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Kapitel 25.
Im Gewühl der Schlacht.

Es war der 23. April 1547. Kaiser Karl der Fünfte mit dem Herzog von Alba, dem Marquis von San Marzano und Moritz von Sachsen in seinem Gefolge, dem es um die Besitzungen und den Rang des Kurfürsten Johann Friedrichs von Sachsen zu thun war, rückte gegen die Elbe vor. Die Nacht brach herein, als die Truppen am Flußufer, gerade gegenüber dem kleinen Städtchen Mühlberg, ein Lager bezogen. Während der ganzen Nacht ruhten die kaiserlichen Truppen auf der einen, und die Armee des Kurfürsten auf der andern Seite des Flusses in Waffen. Schon bei Tagesanbruch hielt Karl mit seinem Generalissimus und Offizieren Kriegsrat im kaiserlichen Zelt. Nach einer langen Unterredung gab der Kaiser schließlich den Befehl zum Vorrücken. Der Herzog von Alba schaute kopfschüttelnd auf. »Euer Majestät wollen den Kurfürsten auf diesem Punkte angreifen?« rief er aus. »Bedenkt die Schwierigkeiten. Ohne Zweifel sind die Evangelischen gerüstet. Der Fluß, der hier sehr breit und reißend ist, kann nicht ohne große Gefahr gekreuzt werden.«

Der Kaiser richtete sich im Vollbewußtsein seiner Würde auf. »Der Herzog von Alba ist seines reifen Urteils wegen bekannt, doch muß ich darauf bestehen, daß meine kaiserlichen Befehle ausgeführt werden. Man bereite sich zum Angriff vor.«

Dem spanischen Herzog blieb nichts anderes übrig, als sich zu verbeugen und den Kampf aufzunehmen. Die Morgenstunden verstrichen und der reißende Strom, an dessen Ufern die Veilchen unter den Weiden dufteten als die ersten Boten des kommenden Frühlings, glänzte wie ein Silberfaden in der Sonne. Da eröffneten die spanischen und italienischen Soldaten mit ihren langen Musketen das Feuer. Um den Truppen des Kurfürsten näher zu kommen, wateten die hitzigen Italiener bis zur Brusthöhe ins Wasser.

Zur selben Stunde saß der Kurfürst von Sachsen ruhig in seinem Zelt, das in kurzer Entfernung von Mühlberg aufgeschlagen worden war. In seiner Nähe stand Orlando, der Krüppel. Eine wunderbare Veränderung war mit dem ehemaligen bleichen, erschöpften Knaben vorgegangen, der fast gebrochenen Herzens vor drei Monaten mit Giovanni aus Nürnberg geritten war. Das freie Leben in der frischen Luft hatte seinen Wangen ein gesundes Rot und seinen Augen neuen Glanz verliehen. Erst den Tag zuvor waren Giovanni und er mit den Truppen des Kurfürsten zusammengetroffen, da ihnen Stürme und schlechte Fahrwege übel mitgespielt hatten; und dann trafen sie dieselben in großer Verwirrung, in der manche selbst das Hasenpanier ergreifen wollten. Als er dem Kurfürsten von Sachsen als der Freund Ulrichs von Reuß vorgestellt worden war, begrüßte ihn das Oberhaupt des Schmalkaldischen Bundes aufs zuvorkommendste und wärmste. Früh am Morgen hatte er den Krüppel in sein Zelt bescheiden lassen, um von ihm Näheres über Ulrich zu erfahren. »Da ich nichts von ihm hörte, befürchtete ich, daß sie ihn hingerichtet haben.«

»Ich dachte, daß er bereits wieder bei Eurer Hoheit eingetroffen sei,« antwortete der Krüppel. »Ueberall auf dem Wege hierher habe ich Nachfrage nach ihm gehalten, aber niemand konnte mir Bescheid geben.«

»Und Ihr, mein junger Herr, wollt Euch auch dem Schmalkaldischen Bund anschließend« forschte der ernste Mann.

»Ich kann Eurer Sache nur geringe Dienste leisten,« gab der Krüppel zurück, indem er seine Augen niederschlug. »Euer Hoheit sehen, daß ich im Kampfe meinen Mann nicht stellen kann.«

»Ihr sollt bei mir bleiben,« erwiderte der gute Kurfürst, indem er Orlando an seine Seite zog. »Ich habe einen Knaben in Eurem Alter, der mit seiner Mutter in Wittenberg weilt. Wenn ich je in Sicherheit dorthin zurückkehre – und Gott möge es schenken! – so sollt Ihr sein Gefährte sein.«

Gerührt blickte Orlando zum Kurfürsten auf, der ihn auf die Stirn küßte.

Ein Soldat, mit dem leibhaftigen Schrecken im Gesicht, betrat das Zelt. »Der Kaiser!« stotterte er. »Er kreuzt die Elbe, er und seine Truppen!«

»Das ist unmöglich!« rief der Kurfürst aus, indem er aufsprang. »Der Fluß ist zu tief und es ist unmöglich, daß der Kaiser uns so nahe ist.«

»Und doch verhält sich's so!« Während der Mann redete, stürzte ein anderer Bote herein. »Der Kaiser und seine Soldaten durchwateten die Elbe,« rief er aus. »Unsere Truppen am Flußufer haben Reißaus genommen.«

In einem Augenblick war das ganze Lager in Bewegung. Der Kurfürst, ein Mann der That, wenn angesichts der Gefahr, erteilte rasche Befehle bezüglich der Verteilung der Truppen. In einem nahe gelegenen Walde wurden die Scharen zusammengezogen, als der Kaiser in glänzendem Harnisch, mit einer Lanze in der Hand, auf einem prächtigen spanischen Zelter in Sicht kam.

Es war ein trüber, bewölkter Morgen gewesen, aber gerade in diesem Moment brach die Sonne hervor und beleuchtete die unhaltbare Stellung des Kurfürsten. Der Herzog von Alba und Moritz von Sachsen führten die Truppen mit lauten Befehlen zum Kampfe an und die milde April-Luft ertönte wieder von dem Geklirr der Waffen und dem Gestöhne der Sterbenden.

Orlando, der nicht wußte, was sonst zu thun, war an der Seite des Kurfürsten geblieben. Der letztere selbst wurde von einer auserlesenen Leibgarde zu Pferde beschützt. Sie setzten sich tapfer zur Wehre, doch ohne Erfolg. Bis in das Dickicht des Waldes verfolgt, mußte sich der Kurfürst ergeben und er wurde mit seinem Gefährten, dem Landgrafen von Hessen, vor den Kaiser geführt. Orlando, in all dieser Verwirrung vor Furcht zitternd und ganz allein – denn Giovanni hatte sich gleich zu Anfang feurig in den Kampf geworfen – folgte dem Kurfürsten, als dieser sich dem Kaiser näherte. Die Haltung des besiegten Führers war eine würdevolle. Der Kaiser stand im Bewußtsein seines Sieges auf dem Schlachtfeld und nahm die Glückwünsche seiner Offiziere entgegen. Als der Kurfürst sich ihm jedoch näherte, bedeutete er allen, sie allein zu lassen. Indem er sich tief verneigte, sagte der Besiegte: »Das Schicksal des Krieges hat mich zu Eurem Gefangenen gemacht, allergnädigster Kaiser, und ich hoffe, man behandelt –«

»Und so werde ich denn endlich als Kaiser anerkannt?« unterbrach Karl der Fünfte ihn scharf. »Karl von Ghent war der einzige Titel, den Ihr mir neuerdings erlaubt habt. Ihr sollt nach Verdienst behandelt werden.« Und er wandte sich bei diesen Worten an den Herzog von Alba.

»Der Liebling Eurer Majestät hat sich ja auch wieder gefunden,« bemerkte der Herzog mit einem böswilligen Lächeln.

»Wen meint Ihr?«

»Den Krüppel, Orlando.«

Der Kaiser betrachtete die Gruppe der Getreuen, die den gedemütigten Kurfürsten umstanden. Und richtig, da war der Krüppel, so ruhig, als ob er da zu Hause gewesen wäre.

»Nehmt ihn mit den andern gefangen,« befahl der Kaiser.

Alberto betrachtete ängstlich seinen Vetter und näherte sich dem Kaiser. »Ich glaube nicht, daß Orlando aus eigener Schuld unter den Truppen des Kurfürsten ist,« sagte er in ehrerbietigem Tone. »Seine Mutter, die über seine Handlungsweise in Nürnberg sehr aufgebracht war, verwies ihn des Hauses und er ritt aus der Stadt hinweg, ehe wir aufbrachen. Ich glaube jedoch nicht, daß es in seiner Absicht lag, Eurer Majestät Trotz zu bieten.«

Der Herzog von Alba hatte sich entfernt und der Kaiser wandte sich lächelnd an den Marquis. »Ich glaube, Du hast ein gut Teil Deines Herzens in Nürnberg zurückgelassen,« sagte er in schalkhafter Weise. »Du brauchst nichts zu befürchten, Alberto, ich werde mit dem Sohn Deiner schönen Cousine nicht schlimm verfahren. Ich liebe ihn zu sehr und bewundere seinen Mut, daß er dem Freund, der ihm einst eine Gefälligkeit erwiesen, zur Flucht verhalf. Du weißt indessen, daß der Herzog von Alba schlecht auf ihn zu sprechen ist. In meiner Hand ist er sicher und wird bald wieder als ein freier Vogel sich seiner Freiheit erfreuen können.« Dankend verneigte sich der Marquis.

Karl löste indessen sein Versprechen nicht völlig ein. Fünf Jahre lang führte er den Kurfürsten und den Landgrafen von Hessen als Gefangene mit sich im Lande herum. Der Kaiser gewann Orlando so lieb, daß dieser sein beständiger Gesellschafter war und Seine Majestät auf dessen Reisen sogar bis in die Niederlande begleitete. Dort hatte der Knabe, der jetzt schnell zum Mann heranreifte, Gelegenheit, mit den Leuchten der Wissenschaft jener Zeit bekannt zu werden. Mit unermüdlichem Fleiß bereicherte er sein Wissen und wurde in den Jahren mit allen Sprachen vertraut, die in Europa gesprochen wurden. Bezüglich seiner religiösen Ansichten machte ihm der Kaiser keinerlei Vorschriften und es wurde ihm erlaubt, in Gemeinschaft mit dem Kurfürsten von Sachsen der Predigt eines alten lutherischen Geistlichen zu lauschen und täglich in seinem Testament zu forschen. Langsam verstrichen die fünf Jahre. Orlando hatte kein Wort von seiner Mutter gehört, deren schönes Bild immer in seinem Herzen stand. Ulrich blieb wie verschwunden von der Bildfläche. Lebte er noch oder moderten seine Gebeine in einem unbekannten Grabe? Da wendet sich das Blatt der Gegner. Der Kaiser war inzwischen geschlagen worden und seine Feinde, die ihm erstanden waren, trieben ihn über die Grenzen Deutschlands hinaus. Er flüchtete sich nach Innsbruck, wo er mit etlichen seiner Getreuen und denjenigen der Gefangenen, die er nicht freizugeben willig war, in Abgeschlossenheit lebte. An einem stürmischen Abend, als der Krüppel seinen Gönner durch das Vorlesen eines Buches zu unterhalten suchte, trat ein Diener mit einem Brief ein. »Ein Schreiben für Herrn Weber,« sagte er.

»Für mich?« Orlandos Hände zitterten, als er den Brief entgegennahm. Von wem konnte er sein? Hatte seine Mutter endlich seiner gedacht? Doch der Kaiser gab ihm keine Erlaubnis, den Brief zu öffnen, und er wagte es nicht, ihn darum zu fragen. So las er blind drauf los, und so fehlerhaft wurde sein Vortrag, daß Seine Majestät ihn unterbrach.

»Du gehst am besten zu Bett, mein Sohn,« sagte er. »Die lange Fahrt heute scheint zu viel für Dich gewesen zu sein.«

Er bot dem Kaiser freudig eine gute Nacht und eilte auf seine eigene, kleine Stube im Schloß. Eilig öffnete er den Umschlag und entnahm demselben einen langen, eng geschriebenen Brief. Es ist nicht notwendig, die Worte der Reue und Liebe hier zu wiederholen, die Carlotta Weber an ihren Sohn richtete. Orlandos Herz zitterte vor Freude über den Gedanken: »Meine Mutter liebt mich trotz allem!« Sie erzählte ihm, wie schmerzhaft die Trennung von ihm ihr geworden sei, und wie er ein Teil ihres eigenen Herzens sei, obgleich sie dies nicht gewußt habe, da sie in Nürnberg zusammen gewohnt hätten. »Und nun,« fuhr sie fort, »hat Alberto mich besucht und er rühmt Dich ob Deines Muts. Er sagt mir, daß der Kaiser Dich liebt und ehrt – während ich, Deine Mutter, die ich Dir Deine Schwäche zu gut halten und Dich hätte ermutigen sollen, mir all Dein Leid zu klagen, Dich des Hauses verwiesen und Dich kaltblütig verstoßen und verlassen habe. Vergieb mir, mein Sohn, und bitte den Kaiser, daß er Dir die Erlaubnis gebe, nach Venedig zu kommen, wo Deine Mutter Dich willkommen heißen wird – sie wird nicht daran denken, daß Du ein Protestant, wohl aber, daß Du ihr einziger Sohn bist.«

Heiße Thränen flossen über Orlandos Wangen und er fiel auf die Knie, um seinem Gott zu danken für seine große Barmherzigkeit.


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