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Einundfünfzigstes Kapitel.

So vielversprechend dieser Unfug in Gashford's Augen seyn, und so sehr er auch wie Handeln aussehen mochte, so ging er doch in der selbigen Nacht nicht weiter. Das Militär rückte wieder aus, es gab abermals ein halb Dutzend Gefangene, und auf's Neue wurde die Bande nach einem kurzen und blutlosen Kampfe zerstreut. So erhitzt und betrunken sie auch waren, hatten sie doch noch nicht alle Schranken niedergetreten und dem Gesetz und der Regierung noch nicht völlig Hohn geboten. Immer haftete noch etwas von der gewohnten Ehrfurcht gegen das für die Erhaltung der Gesellschaft eingesetzte Ansehen, und wäre die Majestät desselben zur rechten Zeit gehandhabt worden, so hätte wohl der Sekretär eine bittere Täuschung niederwürgen müssen.

Um Mitternacht waren die Straßen leer und ruhig, und Alles sah aus wie sonst, ausgenommen, daß an zwei Punkten der Stadt wankende Mauern und Schutthaufen sich befanden, wo am Morgen noch reiche und schöne Gebäude gestanden hatten. Selbst die besseren Klassen der katholischen Einwohner, deren viele in der Altstadt und in den Vorstädten wohnten, fürchteten nichts für ihr Leben oder Eigenthum, und fühlten nur wenig Unwillen wegen des Unrechts, das ihnen bereits durch Plünderung und Zerstörung ihrer Kirchen zugegangen war. Eine ehrliche Zuversicht zu der Regierung, unter deren Schutz sie schon so viele Jahre gelebt, und ein wohlgegründetes Vertrauen auf die gute Gesinnung und das richtige Gefühl der Gemeinschaft im Allgemeinen, mit der sie, ungeachtet der Confessionsverschiedenheit, jeden Tag vertraulichen, innigen und freundschaftlichen Verkehr unterhalten hatten, beruhigte sie sogar unter den begangenen Excessen und gaben ihnen die Ueberzeugung, daß Diejenigen, welche in Allem, nur nicht in dem Namen, Protestanten waren, eben so wenig als die Anstifter solcher schmählichen Ereignisse betrachtet werden dürften, als man ihnen selbst die Anwendung des Blocks, der Folter, des Galgens und des Marterpfahls unter der Herrschaft der grausamen Maria zur Last legen konnte.

Es schlug Ein Uhr, und Gabriel Varden saß mit seiner Frau und Miß Miggs noch immer wartend in der kleinen Wohnstube. Dieß, der überhängende Docht der trüben, niedergebrannten Kerzen, die herrschende Stille und namentlich die Nachtmützen der Frau vom Hause und der Jungfer bekundeten augenscheinlich, daß sie längst hatten zu Bette gehen wollen und deßhalb wohl einen gewichtigen Grund haben mochten, um so lange über die gewohnte Stunde aufzubleiben.

Hätte es noch eines weiteren bekräftigenden Zeugnisses bedurft, so wäre es hinreichend in den Bewegungen der Miß Miggs zu finden gewesen, die sich in jenem unruhigen und reizbaren Zustande des Nervensystems befand, der eine gewöhnliche Folge langen Wachens ist, denn sie rieb und zwickte ohne Unterlaß ihre Nase, änderte jeden Augenblick ihre Lage (was von dem plötzlichen Hervorwachsen imaginärer Aeste und Knorren aus ihrem Stuhle herrührte), kratzte sich häufig an den Augenbrauen, verfiel je zuweilen in einen kleinen Husten, stöhnte, gähnte, seufzte, schnüffelte, fuhr krampfhaft zusammen und erging sich noch in vielen anderen derartigen Demonstrationen, wodurch sie die Geduld des Schlossers dermaßen befeilte und beraspelte, daß derselbe, nachdem er sie ein Weilchen stillschweigend angesehen, endlich in folgende Anrede ausbrach:

»Miggs, meine gute Dirne, gehe Sie zu Bette – gehe Sie zu Bette. Es wird mir in der That schlechter, als wenn hundert Wassertonnen vor dem Fenster draußen herabträufelten, oder eben so viele Mäuse hinter dem Getäfel kratzten. Ich kann's nicht aushalten. Gehe Sie zu Bette, Miggs. In der That, Sie erweist mir einen Gefallen damit.«

»Ihr habt nichts aufzubinden. Sir,« entgegnete Miß Miggs, »und daher wundert mich's gar nicht, daß Ihr so etwas von mir verlangt. Bei der Meisterin ist es aber nicht der Fall, und so lang Ihr aufbleibt. Ma'am,« fügte sie, gegen die Gattin des Schlossers gewandt, bei, »könnte ich nicht ruhig zu Bette gehen, und wenn man mir zwanzigmal so viel kalt Wasser in diesem Augenblick über den Rücken hinunterlaufen ließe.«

Nach diesen Worten machte Miß Miggs unterschiedliche Versuche, ihre Schultern an einem unmöglichen Orte zu reiben, und schauderte von Kopf bis zu Füßen, damit zu verstehen gebend, daß der imaginäre Wasserfall noch immer in vollem Rieseln begriffen sey, sie aber durch ihr Pflichtgefühl sowohl unter diesem, als unter allen Leiden aufrecht erhalten und zur Ausdauer bekräftigt werde.

Frau Varden war zu schläfrig, um zu sprechen, und da Miß Miggs ihr Sprüchlein angebracht hatte, so blieb dem Schlosser nichts übrig, als zu seufzen und möglichst ruhig zu bleiben.

Sich übrigens einem solchen Basilisken gegenüber ruhig zu verhalten, war ein Werk der Unmöglichkeit; denn wenn er in eine andere Richtung schaute, so war es noch weit schlimmer, fühlen zu müssen, wie sie ihre Wange rieb, sich in's Ohr zwickte, mit den Augen blinzelte oder ihre Nase in allen Arten von außerordentlichen Formen drehte, als es mit anzusehen. Hörte sie einen Augenblick auf, den Schlosser damit zu belästigen, so geschah es nur, weil ihr der Fuß eingeschlafen war, weil sie ein Jucken am Arme spürte, weil ihr der Krampf das Bein zusammenzog, oder eine sonstige schreckliche Krankheit den ganzen Körper durchzuckte. Wenn sie sich ein klein wenig Ruhe gönnte, so saß sie steif und aufrecht in ihrem Stuhl, die Augen schließend und den Mund weit aufsperrend, nickte dann ein Bischen vorwärts und hielt wieder mit einem Rucke inne; dann kam wieder ein Kopfnicken und abermals ein Ruck, dann erholte sie sich ein wenig und kam wieder vorwärts – tiefer – tiefer – und tiefer – ganz allmälig, bis es endlich als eine Unmöglichkeit erschien, daß sie nur einen Augenblick länger das Gleichgewicht erhalten könnte, und der Schlosser eben in Todesängsten aufschreien wollte, damit sie nicht auf die Stirne niederstürze und sich den Schädel einschlage; dann aber fuhr sie so plötzlich und ohne vorhergängige Urkund in die Höhe, und saß wieder steif und aufrecht da, das schläfrige Gesicht voll trotziger Herausforderung, welche deutlich sagte: »Ich habe kein Auge zugethan, seit ich Euch zum letzten Mal ansah, und kann einen Eid darauf schwören.«

Endlich, nachdem es Zwei geschlagen, ließ sich ein Ton von der Hausthüre her vernehmen, als ob Jemand zufällig gegen der Klopfer gefallen wäre. Miß Miggs sprang augenblicklich auf, schlug ihre Hände zusammen und rief mit einer schläfrigen Mischung von Heiligem und Profanem:

»Hallelojah, Ma'am! Das ist Simmun's Klopfen!«

»Wer da?« rief Gabriel.

»Ich!« entgegnete Herrn Tappertit's wohlbekannte Stimme. Gabriel öffnete die Thüre und ließ ihn ein.

Die Figur, die Herr Tappertit machte, war nicht die ansprechendste; denn ein Mann von seiner Statur leidet immer in einem Gedränge, und da er bei dem Werke des gestrigen Morgens thätig gewesen, so war sein Anzug, im buchstäblichen Sinne des Wortes, vom Kopf bis zum Fuße zerknüllt, sein Hut aus allen Formen geschlagen und die Fußbekleidung nach Weise der Pantoffeln hinten niedergetreten. Sein Rock flatterte in Fetzen um ihn her, Beinkleider- und Schuhschnallen waren abgezerrt, das Halstuch nur noch zur Hälfte vorhanden und der Busenstreif seines Hemds in Franzen zerschlissen. Aber ungeachtet dieser persönlichen Entstellungen, der durch die Hitze und die Anstrengung herbeigeführten Erschöpfung und der dicken Schmutz- und Staubrinde, die ihn wie ein Futteral überzog, so daß sich weder von seiner Haut, noch von seinen Kleidern die wirkliche Textur unterscheiden ließ, stolperte er doch hochmüthig in die Stube, warf sich in einen Stuhl, bemühte sich, die Hände in die Taschen seiner kurzen Hosen zu stecken, die herausgekehrt waren und wie Troddeln auf seine Beine herunterhingen, und, musterte den Haushalt mit düsterer Würde.

»Simon,« sagte der Schlosser mit Ernst, »wie kömmt es, daß Er zu dieser Stunde der Nacht und in einem solchen Zustande heim kommt? Gebe Er mir die Versicherung, daß Er nicht unter den Aufrührern gewesen ist, und ich bin zufrieden.«

»Sir,« versetzte Herr Tappertit mit einem Blicke voll Verachtung, »ich wundere mich über Eure Dreistigkeit, mir solche Fragen zu stellen.«

»Er hat getrunken,« sagte der Schlosser.

»Vom allgemeinen Gesichtspunkte aus und in dem beleidigendsten Sinne des Worts, Sir,« erwiederte ihm der Schlossergeselle mit großer Besonnenheit, »betrachte ich Euch als einen Lügner. Mit Eurer letzten Bemerkung habt Ihr jedoch unabsichtlich – unabsichtlich, Sir – die Wahrheit getroffen.«

»Martha,« sagte der Schlosser zu seinem Weibe, indem er bekümmert den Kopf schüttelte, obgleich er sich eines kleinen Lächelns über die abgeschmackte Figur seines Arbeiters nicht erwehren konnte, »ich hoffe, es stellt sich nicht heraus, daß dieser arme Tropf ein Opfer der Schurken und Narren geworden ist, über die wir uns so oft stritten, und die heute so viel Unheil angestiftet haben. Wenn er heute Nacht in Warwick-Street oder Duke-Street gewesen wäre –«

»Er ist an keinem dieser Orte gewesen, Sir,« rief Herr Tappertit mit lauter Stimme, die er plötzlich zu einem Flüstern dämpfte, als er, den Schlosser fest ansehend, wiederholte: »Er ist an keinem dieser Orte gewesen.«

»Das freut mich von ganzem Herzen,« versetzte der Schlosser in ernstem Tone; »denn wäre es so, und es könnte gegen ihn bewiesen werden, Martha, dann wäre deine große Association für ihn der Karren, der die Leute zum Galgen führt und sie in der Luft hängen läßt. Ja, so wahr wir leben, es wäre nicht anders!«

Frau Varden war durch Simmons verändertes Benehmen und Aussehen, wie auch durch die Berichte, die sie über die Aufrührer gehört hatte, zu verschüchtert, um etwas zu erwiedern, oder zu ihrer gewöhnlichen ehelichen Politik ihre Zuflucht zu nehmen. Miß Miggs rang ihre Hände und weinte.

»Er war nicht in Duke-Street oder in Warwick-Street, Gabriel Varden,« sagte Simon hochtragend, »aber in Westminster war er. Vielleicht, Sir, hat er einen Grafschaftsdeputirten mit Füßen getreten, vielleicht, Sir, einen Lord geprügelt – ja, macht nur große Augen, Sir, ich wiederhole es – Blut ist aus den Nasen geflossen, und vielleicht hat er einen Lord geprügelt. Wer weiß? Dieß,« fügte er bei, indem er die Hand in seine Westentasche steckte und einen großen Zahn herausnahm, bei dessen Anblick Miß Miggs und Frau Varden laut aufschrien; »dieß war das Eigenthum eines Bischofs. Seht Euch vor, Gabriel Varden.«

»Nun, da wollte ich doch lieber fünfhundert Pfund aus meinem Beutel bezahlt haben,« sagte der Schlosser hastig, »als daß es so weit kommen mußte. Du Dummkopf, weißst du auch, in welcher Gefahr du schwebst?«

»Ich weiß es, Sir,« versetzte sein Geselle, »und rechne mir's zum Ruhme. Ich war dort. Jedermann sah mich dort. Ich habe mich als bedeutender, als hervorragender Mann gezeigt und mache mir nichts aus den Folgen.«

Der Schlosser schritt in stummer Aufregung und Unruhe auf und ab, warf hin und wieder seinem vormaligen Lehrling einen Blick zu, machte endlich vor ihm Halt und sprach:

»Gehe Er zu Bette und schlafe Er ein paar Stunden, um mit einigem Verstande wieder aufzuwachen. Ja, bereue Er, was Er gethan hat, und wir wollen sehen, ob wir Ihn retten können. Ich werde ihn um fünf Uhr wecken,« sagte Varden, indem er sich hastig an seine Frau wandte, »und wenn er sich dann wäscht und andere Kleider anzieht, so erreicht er vielleicht die Towertreppen und kann mit dem Gravesender Fluthboot entwischen, ehe man ihn aufsucht. Von dort aus ist's ihm ein Leichtes, nach Canterbury zu kommen, wo ihm dein Vetter Arbeit geben kann, bis dieses Unwetter ausgestürmt hat. Ich weiß zwar nicht, ob ich recht handle, indem ich ihn gegen die wohlverdiente Strafe zu schirmen suche, aber er hat wohl ein Dutzend Jahre als Knabe und Mann in diesem Hause gelebt, und es thäte mir leid, wenn er wegen dem Unterfangen dieses einzigen Tages zu einem elenden Ende käme. Schließe Sie die Vorderthüre, Miggs, und gebe Sie Acht, daß man kein Licht auf der Straße sieht, wenn Sie die Treppe hinaufgeht. Hurtig, Simon! Mache Er, daß Er zu Bette kömmt!«

»Und meint Ihr, Sir,« entgegnete Herr Tappertit mit einer Breite und Langsamkeit, die einen gewaltigen Contrast gegen die Hast und den Eifer seines freundlich gesinnten Meisters bildete, »und meint Ihr, daß ich niederträchtig und gemein genug sey, Euren knechtischen Vorschlag anzunehmen, Ihr ungläubiger Heide?«

»Rede Er da, was Er will, Sim, aber mache Er, daß Er zu Bette kömmt. Jede Minute ist von Folgen. Das Licht her, Miggs!«

»Ja, ja, recht so! Nur gleich zu Bette!« riefen die beiden Weiber unter einander.

Herr Tappertit erhob sich, stieß seinen Stuhl zurück, um zu zeigen, daß er keines Beistandes bedürfe, schwankte hin und her, machte mit seinem Kopfe Gestikulationen, als stehe er durchaus nicht mit seinem Körper in Verbindung, und antwortete:

»Ihr sprecht von Miggs, Sir – eine Miggs läßt sich allenfalls dämpfen.«

»O Simmun!« rief diese junge Dame mit matter Stimme. »O Ma'am! O Sir! O du ewige Güte! Was er mir für einen Herzstoß gegeben hat!«

»In dieser Familie lassen sich wohl Alle dämpfen, Sir,« entgegnete Herr Tappertit, die Zofe mit einem Lächeln unaussprechlicher Verachtung ansehend. »Frau Varden ausgenommen. Nur um ihretwillen komme ich diese Nacht her, Sir. Frau Varden, nehmt diesen Streifen Papier. Es ist eine Sicherheitskarte, Ma'am. Ihr könntet dessen vielleicht benöthigt seyn.«

Mit diesen Worten hielt er auf Armslänge einen schmutzigen und zerknüllten, überschriebenen Fetzen vor sich hin. Der Schlosser nahm ihn, öffnete ihn und las, wie folgt:

›Alle aufrichtigen Freunde unserer Sache werden sich hoffentlich in Acht nehmen, nirgends das Eigenthum eines treuen Protestanten zu beschädigen. Ich bin überzeugt, daß der Eigenthümer dieses Hauses ein standhafter und ehrenhafter Freund unserer Sache ist.

George Gordon.‹

»Was soll dieß?« sagte der Schlosser mit ganz verändertem Gesichte.

»Etwas, was Euch gute Dienste leisten wird, alter Knabe, wie Ihr finden werdet,« versetzte der Schlossergeselle. »Bewahrt es gut auf und legt es an einen Ort, wo Ihr es in einem Nu zur Hand haben könnt. Und kreidet morgen Nacht und für die ganze, künftige Woche ›Kein Pabstthum‹ an Eure Thüre – weiter sage ich nicht.«

»Das Dokument ist ächt,« sagte der Schlosser,« denn ich habe diese Hand früher schon gesehen. Was liegt darin für eine Drohung versteckt? Welcher Teufel ist los?«

»Ein feuriger Teufel,« erwiederte Sim; »ein flammender, wüthender Teufel. Kommt ihm nicht zu nahe, oder es ist um Euch geschehen, mein Hähnchen. Laßt Euch in Zeiten warnen, Gabriel Varden. Gott befohlen!«

Aber nun warfen sich ihm die beiden Weiber in den Weg – besonders Miß Miggs, die mit einem solchen Eifer über ihn herfiel, daß sie ihn beinahe gegen die Wand spießte – und beschworen ihn in den bewegendsten Worten, nicht fortzugehen, bis er nüchtern sey; er solle doch Räson annehmen, sich besinnen, ein Bischen ruhen und dann erst einen Entschluß fassen.

»Ich sage Euch,« versetzte Herr Tappertit,« daß mein Entschluß gefaßt ist. Mein blutendes Vaterland ruft mich und ich gehe! Miggs, wenn Ihr mir nicht aus dem Wege tretet, so zwicke ich Euch.«

Miß Miggs klammerte sich noch immer an den Rebellen an und schrie entsetzlich hinaus – ob in den tiefen Nöthen ihrer Seele, oder ob in Folge der Ausführung dieser Drohung, wissen wir nicht zu sagen.

»Laßt mich los,« sagte Simon, indem er sich ihrer keuschen, aber spinnenartigen Umarmung zu entziehen suchte. »Laßt mich gehen! Ich habe für den kommenden, veränderten Zustand der Gesellschaft meine Vorkehrungen getroffen und gedenke, Euch eine behagliche Versorgung zu verschaffen – So! Wird Euch dieß zufriedenstellen?«

»O Simmun!« rief Miß Miggs. »O mein gesegneter Simmun! O Ma'am, welche Gefühle durchkreuzen in diesem betrübenden Augenblick meine Brust!«

Diese Gefühle mochten wohl von ziemlich stürmischer Natur seyn, denn sie hatte im Kampfe ihre Nachtmütze verloren und lag nun knieend auf dem Boden, eine sonderbare Schaustellung von blauen und gelben Papierwickeln, los gewordenen Haarlocken, Schnürbandstiften und allem Möglichen bietend; dabei schnappte sie nach Luft, schlug ihre Hände zusammen, richtete die Augen aufwärts, vergoß einen Ueberfluß von Thränen und zeigte noch verschiedene andere Symptome des peinlichsten Seelenleidens.

»Ich lasse einen Koffer voll Sachen droben,« sagte Simon, in gänzlicher Nichtachtung von Miggs' jungfräulichem Schmerz sich an seinen Meister wendend. »Ihr könnt damit anfangen, was Ihr wollt, denn ich brauche sie nicht mehr – werde auch nie wieder hierher zurückkommen. Seht Euch nach einem andern Arbeiter um, Sir, denn ich stehe jetzt als Arbeiter im Dienste meines Vaterlandes. Hinfort wird dieß meine Profession seyn.«

»Sey Er meinetwegen in zwei Stunden, was Er will, aber jetzt soll Er mir zu Bette gehen,« entgegnete der Schlosser, vor die Thüre tretend; »Hört Er mich? Zu Bette soll er gehen!«

»Ich höre Euch und biete Euch Trotz, Varden,« versetzte Simon Tappertit. »Ich bin diese Nacht auf dem Lande draußen gewesen, Sir, und habe den Plan zu einem Feldzug entworfen, der Eure arme Schlosserseele mit Staunen und Entsetzen erfüllen wird. Die Ausführung des Entwurfs bedarf meiner höchsten Thatkraft. Laßt mich hinaus.«

»Ich schlage Ihn zu Boden, wenn Er der Thüre nahe kömmt,« erwiederte der Schlosser. »'s ist gescheidter, Er geht in's Bett.«

Simon Tappertit gab keine Antwort, sondern pflanzte sich so gerade, als es ihm möglich war, auf, stürzte köpflings auf seinen alten Meister los, und so rangen sich Beide in die Werkstatt hinaus, mit Händen und Füßen so rasch um sich schlagend, daß sie wie ein Halbdutzend aussahen, während Miggs und Frau Varden für Zwölf schrieen.

Es wäre für Herrn Varden ein Leichtes gewesen, seinen alten Lehrling zu Boden zu schlagen und ihm Hände und Füße zu binden; aber er wollte ihm in seinem dermaligen unzurechnungsfähigen und unbeschützten Zustande nicht wehe thun, weßhalb er sich begnügte, die Schläge desselben, so gut er konnte, zu pariren, und wo dieß nicht anging, sie eben gutmüthig hinzunehmen; dabei hielt er sich zwischen ihm und der Thüre, einer günstigen Gelegenheit harrend, ihn die Treppe hinaufzudrängen und in seiner Kammer einzusperren. In seiner Herzensgüte baute er inzwischen zu viel auf die Schwäche seines Gegners und vergaß darüber ganz, daß betrunkene Personen, die das Vermögen, sicher aufzutreten, verloren haben, oft rennen können. Simon Tappertit ersah daher den günstigen Zeitpunkt, that, als ob er zurückwiche, stolperte dann plötzlich vorwärts und an seinem Meister vorbei, öffnete die Thüre (denn er kannte den Vortheil des Schlosses wohl) und stürzte wie ein toller Hund auf die Straße hinaus. Im Uebermaße seines Erstaunens pausirte der Schlosser einen Augenblick und begann dann eine Jagd.

Die Zeit war für ein Wettrennen ausgezeichnet gewählt, denn die Straßen waren zu der späten Stunde ganz verlassen, die Luft abgekühlt und die flüchtige Gestalt in großer Entfernung noch deutlich erkennbar: sie eilte dahin, während ihr ein langer, magerer Schatten auf dem Fuße folgte. Bei dem kurzen Athem des Schlossers war jedoch ein Mensch von Sim's Jugend und windiger Gestalt sehr im Vortheil, obgleich es eine Zeit gegeben hatte, wo er ihn in einem Nu eingeholt haben würde. Der Raum zwischen Beiden wurde immer größer, und da eben die ersten Sonnenstrahlen einfielen, als Simon um eine ferne Ecke bog, gab Gabriel Varden die Jagd gerne auf und setzte sich auf eine Thürtreppe nieder, um wieder zu Athem zu kommen. Simon hatte sich inzwischen, ohne auch nur ein einzigesmal anzuhalten, mit stets gleicher Geschwindigkeit nach dem Stiefel geflüchtet, wo er einige von seiner Gesellschaft zu finden gewiß war. Dieses respektable Gasthaus hatte bereits die Auszeichnung erworben, durch das Gesetz bedroht zu seyn, weßhalb dort jede Nacht eine freundliche Wache aufgestellt war, die sich denn auch jetzt auf ihrem Posten befand, um seiner Ankunft entgegen zu sehen.

»Nun, so geh' deiner Wege, Sim, geh' deiner Wege,« sagte der Schlosser, sobald er wieder sprechen konnte. »Ich habe mein Bestes für dich gethan, armer Tropf, und hätte dich wohl retten mögen, aber ich fürchte, der Hanf zu deinem Stricke ist schon gedreht.«

Dabei schüttelte er bekümmert und trostlos den Kopf, trat den Heimweg an und erreichte bald wieder seine Wohnung, wo Frau Varden und die treue Miggs ängstlich seiner Rückkehr harrten.

Nun unterhielt aber Frau Varden (und demgemäß auch Miß Miggs) eine geheime Besorgniß, daß sie wohl Unrecht gethan habe, indem sie, so weit es ihre beschränkten Mittel erlaubten, dem Gedeihen von Unruhen, deren Ende unmöglich vorauszusehen war, Beihülfe und Vorschub leistete; daß sie einigermaßen selbst Anlaß zu dem letzten Auftritt gegeben, und daß für den Schlosser jetzt in der That die Zeit des Triumphes und der Vorwürfe herangekommen sey. Frau Varden fühlte dieß wirklich so nachdrücklich, und war in Folge davon so entmuthigt, daß sie, während ihr Gatte den ausgerissenen Schlossergesellen verfolgte, das kleine Ziegelhäuschen mit dem gelben Dache unter ihrem Stühle verbarg, um dadurch jeden neuen Anlaß, auf dieses peinliche Thema zurückzukommen, zu vermeiden. Jetzt rückte sie es sogar noch weiter zurück und verbarg es mit den Säumen ihres Kleides.

Zufälligerweise hatte jedoch der Schlosser auf seinem Heimwege gerade an diesen Gegenstand gedacht. Als er daher in das Zimmer trat und ihn nicht sah, ging seine erste Frage dahin, wo derselbe wäre.

Frau Varden hatte nun freilich keine andere Wahl, als ihn hervorzuziehen, was sie unter vielen Thränen that, indem sie dabei die abgebrochenen Versicherungen laut werden ließ, wenn sie hätte wissen können, daß –

»Ja, ja,« sagte Varden, »natürlich – ich wußte es wohl. Ich will dir keine Vorwürfe machen, meine Liebe; aber vergiß mir in Zukunft nicht, daß etwas Gutes, wenn es zu üblen Zwecken angewendet wird, weit schlimmer ist als das von Natur aus Böse. Ein schlechtes Weib geräth immer auf schlimmere Abwege, und wenn die Religion einmal irre geleitet ist, so geht es mit ihr aus demselben Grunde bald zum Allerschlimmsten. Wir wollen daher nichts mehr darüber sagen, meine Liebe.«

Und damit warf er das rothe Ziegelhäuschen auf den Boden, setzte den Fuß darauf und zertrat es in Stücke. Die Halbpence, die Sechspence und die sonstigen freiwilligen Beiträge rollten nach allen Richtungen hin, aber Niemand bewegte sich, um sie anzurühren oder aufzunehmen.

»Mit Diesem sind wir leicht fertig« sagte der Schlosser, »und wollte Gott, daß Alles, was aus derselben Gesellschaft erwachsen ist, eben so schnell bereinigt werden könnte!«

»Ein sehr glücklicher Umstand, Varden,« entgegnete seine Gattin, das Schnupftuch vor die Augen haltend, »daß wir für den Fall ernstlicher Ruhestörungen – ich hoffe es indeß nicht; nein, ich hoffe es aus ganzer Seele, daß sich nichts dergleichen zutragen wird –«

»Das hoffe ich auch, meine Liebe.«

»– Daß wir, im Falle sich Etwas der Art begeben sollte, den Papierstreifen haben, den uns jener arme, irregeleitete junge Mensch gebracht hat.«

»Ha, natürlich« sagte der Schlosser, sich rasch umwendend. »Wo ist der Wisch?«

Frau Varden stand entsetzt da, als er ihr den Fetzen aus der ausgestreckten Hand nahm, ihn zerriß und die Bruchstücke unter den Kaminrost schob.

»Aber warum keinen Gebrauch davon machen?« rief sie.

»Gebrauch davon machen?« entgegnete der Schlosser. »Nein! Mögen sie kommen und uns das Dach um die Ohren ziehen! Mögen sie mir Haus und Hof niederbrennen – keines Falls will ich unter dem Schutze ihres Führers stehen und eben so wenig ihr Geheul an meine Thüre kreiden, sollten sie mich auch an meiner Schwelle todt schießen. Gebrauch davon machen? Mögen sie kommen und ihr Schlimmstes thun. Der Erste, der mir in einer Absicht, wie die ihrige ist, in die Thüre tritt, würde weit besser daran seyn, wenn er hundert Meilen davon weg wäre. Er soll sich vorsehen. Die andern mögen treiben, was sie wollen. Ich möchte nicht bei ihnen betteln, oder mich von dem Pack loskaufen, wenn ich statt eines jeden Pfundes Eisen in meiner Werkstatt eben so viele Centner Gold da liegen hätte. Geh' zu Bett, Martha. Ich will die Läden aufmachen und an's Geschäft gehen.«

»So früh?« entgegnete seine Gattin,

»Ei, freilich so früh,« erwiederte der Schlosser wohlgemuth. »Mögen sie kommen, wenn sie wollen, sie sollen uns in keinem Verstecke kauernd finden, als fürchteten wir uns, auch unser c Tageslicht zu profitiren, und wollten alles ihnen allein lassen. Nun, süße Träume, mein Schatz, und ein gutes Schläfchen!«

Damit gab er seinem Weibe einen herzlichen Kuß und forderte sie auf, nicht länger zu zögern. sonst dürfte es Zeit zum Aufstehen werden, ehe sie sich niedergelegt hätte.

Frau Varden ging ganz liebenswürdig und zahm die Treppe hinauf, hintendrein Miggs, die sich, nebenbei gesagt, nicht entbrechen konnte, feierlich und sehr gedämpft, unterschiedliche stimulirende Hustenstöße und Schnüffeltöne laut werden zu lassen, oder in hellem Erstaunen über die Keckheit ihres Gebieters die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen.



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