Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundachtzigstes Kapitel.

Ein weiterer Monat war verflossen und das Ende des Augusts nahte, als Herr Haredale allein in dem Postbureau zu Bristol stand. Obgleich nur wenige Wochen zwischen seiner Unterhaltung mit Edward Chester und seiner Nichte in dem Hause des Schlossers lagen, und er inzwischen in seiner gewohnten Tracht keine Veränderung vorgenommen hatte, so zeigte sich doch eine große Umwandlung in seinem Aeußeren. Er sah viel älter und abgezehrter aus. Heftige Gemüthsbewegungen und Sorgen streuen zwar Runzeln und graue Haare mit freigebiger Hand aus, aber das stumme Losreißen von alten Gewohnheiten und die Lösung theuerer Familienbande ziehen doch noch weit tiefere Furchen. Die Liebe wird nicht so leicht verletzt, als die Leidenschaft, aber ihre Spuren, ihre Wunden sind einschneidender und nachhaltiger. Er war jetzt ein verlassener Mann, und sein Herz fühlte sich traurig und verödet.

Dieses Gefühl lastete nicht minder bedrückend auf ihm, weil er so viele Jahre in der Zurückgezogenheit und Abgeschiedenheit zugebracht hatte. Letztere waren eben so wenig geeignet, ihn auf seine dermalige Lage vorzubereiten, als heitere, gesellige Kreise, da sie im Gegentheil sogar seine empfindliche Reizbarkeit steigerten. Er hatte sich so sehr an den Umgang und an die Liebe seiner Nichte gewöhnt; sie war so ganz ein Theil von seinem Wesen geworden; sie hatten so viele Leiden mit einander durchgemacht, von denen sonst Niemand wußte, daß mit ihrem Verluste für ihn ein neues Leben begann: und er bedurfte doch so gar sehr der Hoffnungsfülle und Schwungkraft der Jugend in den Bedenklichkeiten, dem Mißtrauen und der geschwächten Thatkraft des Alters.

Die Mühe, die er sich gegeben hatte, mit heiterer und getroster Miene von ihr zu scheiden – sie hatten sich erst gestern getrennt – ließ ihm seine Lage nur noch drückender erscheinen. Unter solchen Gefühlen wollte er London zum letztenmal besuchen und sich noch einmal die Trümmer seiner alten Heimath betrachten, ehe er ihr für immer den Rücken kehrte.

Eine solche Reise war damals etwas ganz anderes, als in unseren Tagen; aber auch der längste Weg nimmt endlich ein Ende, und er stand wieder in den Straßen der Hauptstadt. Er stieg in dem Wirthshause, wo die Kutsche Halt machte, ab, fest entschlossen, seine Ankunft Niemand mitzutheilen, nur diese und die nächste Nacht in London zu verbleiben, und sich sogar den Schmerz eines Abschieds von dem ehrlichen Schlosser zu ersparen.

Gemüthsstimmungen, wie diejenigen waren, womit sich Herr Haredale zur Ruhe begab, begünstigen wirre Phantasiebilder und unruhige Träume. Er erkannte dieß auch aus dem Schrecken, womit er aus seinem ersten Schlafe auffuhr, und riß das Fenster auf, um ihn durch die Anwesenheit irgend eines Gegenstandes außerhalb des Zimmers zu verscheuchen, der, so zu sagen, nicht Zeuge seines Traumes gewesen war. Es war indeß kein neuer, nächtlicher Schreck, denn er hatte sich schon früher in mancherlei Formen vor ihn hingestellt, ihn in vergangenen Zeiten viel umspukt und hin und wieder seinen Pfühl heimgesucht. Wär' es nur ein häßliches Bild, ein kindisches Gespenst gewesen, das seinen Schlaf in einer früheren Gestalt störte, so hätte es vielleicht ein augenblickliches Gefühl der Furcht erweckt, das übrigens mit dem Moment des Erwachens verschwunden wäre. Diese Unruhe lastete jedoch beharrlich auf ihm und wollte sich durch nichts verscheuchen lassen. So oft er die Augen wieder schloß, fühlte er, wie sie niederschwebte, und als er langsam einschlummerte, wurde er sich deutlich bewußt, wie sie allmälig ihre frühere Gestalt annahm und Kraft und Bedeutung gewann. Er sprang zwar von seinem Bette auf und das Phantom verschwand aus seinem erhitzten Gehirne, ließ aber ein Bangen in seinem Innern zurück, gegen das er vergeblich mit dem wachen Verstande ankämpfte.

Die Sonne war schon aufgegangen, ehe er sich seiner Angst entschlagen konnte. Er verließ spät, aber unerfrischt, sein Lager und blieb den ganzen Tag auf seinem Zimmer. Er hatte sich vorgenommen, seinen letzten Besuch an der alten Stelle in den Abendstunden zu machen, denn dieß war sonst die Zeit seiner Spaziergänge gewesen, und er wünschte sie unter Umständen zu sehen, wie sie ihm am meisten heimisch waren. Er verließ das Wirthshaus zu einer Zeit, welche es ihm möglich machte, seine frühere Wohnung ein wenig vor Sonnenuntergang zu erreichen, und trat in die geschäftigen Straßen hinaus.

Er war noch nicht weit gekommen und trieb sich gedankenvoll in dem lärmenden Gedränge hin, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und beim Umwenden einen Kellner aus dem Wirthshause erkannte, welcher wegen dieser Störung um Verzeihung bat, dieselbe aber damit entschuldigte, daß er seinen Degen zurückgelassen habe.

»Warum habt Ihr ihn mir gebracht?« fragte er, die Hand nach der Waffe ausstreckend, ohne sie jedoch hinzunehmen, indem er den Andern nur mit einer verstörten und unruhigen Miene ansah.

Der Kellner bedauerte, lästig gefallen zu seyn, und wollte die Waffe wieder mitnehmen. Der Gentleman habe gesagt, er wolle einen Spaziergang auf's Land hinaus machen und werde wohl erst spät zurückkehren. Nach Einbruch der Nacht seyen die Wege für einzelne Wanderer nicht geheuer, und seit der Unruhen hätten Personen von einem ansehnlichen Aeußern mehr Ursache als je, sich nicht ohne Waffen an einsame Orte zu begeben. »Wir hielten Euch für einen Fremden, Sir,« fügte er bei, »und vermutheten, Ihr könntet unsere Wege für besser halten, als es wirklich der Fall ist; vielleicht kennt Ihr sie übrigens selbst gut genug und habt daher wohl Pistolen mit Euch genommen –«

Er nahm den Degen, steckte ihn an seine Seite, dankte dem Manne und ging weiter.

Man erinnerte sich lange nachher noch, daß er dieß in einer so seltsamen Weise und mit so zitternder Hand that, daß der Kellner stehen blieb und der sich entfernenden Gestalt nachsah, zweifelhaft, ob er ihr nicht folgen und auf sie Acht haben solle. Auch entsann man sich dessen noch lange, daß man ihn mitten in der Nacht in seinem Schlafgemach hatte auf- und abgehen hören; daß die Aufwärter sich des andern Morgens gegenseitig darauf aufmerksam gemacht, wie fieberisch und blaß er aussah, und daß der Kellner, als er wieder nach dem Wirthshause zurückkehrte, einem Gehülfen sagte, er habe in dieser kurzen Unterredung bemerkt, daß dem Herrn Etwas schwer auf dem Herzen liegen müsse; er fürchte, er werde sich selbst ein Leides anthun und nicht mehr lebendig zurückkommen.

Herr Haredale schien sich halb bewußt zu seyn, daß sein Benehmen die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich gezogen hatte (es war auch deutlich genug in dessen Gesicht zu lesen gewesen), weßhalb er seine Schritte beschleunigte. Sobald er bei einem Kutschenstande angelangt war, miethete er sich den besten Wagen, der ihn bis zu der Stelle, wo der Fußweg über die Felder ging, bringen und in einem Wirthshause, das auf Steinwurfsweite entfernt lag, warten sollte, bis er wieder zurückkäme. Als er an dem bedungenen Punkte anlangte, stieg er aus und ging zu Fuß weiter.

Er kam so nahe an dem Maibaum vorbei, daß er dessen Rauch zwischen den Bäumen aufsteigen sehen konnte, während eine Schar Tauben – ohne Zweifel zu den alten Bewohnern gehörig – lustig zwischen ihm und dem unbewölkten Himmel nach dem heimischen Schlage segelte.

»Das alte Haus wird jetzt wieder aufleben,« sagte er, danach hinschauend – »auf's Neue ein lustiger Herd unter seinem Epheu umrankten Dache. Es liegt wenigstens einiger Trost in dem Bewußtseyn, daß nicht Alles hier herum dem Verderben anheim gefallen ist. Ich freue mich, wenigstens ein Bild des Lebens und der Heiterkeit mitnehmen zu können!«

Er nahm seinen Spaziergang wieder auf und lenkte seine Schritte nach dem Kaninchenhag. Es war ein klarer, stiller, ruhiger Abend. Der Wind bewegte kaum die Blätter der Bäume, und kein anderer Ton unterbrach das Schweigen des Augenblicks, als das Klingeln schläferiger Schafglocken in der Ferne und hin und wieder das Blöcken des Viehs oder das Gebell eines Hundes im Dorfe. Der Himmel leuchtete in der sanften Pracht eines Sonnenuntergangs; auf der Erde und in der Luft herrschte allenthalben tiefe Ruhe. Zu solcher Stunde langte er bei der verlassenen Behausung an, die so lange seine Heimath gewesen war und deren geschwärzte Mauern er jetzt zum letzten Mal zu beschauen gedachte.

Die Asche des gewöhnlichsten Feuers ist schon etwas Trübseliges, denn sie birgt in sich das Bild des Todes und der Vernichtung – deutet auf ein sonst glänzendes Daseyn, ohne jetzt weiter als kalter, todter Staub zu seyn, der unsere Natur zur Theilnahme zwingt. Aber wie weit schmerzlicher ist der Anblick der zerbröckelnden Asche einer Heimath: der Umsturz jenes großen Altares, wo die Schlechtesten unter uns bisweilen einen Gottesdienst des Herzens feiern und für den die Besten Opfer gebracht und Heldenthaten verrichtet haben, ob denen, wenn sie aufgezeichnet würden, die stolzesten Tempel des Alterthums mit allen ihren ruhmrednerischen Annalen erröthen müßten!

Er raffte sich aus einem langen Zug von Betrachtungen auf und ging langsam um das Haus. Es war inzwischen fast dunkel geworden.

Er war beinahe herumgekommen, als er mit einem halbunterdrückten Ausruf zusammenfuhr und stehen blieb. In einer nachlässigen Haltung, den Rücken gegen einen Baum gelehnt und mit dem Ausdrucke der höchsten Wonne – einer Wonne, die sogar seine gewohnte Indolenz und die Herrschaft über seine Züge bewältigte, da letztere sich allen Zwangs und Rückhalts entschlagen hatten – den Trümmerhaufen betrachtend, vor ihm, auf seinem eigenen Grund und Boden, und selbst jetzt noch über ihn triumphirend, wie er über jedes Unglück, jede fehlgeschlagene Hoffnung seines Lebens triumphirt hatte – befand sich von allen Menschen gerade derjenige Mann, dessen Anwesenheit er nirgends, am allerwenigsten aber an diesem Orte, ertragen konnte.

Obgleich sein Blut bei diesem Anblick aufwallte und sein Grimm in einer Weise anschwoll, daß er ihn auf der Stelle hätte ermorden können, so gab er sich doch alle Mühe, sich so weit zu bekämpfen, daß er ohne ein Wort oder einen Aufblick an ihm vorbeigehen konnte. Ja, und er würde weiter gegangen seyn und sich nicht umgewendet haben, obgleich es ihn eine fast übermenschliche Anstrengung kostete, dem Teufel, der ihm eine so heiße Versuchung in's Gehirn goß, zu widerstehen, wenn ihn dieser Mann nicht selbst aufgefordert hätte, Halt zu machen, und dieß zwar mit einem so erkünstelten Mitleid in seiner Stimme, daß es ihn fast wahnsinnig machte und er in einem Nu aller Selbstbeherrschung baar war, deren Erhaltung ihn die peinlichste, schmerzlichste Mühe gekostet hatte.

Alle Rücksicht, Ueberlegung, Nachsicht und Schonung – Alles, wodurch ein auf's Höchste gereizter Mensch seinen Zorn und seine Leidenschaftlichkeit zu zügeln vermag, floh von hinnen, als er sich umwandte. Und doch sagte er langsam und mit vollkommener Ruhe – weit ruhiger, als er je mit ihm gesprochen:

»Warum habt Ihr mich gerufen?«

»Um mir die Bemerkung zu erlauben,«versetzte Sir John Chester mit seiner gewohnten Fassung, »was es für ein wundersamer Zufall ist, daß wir uns hier treffen.«

»Es ist in der That ein seltsamer Zufall.«

»Seltsam? Der merkwürdigste und auffallendste in der Welt. Ich reite Abends nie aus, habe es seit Jahren nicht gethan. Auf eine ganz unerklärliche Weise erfaßte mich gestern mitten in der Nacht diese Grille. – Wie gar malerisch dieß ist!«

Er deutete bei diesen Worten auf das zerstörte Haus und erhob die Lorgnette zu seinem Auge.

»Ihr brüstet Euch sehr offen mit Eurem Werke.«

Sir John ließ die Lorgnette sinken, verneigte sich gegen den Andern mit der Miene der höflichsten Frage und schüttelte leicht seinen Kopf, als wolle er sich selbst sagen: »Ich fürchte, dieses Thier ist toll geworden.«

»Ich sage, Ihr brüstet Euch sehr offen mit Eurem Werke,« wiederholte Herr Haredale.

»Werk?« entgegnete Sir John, sich lächelnd umschauend. »Das Meinige? – Ich muß da in der That um Verzeihung bitten –«

»Je nun, Ihr seht doch diese Wände,« sagte Herr Haredale. »Ihr seht diese wankenden Giebel. Ihr seht aller Orten, wie das Feuer und der Rauch gewüthet haben. Ihr seht, wie überschwenglich freigebig die Zerstörung hier gewüthet hat. Oder nicht?«

»Mein guter Freund,« entgegnete der Ritter, den Ungeduldigen sanft mit der Hand abwehrend. »natürlich sehe ich es. Ich sehe Alles, wovon Ihr sprecht, wenn Ihr ein Bischen bei Seite tretet und Euch nicht zwischen mich und die Aussicht stellt. Es thut mir recht Leid um Euch. Wenn ich nicht das Vergnügen gehabt hätte, Euch hier zu treffen, so würde ich Euch, glaube ich, mein Bedauern schriftlich ausgedrückt haben. Aber, Ihr wißt Euch nicht so gut darein zu schicken, als ich erwartet hätte – verzeiht – aber wahrhaftig, Ihr wißt Euch nicht darein zu finden.«

Er zog seine Schnupftabacksdose heraus und fuhr mit der überlegenen Miene eines Mannes fort, der in Folge seiner höheren Natur das Recht hat, einem Andern eine moralische Lektion zu geben.

»Denn Ihr wißt ja, Ihr seyd ein Philosoph – einer von jener strengen und starren Schule, die weit über die Schwächen der übrigen Menschheit erhaben ist. Die Gebrechlichkeiten der übrigen Menschen stehen Euch zu ferne. Ihr schaut von Eurer Höhe auf sie herunter und verspottet sie mit der nachdrücklichsten Bitterkeit. Ich habe Euch ja selbst gehört –«

»– Und sollt mich noch einmal hören,« sagte Herr Haredale.

»Schönen Dank,« versetzte der Andere. »Wollen wir während des Sprechens einen Spaziergang machen? Der Nebel wird dichter und schwerer. Nun – wie Euch beliebt. Es thut mir übrigens Leid, Euch bedeuten zu müssen, daß ich nur sehr wenige Augenblicke übrig habe.«

»Ich wollte,« sagte Herr Haredale, »Ihr hättet keinen für mich übrig gehabt. Ich wünschte von ganzer Seele, Ihr wäret lieber im Paradieß gewesen (wenn eine solche ungeheuere Lüge verwirklicht werden könnte), als daß ich Euch diesen Abend hier treffen muß.«

»Na,« entgegnete der Andere – »in der That – Ihr thut Euch selbst Unrecht. Ihr seyd zwar wohl ein unfreundlicher Gesellschafter, aber ich möchte doch nicht so weit gehen, Euch zu meiden.«

»Hört mich an,« sagte Herr Haredale. »Hört mich an.«

»Während Ihr Eurer Satyre freien Lauf lasset?« fragte Sir John.

»Während ich Eure Schändlichkeit aufdecke. Ihr drängtet und stacheltet zu Eurem Werke einen passenden Agenten, der aber seiner Natur, dem ganzen Wesen seines Seins nach ein Verräther ist, und auch gegen Euch so falsch war, wie er gegen alle Andern gewesen, trotz der Sympathie, die Euch Beide hätte zusammenknüpfen sollen. Mit Winken, Blicken und verschmitzten Worten, die sich nicht wiedergeben lassen, habt Ihr Gashford zu diesem Werke – dem Werke vor unseren Augen – gespornt. Mit denselben Winken, Blicken und verschmitzten Worten, die sich nicht wiedergeben lassen, drängtet Ihr ihn, seinen tödtlichen Haß gegen mich – Gott sey Dank, er trifft mich nicht unverdient – durch Entführung und Entehrung meiner Nichte Befriedigung zu verschaffen. Ja, Ihr thatet es. Euer Blick will es zwar in Abrede ziehen, sehe ich« rief er plötzlich, ihm in's Gesicht deutend und zurücktretend; »aber jeder Widerspruch ist eine Lüge.«

Er hatte die Hand an seinen Degen gelegt; aber der Ritter erwiederte so kalt wie zuvor, während ein Lächeln der Verachtung seine Züge überflog:

»Ihr werdet wohl bemerken, Sir – wenn Ihr anders gehörig zu fassen vermögt – daß ich mir nicht die Mühe genommen habe, Etwas in Abrede zu ziehen. Euer Blick ist kaum scharf genug, um in Gesichtern zu lesen, die nicht ebenso derb und plump, als Eure Worte sind; auch wüßte ich mich nicht zu erinnern, daß Ihr in dieser Beziehung je glücklicher gewesen wäret, sonst müßtet Ihr in einem Gesichte, das ich Euch namhaft machen könnte, längst Gleichgültigkeit, wo nicht Widerwillen gelesen haben. Ich spreche zwar von längst vergangenen Zeiten – aber Ihr versteht mich.«

»Dreht und wendet Euch, wie Ihr wollt. Ihr gedenkt es zu leugnen. Aber jeder Widerspruch, entschieden oder bemäntelt, ausgedrückt oder blos angedeutet, ist und bleibt eine Lüge. Ihr sagt, Ihr wollet es nicht in Abrede ziehen – aber gebt Ihr es zu?«

»Ihr selbst,« entgegnete Sir John, den Strom seiner Rede so glatt hinfließen lassend, als wäre er durch kein einziges Wort der Unterbrechung gehemmt worden, »habt den Charakter des fraglichen Gentlemans (ich glaube, es war in Westminsterhall) öffentlich in Ausdrücken bezeichnet, die mich der Nothwendigkeit, weiter von ihm zu sprechen, überheben. Ihr mögt damals Recht gehabt haben, vielleicht aber auch nicht, denn ich bin nicht competent in dieser Sache. Gesetzt aber, der Gentleman sey so, wie Ihr ihn bezeichnet, und er habe Euch oder irgend einer Person Mittheilungen hinterbracht, die ihm vielleicht die Sorge für seine Sicherheit, Gewinnsucht, der Wunsch, sich über Jemand lustig zu machen, oder sonst irgend eine Rücksicht eingab – was auch immer der Fall seyn mag, ich werde nichts weiter über ihn sprechen, als daß mir Diejenigen, welche einem so außerordentlich gemeinen Charakter ein Ohr leihen, diese liebenswürdige Eigenschaft zu theilen scheinen. Ihr seyd selbst so gar offen, daß ich wohl annehmen darf, Ihr werdet eine kleine Freiheit bei mir entschuldigen.«

»Hört mich noch einmal an, Sir John – nur noch einmal,« rief Herr Haredale; »in jedem Blicke, jedem Worte und jeder Geberde wollt Ihr mir sagen, dieß sey nicht Euer Werk. Ich aber behaupte, daß Ihr mit dem genannten Manne und mit Eurem unglücklichen Sohne, dem Gott vergeben möge, bei Begehung dieser That unter einer Decke gespielt. Ihr sprecht von Gemeinheit und Charakter? Ihr sagtet mir einmal, Ihr hättet den armen Verrückten und seine Mutter abgekauft, während Ihr doch (wie ich damals schon muthmaßte, seitdem aber mit Gewißheit erfahren habe) nur hingingt, um sie zu versuchen, nachdem sie schon ausgeflogen waren. Auf Euch zurück konnte ich das schmähliche Gerücht verfolgen, daß ich allein von dem Tode meines Bruders Nutzen gezogen habe, und alle die nachherigen schnöden Angriffe und Verleumdungen stammen aus derselben Quelle. In jeder bedeutenderen Epoche meines Lebens, von jener ersten Hoffnung an, die Ihr in Schmerz und Verödung umwandeltet, habt Ihr immer wie ein böses Schicksal zwischen mir und meinem Frieden gestanden. Ueberall erweist Ihr Euch als den gleichen kaltblütigen, hohlherzigen, falschen und ehrlosen Schurken. Zum zweiten und letzten Mal werfe ich Euch diese Beschuldigung in's Gesicht und stoße Euch von mir wie einen treulosen Hund.«

Mit diesen Worten erhob er seinen Arm und stieß ihn vor die Brust, so daß er zurück wankte. Sobald Sir John sich erholt hatte, zog er seinen Degen, warf die Scheide und seinen Hut weg, eilte auf seinen Gegner zu und führte nach dessen Herzen einen verzweifelten Stoß, welcher, wenn die Parade nicht rasch und sicher gewesen wäre, ihn todt in's Gras gestreckt haben müßte.

Mit dem Schlage hatte aber Herr Haredale's Zorn seine höchste Höhe erreicht und hielt jetzt inne. Er parirte die raschen Stöße seines Feindes, ohne sie zu erwiedern, und rief ihm, während sich ein fast wahnsinniger Schreck in seinem Gesichte ausdrückte, zu, er möchte inne halten.

»Nicht heute Abend! nicht heute Abend!« rang es sich von seinen Lippen. »Um Gottes willen, nicht heute Abend.«

Als der Andere sah, daß er seine Waffe senkte und keinen Stoß erwiederte, ließ er auch die seinige nieder.

»Ich warne Euch, nicht heute Abend!« rief Herr Haredale.

»Ihr sagtet mir – es muß eine Art von Eingebung gewesen sein« – entgegnete Sir John ganz ruhig, obgleich er jetzt seine Maske fallen und den bittersten Haß in seinen Zügen schauen ließ, »daß dieß das letzte Mal sey. Ihr dürft es überzeugt seyn! Glaubt Ihr, ich hätte unsere letzte Zusammenkunft vergessen? Meinet Ihr, ich hätte nicht jedes Wort, jeden Blick von Euch meinem Gedächtniß eingegraben, um seiner Zeit Rechenschaft dafür zu fordern? Glaubt Ihr, ich hätte Eure Zeit abgewartet, oder Ihr die meinige? Was ist das wohl für ein Mann, der mit seinem kranken Heuchelgeschwätze von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit einen Bund mit mir eingeht, um eine Heirath zu verhindern, von der er dergleichen thut, als sey sie ihm zuwider, und sich, nachdem ich mich meiner Verbindlichkeit, dem Geist und Buchstaben nach, entledigt, von der seinigen loszählt und auf eigene Faust die Verbindung zu Stande bringt, um sich einer Bürde, welcher er müd' geworden, zu entledigen und einen falschen Glanz auf sein Haus zu werfen?«

»Ich habe nach Ehre und Gewissen gehandelt,« rief Haredale, »und handle auch jetzt noch so. Zwingt mich nicht, diesen Zweikampf heute Abend zu erneuern!«

»Ihr sagtet, mein ›unglücklicher‹ Sohn, glaube ich?« entgegnete Sir John mit einem Lächeln. »Armer Narr! Bethörter Spielball eines so seichtköpfigen Schuftes! – sich zu einem Ehebunde verstricken zu lassen durch solch' einen Onkel und solch' eine Nichte! – Ja, er verdient Euer Mitleid. Doch er ist nicht mehr mein Sohn: der Fang, den Ihr Euch so verschmitzt gesichert, Sir, ist Euch wohl vergönnt.«

»Noch einmal,« rief sein Gegner, wild auf den Boden stampfend, »obgleich Ihr mich von meinem guten Engel losreißt, flehe ich Euch an, diesen Abend nicht in den Bereich meines Degens zu kommen. O! warum mußtet Ihr überhaupt hier seyn? Warum sind wir uns begegnet? Der morgige Tag schon hätte für immer einen weiten Raum zwischen uns gelegt.«

»Wenn dieß der Fall,« versetzte Sir John ohne die mindeste Erregung, »so ist es wahrhaftig ein Glück, daß wir uns heute noch getroffen haben, Haredale. Ihr wißt, daß ich Euch stets verachtete, aber ich erwies Euch wenigstens die Ehre, Euch eine Art von rohem Muth zuzutrauen. Um meiner Urtheilsgabe willen, die ich für eine gute hielt, thut es mir Leid, finden zu müssen, daß Ihr eine Memme seyd.«

Von beiden Seiten wurde kein Wort weiter gesprochen. Sie kreuzten ihre Degen, obgleich es schon ganz dunkel war und griffen sich gegenseitig ungestüm an. Sie waren sich ganz gleich, denn Beide wußten ihre Waffen mit großer Geschicklichkeit zu führen. Herr Haredale hatte zwar durch seine Kraft und Größe einen Vortheil; dagegen konnte sich Sir John einer größern Behendigkeit, namentlich aber einer größeren Kaltblütigkeit rühmen.

Der Kampf wurde bald heißer und wüthender; sie versetzten und empfingen gegenseitig mehrere leichte Wunden. Herr Haredale war eben in den Arm getroffen worden; als er fühlte, daß das warme Blut heraussprudelte, führte er einen heftigeren Stoß und senkte seinem Gegner den Degen bis an's Heft in den Leib.

Ihre Augen trafen sich und hafteten auf einander, als er die Waffe herauszog. Er schlang seinen Arm um den sterbenden Mann, der ihn matt zurückstieß und auf den Rasen niedersank. Auf die Hände sich aufrichtend schaute er noch einen Moment, voll Haß und Verachtung in seinem Blicke, nach seinem Gegner hin; da ihm übrigens selbst einzufallen schien, daß hiedurch der Ausdruck  nach dem Tode entstellt werden dürfte, so versuchte er zu lächeln. Mit einer schwachen Bewegung seiner rechten Hand, als wollte er die blutige Leinwand durch seine Weste bedecken, sank er todt zurück – das Phantom der letzten Nacht.



 << zurück weiter >>