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Kapitel 19.
Der Tag vor dem Ende.

»Hast Du die Neuigkeit gehört?« diese Frage flüsterte man sich allenthalben im Schloß zu. Jedermann wußte, daß die ›Eiserne Jungfrau‹, nachdem sie so lange Zeit unbenutzt gestanden hatte, wieder hervorgeholt worden war und geputzt und gescheuert wurde. Unter den Nürnberger Schloßknechten gab es nicht einen einzigen, der nicht Mitleid empfunden hätte für den unglücklichen Ulrich, der zu einem so grauenhaften Tode verurteilt war. Nicht ein einziger? Doch da war einer, Jakob Engel, dessen Tücke keine Grenzen kannte. Etliche Male während dieses letzten Tages kam er, um nachzusehen, wie weit die Arbeit gediehen sei; er untersuchte die Angeln des Mantels und strich mit seinen Fingern über die scharfen Klingen der Messer. Sein Gesicht war zu einem grinsigen Lächeln verzerrt, so daß selbst die an Blut gewöhnten Spanier, welche die Arbeit verrichteten, nichts mit ihm zu thun haben wollten.

Auch Peter von Reuß erfuhr die Neuigkeit und er beugte sein graues Haupt, um auch diesen Schlag über sich ergehen zu lassen. Er wagte es nicht, Elsa etwas davon zu sagen – so wenig wie Orlando dies Marie gegenüber hätte thun können. Er sagte ihr indessen, soviel er konnte, und glaubte ihr dies schuldig zu sein. Das Mädchen weinte bitterlich. Dunkel war alles um sie her. Erst starb die Mutter und nun sollte Ulrich von ihnen genommen werden.

Es war ungefähr neun Uhr morgens an jenem letzten Tage, daß Peter von Reuß sich von seinem Stuhl vor dem Feuerherd erhob, wo er seit einer Stunde bewegungslos gesessen hatte. »Ich will selbst zum Herzog gehen, Elsa, und einen Versuch zur Rettung Ulrichs machen.«

»O Vater, bitte für Ulrich. Was hat er gethan, daß er so schwer bestraft werden soll?«

»Er ist ein Abgefallener, mein Kind, und überdies einer derjenigen, die gegen Seine Majestät des Kaisers sich aufgelehnt haben.«

»Könntest Du Dich nicht an den Kaiser selbst wenden?«

»Es wird gesagt, daß er in solchen Angelegenheiten dem Herzog unbeschränkte Vollmacht giebt; da würde jegliche Fürsprache vergeblich sein.«

Er schüttelte traurig das Haupt und begab sich durch das Schloß nach dem Haus, wo der Herzog von Alba sein Quartier aufgeschlagen hatte. Als er sich der dort Dienst thuenden Wache näherte, trat diese zurück und begrüßte ihn in ehrerbietiger Weise.

»Der Hauptmann der Wache ist hier und wünscht Euer Gnaden zu sehen,« meldete der Diener des Herzogs seinem Meister, der fleißig in das Studium einer Karte des Reiches vertieft war. Die Stirne des Herzogs legte sich in Falten. »Er kommt wahrscheinlich im Interesse seines netten Sohnes. Wohlan, führe ihn herein; es mag gut sein, wenn ich die Sache sofort erledige.« Peter von Reuß trug nie größere Männlichkeit zur Schau, als an jenem Morgen, da er erschienen war, um für das Leben seines Sohnes Fürsprache einzulegen. Er war sich bewußt, daß er auf wenig Hoffnung rechnen konnte. Der Herzog von Alba war ein unerbittlicher Mann, doch er erachtete es als seine Pflicht, wenigstens einen Versuch zu machen ihn umzustimmen. Selbst bei dem Herzog regte sich etwas wie Mitleid, als er sich diesem stattlichen alten Mann mit seinen weißen Haaren und traurigen Augen gegenübersah.

»Ihr wünscht mich zu sprechen, Herr Hauptmann?«

»Ja, Euer Gnaden. Wenn Ihr selbst Kinder habt, so möchte ich Euch bitten, meinen Jungen zu begnadigen. Er ist ein Protestant, ich weiß es, und es thut mir dies leid – denn ich habe die wahre Kirche und den heiligen Vater allezeit geliebt und ihnen treu gedient, wie meine Ahnen, – und er hat an der Seite des Kurfürsten von Sachsen gegen die Truppen des Kaisers, seines rechtmäßigen Herrn, gekämpft. Dies sind aber sicherlich keine Vergehen, die des Todes würdig wären. Ich selbst habe ihn wegen seiner Ketzerei des Hauses verwiesen. Seine Strafe, die er erduldet, ist gewiß schwer genug. Ich bitte Euch, mein Herr, verurteilt ihn nicht zu einem solch schrecklichen Tode, wie Ihr denn in der zukünftigen Welt selbst auf Barmherzigkeit hofft!«

Vor den Augen des Herzogs von Alba schwebte in diesem Moment ein liebliches Bild. Es war ein Garten in Andalusien, dem schönen Andalusien, wo die Rosen jetzt blühten und der Geruch von Veilchen und Hyacinthen die Luft erfüllte. Es schien ihm, als sähe er dort zwei Jünglinge, wie sie liebend nebeneinander einherschritten und ihre Arme um einander geschlungen hatten. Ihr frohes Lachen war weithin vernehmbar. Es war ein anmutiges Knabenpaar; lange, glänzende Locken fielen über ihre Schultern herab auf ihre Anzüge von blauem Samt. Wenn einer dieser Knaben Zum Tode in der »Eisernen Jungfrau« verurteilt wäre?

Peter von Reuß bemerkte die Unentschiedenheit, mit welcher der Herzog kämpfte. »Könnten Euer Gnaden meinen Sohn jetzt sehen, nach all den Folterqualen, Euer Herz würde von Mitleid ob seines Anblicks überfließen. Seine Strafe war bereits eine schwere. Ich bitte Euch flehentlich, erlaßt ihm den Tod, sofern Ihr auf ein ewiges Leben und auf Gnade in der zukünftigen Welt hofft!«

Der alte Mann sank auf den weichen Teppich nieder und umfaßte die Kniee des Herzogs, während große Thränen über seine Wangen rollten. Doch die weiche Stimmung hatte sich bei diesem bereits verzogen. Herzog Alba, der Generalissimus der spanischen Truppen Seiner Majestät, Karls V., änderte nie eine seiner Entscheidungen. Was galt ihm überdies das Leben dieses Jungen? Er war ja bloß ein Ketzer, der es nicht verdiente, im selben Atemzug mit seinen Söhnen genannt zu werden, die jeden Tag vor dem Schrein der Madonna, der Mutter der Schmerzen, ihre Kniee beugten.

»Ich kann nicht,« sagte er schroff, indem er sich den Armen des Alten entzog.

»Legt Hand an mein Leben, wenn es eines Opfers bedarf,« fuhr der Vater in kläglichem Tone fort »Mein Lebensabend ist nicht mehr fern. Ich habe versucht, meinem Herrn treu zu dienen. Der Junge indessen hat das Leben noch vor sich. Nehmt mich an seiner Statt und überliefert mich der ›Eisernen Jungfrau‹, daß ich durch sie meinen Tod finde, aber erbarmt Euch meines Sohnes, meines einzigen Sohnes!«

Der Gesichtsausdruck des Herzogs wurde milder und er streckte dem Schloßhauptmann seine Hand entgegen. Aber gerade in diesem Augenblick, der Hoffnung weckte, klopfte es an die Thüre und Jakob Engel trat raschen Schrittes ein. Wie ein böser Geist unterbrach er diese Scene! »Ihr habt mich hierher beschieden, Euer Gnaden?«

»Jawohl.« Der Herzog schien etwas beschämt darüber zu sein, in solcher Lage angetroffen zu werden. »Ich möchte mit Dir sprechen.«

Jakob lächelte, als er sah, wie der alte Mann sich von seinen Knien erhob. Es war ein Glück, daß er gerade in diesem Moment eintreffen mußte. Wer weiß, ob die Bitten dieses Vaters nicht im stande gewesen wären, das Herz des Herzogs von Alba zu rühren? Der Herzog wandte sich wieder an Peter von Reuß. »Eure Bitte, Herr Hauptmann, kann nicht gewährt werden. Euer Sohn muß um acht Uhr morgen früh sterben.«

Der alte Mann verneigte sich und trat ab. Jakob Engel hatte sich in die Gunst des Herzogs geschlichen; wie das gekommen war, wer konnte es sagen! Er war glatt und schlüpfrig wie ein Aal und besaß einen berechnenden Blick für die Zukunft. Und doch stand Jakob mit verdutzter Miene da, als ihn der Hauptmann beim Hinausgehen mit einem Blick, der bis auf Mark und Bein drang, gemessen hatte. Es konnte nicht möglich sein, daß der alte Mann jetzt etwas, das sich vor so langer Zeit zugetragen hatte, gegen ihn als Waffe benützen würde!

Peter von Reuß ging nach seinem Hause zurück, setzte sich an den Tisch und stützte sein Haupt auf seine Arme. Elsa trat ein, ohne daß er sie bemerkt hätte, bis sie mit ihren Händen seine Stirn berührte und seinen Kopf in die Höhe hob. Dann zog er sie an seine Seite und sie weinten miteinander.

Orlando hatte keinen bestimmten Plan zur Rettung Ulrichs entworfen. Es war bei ihm beschlossene Sache, daß Ulrich befreit werden mußte. Er konnte nicht mehr länger seinem Herzensglauben untreu sein, koste es, was es wolle. Es war dunkel, als er in Jakob Engels kleines Zimmer eintrat. Der Mann mit dem runzeligen Gesicht hatte ein Lieblingsvergnügen, das man wohl am wenigsten bei ihm gesucht hätte. Seine Flöte begleitete ihn fast überall. Oft, wenn er des Nachts auf Wache stand, zog er die verschiedenen Teile dieses Instruments aus seiner Tasche, fügte dieselben zusammen und blies ein altes Volkslied. Heute nacht saß er auf einem roh gezimmerten Stuhl, seine Beine ruhten nachlässig auf einem Fußschemel, und die Melodie, die er spielte, füllte den kleinen Raum, daß er weder das Klopfen Orlandos vernahm, noch dessen Eintreten bemerkte. Als der Krüppel vor ihn trat, setzte er die Flöte von seinem Munde ab und rieb dieselbe sorgfältig mit einem Taschentuch. »Horch, Orlando,« und er setzte die Flöte wieder an und spielte die Melodie eines spanischen Liedes, das man heute noch an den südlichen Gestaden Spaniens singen hören kann.

Nachdem die beiden sich geraume Zeit über unwichtige Gegenstände unterhalten hatten, bemerkte Orlando in nachlässiger Weise: »Ist es wirklich wahr, daß Ulrich von Reuß morgen früh mit der ›Eisernen Jungfrau‹ Bekanntschaft machen wird?«

Jakob nickte und ließ seine Flöte in die Tasche seines Wamses gleiten mit den Worten: »Ein Tod, der noch viel zu gut ist für einen solchen protestantischen Taugenichts.«

Orlando betrachtete ihn während eines Augenblicks stille. Jakob sah in dieser Nacht abstoßender aus, als gewöhnlich. Sein Gesicht war bleicher, seine Luchsaugen verrieten seine grausame Natur, seine spitzige Nase schien sich heute noch spitziger zuzulaufen und das ganze Gesicht trug den Stempel des bittern Hasses, der sein armes Opfer bis auf den Blutstropfen aussaugt. Er nahm einen Schlüsselbund vom Tische und befestigte denselben an seinem Gürtel. Da waren der Schlüssel in Menge, manche davon kleiner, andere waren schwerfällig und grob gearbeitet, so wie sie den Thüren entsprachen.

»Ist der Schlüssel zu Ulrichs Zelle unter diesen?« frug Orlando, indem er neugierig den Schlüsselbund betrachtete.

»Dieser hier ist es,« erwiderte Jakob und er deutete dabei auf einen besonders schweren Schlüssel. »Er wird nur einmal noch in seinem Leben seine Zelle verlassen, und zwar morgen früh.«

Es sprach ein satanischer Triumph in dieser schneidenden Stimme, so daß sich der Krüppel entsetzte.

»Warum hassest Du Ulrich so sehr?« frug er unbewußt, obschon er sich zu schweigen vorgenommen hatte.

»Warum ich ihn hasse? Er ist ein Protestant – eine jener schleichenden Kreaturen, die nicht schnell genug vom Erdboden vertilgt werden können.«

Orlando schickte sich zum Gehen an. Ein greller Blitzstrahl erleuchtete die Stube und es schien, als ob der mächtige Donnerschlag unmittelbar über dem Schlosse sich entladen habe.

»Du würdest besser daran thun, nach Hause zu gehen, Orlando; es wird eine schlimme Nacht abgeben.«

Jakob trat ans Fenster, wandte sich aber schnell wieder um, als ein weiterer Blitzstrahl die Kemenate hell erleuchtete. Orlando konnte den elektrischen Strom durch seinen ganzen Körper bis in die Fingerspitzen hinaus verspüren. Er hatte indessen eine zu große Aufgabe vor sich, als daß ihn dies nächtliche Unwetter beängstigt hätte. Rasch erhob er sich und trat nahe an Jakob heran. »Erlaube mir, daß ich Ulrich einige Augenblicke sehe.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Er hat mir einmal eine Gefälligkeit erwiesen. Ich möchte womöglich ihn ein wenig trösten.«

»Ich zweifle nicht daran, daß er des Trostes bedarf,« erwiderte Jakob mit einem höhnischen Lachen. »Ich kann Deinem Wunsche indessen nicht willfahren, Orlando, es sei denn, Du habest besondere Erlaubnis dazu. Wenn Du diese vom Herzog erhältst, dann magst Du ihn besuchen.«

»Würde eine Erlaubnis vom Kaiser genügen?«

»Natürlich, aber Du wirst sie von ihm nicht erhalten.«

Orlando schwieg; das mochte ja wohl wahr sein, doch konnte ein Versuch nichts schaden. Der Kaiser hatte ihn bislang mit besonderer Gunst behandelt. Jakob rief ihm nach: »Falls Du die Erlaubnis erhältst – was ich aber nicht glaube – so brauchst Du nicht hierher zurückzukehren. Die Wache hat ebenfalls einen Schlüssel. Ich lege mich aufs Ohr und laß die Nacht für sich selber sorgen.«

»Gut,« erwiderte Orlando.

Wäre es irgend jemand anders als Orlando gewesen, so hätte Jakob nie daran gedacht, ihm auch auf das Wort des Kaisers hin Einlaß zu gewähren, ohne daß das unter seinen eigenen Augen geschehen wäre. Aber Orlando! – niemand beargwöhnte den harmlosen Krüppel! Man war daran gewohnt, ihn zu allen Stunden auf dem Schloß ein und aus gehen zu sehen, und es war auch kein Geheimnis, daß ihm der Kaiser besonders gewogen war. Zudem war seine Mutter eine ausgesprochene und bekenntnistreue Katholikin. Niemand auf dem Schloß vermutete die Pläne, die Orlando hegte. So legte Jakob sich getrost ins Bett und zog die Decke über Augen und Ohren, um nicht von den jetzt regelmäßig herniederzuckenden Blitzstrahlen aufgeschreckt zu werden.

Orlando schritt schnellen Schrittes auf den mittleren Schloßhof zu, wo die Gemächer des Kaisers gelegen waren. Die Fenster oben waren erleuchtet und er konnte die Schattenbilder wahrnehmen, wie sie sich oben hin und her bewegten. Er schritt die steinerne Treppe hinan, rief dem am Eingang postierten Landsknecht einen freundlichen Gruß zu und erklomm dann eine weitere Treppe, die zum Privatgemach des Kaisers führte. Er war nie stark gewesen und die Aufregungen dieses Tages spannten seine Kräfte aufs äußerste an. Das Gewitter, das sich gerade über dem Schlosse schwer zu entladen anfing, verfehlte ebenfalls seine Wirkung auf den schwächlichen Körper nicht, doch Orlando war fest entschlossen, mit Aufbietung seiner ganzen Energie der sich geltend machenden Schwäche zu trotzen. Es stand ihm scheinbar ein Berg unübersteiglicher Hindernisse im Wege. Im Vorzimmer waren drei oder vier Pagen in lachendem Spiel begriffen. Einer derselben schickte sich an, den Krüppel beim Kaiser anzumelden. Einen Augenblick später betrat Orlando das Gemach und jetzt erst wurde er sich der Wichtigkeit seines Kommens vollauf bewußt. Würde ihm seine Bitte abgeschlagen, so konnte Ulrich nicht mehr gerettet werden.


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