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Kapitel 24.
Des Krüppels Abschied.

Eine Stunde später betrat Orlando sein Heim, die Casa d'Oro. Er zitterte an allen Gliedern. Als er durch die hohe Thüre des Hauses trat, richtete er sich auf und preßte mit aller Kraft seine Lippen zusammen. Der Mutter gegenüberzutreten, deren stolzes Wesen er nur zu gut kannte, war für ihn ebenso schwer, als die Aussicht, durch die »Eiserne Jungfrau« das Leben zu verlieren. Aus dem Gemach seiner Mutter klangen verschiedene Stimmen. Er lauschte einen Augenblick und erkannte des Priesters Ton. Er schien mit Frau Weber zu argumentieren und die helle Stimme der letzteren verriet große Aufregung. Der Krüppel sprach leise ein Gebet vor sich hin, trat über die Schwelle des Zimmers und blieb bei der Thüre stehen. Seine Mutter schritt mit hochgeröteten Wangen und funkelnden Augen im Zimmer auf und ab und rang nervös die Hände. Als er eintrat, näherte sie sich ihm. »So, da kommst Du endlich, Du verstockter Ketzer! Vater Antonio hat mir bereits die Neuigkeit überbracht. Es ist ein Glück, daß Dein Vater starb, ehe er diesen Tag erleben mußte. Er wäre an gebrochenem Herzen gestorben, hätte er gewußt, daß sein Sohn solche Schande über sein Haus bringt!« Ihr Busen wogte auf und ab und sie ballte ihre Fäuste, so daß ihre Ringe tief ins Fleisch schnitten.

»Ich erachtete es der Schande genug, einen so verunstalteten Sohn mein eigen nennen zu müssen, und nun dies noch dazu! Mein Sohn ist ein Ketzer, ja noch schlimmer, er war es seit Monaten – vielleicht Jahren, ich weiß es nicht – und hielt Gemeinschaft mit diesen Abgefallenen, dieser Lügenbrut!«

Orlando wurde bleicher und bleicher; er öffnete seine Lippen, als wollte er sprechen.

»Nicht ein Wort will ich von Dir hören!« rief sie aus. »Geh und verlaß mir dieses Haus. Komm mir nie wieder unter die Augen!«

Vater Antonio legte sich nun ins Mittel. »Seid vorsichtig, edle Frau,« hörte Orlando ihn in leisem Tone sagen. »Denkt an das Eigentum. Es ist ausschließlich auf seinen Namen eingetragen.«

»Das Eigentum! Was liegt mir daran? Noch heute werde ich dieses Haus und diese Stadt verlassen und nach meiner Heimat in dem schönen, sonnigen Venedig zurückkehren.«

Plötzlich drehte sie sich um, sank auf einen Stuhl und brach in Thränen aus.

Orlando war im Nu an ihrer Seite und kniete neben ihr nieder. »Mutter! Meine Mutter!« sagte er. »O vergieb mir! Ich war feig, ich war ein Heuchler, aber kein Verräter, Mutter. Schon lange hätte ich Dir gerne ein Geständnis abgelegt, doch befürchtete ich, Dir dadurch wehe zu thun, und doch bist Du, Mutter, mein ein und alles. Ich liebe Dich, aber ich muß meinen Heiland mehr als alles andere lieben, Mutter.«

Sie löste die eine Hand von ihrem thränenden Antlitz und stieß ihn hinweg. »Geh'!« sagte sie.

Die Stadtmauer von Nürnberg.

Langsam und unsäglich traurig stand der Krüppel auf. »Ich gehe, Mutter. Ich bitte Dich indessen, dieses Haus und alles, was darinnen ist, als Dein Eigentum zu betrachten.«

Vater Antonio, der ein stummer Zeuge dieses Auftritts zwischen Mutter und Sohn gewesen war, trat nun näher und ein Ausdruck der Genugthuung spielte auf seinen Zügen. »Signor Orlando wird ohne Zweifel dieses Versprechen halten und die geeigneten gesetzlichen Dokumente anfertigen lassen.«

Die schluchzende Gestalt auf dem Sofa beruhigte sich nach und nach. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Orlando das Zimmer. Was er eben erlebt, hatte sein Herz tief verwundet. Nicht nur hatte ihn seine Mutter verstoßen, sondern es war ihm auch die Geldgier des Priesters aufgefallen und riß damit eine andere Binde vor seinen Augen los. Er ging auf sein Zimmer und stärkte sich mit den Herztropfen, die ihm wieder neue Kraft verliehen. Dann schrieb er einen langen Brief an seine Vormünder, worin er diese bat, alles Eigentum und sämtliche Gelder, die auf seinen Namen lauteten, an seine Mutter zu überschreiben. Dieses Schreiben übergab er Giovanni mit dem Auftrag, dasselbe sofort an den Handelsherrn Wolfgang Bertheimer abzuliefern. »Noch etwas, Giovanni,« fügte er hinzu, »laß den Fuchs satteln und bringe denselben bis in etwa einer halben Stunde vor die Hausthüre.«

»Will der Signorino einen Ritt unternehmend«

»Ja, Giovanni. Ich habe einen weiten Weg vor mir.«

Der treue Diener hob seine Augenbrauen, doch sagte er nichts weiter, als: »Es soll geschehen, Signor Orlando.«

Der Krüppel nahm sein Neues Testament und packte es sorgfältig in einen Tuchumschlag ein, so daß es durch nichts beschädigt werden konnte. In eine Börse ließ er eine Anzahl Goldstücke gleiten, dann nahm er von den Vögeln Abschied, streichelte die Angorakatze zum letztenmal und kniete darauf zum Gebet nieder. Etliche Augenblicke später stieg er entschlossen die Treppe hinunter. Anita trat ihm an der Frontthüre entgegen und über ihr Gesicht tropften schwere Thränen. Sie umarmte ihn und rief aus: »Ich habe alles vernommen, Signor Orlando; ob Du indessen päpstlich oder evangelisch bist, Deine alte Amme wird Dich nie vergessen.«

Er küßte die treue Seele recht innig und trat hinaus. Vor der Thüre scharrte der Fuchs, wohlgesattelt und reisefertig, und neben ihm ein anderes Pferd. Giovanni, der die beiden Tiere am Zügel festhielt, war ebenfalls reisefertig.

»Ich habe Euer Schreiben abgeliefert, Signorino,« sagte er, indem er respektvoll seine Mütze zog, »und der Herr sagte, daß er Eurer Mutter Antwort zukommen lassen werde.«

»Dann ist dies alles abgemacht,« erwiderte der Krüppel in einem Ton der Erleichterung; seine Mutter würde bequem leben können, und soweit er selbst in Betracht kam, hatte es wenig zu sagen. »Lebe wohl, Giovanni, ich danke Dir für alle Gefälligkeiten, die Du mir erwiesen hast.« Orlando entnahm seiner Börse eine Hand voll Goldes, aber zu seinem Erstaunen sah er, wie Giovanni das andere Pferd bestieg und bereits im Sattel saß.

»Was hat das zu bedeuten?« frug Orlando.

»Ich gehe mit Euch, Signorino.«

»Du verstehst mich nicht, Giovanni. Ich werde nie wieder zurückkehren. Mein Glaube trennt mich auf immer von meiner Mutter.«

Der Mann erwiderte kein Wort.

»Ich weiß nicht, wohin mein Pferd mich trägt. Du darfst meine Mutter und Anita nicht verlassen.«

»Die Signora und Anita sind alt genug, für sich selbst zu sorgen,« war die kurze Erwiderung. »Diese Priesterwirtschaft mag meinetwegen hingehen, wo der Pfeffer wächst. Ihr wißt, ich habe nie ein sonderliches Wohlgefallen an diesen Priestern in Weiberröcken gehabt und ihre Kriecherei ist mir bis aufs Blut Zuwider. Voran, mein Herr, ich will Euch in Sicherheit wissen, ehe ich mich von Euch verabschiede.«

Thränenden Auges ergriff Orlando die Hand seines treuen Dieners und die beiden ritten langsam die Straße hinab. Gesenkten Hauptes zog der Krüppel von dannen und schaute nie nach dem Fenster zurück, wo der Pater und seine Mutter in ernstem Gespräch begriffen waren. Frau Weber hatte die beiden gesehen und blickte ihnen nach; der Diener saß fest und aufrecht im Sattel, ihr Sohn vornübergebeugt vor Schwäche. Hätte Orlando in diesem Moment ihre Worte hören können, so wäre es Balsam auf sein wundes Herz gewesen. Carlotta Weber besaß trotz allem ein Mutterherz und die Mutterliebe übermochte den religiösen Fanatismus, der ihre tiefsten Gefühle überwuchert hatte.

»Ich bin froh, daß Giovanni ihn begleitet,« sagte sie, indem sie die Aufmerksamkeit des Priesters auf die beiden Reiter lenkte, die bald in der Ferne verschwunden waren. »Er wird sich Orlandos annehmen. Ihr wißt, Vater, daß er sehr schwächlich gebaut ist.«

»Ihr werdet also mit mir zurückkehren?« frug der Priester.

»Wenn Ihr es erlaubt. Warum sollte ich nicht in Venedig wohnen, wo ich meine Jugend verlebte; in diesem kalten, düstern Nürnberg bin ich eine Fremde unter Fremden. Besonders jetzt, seitdem –« ihre Lippen bebten. Stolz veranlagt, wie sie war, hatte die Kunde sie schmerzlich berührt und gedemütigt, daß ihr Sohn ein Abtrünniger und durch seine That beim Kaiser und beim Herzog von Alba in Ungnade gefallen war und damit seine und ihre glänzende Zukunft verscherzt hatte.

»Dann werden wir noch heute nacht aufbrechen,« sagte Vater Antonio. »Der Kaiser und der Herzog verlassen schon in den nächsten Stunden die Stadt. Meine Pflicht ist erfüllt und mein Weg geht zurück nach Rom.«

»Ein Brief von Herrn Wertheimer,« meldete Anita und Frau Weber riß den Umschlag auf. »Lest dies, Vater,« sagte sie trocken, als sie das Schreiben dem Priester überreichte.

»Wollt Ihr mir das Schreiben gütigst vorlesen? Die deutsche Schrift bereitet mir Schwierigkeiten.«

 

»Frau Weber!

»In Antwort auf einen Brief Eures Sohnes, der uns ersuchte, all sein Eigentum und seine Gelder an Euch zu übertragen, möchte ich Euch die Mitteilung machen, daß er als ein Minderjähriger keine derartigen Verfügungen treffen kann. Er deutet an, daß er Nürnberg in Bälde verlassen wird; in diesem Falle werden alle seine geschäftlichen Angelegenheiten, wie bisher, unter unserer Aufsicht stehen und wir werden seine Interessen bestens zu wahren wissen.

Achtungsvoll
Wolfgang Wertheimer.«

 

Des Priesters langes Gesicht wurde noch länger. Es war ihm wenig daran gelegen, was aus dem Krüppel wurde, aber sehr viel an dem Eigentum, das dieser besaß. O! Warum war der Kaiser an dem Morgen so gelinde verfahren und hatte dem Jüngling die Freiheit geschenkt! Hätte man der Gerechtigkeit ihren Lauf gelassen, so wäre jetzt Carlotta Weber, eine getreue Tochter der Kirche, im rechtmäßigen Besitz seines Reichtums. Wer konnte es sagen, wieviel davon seinen Weg in die unergründlichen Taschen des Priesters und seiner Helfershelfer gefunden hätte? Die Bescheidenheit des Paters, wie sie der Marchese di San Marzano beschrieben, hatte in Geldangelegenheiten besonders enge Grenzen.

Einstweilen konnte nichts gethan werden. Vater Antonio kehrte aufs Schloß Zurück und verabschiedete sich vom Kaiser und vom Herzog. Frau Weber war mit Einpacken beschäftigt und Anita war ihr darin behilflich. Welchen Gedanken sie immer bezüglich ihres Sohnes, den sie der Heimat verwiesen hatte, Raum geben mochte, so legte sie doch keinerlei Niedergeschlagenheit an den Tag, es wäre denn in der außerordentlichen Strenge gewesen, mit der sie ihre so treue Dienerin behandelte.

Kurz nach Mittag an jenem Tage hielten Orlando und Giovanni am Wege an, um der Ruhe zu pflegen. Im Feld, das sich vor ihnen ausbreitete, stand eine Gruppe von Bäumen, und da der Schnee infolge des jüngsten Tauwetters ganz verschwunden war, banden sie ihre Pferde daselbst fest.

»Die Truppen kommen!« rief Giovanni aufgeregt aus. »Klettert hier hinauf, hinter diesen Felsen, Signor Orlando, und Ihr könnt sie sehen, ohne selbst gesehen Zu werden. Ich glaube, es würde gefährlich für Euch sein, sollten sie Euch aufs neue in ihre Hände bekommen,« fügte er leise hinzu. Giovanni besaß ein offenes Ohr und hatte verschiedene Berichte gehört über die Vorgänge auf dem Schloß an jenem Morgen. Er wußte wohl, daß sein Meister nur mit knapper Not dem Tode entronnen war, und hatte auch zu viel über den Charakter des Herzogs von Alba gehört. Der Felsen bot ihnen ein sicheres Versteck, von wo aus sie den Vorbeimarsch der Truppen mitansehen konnten. Dort war der Kaiser, von seinem Stabe gefolgt; der Herzog von Alba mit seinem gestrengen Gesicht ritt einher, als wäre er in Stahl gegossen; und da war auch der Marquis, Orlandos Vetter. Alberto hatte seiner Cousine Carlotta noch einen kurzen Besuch abgestattet und von ihren Lippen vernommen, was zwischen ihr und Orlando vorgefallen war. Ohne ihre Handlungsweise zu rügen, hatte er ihr in kurzen Worten die Vorgänge auf dem Schloß geschildert; seine Darstellung war von der des Priesters ganz verschieden. Er hatte sie zum Schluß gebeten, den Jungen gütiger zu behandeln. Ein bitteres Zucken um die Lippen war das einzige Zeichen, das sie gab.

Zehntausend Mann in Reih und Glied, Italiener und Spanier, wohlbewaffnet und gut discipliniert, marschierten kampfeslustig in die Welt hinaus. Als die letzten vorbei waren, wandte sich Orlando um. »Laß uns weiter ziehen,« sagte er, »wir sind jetzt sicher. Wir haben es der Barmherzigkeit Gottes zu verdanken, Giovanni, daß wir ihnen nicht in die Hände gefallen sind.«

Es war Orlandos Plan, wenn möglich, irgendwo mit Ulrich zusammenzutreffen. Er berechnete, wie weit derselbe in den wenigen Stunden hatte kommen können. Er sah sich beständig zur Rechten und zur Linken um, als müßten seine Augen ihn sehen, doch ohne Erfolg. Die Dunkelheit brach rasch herein, als Orlando und sein Gefährte in einem Gasthause am Wege abstiegen, um dort die Nacht zu verbringen. Ohne es zu wissen, hatten sie lange zuvor den entlegenen Flecken passiert, wo Ulrich in dem alten Kloster lag und die schrecklichen Scenen der letzten Wochen noch einmal im Geiste durchlebte.


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