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Vierundfünfzigstes Kapitel.

Inzwischen hatten sich die Gerüchte von den obwaltenden Unruhen ziemlich allgemein durch die Städte und Dörfer in der Umgebung von London verbreitet, und die Nachrichten waren allenthalben mit jener Vorliebe für das Wunderbare und Schreckliche, welche wahrscheinlich schon seit der Schöpfung der Welt eine natürliche Eigenschaft des menschlichen Charakters ist, aufgenommen worden. Die Berichte kamen jedoch vielen Personen jener Zeit, wie es auch bei uns der Fall sein müßte, wenn wir nicht wüßten, daß sie geschichtliche Thatsachen sind, so monströs und unwahrscheinlich vor, daß ein großer Theil von solchen, die mehr entfernt von London wohnten und in andern Punkten leichtgläubig genug waren, in der That nicht im Stande war, sich zu bereden, daß solche Dinge vorgehen könnten, und daher die Erzählungen, mit denen man sich allenthalben trug, als abgeschmackt und fabelhaft verwarf.

Herr Willet – vielleicht weniger in Folge einer reiflichen Ueberlegung und einer darauf begründeten Ansicht, als vielmehr in Folge seiner angeborenen Streitsucht und Hartnäckigkeit – war einer von denen, die von den Gegenständen des Tagsgespräches durchaus nichts wissen wollten. An demselbigen Abend, und vielleicht gerade um dieselbige Zeit, als Gashford seine einsame Wache hielt, war der alte John von beständigem Kopfschütteln in Folge seiner Opposition gegen die salbadernden Maibaumstammgäste so roth im Gesichte geworden, daß er eigentlich wie ein Wunderding anzuschauen war, welches das Portal des Maibaums, worin sie mit einander saßen, wie ein ungeheurer Karfunkel in einem Feenmährchen erleuchtete.

»Glaubt Ihr. Sir,« fragte Herr Willet mit einem strengen Blicke auf Solomon Daisy, denn es war in Fällen eines persönlich werdenden Wortwechsels seine Gewohnheit, mit dem kleinsten Mann in der Gesellschaft anzubinden – »glaubt Ihr, Sir, daß ich als ein Narr auf die Welt gekommen bin?«

»Nein, nein, Johnny,« versetzte Solomon, sich in dem kleinen Kreise, wovon er selbst einen Bestandtheil bildete, umsehend; »wir Alle wissen das besser. Ihr seyd kein Narr, Johnny. Nein, nein!«

Herr Cobb und Herr Parkes schüttelten im Einklang ihre Köpfe und murmelten: »Nein, nein, Johnny, Ihr nicht!« Aber da solche Komplimente gewöhnlich keine andere Wirkung übten, als daß sie Herrn Willet noch störrischer machten, als er zuvor war, so musterte er sie nur mit einem Blicke tiefer Verachtung und gab folgende Erwiederung:

»Wie muß ich es aber dann nehmen, daß ihr hierher kommt und mir sagt, ihr wollet diesen Abend mit einander einen Spaziergang nach London machen – ihr drei – ihr – um euch durch eure eigenen Sinne zu überzeugen. Habt ihr nicht,« fügte Herr Willet bei, indem er mit der Miene stolzer Geringschätzung die Pfeife in seinen Mund steckte, »habt ihr nicht genug an dem Zeugniß meiner Sinne?«

»Aber das haben wir ja nicht, Johnny,« lautete die bescheidene Entgegnung des Herrn Parkes,

»Wie, Ihr hättet es nicht, Sir?« versetzte Herr Willet, ihn vom Kopfe bis zur Zehe betrachtend. »Ihr hättet es nicht, Sir? Ihr habt es, Sir. Sage ich Euch nicht, Seine gesegnete Majestät, König Georg der Dritte, würde eben so wenig einen solchen Aufruhr und Skandal in seinen Straßen dulden, als er sein Parlament verhöhnen lassen kann?«

»Ja, Johnny, aber das sagt Euch Euer Verstand – nicht Eure Sinne,« entgegnete der wagehalsige Herr Parkes.

»Wie könnt Ihr dieß wissen?« erwiederte John mit großer Würde. »Ihr seyd sehr keck in Eurem Widerspruche, Sir. Wie könnt Ihr wissen, ob's der Verstand oder die Sinne sind? Ich kann mich nicht erinnern, daß ich Euch je eine Mittheilung darüber gemacht hätte, Sir.«

Herr Parkes, der jetzt sah, daß er auf dem Wege war, sich in metaphysische Spitzfindigkeiten zu verwickeln, aus denen er sich nicht herauszuwinden die Aussicht hatte, stammelte eine Entschuldigung und ließ den Gegenstand fallen. Dann folgte eine Pause von zehn Minuten oder einer Viertelstunde, nach deren Verfluß man sehen konnte, wie Herr Willet von einem Gelächter geschüttelt und gerüttelt wurde, wobei derselbe in Beziehung auf seinen abgefertigten Gegner bemerkte, »er hoffe, daß dieser jetzt zufrieden sey.« Dann lachten die Herren Cobb und Daisy, nickten mit dem Kopfe, und so wurde Parkes als durchaus und nachdrücklich geschlagen angesehen.

»Könnt ihr glauben, daß Herr Haredale, wenn alles dieß wahr wäre, beständig von Hause weg seyn würde, wie es wirklich der Fall ist?« fuhr John nach einer zweiten Pause fort. »Meint ihr, er wäre so keck, sein Haus mit den beiden Frauenzimmern zu verlassen, während nur ein paar Männer oder so etwas zu ihrem Schutze da sind?«

»Je nun, Ihr wißt doch auch,« entgegnete Solomon Daisy,« daß sein Haus eine Strecke Wegs von London entfernt ist, und man sagt, die Aufwiegler gingen nicht weiter als zwei oder höchstens drei Meilen von dem Stadtbanne weg. Außerdem wißt Ihr auch, daß einige von den vornehmen Katholiken Geschmeide und dergleichen nach dem Kaninchenhag in Sicherheit gebracht haben – wenigstens geht so die Sage.«

»Nun!« sagte Solomon, der jetzt, um die Aufmerksamkeit seiner beiden über diese Erwiederung kichernden Freunde abzulenken, aufstand, »mag man's glauben oder nicht, wahr bleibt es doch. Aber wie dem auch seyn mag, wenn wir nach London gehen wollen, so muß es gleich geschehen. Also die Hand, Johnny, und gute Nacht.«

»Ich gebe Niemanden die Hand,« versetzte der Wirth, indem er die genannten Gliedmaßen in seine Taschen steckte, »der in einer so unsinnigen Absicht nach London geht.«

Die drei Gevattern sahen sich daher in die Nothwendigkeit versetzt, statt der Hand mit dem Ellenbogen vorlieb zu nehmen. Nach Bereinigung dieser Ceremonie holten sie ihre Hüte, Röcke und Ueberröcke aus dem Hause, wünschten ihm gute Nacht und entfernten sich mit dem Versprechen, ihm morgen einen vollen und wahren Bericht über die Sachlage in der Stadt zu bringen, und im Falle dort alles ruhig wäre, das vollste Verdienst seines Sieges anzuerkennen.

John Willet sah ihnen nach, wie sie in der reichen Glut eines Sommerabends ihres Weges zogen, klopfte die Asche aus seiner Pfeife und lachte innerlich über ihre Thorheit, bis ihm die Seiten wehe thaten. Als er sich ganz erschöpft hatte – wozu eine geraume Zeit erforderlich war, denn er lachte eben so langsam, als er dachte und sprach – lehnte er sich gemächlich mit seinem Rücken gegen das Haus, legte die Beine auf die Bank, zog die Schürze über sein Gesicht und verfiel in einen gesunden Schlaf.

Wie lange er geschlafen haben mochte, kümmert uns wenig. Jedenfalls war es ein hübscher Zeitraum, denn als er erwachte, war das Licht des Tages entschwunden, und die schwarzen Schatten der Nacht, in welchen bereits einige Sternlein blinkten, lagerten über der Landschaft. Die Vögel waren alle zur Ruhe, die Maßliebchen auf dem Rasen hatten ihre Feenschirme geschlossen, die um das Portal sich windende Jerichorose hauchte zwiefachen Duft aus, als hätte sie in dieser stillen Stunde ihre Schüchternheit verloren und liebte es, ihre Wohlgerüche bei Nacht zu ergießen, und der Epheu bewegte kaum seine tiefgrünen Blätter. Wie ruhig und schön alles war!

Gab es nicht noch einen andern Ton in der Luft, außer dem sanften Rauschen des Laubs auf den Bäumen und dem luftigen Gezirpe der Heuschrecken? Horch! Ein ganz schwacher und ferner Ton, nicht unähnlich dem Gemurmel in einer Seemuschel. Jetzt wurde er lauter, jetzt wieder schwächer, und jetzt starb er ganz dahin. Aber unmittelbar darauf – er kam wieder, schwieg, wiederholte sich, wurde lauter, schwächer und ging endlich in ein Gebrülle über. Es war auf der Straße und wechselte mit deren Windungen. Mit einemmale ließen sich die Töne bestimmter unterscheiden – Stimmen und die Fußtritte vieler Menschen.

Es ist zweifelhaft, ob der alte Willet selbst jetzt an die Rebellen gedacht hätte, ohne das Geschrei seiner Köchin und Hausmagd, welche kreischend die Treppe hinauf rannten und sich in eine der alten Dachstuben einschlossen, wo sie ein gräuliches Gezeter anhuben, damit ja ihr Zufluchtsort recht verborgen und sicher seyn möchte. Diese zwei Frauenspersonen gaben nachher an, daß Herr Willet in seiner Bestürzung blos ein einziges Wort hervorgebracht, das er sechsmal mit einer Stentorstimme auf das Bestimmteste die Treppe hinaufgerufen habe. Da aber dieses nur mit zwei Sylben versehene Wort, so unanstößig es auch in seiner Anwendung auf einen Vierfüßler seyn mochte, in Verbindung mit Damen von untadeligem Charakter sehr ehrenrührig klang, so waren viele Personen geneigt, zu glauben, daß die jungen Frauenzimmer in Folge ihrer übermäßigen Furcht unter einer Sinnentäuschung gelitten und nicht recht gehört hätten.

Sey dem übrigens, wie ihm wolle, John Willet, in welchem der höchste Grad dummer Verwirrung die Stelle des Muths ersetzte, pflanzte sich in dem Portale auf und erwartete, was da kommen sollte. Einmal kam ihm der unbestimmte Gedanke, daß so etwas wie eine Thüre an dem Hause sey, was er verschließen und verriegeln könnte, und zu gleicher Zeit zuckte eine schattenhafte Vorstellung von Läden an den unteren Fenstern durch sein Gehirn. Aber er stand stockstille, schaute die Straße hinunter in der Richtung, von wo aus der Lärm rasch näher kam, und nahm sich nicht einmal Zeit, die Hände aus den Taschen zu ziehen.

Er brauchte nicht lange zu warten. Eine dunkle Masse wurde bald durch eine Staubwolke hindurch sichtbar. Der Pöbel beschleunigte seine Schritte und drang in buntem Durcheinander, heulend und zeternd, wie ein Schwarm Wilder heran, und in wenigen Augenblicken wurde John von einer Hand zur andern mitten in den Haufen hineingewirbelt.

»Halloh!« rief eine ihm nicht unbekannte Stimme, während zu gleicher Zeit der Sprecher sich durch das Gedränge einen Weg bahnte. »Wo ist er? Ueberlaßt ihn mir: Thut ihm kein Leides. Wie ist es jetzt, alter Hans? Ha, ha, ha!«

Herr Willet stierte ihn an und sah, daß es Hugh war; aber er sprach kein Wort und dachte auch nichts.

»Die Burschen da sind durstig und müssen einen Trunk haben!« rief Hugh, indem er ihn gegen das Haus hinschob. »Rühre dich, Hans, rühre dich. Zeig' uns deinen Besten – den Allerbesten, – Das Extrasäftlein, das du dir zum eigenen Haustrunk vorbehältst, Hans!«

John stotterte mit matter Stimme die Worte hervor:

»Wer bezahlt es?«

»Er fragt,wer es bezahlt,« rief Hugh mit einem schallenden Gelächter, das in der Bande ein tausendfaches Echo fand. Dann wandte er sich wieder an den alten John und fügte bei: »Ei, von Zahlen ist gar keine Rede.«

John stierte rund auf die Masse der Gesichter – einige grinsten, andere schossen wilde Blicke, der ganze Haufen zum Theil von Fackeln beleuchtet, zum Theil unbestimmt und die Meisten in Nacht und Schatten stehend: einige sahen den Wirth, andere das Haus, wieder andere gegenseitig sich selber an – und während er, wie er meinte eben im Begriffe war, zu gehen, befand er sich, ehe er sich einer selbstthätigen Bewegung bewußt wurde, in dem Schenkstübchen. Er saß dort in einem Armstuhle und sah der Zerstörung seines Eigenthums zu, als ob das Ganze nichts als ein wunderlicher Spaß – eine Belustigung von allerdings verblüffender und betäubender Art wäre, aber, so weit er daraus klug werden konnte, auch nicht in der mindesten Beziehung zu ihm selber stand.

Ja. Da war das Schenkstübchen – das Schenkstübchen, welches auch der Keckste nie ohne besondere Einladung zu betreten wagte – der geheiligte Boden, die geheimnißvolle Sakristei. Es war jetzt vollgepfropft mit Männern, Knütteln, Stöcken, Fackeln und Pistolen – angefüllt mit einem betäubenden Lärm, mit Flüchen, Toben und Zetergeschrei; mit einem Male in einen Bärengarten, ein Tollhaus, einen infernalischen Tempel umgewandelt. Männer stürzten durch Thüren und Fenster aus und ein, zerwetterten die Gläser, drehten die Faßhahnen, tranken Branntwein aus porzellanenen Punschbowlen, ritten auf den Tonnen, rauchten aus den Pfeifen der Stammgäste, rissen den geheiligten Citronenhain nieder, hackten und säbelten in dem gefeierten Käse, brachen unverletzliche Schubladen auf, steckten Dinge in ihre Taschen, die ihnen nicht gehörten, theilten sich vor seinen Augen in sein Geld, rissen und schmissen Alles zusammen, und hatten dabei gar kein Hehl, alles hübsch öffentlich. Wohin man schaute, Männer – oben, unten, in den Schlafstuben, in der Küche, in dem Hof, in den Ställen, zu den Fenstern hereinkletternd, wo doch die Thüren weit offen standen, und auf dem gleichen Wege hinausspringend, wo doch die Treppen zur Hand waren, über die Stiegengeländer in den Oehrn hinunter hüpfend: in jedem Augenblick neue Gestalten und Gesichter – einige schreiend, andere singend, einige sich balgend, andere Gläser und Töpfergeschirr zerschlagend, einige den Staub löschend mit dem Branntwein, den sie nicht trinken konnten, andere an den Klingeln zerrend, bis die Drähte abgerissen waren, indeß wieder andere mit dem Schüreisen an die Glocken schlugen, bis sie in Stücke sprangen: und noch immer mehr Männer – mehr, mehr, mehr – wie Insekten heranschwärmend: nichts als Lärm, Rauch, Licht, Dunkelheit, Jubel, Zorn, Gelächter, Gestöhn, Raub, Angst und Verheerung!

Während John dieser sinnverwirrenden Scene zusah, blieb Hugh fast immer in seiner Nähe; und obgleich er der lauteste, der wildeste und zerstörungstollste unter den anwesenden Hallunken war, so schützte er doch die Knochen seines alten Herrn oft und vielmals gegen Beschädigung. Ja, Hugh forderte ihn sogar auf – als Herr Tappertit in einer Branntweinbegeisterung herankam, um zum Beweis seiner persönlichen Würde John Willets Schienbein mit einem Fußtritt zu beehren – das Compliment zu erwiedern, und wenn der alte John hinreichend Geistesgegenwart gehabt hätte, um diese geflüsterte Anweisung zu verstehen und Gebrauch davon zu machen, so dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß er sie unter Hughs Schutz ohne Gefährde hätte ausführen können.

Endlich begann sich die Bande vor dem Hause zu versammeln, und rief denen drinnen, sich anzuschließen, damit sie keine Zeit verlören. Da dieses Gemurmel sich mehrte und auf die höchste Höhe steigerte, berieth sich Hugh mit einigen von denen, die noch im Schenkstübchen weilten und klärlich zu den Führern der Bande gehörten, was sie mit John anfangen sollten, um ihn ruhig zu erhalten, bis ihr Chigweller Werk vorüber sey. Einige machten den Vorschlag, das Haus in Brand zu stecken und den Wirth in den Flammen umkommen zu lassen: Andere meinten, ihn durch einen Schlag vor den Kopf in einen Zustand jeweiliger Besinnungslosigkeit zu versetzen; einige wollten haben, er solle schwören, bis morgen um dieselbe Stunde in seinem Stuhle sitzen zu bleiben; Andere gedachten, ihn gebunden und unter gehöriger Bedeckung mitzunehmen. Nach Erwägung aller dieser Vorschläge kam man endlich zu dem Entschluß, ihn in seinen Stuhl zu binden – ein Geschäft, um dessenwillen nach Dennis gerufen wurde.

»Schau' einmal her, Hans!« sagte Hugh, auf ihn zutretend; »wir binden dir jetzt Hände und Füße, aber sonst sollst du keinen Schaden haben, hörst du?«

John Willet blickte auf einen Anderen, als wüßte er nicht, wer gesprochen hatte, und murmelte etwas von einem Diner jeden Sonntag um zwei Uhr.

»Du sollst keinen Schaden nehmen, sage ich dir, Hans – hörst du?« brüllte Hugh, dieser Versicherung durch einen tüchtigen Schlag auf den Rücken seines Herrn den gehörigen Nachdruck gebend. »Er ist, glaube ich, halb todt vor Angst, und weiß nicht, wo ihm der Kopf steht. Ha, ha! Gebt ihm ein Tröpflein zu trinken. Reiche Einer von Euch etwas herüber.«

Sofort wurde ein Glas Branntwein beigeschafft, und Hugh goß den Inhalt in des alten Johns Kehle hinunter. Herr Willet schmatzte leicht mit den Lippen, steckte die Hand in seine Tasche und fragte, was er zu bezahlen habe; dann fügte er, nachdem er ausdruckslos umhergestiert hatte, bei, er glaube, es sey noch eine Kleinigkeit für zerbrochene Gläser –

»Wahrhaftig, er ist zur Zeit ganz von Sinnen,« sagte Hugh, indem er ihn rüttelte, bis die Schlüssel in seiner Tasche rasselten, ohne daß jedoch eine sichtbare Wirkung auf John's Nervensystem hervorgebracht wurde. »Wo ist denn dieser Dennis?«

Man rief abermals nach ihm, und alsbald kam Herr Dennis, der nach Weise eines Kapuziners einen langen Strick um seinen Leib gegürtet hatte, im Gefolge einer sechs Mann starken Leibgarde hereingeeilt.

»Kommt! Macht hurtig!« rief Hugh, mit dem Fuß auf den Boden stampfend, »Beeilt Euch!«

Dennis knüpfte blinzelnd und kopfnickend den Strick los, erhob die Augen zur Decke und schaute mit neugierigem Blicke an allen Wänden und Gesimsen umher; dann schüttelte er den Kopf.

»Nun, könnt Ihr Euch nicht rühren, Mensch?« rief Hugh abermals ungeduldig auf den Boden stampfend. »Sollen wir hier warten, bis man zehn Meilen in die Runde von unserem Treiben weiß, damit unsere Arbeit ja recht hübsch unterbrochen werde?«

»Ihr habt gut reden, Bruder,« antwortete Dennis, auf ihn zutretend, »aber wenn's nicht –« und dabei flüsterte er ihm in's Ohr – »wenn's nicht über der Thüre geschieht, so läßt sich's in dieser Stube da durchaus nicht abthun.«

»Was läßt sich nicht abthun?« fragte Hugh.

»Was sich nicht abthun läßt?« entgegnete Dennis. »Je nun, der alte Mann dort.«

»Zum Teufel, Ihr werdet ihn doch nicht aufhängen wollen?« rief Hugh.

»Nicht, Bruder?« erwiederte der Henker mit großen Augen. »Was denn sonst?«

Hugh gab keine Antwort, sondern riß seinem Gefährten den Strick aus der Hand und schickte sich an, den alten John selbst zu binden; aber sein erster Versuch war so linkisch und ungeschickt, daß ihn Herr Dennis fast mit Thränen in den Augen anflehte, er möchte doch ihm erlauben, das Geschäft zu verrichten. Hugh ließ sich dieß gefallen, und so war es in einem Nu geschehen.

»So!« sagte der Henker mit einem kläglichen Blick auf John Willet, der in seinen Banden ebensowenig Aufregung verrieth, als früher. »Das nenn' ich hübsch und sachmäßig gearbeitet. Er sieht jetzt ganz zum Malen aus. Aber Bruder, nur noch ein Wort in's Ohr – nun, da er so recht hübsch seine Bandage anhat, wäre es nicht für alle Theile besser, wenn wir ihn abthäten? Es ließe sich ganz prächtig in den Zeitungen lesen, wahrhaftig. Die Leute würden weit mehr von uns halten!«

Hugh, der den Sinn dieser Worte eher aus den Geberden, als aus der technischen Ausdrucksweise seines Kameraden errieth (denn es fehlte ihm an dem Schlüssel dazu, da er den sonstigen Beruf desselben nicht kannte), verwarf diesen Vorschlag zum zweiten Mal und gab das Schlagwort: »Vorwärts!« das aus hundert Kehlen draußen wiederhallte.

»Nach dem Kaninchenhag!« brüllte Dennis im Hinauseilen, während die Uebrigen nachfolgten. »Das Haus eines Zeugen!«

Es folgte ein geltendes Geschrei und der ganze Haufen jagte weiter, ganz rasend von Beute- und Zerstörungsgier. Hugh blieb noch einige Augenblicke zurück, um sich durch noch mehr Branntwein anzuspornen, wobei er die paar Hahnen, die zufälligerweise geschont worden, waren, aufdrehte; dann sah er sich in dem verwüsteten und geplünderten Zimmer um, durch dessen zerschmettertes Fenster die Aufwiegler sogar den Maibaum, den sie niedergesägt, hereingestoßen hatten, zündete eine Fackel auf klopfte den stummen und bewußtlosen Willet auf den Rücken, schwang die Leuchte über seinen Kopf, stieß ein wildes Hurrah aus und eilte seinen Kameraden nach.



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