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Kapitel 26.
Ende gut, alles gut.

Kein Schlachtruf drang durch die dicken Mauern des Klosters zu Bergendorf Der Frühling zog nur langsam ein. Die süßen Düfte der Kirschen- und Apfelblüten drangen durchs offene Fenster zu dem Jüngling hinein, der seit drei Monaten im Krankenzimmer lag. Trotz Ulrichs starker Konstitution hatten die Entbehrungen und Folterqualen seine Natur doch beträchtlich geschwächt und es folgte eine längere und schwere Krankheit. Es war anfangs Mai und zum ersten Male sollte sich der Genesende im Garten, auf den die Mönche so stolz waren, erholen.

»Stütze Dich auf mich,« sagte Anastasius, der Bruder, den Ulrich an jenem Tage gesehen hatte, da er in der Kirche kniete. »Fürchte Dich nicht. Du bist bereits stärker. Sieh, wie die frühen Blumen sich so herrlich spreizen, und die weißen Blüten der Obstbäume winken Dir herzliche Grüße zu!« Ulrich lächelte über die freundlichen Worte und ging so aufrecht als möglich einher. Mit einem erleichternden Seufzer sank er in einen Stuhl nieder, der im milden Schatten eines Baumes ihn zur Ruhe einlud.

»Es ist befremdlich, daß ich so schwach werden konnte,« sagte Ulrich und lehnte müde seinen Kopf zurück.

»Nicht so befremdlich, wenn wir daran denken, wie lange Du krank gewesen bist,« gab Bruder Martin in seinem tiefen Baß zurück.

»Nie bin ich indessen so müde geworden und immer konnte ich mich irgendwo nützlich machen.« Thränen traten bei diesen Worten in seine Augen.

»Und Du sollst Dich wieder nützlich machen,« erwiderte der Mönch freundlich. Dann bückte er sich und wisperte in Ulrichs Ohr: »Wie kannst Du so reden, da Du uns doch den Weg zu unserm Heiland gezeigt hast?«

Etliche Augenblicke später verließen ihn die Mönche, um ihren gewohnten Pflichten nachzugehen, und Ulrich blieb allein zurück. Hoch oben in den Zweigen des Baumes stimmte ein Vogel ein herrliches Lied an und die blühenden Blumen und Sträucher verbreiteten angenehme Düfte. Ulrich atmete die klare Luft voll und ganz ein. Wie gütig Gott sich ihm gegenüber gezeigt hatte! Er hatte ihn vor einem schrecklichen Tode bewahrt und sodann in die Hände dieser barmherzigen Samariter fallen lassen – es waren dies größere Segnungen, als er verdiente. Er blickte über die Felder und konnte in der Ferne die Türme der Stadt wahrnehmen. Da nahten sich ihm Schritte, und als er sich umwandte, stand der Prior an seiner Seite. Auf seinem Gesicht lagerte ein tiefer Ernst, doch schienen ihn keinerlei Sorgen zu plagen.

»Du bist viel besser, mein Sohn,« bemerkte er, indem er einen Rohrstuhl herbeirückte.

»Das verdanke ich Euch und Bruder Martin,« sagte Ulrich lächelnd.

»Sage eher, der Macht des allgütigen Gottes,« antwortete der Prior in ehrfurchtsvollem Tone. »Nicht lange mehr und Du wirst stark genug sein, uns zu verlassen,« fuhr der Mönch fort. Der alte Mann bemerkte den ängstlichen Ausdruck in Ulrichs Gesicht und fügte schnell hinzu: »Du magst indessen so lange hier verweilen, als Du wünschest, mein Junge. Die Brüder sind Dir in Liebe zugethan und werden Dich gerne länger hier behalten.«

Er hielt inne und Ulrich sprach: »Ich muß wieder in die Welt hinaus, Bruder Ambrosius, um dort meine Aufgabe Zu erfüllen. Aber ich weiß nicht, wo ich mich hinzuwenden habe. Nach Hause kann ich nicht« – er richtete seinen Blick gegen Nürnberg – »und wir haben keinerlei Nachrichten vom Kurfürsten.«

»Die Nachrichten treffen in der Regel lange hinter der Zeit in Bergendorf ein,« erwiderte der Prior. »Ich will Dir sagen, Ulrich, was wir thun können. Einer der Brüder kann heute in die Stadt gehen und dort Erkundigungen einziehen.«

»Könnte er meinem Vater ein Schreiben überbringen?« frug Ulrich, indem er sich eifrig vornüber lehnte.

»Warum nicht? Mit größter Freude.«

Es war bereits Nacht, als der Bote von Nürnberg zurückkehrte, und er brachte Neuigkeiten, welche das stille Kloster nicht wenig in Erregung versetzten. »Der Kurfürst befindet sich in der Gefangenschaft des Kaisers,« verkündigte er den Mönchen, die im Refektorium versammelt waren, »und der Schmalkaldische Bund ist gänzlich lahm gelegt.«

Rufe des Erstaunens waren aus den Reihen der Mönche vernehmbar.

»Und ich habe ein Schreiben für Ulrich,« fügte er hinzu, das dieser mit einem wahren Heißhunger verschlang.

»Lieber Sohn,« schrieb Peter von Reuß. »Du kannst Dir kaum vorstellen, welch dankbare Stimmung sich unserer Herzen bemächtigte bei dem Gedanken, daß Du in unserer Nähe und bei guter Gesundheit bist. Manche sorgenvolle Tage habe ich verlebt seit jenem Morgen, da ich vernahm, daß Orlando Dich befreit habe. Ich dachte, daß Du entweder in der Schlacht bei Mühlberg gefallen seist oder mit dem Kurfürsten gefangen genommen wurdest, um aufs neue in die Hände des Herzogs von Alba zu geraten.

Ein Nürnberger Bürgerhaus.

»Wir haben vernommen, daß Orlando in jener Schlacht beim Kurfürsten war, doch weiß ich nicht, wo er sich jetzt aufhält. Giovanni, sein Diener, weiß auch nichts über sein Schicksal. Frau Weber ist mit Vater Antonio, dem Priester, nach dem Süden gezogen und Giovanni, der ebenfalls in der Schlacht von Mühlberg kämpfte, verwaltet nun Orlandos Haus. Er glaubt zuversichtlich, daß Orlando einst wieder zurückkehren wird. Du kannst getrost zu uns zurückkehren; Elsa und ich werden Dich mit Freuden willkommen heißen. Jene Tage, die Du im Gefängnis zubrachtest, haben mir meine Liebe zu Dir geoffenbart. Kehre zurück und es soll Dir frei stehen, zu glauben, wie es Dein Gewissen Dir gebietet. Jakob Engel verließ uns mit den Truppen des Herzogs, als diese nach dem Norden abzogen. Du hast also nichts mehr zu befürchten. Komm bald zurück! Wir sehnen uns nach Dir.«

Es war mit einem Gefühle des höchsten Glückes, daß Ulrich diesen Brief an jenem Abend dem Prior in seiner spärlich erleuchteten Zelle vorlas. »Vielleicht werden nun die Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten ein Ende haben,« sagte der junge Mann in hoffnungsvollem Tone.

Doch der Prior schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle es, Ulrich. Karl der Fünfte giebt nicht so schnell auf und die Evangelischen sind nicht mehr nachgiebig, als Seine Majestät. So kannst Du also nach Hause zurückkehren. Ich freue mich an Deiner Statt. Glaubst Du,« und des Mönches Stimme zitterte, »daß ich mit Dir gehen könnte?«

»Ihr?« Ulrichs Ton verriet größtes Erstaunen.

»Ja, ich. Von Dir, mein Sohn, haben wir bezüglich der Rechtfertigung durch den Glauben gehört. Wir haben in der Bibel geforscht, und sie bestätigt Deine Worte. Wir waren auf verkehrtem Wege. Alle unsere Mönche haben sich entschieden, dem Kloster den Rücken zu kehren. Die Zeit dazu ist jetzt nicht besonders günstig, ich weiß das; wir hätten diesen Schritt schon lange thun sollen, da Luther noch lebte. Doch, Ulrich, wir waren in diesem stillen Dorfe von der übrigen Welt abgeschnitten, wie auf einer kleinen Insel im Weltmeer. Die große Bewegung, welche Deutschland in seinen Grundfesten erschütterte, hatte uns kaum mit einem Wellenschlag berührt. Das Licht hat endlich auch uns gefunden und jetzt sind wir frei. Die andern Brüder sind jünger; manche von ihnen haben Freunde unter den Evangelischen und sie können sich einen Weg in der Welt bahnen. Aber ich – ich bin nahezu fünfundsiebenzig Jahre alt, und habe keine Freunde – nicht einen.«

Ulrich war durch die Worte des alten Mannes tief bewegt und streckte diesem warm die Hand entgegen. »Komm mit mir, Bruder Ambrosius, komm mit mir. Du sollst uns auf der Burg willkommen sein.« Eine Woche später, nachdem sie eine Stunde der Andacht in der alten Kirche zugebracht hatten, die jetzt aller Gemälde und Heiligenbilder und Kerzen bar war, gingen die Mönche auseinander; manche nach dem Norden, andere nach dem Süden. Der alte Ambrosius wanderte mit Ulrich nach Nürnberg hinein und wohnte dort nicht auf dem Schloß, sondern fand Leim Meister Sachs und seiner guten Hausfrau eine Heimat.

Der alte Mönch behielt Recht. Karl der Fünfte versuchte sein Bestes, den protestantischen Glauben in Deutschland auszurotten und der römisch-katholischen Kirche wieder zu Recht zu verhelfen. Doch es gelang ihm dies nicht. Moritz von Sachsen trieb ihn dem Süden zu und Hals über Kopf floh er schließlich nach Italien. Durch einen Friedensvertrag Zog er seinen Hals aus der Schlinge. Protestanten und Katholiken wurden darin gleiche Rechte verbürgt, während der Kurfürst von Sachsen und der Landgraf von Hessen aus der Gefangenschaft entlassen wurden, und mit ihnen Orlando, der Krüppel. Von Innsbruck schlug dieser seinen Weg über den Brenner Paß nach Venedig ein, wo er von seiner Mutter aufs liebevollste empfangen wurde. Sie hatte inzwischen ihrem Vetter die Hand zum Ehebunde gereicht und war nun die Gattin des Marchese di San Marzano.

Dann wandte sich Orlando wieder gen Norden, seiner Vaterstadt Nürnberg zu. An einem Donnerstagabend im Juni traf er dort ein und ging direkt nach dem Hause des Schuhmachermeisters Hans Sachs in der Mehlgasse. Als er sich dem Hause näherte, wurde er etwas stutzig, denn alle Fenster waren hell erleuchtet und es schien, als ob ein festliches Gelage im Gange sei. Als er zögernd an der offenen Thüre stand, ging die alte Magda durch den Hausgang, eine Anzahl Schüsseln in ihren Händen tragend. »Es ist der junge Herr Orlando!« rief sie aus, wie vor sechs Jahren an jenem schneereichen Nachmittag. Der Meister des Hauses war auf diesen Aufruf hin schnell aus dem Wohnzimmer herausgetreten. »Komm herein! Komm herein!« ließ sich die herzliche Stimme von Hans Sachs vernehmen. »Du bist gerade in einem glücklichen Augenblick gekommen.« – In der Mitte des Zimmers stand Marie, hocherrötend und mit einem Lächeln auf ihrem Antlitz, und neben ihr Ulrich, so stark und jugendfrisch, als ob er nie jene schrecklichen Tage im runden Turm erlebt hätte. Im nächsten Augenblick befand sich Orlando in der Mitte der Gruppe und wurde von allen Seiten aufs herzlichste begrüßt. Geschäftige Hände warteten ihm mit Erfrischungen auf und so herzlich war die freundschaftliche Liebe, daß sich die Augen des Krüppels mit Thränen füllten.

»Es ist unsere Verlobung,« sagte Ulrich freudig und er schaute in Mariens glückstrahlende Augen. »Und Dir und Deiner Tapferkeit haben wir dies zu verdanken.«

Orlandos Wangen färbten sich mit einem tiefen Rot und er suchte zu entkommen. Man pries ihn ob seiner selbstaufopfernden That und es schien dem armen Krüppel, den Liebe und Glück so lange geflissentlich gemieden hatten, als müßte er vor Freude sterben.

Die Casa d'Oro steht heute nicht mehr und die Namen von Ulrich, Marie und Orlando, dem Krüppel, sind der Vergessenheit anheimgefallen. Aber der gute Hans Sachs lebt in seinen Gedichten fort und Generationen haben sein Andenken grün gehalten. Dieselben Mauern umgeben noch Nürnberg, wie in jenen Tagen, dieselben Kirchen stehen dort, und die reich verzierten Brunnen fließen noch immer. Hoch oben auf dem Berge wird das Schloß von den scheidenden Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet und in dem fünfeckigen Turme steht die »Eiserne Jungfrau«, mit Staub bedeckt, und in ihrem grausigen Mantel drohen vergebens die rostigen, scharfen Messer.

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