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Elsa von Reuß kehrte am Abend nach der Ankunft des Kaisers mit einem leichteren Herzen heim auf die Burg, als sie seit vielen Wochen, ja Monaten gefühlt hatte. Nach allem zu schließen, war Ulrich trotz der Truppen des gefürchteten Herzogs von Alba sicher aus Nürnberg entkommen. Zwei Wochen! Er mußte jedenfalls schon den größten Teil des Weges zum Kurfürsten hinter sich haben, es sei denn, er wäre in diesen traurigen und gefährlichen Zeiten in die Hände einer Horde jener wilden Raubritter gefallen, wie sie damals das Land unsicher machten. Sehr oft war jedoch ein Mann, der allein reiste, sicherer, als eine kleine Reitertruppe; er unterlief dann nicht dem Verdacht, irgend einem verborgenen Zweck zu dienen.
Der alte Burghauptmann trat herein und freute sich, sie mit leiser, süßer Stimme singen zu hören, während sie den Abendtisch deckte. »Du bist aber vergnügt heute abend, meine Tochter,« sagte er freundlich und legte seine große Hand auf ihr glattes Haar. »Weil ich so gute Neuigkeit über Ulrich gehört habe, Vater,« antwortete sie, ohne daran zu denken, daß Ulrichs Name von beiden nicht genannt worden war seit jenem schneeigen Tage im Dezember, als ihm der Vater befahl, das Haus zu verlassen. Der alte Mann schaute sie etwas verwundert an, sagte aber nichts, bis er seinen Mantel abgelegt hatte, der vom Regen durchnäßt war; trotzdem der Morgen einen schönen Tag verheißen hatte, fiel doch der Regen in Strömen. Elsa hing den Mantel beim Ofen auf, wo er trocknen konnte. Sie war halb erschrocken über ihre Kühnheit, das Gespräch auf ihren Bruder gebracht zu haben. Wird der Vater sie zurechtsetzen? Sie warf einen verstohlenen Blick auf sein bärtiges Antlitz und es wurde ihr leichter, als sie sah, daß er, obwohl still und sichtbar in tiefe Gedanken versunken, doch nicht ungehalten zu sein schien.
»Was hast Du gehört, Elsa?« frug er endlich, indem er sich ihr näherte.
Sie schmiegte sich froh an seinen Arm. Die arme Elsa entbehrte die Liebe ihrer Mutter gar sehr. »Ich war bei Amalie Ebners' Vater. Marie Sachs war auch da. Du erinnerst Dich, daß Ulrich im Hause des Schuhmachermeisters verblieb, nachdem« – sie hielt einen Augenblick inne, fuhr aber dann hastig fort – »Marie sagte, daß er die Stadt verlassen habe am Tage, nachdem der Herzog hier einzog, und daß er nun weit fort sein müsse.«
Das abgehärtete und wettergebräunte Gesicht des alten Mannes verriet die innere Zufriedenheit bei dieser Kunde. Er war um Ulrichs Sicherheit sehr besorgt gewesen, doch wenn er Nürnberg verlassen hatte, ehe der Herzog von seiner Mission Wind bekommen, war alles recht. Ulrich war ein Protestant, doch liebte ihn der Vater trotzdem über alles.
Peter von Reuß sagte nichts mehr und Elsa war besorgt, daß sie ihn mit ihren Worten verletzt haben möchte; deshalb ging sie plötzlich auf ihn zu und küßte ihn auf die Stirne. »Du bist eine gute, treue Tochter, meine Elsa, und wirst mit jedem Tage deiner Mutter ähnlicher.«
Elsas weißes Gesicht leuchtete auf vor heller Freude. »Vermißt Du die Mutter weniger, weil ich hier bin, Vater?« frug sie etwas zaghaft.
Sein graues Haupt senkte sich tiefer. »Mein Heimweh nach der Mutter wächst mit jedem Tage, Elsa; doch Du bist mir ein großer Trost.«
In jener Nacht schlief Peter von Reuß ruhiger, als seit langer Zeit. Eine unbegreifliche Angst hatte sein Herz erfaßt, daß Ulrich in irgend einer Weise in die Hände des Herzogs gefallen und vielleicht gerade jetzt im Burgverließ sein möchte. Es hätte das leicht der Fall sein können, ohne daß er eine Ahnung davon gehabt, denn manche der Schlüssel waren in Engels Händen und dieser war weder ihm, noch Ulrich sehr freundlich gesinnt. Dem alten Mann hatte es in der letzten Woche geschienen, als ob Jakobs kleine Augen noch böswilliger blinzelten, als sonst. Doch das war wohl seiner aufgeregten Einbildung zuzuschreiben. Jakob stand beim Herzog in hoher Gunst; vielleicht strebte er darnach, ihn aus seinem Amte zu verdrängen.
Es regnete den nächsten Tag noch immer in Strömen und ein dichter Nebel hüllte die Burg ein. Der Schnee schmolz schnell und schmutzige Wasserbäche stürzten den Bergabhang hinab und wälzten sich durch die Stadt der Pegnitz zu. Es war einer jener Tage, die den Geist beengen und das Herz traurig stimmen. Karl der Fünfte verspürte in seinem Schlafzimmer die frostige Luft und beklagte sich darüber. Der Herzog war strenger als je zuvor und ließ sarkastische Worte fallen, die bis auf Mark und Bein drangen, und selbst der lustige Alberto, Marchese di San Marzano, blickte still und trübe vor sich hin.
Peter von Reuß warf seinen großen Mantel um und ging hinaus, um die Runde durch die Burg zu machen. So weit er sehen konnte, war alles in Ordnung. Die Wachtposten schritten auf der äußeren Mauer auf und ab, obwohl sie vor dem dichten Nebel nur bis zur andern Seite des Festungsgrabens sehen konnten. Der Ton der Kirchenglocken drang in dumpfen Tönen aus der unsichtbaren Stadt herauf, als ob auch sie das unheimliche Wetter verspürten. Die Zugbrücke war herabgelassen und eine Gruppe kriegerischer Gestalten, die dort standen, unterhielten sich sehr ernstlich miteinander. Sie schwiegen, als die große Figur des Hauptmanns sich ihnen näherte, und begrüßten ihn ehrfurchtsvoll. Jakob Engel war in ihrer Mitte und er war es gewesen, der den übrigen etwas erzählt hatte, das sie sehr zu interessieren schien.
»Ist alles in Ordnung?« frug der alte Mann.
»Alles in Ordnung, Herr Hauptmann,« war die Antwort, und wieder schien es dem Hauptmann, als ob er ein boshaftes Blinzeln in den Augen seines Untergebenen wahrgenommen hätte. Er wandte sich würdevoll hinweg, als er eine Stimme vernahm. »Hauptmann Reuß,« rief Jakob. Indem dieser mit einem unterdrückten Fluch den Arm eines seiner Gefährten abschüttelte, der ihn aufhalten wollte, schritt er auf Peter von Reuß zu. Die anderen folgten ihm. Zwei oder drei lächelten, doch der Rest schaute ungehalten auf den giftigen Menschen. Einer raunte ihm hastig etwas ins Ohr. Der Hauptmann hielt gerade unter dem Hauptthor an, wo in Zeiten der Gefahr schwere Fallthüren herabgelassen wurden, um dem Feinde den Zutritt zu versperren. Hier standen etliche weitere Müßiggänger, und die da stationierte Burgwache schaute mit einem Gesicht voll Verwunderung zu.
»Herr von Reuß,« begann Jakob Engel, »es ist einer dingfest gemacht unten im runden Turm, und ich stelle mir vor, daß er Euch nicht so ganz fremd ist. Ich denke, er mag bald vergessen haben, wie es hier oben im Tageslicht aussieht.«
»Ein Gefangener!« rief Peter von Reuß. »Ist es soweit gekommen, daß Gefangene auf diese Burg gebracht werden, ohne daß der Burghauptmann etwas davon zu Ohren bekommt?« Sein Gesicht glühte vor Zorn, doch Jakob lächelte nur. Ihm schien dieser kleinliche Racheakt an einem alten Mann, in Gegenwart von acht oder zehn kaiserlichen Soldaten, großes Vergnügen zu bereiten.
»Auf wessen Befehl ist das geschehen?«
»Auf Befehl des Herzogs von Alba.«
»Warum ist derselbe nicht mir, sondern Dir zugegangen? Der Herzog kann sicherlich nichts gegen mich im Schilde führen! Ich habe von jeher treu gedient.«
»Wenn Ihr den Befehl mit eigenen Augen lest, mögt Ihr vielleicht den Grund verstehen. Der Herzog von Alba ist rücksichtsvoll gewesen.« Aus seiner inneren Tasche zog er bei diesen Worten den schriftlichen Befehl, den der Herzog am Tage seiner Ankunft in Nürnberg geschrieben hatte. Jakob bildete sich nicht wenig auf dieses Dokument ein. Durch die Reihe der versammelten Männer ging ein unzufriedenes Murmeln und einer derselben sagte: »Eine Schande!« Peter von Reuß schaute von einem Gesicht zum andern und las auf beinahe jedem einen Ausdruck von Entrüstung und Abscheu. Die Hand, mit der er nach dem Dokument griff, war gewöhnlich sicher und fest, doch jetzt zitterte sie. Seine Stimme klang rauh. »Gieb mir das Dokument,« sagte er.
Eine Totenstille trat ein. Der feste Schritt der Wache auf der Zugbrücke dröhnte laut herüber. Der alte Mann richtete sich auf, als wollte er sich auf den Angriff eines Feindes vorbereiten, und öffnete den Befehl des Herzogs. Jakob Engel beobachtete ihn mit bösen Augen, doch die energischen Züge des Mannes verrieten mit keinem Zeichen den Schmerz, der in dem Herzen toben mußte, als er den Haftbefehl seines Sohnes las. Ohne ein Wort zu verlieren, gab er das Dokument zurück und warf einen durchbohrenden Blick bis in das tiefste Innerste der Seele des rachsüchtigen Mannes, der vor ihm stand. Dann wandte er sich dem inneren Hof zu. Nachdem er aus dem Bogengang getreten war, wandte er sich wieder um und ging auf Jakob zu. »Gieb mir den Schlüssel zur Zelle meines Sohnes,« sagte er und sein Ton klang scharf und schneidig.
»Ich darf nicht,« antwortete Jakob scharf und zum erstenmal wichen seine Augen denjenigen seines Vorgesetzten aus.
Mit einer Donnerstimme wiederholte Peter von Reuß: »Gieb mir den Schlüssel. Bin ich ein Verräter, daß man mir die Schlüssel zum Gefängnis meines Sohnes nicht anvertrauen kann?« Jakob nahm einen Bund von Schlüsseln aus seiner Tasche, machte einen davon los und reichte ihn dem Hauptmann.
Als der alte Mann sich wieder entfernte, brach der verhaltene Grimm der Männer los. Aus dem dunklen Schatten an der Seite des Bogenganges ertönte eine Stimme: »Jakob Engel, du bist ein herzloser Schurke, einen alten Mann so zu behandeln.«
»Wer wagt das zu sagen?« frug Engel, indem er sich schnell umwandte.
»Ich.« Eine Hünengestalt trat keck hervor.
»Nehmt ihn und laßt ihn für eine Weile Gefängniskost schmecken,« war die Antwort Jakobs, und als zwei Spanier den Deutschen hinweggeführt hatten, suchte der Elende seine Stube auf.