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Jakob Engel eilte mit triumphierendem Herzen aus dem Hause des Herzogs von Alba und betrat den vorderen Hof des Schlosses. Dort rief er einen Landsknecht zu sich und übergab ihm den Befehl. »Spute Dich, Hans,« sagte er, »Du siehst, wie wichtig es ist, sonst hätte der Herzog nicht persönlich den Befehl erteilt.« Der Mann machte sich mit Riesenschritten davon und eilte durch die Straßen Nürnbergs und befahl allen Wachtposten und Thorwächtern auf Ulrich zu fahnden und niemanden durchzulassen, ohne ihn genau identifiziert zu haben. Eine Stunde später erschien er wieder in der kleinen Stube, welche Jakob bewohnte. Sie lag in dem untern Teil des Schlosses, in einem einstöckigen Anbau an der Mauer, so daß man bequem durch die Schießscharten die Stadt überschauen konnte. Aus Jakobs Fenster konnte man die Augen weit über die ausgedehnten Felder um Nürnberg schweifen lassen, die jetzt noch mit Schnee und Eis bedeckt waren.
Der ausgesandte Bote war zurück und meldete Jakob, daß Ulrich von Reuß die Stadt noch nicht verlassen habe. »Das ist sicherlich gute Nachricht,« antwortete jener und schaute dabei von einem Briefe auf, den er eben mühsam zu entziffern suchte, denn er war kein geschulter Mann; er hatte von jeher für die gelehrten Leute ein Gefühl der Verachtung verspürt, und zu diesen gehörte ja auch dieser junge Spion, Ulrich von Reuß. »Hast Du den Befehl überall erteilt?«
Die Burg.
»Ja, Herr.«
»Und hast Du ihnen die tiefste Verschwiegenheit gegenüber dem Schloßhauptmann anbefohlen?«
»Eure Befehle wurden genau ausgeführt.«
»Dann magst Du gehen. Es trifft sich wie gewünscht,« murmelte Jakob mit einem selbstgefälligen Lachen vor sich hin. »Die Wachtposten setzen sich fast ausnahmslos aus Fremden zusammen. Sie wissen nichts vom Hauptmann, noch von seinem Sohn. Wenn die alten Bürger noch immer auf den Stadtmauern Wache stünden, so wäre es nicht so leicht, sie zu überreden, den Jungen, der in ihren Straßen gespielt und den die meisten von ihnen kennen, gefangen zu nehmen.«
Jakob machte sich an seine Arbeit und langsam schlich sich der Tag dahin. Das Zwielicht dämmerte herein – jenes klare, milde Zwielicht eines Winterabends, wenn die Erde weiß im Schnee daliegt und der westliche Himmel verbleicht in den brillanten Färbungen von Safran und Rosenrot, und endlich sich in ein dumpfes, trübes Grau verwandelt. Der Halbmond stand heute nacht über dem grauen Himmel, so scharf, als ob er von Silber ausgeschnitten und auf einen dunklen Hintergrund gelegt worden wäre.
Jakob stand auf und schaute ängstlich aus dem Fenster. Die schwindende Herrlichkeit des Sonnenuntergangs und des zarten Mondlichtes hatte für ihn keinen Zauber; er verlor keine Zeit über die Schönheit der Natur. »Der Herzog erwartete diesen Nachmittag Nachricht und es muß jetzt nach fünf Uhr sein. Was wird er thun, wenn Ulrich nicht gefunden wird?« Sein fahles Gesicht erbleichte zusehends. Er hatte manche Geschichten gehört, wie der eiserne Herzog von Alba verfuhr, wenn seinen Befehlen nicht Gehorsam geleistet wurde.
Es pochte und ein Soldat trat ein. »Ich habe zu melden, Herr, daß sich ein junger Mann dem Schloß nähert. Er kommt nicht auf dem Burgweg, sondern auf einem Seitenpfad, der auf der Hinterseite zum Schloß führt. Er trägt keinen vollen Panzer und ist mit einem Felleisen ausgerüstet. Vielleicht ist es der, nach dem der Herzog fahndet.«
»Beobachte ihn,« sagte Jakob, »ich komme.« Er folgte dem Mann auf die Brustwehr des Schlosses bis zu einem Punkt, wo man auf die andere Seite der Stadt hinunterschauen konnte. Der Aufstieg war hier sehr steil und für einen Fremden sogar etwas gefährlich. Doch der Mann, der auf dem windenden Pfad immer höher stieg, war augenscheinlich mit dem Wege vertraut. Jakob konnte in der zunehmenden Dunkelheit sein Gesicht nicht erkennen, doch war er gewiß, daß das Ulrich war. Wer sonst, als der Junge, konnte von dem unbenützten Felsenpfad wissen. Manchmal war er wohl aus seiner Heimat entschlüpft, um mit seinen Jugendfreunden in der Stadt zusammen zu kommen und wieder auf demselben Wege ungesehen heim zu gelangen.
»Das ist kein anderer als Ulrich,« rief Engel. »Er will ohne Zweifel auf der kleinen Treppe bei der südlichen Mauer hereinschlüpfen. Rufe sofort die Wache dorthin und ich werde mich selbst einstellen.«
Ulrich von Reuß, überströmend von jugendlichem Feuereifer, war waghalsig und mutwillig. Er legte wenig Gewicht auf die Warnungen des Krüppels und hielt es für Feigheit, irgend einer Gefahr, welche kommen mochte, aus dem Wege zu gehen. Nach seiner Unterredung mit Orlando war er entschlossen in das Haus des Meisters zurückgekehrt und hatte Vorbereitungen für seine Abreise getroffen. Er packte die wenigen Kleider zusammen, die kaum zur Hälfte sein Ränzel anfüllten, und kehrte in das Wohnzimmer zurück, um da den Meister selbst zu treffen.
»Was hast Du im Sinn, Ulrich?« frug dieser.
»Ich mache mich fertig für meine Rückkehr zum Kurfürsten,« antwortete er.
»Da thust Du wohl daran. Nicht, daß ich wünsche, Dich aus dem Hause zu haben; Du weißt, welch Vergnügen uns Deine Gegenwart bereitet und wie es mich freut, von Deinen Abenteuern zu hören; doch um Deiner selbst willen mußt Du gehen und das so schnell als möglich.«
»Ich bin gekommen, Meister Sachs, um Euch und Eurer lieben Frau lebewohl zu sagen. Frau Kunigunde hat mich so freundlich behandelt, wie es nur meine eigene Mutter hätte thun können.« Wie schwer der Abschied dem Jüngling wurde, dafür waren seine thränenfeuchten Augen der beste Beweis.
»Sicherlich wirst Du nicht vor dem Mittagessen aufbrechen wollen. Du kannst nicht erwarten am hellen Tage aus Nürnberg zu entkommen, während die Söldlinge des Kaisers auf Wache stehen und alle Thore in Beschlag genommen haben.«
»Ich werde die Stadt nicht vor Nacht verlassen, doch bin ich der Ansicht, daß es nicht recht ist, wenn ich Euer Haus zum Gegenstand des Verdachtes mache, Meister Sachs. Ich werde irgendwo Unterkunft finden und die Dunkelheit abwarten. Dann wird sich mir schon ein Schleichweg offen zeigen.«
»Wo willst Du den ganzen Tag über bleiben?« Es war die ruhige Stimme der Hausfrau, die sich so vernehmen ließ. Ulrich hatte nicht gewußt, daß sie in der Stube war.
»O, irgendwo!« antwortete er leichthin.
»Hans, der Junge hat keinen Schlupfwinkel, wo er hingehen könnte. Keine Thür wird sich ihm öffnen, denn ganz Nürnberg scheint den Kopf verloren zu haben, seitdem der Herzog von Alba hier eingetroffen ist.«
»Meine Teure, was vermag Nürnberg gegen die Macht des Herzogs? Die Evangelischen sind zu schwach und ihr Verhalten ist darum weislich und billig.«
Die Meistersfrau entgegnete nichts, aber ihre Stricknadeln klapperten, als wollten sie so laut als möglich dagegen protestieren.
»Natürlich bleibt Ulrich hier, bis es Zeit ist, daß er die Stadt verläßt. Hans Sachs kennt keine Furcht vor dem Herzog oder dessen Zorn.« Das Gesicht des Meisters glühte voll Mut und Entschiedenheit. »Nimm Deinen Bündel wieder ab, mein Junge, damit wir uns noch einmal gegenseitig aussprechen können.«
So fügte es sich, daß die Familie an diesem sonnigen Nachmittage noch manche interessante und wichtige Gedanken und Erinnerungen austauschte. Doch das Bild, das am längsten in Ulrichs Gedächtnis weilte und ihn in manchen der traurigen Stunden, die bald über ihn hereinbrechen sollten, aufheiterte, war dasjenige eines jungen Mädchens, das sich über seine Stickerei gebeugt hatte und hie und da seine großen Augen zu ihm aufhob, um sie schnell wieder auf seine Arbeit fallen zu lassen. Er erinnerte sich an die Handarbeit, – es war eine im Perlstich ausgeführte Scene, Rebekka im wallenden Gewand am Brunnen darstellend, wie der Diener Abrahams sich über sie beugte, um einen Ring an ihren Finger zu stecken, welcher für das künftige Weib Isaaks bestimmt war. – Die Sonne ging unter, und mit einem Seufzer erhob sich Ulrich und schnallte sein Felleisen. Bald sollte der friedliche Haushalt hinter ihm liegen und seiner warteten Gefahren mannigfacher Art. Er hatte ihnen nicht gesagt, daß er noch einmal nach dem Schloß gehen werde, um seine Schwester zu sehen, denn er wußte, daß Meister Sachs ihn vielleicht von diesem Vorhaben abhalten würde. Doch, nachdem er von Vater und Mutter Abschied genommen hatte und sich nach Marie umwandte, fragte sie zu seinem Erstaunen ganz leise, so daß ihre Eltern es nicht hören konnten: »Hast Du Deinen Plan aufgegeben, nach dem Schloß zu gehen?« Sie schaute ihm dabei voll in die Augen. Er wagte nicht ihr zu antworten und sagte bloß: »Lebt wohl, Jungfer Marie. Es mag lange Zeit währen, bis wir uns wieder begegnen. Bis dahin gehabt Euch wohl.« Sie ließ sich aber nicht so leicht abfertigen, sondern wiederholte die Worte: »Hast Du Deinen Plan aufgegeben, nach dem Schloß zu gehen?«
»Ich muß Elsa noch einmal sehen,« antwortete er in beinahe bittendem Ton.
»Ich werde dies für Dich besorgen. Ueberlaß mir Deine Botschaft.« Sie sprach sehr rasch.
Aber um seinen Mund da zuckte jener alte, hartnäckige Zug, den sie schon gekannt hatte, als er noch ein Kind gewesen war. Ulrichs großer Fehler bestand in seinem Eigensinn. »Ich muß gehen,« antwortete er schließlich, und sie wußte, daß alle weiteren Worte vergeblich sein würden.
Im nächsten Augenblick war er fort. Es wurde dunkel im Wohnzimmer. »Zünde die Kerze an, Marie,« sagte die Mutter, doch Marie war nicht zugegen. Droben im Erkerfenster des zweiten Stockes stand sie und schaute der männlichen Erscheinung nach, welche bald in der Dämmerung verschwand. Wie im Traum suchte Marie ihr eigenes Zimmer auf.
Ihre Worte waren jedoch nicht ganz ohne Wirkung geblieben und in Ulrich stiegen je mehr und mehr Bedenken über sein Unternehmen auf. Er wußte, wo die Felsblöcke lagen, die durch die geringste Unvorsichtigkeit mit Krachen den Berg hinabgerollt sein würden und die Aufmerksamkeit der Burgwächter sehr schnell auf sich gezogen hätten. Kletternd und kriechend stieg er den Berg hinan und versuchte sich soviel als möglich hinter dem dichten Gebüsch, das hier und dort zwischen der Erde und den Felsen heraufwuchs, zu verbergen. Da auf diesem Abhang der Fall so steil und felsig war, hatte man die Anlage eines Festungsgrabens für unnötig erachtet. Ulrich erblickte den Wachtposten, wie derselbe die Brustwehr abpatrouillierte, und schmunzelte bereits über seine erfolgreiche Expedition. Wenn er die Steintreppe erreichen konnte, die zu einer kleinen Bresche der Mauer hinaufführte, so konnte er seinen Weg sicher in die Burg finden und Elsa erreichen. War er einmal dort, so vermochte er ungesehen wieder zu entschlüpfen, denn es wurde mit jedem Augenblick dunkler. Ulrich erreichte sicher die Bresche und kroch durch dieselbe. Im nächsten Moment sprang er die rauh und unregelmäßig gehauenen Stufen hinunter. »Nun,« sagte er zu sich selbst, indem er durch den dicken Epheu blickte, der sich gleich einem großen Baum verästelte, »noch einen mutigen Schritt und es ist gelungen.« Er gab seinem Felleisen, das sich ein wenig gelöst hatte, einen Ruck und, seine Hand halb unbewußt an sein Schwert legend, schritt er vorwärts und schaute sich um. Alles schien still zu sein. Man konnte keine Seele sehen. So weit war alles gut. Der kleine viereckige Hof lag in einem unbenutzten und sehr alten Teil der Burg; tiefste Finsternis herrschte daselbst. Nach allem zu urteilen konnte er sich mit Sicherheit hindurch wagen. Ulrich ging etliche Schritte auf ein Thor zu, das in denselben Hof führte, in dem seines Vaters Haus gelegen war, als sich plötzlich eine schwere Hand auf seine Schultern legte. »Im Namen des Herzogs von Alba bist Du mein Gefangener!« Ulrich konnte das Gesicht des Mannes nicht sehen, der zu ihm sprach, doch glaubte er die Stimme zu erkennen. »Bist Du es, Jakob Engel?« frug er.
»Du hast recht geraten.«
Ulrich fühlte sich auf der andern Seite von einer kräftigen Hand gefaßt und wurde mit Gewalt durch den Eingang über den Hof an seines Vaters Thür vorbeigeschleppt. Hoch oben im Turm konnte er ein Licht sehen. Dort saß ohne Zweifel Elsa – und vielleicht würde er sie nie wieder sehen. Was für schwere Sorgen mochte seine Gefangennahme über seinen Vater und seine Schwester bringen! Wenn auch Peter von Reuß als ein bigotter Katholik bekannt war, so war doch sein Sohn ein Abgefallener; dies würde wohl zu seinen Ungunsten gebraucht werden. Ulrich kannte den ehrgeizigen und herzlosen Charakter Jakob Engels durch und durch. Ein Versuch, sich aus den Händen der beiden Männer zu winden, schlug fehl.
»Auf welchen Befehl hin geschieht dies?« frug er in lautem Ton. »Wie kannst Du es wagen, den Sohn des Burghauptmanns zu verhaften?«
Jakobs Antwort war ein schadenfrohes Lachen. »Es befiehlt hier ein höherer als der Burghauptmann. Nur die Augen aufgemacht und Du wirst sehen, auf wessen Befehl wir Dich abgefaßt haben.« Jakob hielt das Papier in das Licht einer Fackel und Ulrich las seinen eigenen Namen und darunter denjenigen des Mannes, vor dem die Protestanten zitterten, »Ferdinando de Toledo, Herzog von Alba.«
»Genügt das?« frug Jakob mit einem solch tückischen Blick, daß man meinte der Leibhaftige schaue aus seinen stechenden Augen.
Sie führten Ulrich nach einem Turm, der auf einer Seite des eigentlichen Schlosses stand und der seit vielen Jahren als Gefängnis benützt worden war.