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Etliche Nächte später, als Peter von Reuß sich wieder anschickte, seinem Sohne kräftige Speise zu bringen – Speise, die ihm für die kommenden Folterqualen, die auf ihn warteten, neue Kraft geben sollten – hielt Kaiser Karl der Fünfte ein großartiges Bankett. Nie zuvor hatte man in Nürnberg derartiges gesehen oder gehört. Um die Gunst der einflußreichen Bürger zu gewinnen, waren die Herolde des Kaisers etliche Tage zuvor in die Stadt gesandt worden, um den Bürgermeister und die Ratsherren auf den Abend des 25. Januar auf die Burg einzuladen. Nicht nur die Stadtväter, sondern auch deren bessere Hälften und ihre Töchter waren eingeladen. Man kann sich vorstellen, welche Aufregung in den alten Häusern dieser einfachen Bürger herrschte und welche Anforderungen an die alten Truhen gestellt wurden, welche die kostspieligen Gewänder bargen, von denen manche sehr alt, aber doch noch schön und frisch in ihren Farben waren. Selbst der brave, schlichte Hans Sachs erhielt eine Einladung, zwar nicht als Schuhmacher, sondern als der verdienstvolle Meistersänger, wenn er auch seine Gaben in den Dienst einer Sache gestellt hatte, die dem Kaiser zuwiderlief. Der Herzog von Alba hatte gegen diesen Namen Einwand erhoben, als er die Liste der eingeladenen Gäste prüfte, und seiner Meinung auch entsprechenden Ausdruck gegeben. »Dieser Schuhmacher!« rief er aus, »hat in Deutschland fast soviel Schaden angerichtet, wie Luther, der Erzketzer, selbst. Wer weiß, ob er nicht das Bankett Eurer Majestät in einer Satire bewitzeln wird?«
Die Küche der Frau Sachs.
Karl lächelte nachsichtig. Dieser spanische Herzog, dessen Stammbaum viele Jahrhunderte bis auf den Bruder eines byzantinischen Kaisers, des Eroberers von Toledo, zurückreichte, genoß sein besonderes Vertrauen. Von diesem Vorfahren war der Familienname »De Toledo« abgeleitet worden. Da war es nicht zu verwundern, daß dieser stolze Mann sich weigern sollte, mit einem einfachen Schuhmachermeister zu Tisch zu sitzen.
»Es ist viel unwahrscheinlicher, daß er eine Satire schreibt, wenn er kommt und mein Brot ißt, als wenn er zu Hause bleibt und murrt,« war die kluge Antwort des Kaisers. Was das Murren anbetraf, im Falle der Schuhmacher daheim bleiben mußte, so war Seine Majestät schlecht berichtet. Der Empfang der Einladung brachte Bestürzung in die Heimat in der Mehlgasse. Der prächtiggekleidete Herold war kaum von der Thüre hinweggeritten, als Hans Sachs zu seiner Hausehre eilte, die in der Küche das Mittagsmahl zubereitete. Ihre Aermel waren hoch aufgerollt und ihre Hände hantierten energisch im weichen Teig. Die Einladung, auf Pergament geschrieben, und von einem tiefen goldenen Rand umrahmt, war von dem Schreiber des Kaisers verfaßt worden, der ihn auf seinen Reisen begleitete. »Was sollen wir thun?« frug ihr Mann und hielt das Schreiben hin, so daß sie es lesen konnte. »Eine Einladung vom Kaiser kommt einem Befehle gleich.« Bilder von feinen Kleidern und glänzenden Juwelen tanzten sofort durch den Kopf der guten Hausfrau. »Was thun?« rief sie entschieden aus, »nun, wir gehen natürlich, was können wir sonst thun?«
»Kaiser Karl ist der Feind der Reformation,« antwortete der Meister und ein besorgter Blick gab sich auf seinem gutmütigen Gesichte kund.
»Aber er ist jedenfalls unser Kaiser,« entgegnete klug die Frau, »und es kann der Sache der Reformation nichts schaden, wenn wir zu dem Bankett gehen. Komm Magda, hilf mir meine Hände vom Teig befreien. Ich muß einmal in der Truhe droben Umschau halten. Kannst Du Dich an den blauen Brokat mit den Silberborden erinnern, Hans, den ich vor siebzehn Jahren beim Empfang der Frau Carlotta Weber trug? Mit etlichen Perlenschnüren versehen, wird er der Marie schön anstehen. Sie ist doch auch eingeladen, Hans?« setzte sie mit einem fragenden Blick hinzu.
»Ja, ich und Du und Marie.«
Die Meisterin fuhr fort, ihre Hände in der irdenen Schüssel zu waschen, und trocknete sie dann an dem Handtuche, das sie mit eigenen Händen gewoben hatte. Ihr Gatte beobachtete sie mit ernsten Augen, doch hielt er sie nicht auf, als sie forteilte, um Marie zu finden. Er hörte noch das Echo einer Bemerkung, die sie zu sich selber machte, als sie zur Thüre hinausging: »Ich wundere mich, ob Frau Ebner eine Einladung erhalten hat.«
Der Meister lächelte. Es lagen aber doch Wolken über dem Sonnenschein in seinem Gesicht, als er mit diesen Gefühlen auf seine Stube ging, wo auf dem großen Schreibtisch verschiedene Manuskripte lagen; manche davon waren bereits gedruckt und verbreitet worden, während andere noch immer unvollendet waren. Den ganzen Tag hindurch schrieb er und versäumte darob sogar die Mahlzeiten; doch es war keine Satire, die vor dem Hereinbrechen der Nacht fertig gestellt wurde. Es war eine herzbrechende Klage um den toten Mönch von Wittenberg und um den traurigen Zustand, in dem Deutschland sich in jenen Tagen des sechzehnten Jahrhunderts befand.
Die Banketthalle des Nürnberger Schlosses war von Hunderten von Kerzen erleuchtet, die auf künstlich gearbeiteten, silbernen Kandelabern auf dem Getäfel standen. Kostbare Teppiche bedeckten den Raum zwischen den schweren und reich geschnitzten eichenen Thüren. Die großen Fenster von gefärbtem Glas waren mit purpurnem Damast behängt. An einem Ende des Saales war auf einer Bühne ein Thron angebracht, der zu verschiedenen Malen von Maximilian, dem Großvater des gegenwärtigen Kaisers, und ebenfalls von dessen Vater benützt worden war. Derselbe war reich mit Perlmutter eingelegt und darüber war ein Baldachin aus Hermelin angebracht. In der Mitte der Halle standen zwei lange Tische, reich mit luxuriösen Speisen beladen, wie die hochstehenden Personen in jenen Tagen daran gewöhnt waren. Wachskerzen in großen, gedrehten Haltern verbreiteten ihr Licht auf die Tische.
Als die Glocke die achte Stunde ankündigte, betrat der Kaiser den Saal durch eine Thüre, welche aus seinen Privatgemächern dahinführte. Er war eine Hünengestalt mit einem etwas schmalen Gesicht und einem Vollbart. Das weiße Gewand, das er trug, war reich mit Juwelen verziert und eine prächtige Schärpe war über seine Schultern geworfen. An seiner Seite schritt der Herzog von Alba, viele Herren vom Adel folgten ihm. Der Kaiser bestieg den Thronstuhl und gab den Befehl, die Thüren zu öffnen und die Gäste eintreten zu lassen. In einer langen Reihe schritten die Bürger von Nürnberg über die Schwelle, manche schienen nicht wenig verwirrt und unbeholfen zu sein. Ein Schwarm von stattlichen Frauen und Jungfrauen, die mit ihnen kamen, entlockten dem Kaiser die Worte: »Nie zuvor habe ich irgendwo in den Grenzen meines Reiches reicher gekleidete Damen gesehen.«
Marie war dort in ihrem seidenen Brokat mit den Perlenschnüren und Frau Ebner nahm sich in ihrem rosafarbenen Samtkleid prächtig aus. Sie war eine Patrizierin vom Wirbel bis zur Zehe. Die Augen aller waren indessen auf Carlotta Weber gerichtet, die sich in einem überlegenen Gefühl seitwärts von den übrigen aufhielt. Sie wartete, bis die Bürger und deren stattliche Frauen vom Ceremonienmeister dem Kaiser vorgestellt worden waren und dessen Hand pflichtschuldigst geküßt hatten.
»Ist dies nicht Deine hübsche Cousine, Alberto?« frug der Herzog von Alba.
»Dort drüben?« gab der Marquis in fragendem Tone zurück. »Ja, das ist Frau Weber.«
»Sie ist die schönste unter allen,« warf der Kaiser ein, der das kurze Zwiegespräch belauscht hatte. »Laßt den Marchese di San Marzano mir seine Cousine aufs neue vorstellen.« Der junge Italiener, der sich durch den ihm gewordenen Auftrag sehr geschmeichelt fühlte, war inzwischen hervorgetreten, um die Hand seiner Cousine zu ergreifen und sie vor den Kaiser zu geleiten.
Die Nürnberger traten zurück, um den Marquis passieren zu lassen. Frau Weber in ihrem weißen, wallenden, mit Perlen besetzten Samtkleide schritt ebenso anmutig als würdevoll nach vorne und kniete sich nieder, um des Monarchen Hand zu küssen. Orlando folgte.
Als der Empfang vorüber war, erhob sich der Kaiser und nahm am obersten der Tische Platz, während er den Bürgern bedeutete, sich ebenfalls zu setzen. Frau Weber wollte sich ihren Nachbarn anschließen, als ihr Vetter ihr in den Weg trat. Er wechselte etliche Worte mit dem Herzog, der sofort den Ceremonienmeister zu sich beschied. In etlichen Augenblicken, zwar nicht ohne eine kleine Verwirrung, wurden drei Damen von einer anderen Tafel herbeigezogen und drei jüngere Männer vom Gefolge des Kaisers ließen sich an einem der von den Bürgern besetzten Tische nieder. Der Herzog von Alba saß zur Linken des Kaisers und der letztere gab Frau Weber durch einen Wink zu verstehen, an seiner Rechten Platz zu nehmen. Der Marquis saß an der Seite seiner Cousine, während Orlando weiter unten am Tisch einen Sitz angewiesen erhielt.
Ein Gang folgte dem andern in rascher Aufeinanderfolge. Karl der Fünfte, von Spanien und Italien her an ein luxuriöses Leben gewöhnt, war ein Feinschmecker sondergleichen. Er stand jetzt in seinem 47. Lebensjahre und war unlängst durch den Tod seiner Gattin Isabella, die er zärtlich geliebt hatte, in tiefe Trauer versetzt worden. Doch seine Züge belebten sich zusehends, während er mit der schönen Italienerin an seiner Seite verkehrte.
Vater Antonio, der an der Seite des Herzogs von Alba saß, war tief in Gedanken versunken.
»Es scheint mir, als ob Euer Ehrwürden kein sonderliches Vergnügen in dieser Gesellschaft haben,« bemerkte der Kaiser mit einem Lächeln.
»Ich bitte Euer Majestät gnädigst um Verzeihung,« antwortete der Priester; »meine Gedanken waren mit jenem Jüngling beschäftigt, den wir heute in der Folterkammer hatten. Es geziemt sich jedoch nicht, in der Gegenwart von Damen über derlei Dinge zu verhandeln,« und bei diesen Worten streifte sein Blick die Witwe, die mit ihrem vor Freude lachenden Gesichte aussah, als ob die Trauerzeit längst verflogen sei.
»Frau Weber interessiert sich sicherlich für alles, das die Wohlfahrt unserer geliebten Kirche anbetrifft,« sagte der Kaiser.
»Gewißlich. Sie hat mich dessen seit dem Tage, da ich in ihrem prächtigen Hause Quartier genommen habe, zur Genüge versichert. Doch die Einzelheiten würden sie allzu schmerzlich berühren.«
»Bitte, fahrt fort, Vater,« gab die Dame zurück. »Ich weiß nicht, auf wen Ihr Euch bezieht, doch bin ich gewiß, daß Ihr keiner unfreundlichen oder grausamen Handlung fähig seid.«
Ein verstohlenes Lächeln zog über das hagere Gesicht von Ferdinando de Toledo. Pater Antonio kannte er seit vielen Jahren und es war ihm wohlbekannt, daß die Grausamkeit der meisten Menschen noch barmherzig war, wenn sie verglichen wurde mit dem Blutdurst des Priesters, falls er einen Protestanten in seiner Gewalt hatte.
»Weigert er sich immer noch, zu widerrufen?« forschte der Kaiser.
»Ganz und gar. Wir stellten ihn in jeder möglichen Weise auf die Probe: wir flochten ihn auf das Rad – ich bitte um Verzeihung, edle Frau, diese Einzelheiten sind nicht für Euch bestimmt. Doch er weigerte sich entschieden, zu widerrufen und sich die Gnade der Kirche zu sichern; auch wollte er rein nichts verraten hinsichtlich der Bewegungen des Schmalkaldischen Bundes.«
Der Herzog von Alba ergriff das Wort. »Auch ich war zugegen, Euer Majestät, und habe alles mit angehört. Es ist schade,« und er zuckte seine Achseln, »er stand dem Kurfürsten so nahe, daß er uns wertvolle Auskunft hätte geben können.«
»Wer ist es?« erkundigte sich Frau Weber.
»Wahrscheinlich habt Ihr noch nie von ihm gehört, schöne Frau,« gab der Herzog zurück, indem er sie mit einem bewundernden Blick betrachtete. »Es ist Ulrich von Reuß, ein Jüngling von neunzehn Jahren, der Sohn des Schloßhauptmanns. Das erinnert mich übrigens daran, Euer Majestät, daß, was wir immerhin mit dem Jungen zu thun gedenken, schnell gethan werden muß. Es sagte mir der Burgwächter, Jakob Engel –«
»Jener verschmitzte Mensch, der immer hier umherlungert? Wirklich ein sauberer Patron,« wandte der Kaiser ein.
»Ja, Euer Majestät. Er kam heute nachmittag zu mir und teilte mir mit, daß der Vater des Gefangenen auf irgend eine Weise, er wisse nicht wie, davon Wind bekommen habe, daß sein Sohn sich in dem runden Turm hinter Schloß und Riegel befinde, und daraufhin habe er gewaltsam die Schlüssel von ihm genommen. Wenn wir an einem schönen Morgen aufwachen, wird unser junger Held über alle Berge sein und sich wieder unter den Fittigen des Kurfürsten befinden.«
Aus Ehrerbietung gegen den Kaiser wurde an der Tafelrunde nur wenig gesprochen. Die Unterredung wurde selten lauter als im Flüstertone geführt, und da seine Tischnachbarn rechts und links sich nicht um ihn bekümmerten, so hatte Orlando scharf auf die Worte gehört, die zwischen dem Pater und dem Herzog gewechselt worden waren. Die letzten Tage waren für den Krüppel voller Sorge gewesen. Er hatte zuerst daran gedacht, Marie zu besuchen und ihr von dem traurigen Schicksal Ulrichs Mitteilung zu machen, doch hatte er sich wieder anders besonnen. Warum ihr das Herz schwer machen? Sie konnte ihm doch nicht helfen. Nach allen Seiten hin hatte er die Sache gründlich erwogen. War es ratsam, einen Versuch zur Befreiung Ulrichs zu machen? Er dachte an den runden Turm mit seinen vier Fuß dicken Mauern, an das unterirdische Gefängnis, in das nie ein Lichtstrahl drang, an die auf den Zinnen postierten Schloßwachen, immer bereit, ihre mächtigen, schwerfälligen Musketen auf den Flüchtling abzufeuern, aber ganz besonders an die Strafe, welche von dem Feldherrn mit den Feueraugen über den Befreier Ulrichs verhängt werden würde, und – das Herz des Krüppels sank voller Entmutigung tiefer und tiefer. Als er von den Schrecken der Folterkammer hörte, war es für ihn mit den Delikatessen vorbei. Er ließ jeden Gang unberührt an sich vorübergehen. Ulrich, der prächtige Ulrich, auf das schreckliche Rad geflochten und seine Glieder zerschunden und verrenkt! Mußte er auch zu einem Krüppel werden, vielleicht schlimmer als er selbst?
Vater Antonio, der ihm gegenüber saß, bemerkte, wie der Krüppel blässer und bleicher wurde und keine Speise mehr berührte. »Euer Sohn erfreut sich heute nacht keines sehr guten Appetits,« sagte er zu Frau Weber.
Durch diese Bemerkung wurde die Aufmerksamkeit aller auf den Krüppel hingelenkt und in einem Augenblick waren dessen bleiche Wangen von einem tiefen Rot überflogen.
»Er ißt nie viel,« bemerkte sie nachlässig, und die Unterhaltung kam wieder in Gang. Doch der Krüppel fühlte, als ob der Priester bis auf den Grund seiner Seele geblickt und die geheimsten Gedanken erraten hätte, und er schauderte unwillkürlich zusammen, als ob der Schatten der Marterwerkzeuge in der Folterkammer auf ihn gefallen wäre.