicht zertreten oder eine Beute der Flammen wurden, schaffte man nach einem nahe gelegenen Wirthshaushofe, wo man ihnen mittelst eines Pumpbrunnens wieder zur Besinnung half. Wassereimer gingen ohne Unterlaß von Hand zu Hand durch das Gedränge; aber der Durst war so groß und das Ringen nach den Mitteln, ihn zu füllen, so eifrig, daß der Inhalt der Eimer großentheils auf dem Boden verspritzt wurde, ohne daß auch nur ein Mann seine Lippen damit hätte netzen können.

Inzwischen und inmitten all' dieses Lärmes und Tumultes häuften diejenigen, welche dem Holzstoße am nächsten waren, die brennenden Bruchstücke wieder auf, die herunter gerollt kamen, und schürten das Feuer rings um das Thor, das, trotz des Flammenmeeres, in dem es stand, immer noch eine fest verschlossene und verriegelte Barriere war, die jeden Eingang wehrte. Außerdem wanderten auch noch Feuerbrände über den Köpfen der Leute von Hand zu Hand nach denen hin, welche um die Leitern standen; Einige derselben kletterten auf die höchste Sprosse, hielten sich mit der einen Hand an die Mauer und boten alle ihre Geschicklichkeit und Kraft auf, die flammenden Holzstücke auf die Dächer und in die Höfe hinunter zu werfen. Mitunter gelangen auch diese Anstrengungen, wodurch das Entsetzliche des Schauspiels nur noch vergrößert wurde; denn die Gefangenen d'rinnen sahen durch ihre Gitter, wie das Feuer an manchen Stellen wurzelte und mit Macht um sich griff, und da sie Alle in feste Zellen eingeschlossen waren, so bemächtigte sich ihrer alsbald die entsetzliche Besorgniß, lebendig verbrennen zu müssen. Diese verbreitete sich auch von Zelle zu Zelle, von Hof zu Hof, und machte sich in so grauenhaftem Geheul, Zetergeschrei und Hülferufen Luft, daß das ganze Gefängniß davon wiederhallte, und sogar das Gebrülle des Pöbels und das Brausen der Flammen übertäubt wurde. Es waren Töne der Todesangst und der Verzweiflung, ob denen auch der Kühnste erbebte.

Merkwürdig war es, daß dieses Geschrei gerade in jenem Theile des Gefängnisses seinen Anfang nahm, der nach Newgate Street hinausging, und wo, wie man wußte, die Männer saßen, die am Donnerstag hingerichtet werden sollten. Die vier Leute, welchen so kurze Lebensfrist zugemessen war, waren indeß nicht nur die ersten, welche von der Furcht, verbrennen zu müssen, erfaßt wurden, sondern benahmen sich auch die ganze Zeit über am allerungeberdigsten. Man konnte sie nämlich, trotz der dicken Mauern, deutlich rufen hören, daß der Wind sich in ihre Richtung zöge und die Flammen sie in Kurzem erreichen müßten, auch schrieen sie den Schließern zu, sie sollten kommen und das Feuer aus der Cisterne in ihrem Hofe löschen, die voll Wasser sey. Nach dem zu urtheilen, was man von Zeit zu Zeit draußen hören konnte, ließen diese vier verurtheilten Elenden keinen Augenblick ab, um Hülfe zu rufen, und zwar mit einer solchen Verzweiflung, mit einem so wahnsinnigen Haften an dem Daseyn, als hätte Jeder ein geehrtes, glückliches Leben vor sich, und nicht nach achtundvierzig Stunden jämmerlicher Hast einen gewaltsamen, schmachvollen Tod.

Ueber alle Beschreibung ging jedoch die Angst und die Qual zweier Menschen, die Söhne eines dieser Verurtheilten waren, als sie die Stimme ihres Vaters hörten oder zu hören glaubten. Sie rangen die Hände und eilten wie Wahnsinnige auf und ab; dann stieg einer auf die Schulter seines Bruders und versuchte auf die hohe Mauer zu klettern, die oben mit eisernen Spitzen und Haken geschützt war. Auch ließ er sich nicht durch die Beulen abschrecken, die er erhielt, wenn er wieder unter den Haufen zurückfiel, sondern stieg wieder hinauf, um abermals rückwärts zu fallen, und als er endlich die Unmöglichkeit einsah, fing er an, mit den Händen gegen die Steine zu schlagen und an ihnen zu zerren, als wollte er mit den Nägeln eine Bresche in das feste Gebäude brechen und sich einen Eingang erzwingen. Zuletzt drangen sie durch den um das Thor versammelten Haufen, obgleich Viele, die ihnen dutzendmal an Kraft überlegen waren, es vergeblich versucht hatten, und dort sah man sie im – ja, im – Feuer, wie sie sich anstrengten, das Eisenportal mit Hebebäumen niederzustoßen.

Doch waren sie nicht die einzigen, welche durch die Jammerrufe der Gefangenen so ergriffen wurden. Die zuschauenden Weiber schrieen laut auf, schlugen die Hände zusammen und stopften sich die Ohren zu; Viele sanken in Ohnmacht. Die Männer, welche nicht in der Nähe der Mauern gewesen und bei der Belagerung bethätigt waren, rissen, um nicht müßig zu seyn, das Straßenpflaster auf und vollführten dieß mit einer Hast und einer Wuth, die nicht ungestümer hätten seyn können, selbst wenn sie es mit dem Gefängniß zu thun gehabt und ihr Zweck damit erreicht gewesen wäre. Nicht ein lebendes Wesen in dem ganzen Haufen blieb auch nur einen Augenblick ruhig. Die ganze große Masse war eigentlich toll.

Ein Jubelruf! noch einer! und wieder einer – obgleich nur Wenige wußten, warum, oder was er bedeuten solle. Aber die Nahestehenden hatten gesehen, daß das Thor langsam nachgab und aus seiner obersten Angel wich. Es hieng auf dieser Seite nur noch in einer einzigen, stand aber noch immer aufrecht wegen des Querbalkens, und weil es vermöge seiner eigenen Schwere tief in den Aschenhaufen unten eingesunken war. Oben an der Bogenwölbung zeigte sich nun ein Spalt, durch den man in einen finsteren, höhlenartigen Gang hineinsehen konnte. Jetzt das Feuer aufgeschürt!

Es loderte ungestüm auf. Das Thor wurde rothglühend und der Spalt weiter. Sie mühten sich umsonst, die Gesichter mit den Händen zu schirmen, und standen sprungfertig auf der Lauer. Man sah dunkle Gestalten, einige auf Händen und Knieen kriechend, einige auf den Armen von Andern getragen, das Dach entlang ziehen. Es war augenscheinlich, daß sich das Gefängniß nicht länger halten konnte. Der Kerkermeister und seine Dienstmannschaft ergriffen mit Weibern und Kindern die Flucht. Das Feuer aufgeschürt!

Das Thor wich abermals; es senkte sich tiefer in die Asche – wankte – neigte sich – und lag am Boden!

Sie erhoben abermals ein Freudengeschrei und wichen einen Augenblick zurück, um das Feuer, das zwischen ihnen und dem Eingang in das Gefängniß lag, zu umgehen. Hugh sprang auf den Flammenhaufen und stürzte, einen Funkenregen durch die Luft zerstreuend und die dunkle Vorhalle mit der Lohe auf seinen Kleidern erhellend, durch den Eingang.

Der Henker folgte. Und dann stürzten ihnen so Viele nach, daß das Feuer niedergetreten und auf der Straße zerstreut wurde. Doch man bedurfte seiner jetzt nicht mehr, denn das Gefängniß loderte nun von innen und außen hell auf.



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