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Kapitel 23.
Bei Tagesanbruch.

»Laßt mich ein!«

Es war Vater Antonio, der also zur Wache vor dem runden Turm sprach, wo Ulrich so manche schwere Stunde verlebt hatte. Es dämmerte langsam über Nürnberg und bereits konnte man die spitzigen Dachfirsten erblicken; selbst in den engen Straßen fing es an zu tagen und sich zu beleben. Der Pater hatte frühe sein Lager verlassen, um seinen letzten Bestechungsversuch an Ulrich zu unternehmen. Sollte dies vergeblich sein, woran er nicht zweifelte, so wollte er ihn auf seinem Todesgang begleiten. Vater Antonio besaß ein Herz von Stein. Er war ein Jesuit durch und durch. Trotzdem konnte er sich einer mitleidigen Regung für diesen jungen Ketzer nicht erwehren. Seine blühende Jugend, seine unerschütterliche Standhaftigkeit während der Folterung, sein unerschrockener Mut, mit dem er getrost dem schrecklichen Tod ins Auge schaute, alle diese Eigenschaften zwangen dem finsteren Päpstling nicht nur Hochachtung ab, sondern weckten im tiefsten Grunde seiner Seele sogar eine gewisse Zuneigung für diesen edlen Jüngling. Als er über den Schloßhof ging, hatte er in einer Ecke die »Jungfrau« gesehen; sie sah grimmig und schwarz aus und hatte ihren Mantel eng um sich geschlungen, als ob sie sich im stillen ihres baldigen Opfers freute.

Auch der Herzog von Alba sah das Mordinstrument, als er durchs Fenster in den Hof blickte, und seine Gedanken weilten wiederum in den Orangengärten Andalusiens und bei seinen zwei Söhnen. Mit Gewalt mußte er das Bild aus seinem Innern verscheuchen.

»Ist der Gefangene von irgend jemand besucht worden?« frug der Priester, als er seinem Führer in die Dunkelheit folgte, welche die Fackel düster erhellte.

»Ich habe um Mitternacht jemanden das Thor geöffnet, Ehrwürden.« Der Soldat gähnte schlaftrunken. Es war eine lange, fröstelnde Nacht gewesen, um auf Wache zu stehen. Er drehte den großen Schlüssel, öffnete die Thüre und der Priester trat ein. Alles war stille in der Zelle. Auf der steinernen Bank saß eine Figur gebeugt da, das Gesicht in die Hände vergraben. Vater Antonio schritt über das unebene Steinpflaster und berührte die Schulter der Gestalt. »Es ist immer noch Hoffnung vorhanden, mein Sohn,« sagte er. »Kehre in den Schoß der Kirche zurück und ich verspreche Dir, daß die ›Eiserne Jungfrau‹, die Deiner im Schloßhof wartet, in ihr Versteck zurückgebracht werden soll und Du sollst zur Stunde ein freier Mann sein.« Als er des Marterinstruments erwähnte, erzitterte die gebeugte Figur. Dann hob der Gefangene plötzlich seinen Kopf in die Höhe und blickte dem Priester voll ins Gesicht. Mit einem Ausruf des Erstaunens wich Vater Antonio einen Schritt zurück. »Orlando!« rief er. »Du! Hier! Und wo ist Ulrich von Reuß?«

»Ja, ich bin hier, Vater Antonio. Der Gefangene ist jetzt an einem Ort, wo ihn die Hand des Herzogs von Alba, wie ich hoffe, nicht mehr erreichen kann.«

Der Kaisersaal.

»Und Du warst das Werkzeug zu seiner Flucht? Du, der Sohn einer frommen Mutter, der Du die heilige Kirche als Deckmantel für Deine Ketzerei gebrauchtest, um Dich selbst zu schützen! Ich kenne Dich und habe Dich seit vielen Tagen durchschaut. Wie steht es mit jenem Pergament-Band, den Du so sorgfältig vor aller Augen versteckt hieltest? Vor mir giebt es keine Geheimnisse!«

Orlando richtete sich auf und es schien dem Priester, als sei die sonst so kleine Gestalt über Nacht zu Mannesgröße herangewachsen, so würdevoll war seine Haltung. »Hier bin ich, macht mit mir, wie Ihr wollt.«

»Der Herzog von Alba soll entscheiden. Wir werden sehen, wen die ›Eiserne Jungfrau‹ heute morgen umarmen wird. Voraussichtlich nicht den Sohn des Schloßhauptmanns, wohl aber eine Person von edlerem Blut. Könnte Dein Großvater, Marchese del Principe, der Freund des heiligen Vaters, Deine schwarze That sehen, er würde sich im Grabe umwenden.« Ein Lächeln überflog des Krüppels Antlitz. Die Zeit der Furcht war vorüber. Mit einem Blick der zornigen Rache eilte der Priester hinweg zu den Gemächern des Herzogs.

»Der Herzog ging bereits auf das Schloß,« sagte die Wache und der Priester eilte wiederum zurück, um die Privatgemächer des Kaisers aufzusuchen. Er wußte wohl, welch Unwetter im Kommen war, sobald der Herzog die Nachricht empfangen würde, daß sein Gefangener dank der Hilfe eines schwachen Krüppels seine Flucht bewerkstelligt habe.

Orlando hatte sich wieder gesetzt, nachdem der Priester ihn verlassen hatte. Noch nie hatte er eine solche Ruhe und solchen Frieden in seinem Herzen verspürt, und noch nie war er dem Tode näher gewesen. Vom Herzog durfte er keine Vergebung erwarten und welche Stellung nun seine Mutter zu ihrem Sohne nehmen würde, war ihm keineswegs verborgen. Nur die unerwartete Gunst des Kaisers hatte die erstickte Mutterliebe wieder zur warmen Anhänglichkeit anfachen können. Wie konnte aber Orlando von Karl dem Fünften auf Gnade rechnen, da er das kaiserliche Vertrauen so schnöde mißbraucht hatte und den Gefangenen unter des Kaisers Namen entkommen ließ? Und doch, angesichts der drohenden Zukunft und möglicherweise des schrecklichen Todes, verspürte er, als ob eine starke, unsichtbare Hand ihn halte und beschütze. Es war ihm, als ob der Heiland selbst ihm nahe sei, und alle Furcht wich aus seinem Herzen. So dunkel die Zelle auch war, in seinem Herzen wohnte lichter Sonnenschein.

Langsam schlich die Zeit dahin. Da öffnete sich die Thüre und vier Soldaten traten in den dumpfen Raum.

»Komm mit uns!« sagte der erste derselben, indem er des Krüppels Arm fest, jedoch nicht unsanft ergriff. Die andern folgten ihnen.

Langsam schritten sie über den Schloßhof. Erst jetzt begann Orlando zu fühlen, wie sehr ihn die Nacht im Kerker angegriffen hatte. Es schwindelte ihm vor den Augen. Gestern nacht hatte er im kühnen Mut denselben Weg zurückgelegt, wußte er doch, daß ihn ein herzliches Willkommen seitens des Kaisers erwartete; jetzt war er ein Gefangener, über dem der Tod mit seinen schwarzen Flügeln schwebte.

Der Kaiser, der Herzog, der Priester und Orlandos Vetter, der Marquis von San Marzano, standen erwartungsvoll an einem Ende der Halle. Unter den Offizieren, die mit anwesend waren, fand sich auch Peter von Reuß. Sein Gesicht verriet die Spannung, wenngleich er augenscheinlich seine Gefühle mit Aufbietung aller Kräfte zu beherrschen suchte. Als Orlando hereingeführt wurde, konnte man auf seinem Gesicht einen Ausdruck der Ueberraschung und Verwunderung wahrnehmen. Was konnte das alles bedeuten? Er hatte erwartet, daß man seinen eigenen Sohn bleich und zitternd hereinführe. Langsam führten die Musketiere den Gefangenen vor den Kaiser und salutierten. Das sonst blutlose Gesicht des Herzogs von Alba war zornig rot und seine kleinen, tiefliegenden Augen sprühten wie Feuer unter den dichten Augenbrauen. »So, dies ist der Junge, der es gewagt hat, mir und dem Kaiser zum Trotz den Gefangenen entschlüpfen zu lassen!« rief er voller Verachtung aus und musterte Orlando vom Scheitel bis zur Sohle. »Wenn Euer Majestät erlauben, möchte ich etliche Fragen an diese Person richten.«

Karl nickte. Die Sache schien ihm sehr nahe zu gehen. Es war ihm nicht genehm, daß Ulrich so brutal behandelt werden sollte, doch hatte er darin den Herzog von Alba nach Gutdünken walten lassen. Und als nun der Krüppel, den er wirklich liebte, in der Gewalt des Herzogs zu sein schien – und er kannte dessen unerbittliche Natur nur zu gut – fühlte er sich beklemmt. Würde er Orlando begünstigen, so mußte dies den Anschein erwecken, als ob er's mit den Protestanten halte. So saß er stille und betrachtete das ausdrucksvolle Gesicht des Krüppels, als der Herzog von Alba sich diesem näherte und mit lauter Stimme etliche Fragen an ihn stellte. Die Offiziere drängten sich näher hinzu, damit ihnen die Antworten nicht entgehen konnten. Alberto, der für seinen Vetter eine warme Zuneigung gefaßt hatte, nahm einen Platz ein, von wo aus er diesem ermutigende Blicke zuwerfen konnte.

»Welche Entschuldigungen hast Du vorzubringen für das von Dir begangene Verbrechen?« frug der Herzog barsch.

Orlando richtete sich zu seiner vollen Höhe auf. »Ulrich ist mein Freund,« erwiderte er einfach.

»Ulrich Dein Freund! Das ist keine Entschuldigung. Die Freundschaft darf den Lauf der Gerechtigkeit nicht hemmen.«

»Er wurde ungerechter Weise ins Gefängnis geworfen,« kam es kühn von Orlandos Lippen und seine Augen blitzten.

»Ein Krüppel wagt das kaiserliche Wort in frecher Weise zu benützen, um einem Ketzer und Verräter die Freiheit zu schenken!« Mächtig schwoll die Zornader auf der Stirn des Herzogs. Er war es nicht gewohnt, daß man ihm Trotz bot. »Darf ich fragen, junger Herr, welches Schicksal Du hinsichtlich Deiner eigenen Person erwartest?«

»Ich rechne auf keinerlei Barmherzigkeit,« sagte Orlando mit einem Anflug von Lächeln. Er war sich der Gegenwart seines unsichtbaren Meisters in solchem Grade bewußt, daß er einen Druck seiner Hand zu verspüren und ein Trostwort aus seinem Munde zu vernehmen glaubte.

»Denkst Du, daß der Herzog von Alba Dir vergeben und Dich begnadigen wird, weil Du ein Katholik bist?«

»Ich bin kein Katholik,« gab der Krüppel leise, aber entschieden zurück.

Ein Murmeln rauschte durch die Halle. Kein Katholik? Und doch war dies der Sohn von Carlotta Weber, in deren Hause sich Vater Antonio aufhielt und die als eine eifrige Katholikin bekannt war! Dies war der Jüngling, der unter ihnen aus und ein gegangen war, als wäre er einer der Ihrigen gewesen.

»O!« rief der Herzog, indem sich seine Augenbrauen noch mehr zusammenzogen. »Die Sache wird verwickelter. Also den Heuchler hast Du gespielt? Wir vermuteten in Dir den treuen Sohn der Kirche und mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie Du bei der Erhöhung der Hostie, als Vater Antonio die Messe celebrierte, ehrerbietig auf den Knieen lagst.«

Der Krüppel ließ beschämt sein Haupt sinken. »Es ist wahr,« sagte er kleinlaut, »ich war nicht aufrichtig.«

Eine unheimlich Stille herrschte in der großen Halle. Dann erhob sich der hübsche Kopf des Gefangenen aufs neue und mit dem entschlossenen Wort wandte sich nun der Krüppel an den Kaiser selbst: »Ich habe den Heuchler gespielt, Euer Majestät, doch von nun an geschieht es nicht mehr. Ich glaube an den Herrn Jesum Christum und durch ihn allein hoffe ich selig zu werden. Es ist kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen sie können selig werden. Seit vielen Monaten lag ich gebunden in Ketten und war ein Feigling; heute bin ich frei. Thut mit mir, was Euch beliebt. Ich habe den Tod verdient und bin zum Sterben bereit; komme er, wie er wolle.«

Die Morgensonne beschien das erhobene Antlitz des Krüppels und das schöne Bild schnitt dem Kaiser in die Seele. Er verspürte eine aufrichtige Bewunderung für den schwachen Krüppel, der sich unumwunden als ein Ketzer bekannt hatte und sein Leben für Ulrich in die Schanze schlug in der selblosesten Weise. Der Herzog wandte sich etwas abseits und flüsterte mit dem Priester. Vater Antonio antwortete anscheinend sehr rasch, während der Herzog nickte und sich abermals an Orlando wandte. »In meiner Erregung vergaß ich, die wichtige Frage an Dich zu richten: Wohin hat sich der Gefangene gewandt? Laß mich's sofort wissen, damit wir ihm nachjagen und ihn aufs neue erfassen können. Es mag,« fügte er bestechend hinzu, »Dir das Leben retten.«

»Das werde ich nie sagen, Euer Gnaden.«

»Du mußt.«

»Niemals.«

Es sprach ein Ton der Festigkeit aus dem Wort des Krüppels, wie man ihn früher nie wahrgenommen hatte. Ulrichs Vater, der in atemloser Spannung nach vorne gelehnt war, atmete erleichtert auf. Jakob Engel näherte sich dem Herzog. »Die Folterbank öffnet den Mund, Euer Gnaden.«

Der Blick, der diesen traf, sprach mehr als des Herzogs Worte: »Ich foltere keine Krüppel!«

Da entstand vor der Thüre eine plötzliche Bewegung und ein Reiter, der eben angekommen war, bahnte sich einen Weg durch die Menge. »Botschaften, Euer Majestät!« rief er, »dringende Botschaften.«

Der Kaiser erhob sich. »Laßt den Mann vortreten.«

Und er trat vor, von Staub und Schmutz bedeckt und erschöpft. Er war Tag und Nacht im Sattel gewesen, um Nürnberg so schnell als möglich zu erreichen.

Sich tief verneigend, übergab er dem Kaiser ein Paket und nahm dann auf der Seite eine abwartende Stellung ein, während Seine Majestät das Siegel erbrach. Als der Kaiser die eingeschlossenen Briefe durchflog, blitzten seine Augen freudig auf und er winkte dem Herzog von Alba, näher zu treten, und teilte ihm die neuesten Nachrichten aus dem Norden mit. »Der Kurfürst. Sammelt Truppen. Bewegt sich dem Süden zu,« das waren die abgebrochenen Sätze, welche die Nächststehenden vernahmen.

»Wir müssen fort!« sagte der Kaiser. »Befehlt den Truppen, sich zum Abmarsch bereit zu halten. Ehe die Nacht hereinbricht, muß Nürnberg hinter uns liegen. Der Kurfürst soll seinen Treubruch zu fühlen bekommen.« In der entstandenen Aufregung dachten weder der Kaiser noch der Herzog an den Krüppel, der immer noch unbeweglich zwischen seinen Wächtern stand. Orlando war bleich wie Wachs geworden und er zitterte wie Espenlaub. Der schwache Körper wäre im nächsten Augenblick zusammengebrochen, wenn nicht Alberto sich seiner angenommen hätte.

Nach einer kurzen Unterredung mit dem Herzog erhob sich Seine Majestät. »Trefft alle Vorbereitungen zum Aufbruch,« befahl er den Offizieren. »Innerhalb zweier Stunden sind wir auf dem Abmarsch; dem Schmalkaldischen Bund muß jetzt der Todesstoß gegeben werden!«

»Hurra! Hurra!« kam es von den Lippen der Männer, die nach allen Richtungen auseinanderstoben.

Der Kaiser näherte sich wieder Orlando und blickte in die großen, seelenvollen Augen des Krüppels. Das Herz wurde ihm warm, denn der Krüppel hatte es ihm angethan. »Laßt den Jungen laufen,« wandte er sich an den Herzog, der ihm auf dem Fuße folgte. »Was thut es zur Sache, ob er Protestant oder Katholik ist, so lange er seinem Landesherrn die Treue bewahrt? Und was den andern anbetrifft, so mögt Ihr ihn am nächsten Baum aufknüpfen, wenn Ihr seiner habhaft werdet. Doch bitte ich die Madonna und alle Heiligen, daß er Euch nicht in die Hände fällt,« fügte er für sich selbst hinzu; »dieses kaltblütige Morden ist mir in der Seele zuwider.«

»Wie Euer Majestät befehlen,« erwiderte der Herzog, indem er sich auf die Lippen biß und dem Krüppel einen solchen Blick voll tödlichen Hasses zuschleuderte, daß selbst den rauhen Soldaten beinahe das Blut erstarrte.

Orlando war zum Glück der Blick entgangen. Er hörte nur, daß ihm die Todesstrafe erlassen und er frei sei. In dem Augenblick ließ die seelische Spannung nach und er brach ohnmächtig zusammen.


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