Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Etliche Tage später konferierten der Herzog von Alba und der Kaiser in dem sonnigen Gemach, das Seine Majestät zur Erledigung von Privatgeschäften benutzte. Durch zwei kleinere Fenster konnte man den großen Hofraum überblicken, dessen Wälle mit Bildhauereien und hübschen Balkonen geschmückt waren, welch letztere wiederum von weiblichen Figuren gestützt wurden. Der Kaiser lehnte sich über eine ganze Reihe von Dokumenten, die auf dem Tische vor ihm ausgebreitet waren. »Der Kurfürst muß sich ungefähr hier befinden,« sagte er zum Herzog, und dabei wies er auf einen Punkt auf der Karte hin, die trefflich auf Pergament ausgeführt war. »Es scheint dies aus der Nachricht hervorzugehen, die ein Bote heute morgen überbrachte. Er hat Wittenberg am letzten Dezember verlassen.«
»Der Bote hat den Weg schnell zurückgelegt,« erwiderte der Herzog. »Ja, Euer Majestät, der Kurfürst muß den von Euch bezeichneten Punkt erreicht haben.«
»Es frägt sich nun, was für uns der beste Schachzug wäre?« sprach Karl, indem er sich zurücklehnte und seinen Generalissimus forschend anblickte. »Ferdinand, Du, der Du meine Truppen schon so oft zum Siege geführt hast, mußt wiederum den Feldzug planen. Diese Unruhen der Protestanten haben lange genug gedauert. Ich bin der ganzen Sache müde. Ein kleiner Sturm, der durch die Worte eines Mönches entfacht worden ist, kann in so kurzer Zeit die Macht der römischen Kirche nicht hinwegfegen.«
»Und doch ist dadurch eine große Bewegung entstanden,« antwortete der Herzog, indem er sich auf der andern Seite des Tisches niederließ.
»Das ist wohl wahr, aber ich bin entschlossen,« sagte der Kaiser, erhob sich bei diesen Worten und trat ans Fenster, »daß die Evangelischen ein für allemal zum Schweigen gebracht werden sollen, und Du bist der Mann dazu.«
»Ich würde Eurer Majestät raten, noch etliche Tage hier zu verweilen. Wenn keine andern Nachrichten eintreffen, mögen wir in Wochenfrist nach dem Norden aufbrechen. Sollten wir Genaueres über die Operationen des Kurfürsten erfahren, so sind meine Truppen auf halbstündige Notiz hin zum Vormarsch bereit.«
»Du hast einen klaren Kopf, mein Ferdinand,« kam es von des Kaisers Lippen.
»Was sollen wir mit dem Sohne des Schloßhauptmanns anfangen?« fragte der Herzog.
»Handle nach Deinem Gutdünken,« gab der Kaiser gleichgültig zurück. »Ich mag seinetwegen keine Zeit verlieren.«
»Es liegt auf der Hand, daß wir ihn nicht frei geben können,« sagte der Herzog von Alba nachdenkend. »Auch kann er kaum länger mit Sicherheit im Gefängnis belassen werden, denn er hatte viele Freunde, die ihm zur Flucht behilflich sein möchten. Ich hege auch ernstliche Bedenken hinsichtlich seines Vaters und bin der Meinung, daß es am besten ist, wenn der Gefangene hingerichtet wird. Das ist die beste Kur für derartige Sprößlinge.«
»Ganz nach Deinem Wunsch, Ferdinand. Rufe den Marquis herbei, damit wir eine Partie Schach spielen können. Die Zeit wird einem in diesem alten Neste langweilig.«
Der Herzog von Alba zog sich auf sein Zimmer zurück und saß dort allein mit seinen Gedanken beschäftigt. Er sann darüber nach, was am besten mit Ulrich anzufangen wäre. Würde es besser sein, ihn am Leben zu lassen, oder ihn zum Tode zu verurteilen? Da trat der katzenfreundliche Jakob Engel ein, geduldig wartend, bis die Falten auf des Herzogs Stirne sich legen würden und er eine andere Haltung einnehmen sollte. Nach etlichen Augenblicken erhob der Herzog sein Haupt. Irgend jemand, der seine Charakterzüge kannte, hätte gleich entdecken können, daß für Ulrich im runden Turm keine Hoffnung mehr vorhanden war. Seine Stunde hatte geschlagen.
»Etwas besonderes?« frug er.
»Ich möchte nur eine Kunde bringen, Euer Gnaden,« lautete die unterwürfige Antwort.
»Wohlan!«
»Euer Gnaden werden sich erinnern, daß ich Euch die Meldung machte, daß der Schloßhauptmann mich zwang, ihm die Schlüssel zum Gefängnis seines Sohnes zu übergeben.« – Der Herzog nickte.
»Er hat dieselben noch immer in Händen. Zu zwei Malen habe ich dieselben bereits von ihm gefordert, doch schlug er mein Ansuchen rundweg ab.«
»Als Hauptmann hat er das Anrecht auf die Schlüssel, falls er dies wünscht.«
Die Scharfrichtersbrücke zu Nürnberg.
»Das weiß ich allerdings, nur möchte ich dann Euer Gnaden darauf aufmerksam machen, daß ich für den Gefangenen nicht haftbar gehalten werden kann, im Falle sich irgend etwas ereignen sollte.«
»Du würdest auch nicht mit Deinem Kopfe dafür bezahlen müssen. Ich glaube indessen selbst, daß es geraten wäre, dem Hauptmann von Reuß die Schlüssel abzuverlangen. Die Versuchung, den einzigen Sohn aus der Haft zu befreien, dürfte schließlich zu groß für ihn werden. Ich werde dafür sorgen.«
Jakob war glücklich und schmunzelte ob der Wendung der Dinge. Es war sein höchstes Bestreben, Burghauptmann zu werden, und es schien, als ob er diesem Ziel täglich näher komme. Freilich hätte er es lieber gesehen, wenn Peter von Reuß einen Versuch zur Befreiung seines Sohnes gemacht hätte, denn dies hätte ihn ohne weiteres dem unerbittlichen Zorn Albas preisgegeben. Dazu aber hatte der alte Mann eine zu grundehrliche Seele. Engel hielt es nicht für weislich, beim Herzog den Charakter des Schloßhauptmanns anzuschwärzen, und so verabschiedete er sich denn mit einem Bückling, nachdem er den entsprechenden Befehl erhalten hatte.
Kaum war er fort, öffnete sich leise die Thüre und herein trat der Pater. »Euer Gnaden haben mich rufen lassen?«
»Ja. Wie schon oft zuvor, so bedarf ich auch jetzt wieder Eures Rates, ehrwürdiger Vater.«
Die beiden Männer traten sich gegenüber. Ein jeder war sich der Schwächen des anderen bewußt, und beide versuchten bei einer jeden Gelegenheit daraus Nutzen zu ziehen.
»Habt Ihr den jungen Ketzer heute gesehen?« fuhr der Herzog fort.
»Noch nicht.«
»Wie geht es der hübschen Frau Weber?«
»Gut, wie immer.«
»Und stellt sich unser Freund Alberto oft dort ein?«
»Täglich. Mutter und Sohn sind ihm sehr zugethan.«
»Und doch höre ich, daß er nicht viel gewinnt, selbst wenn er im Werben um die Hand seiner Cousine erfolgreich sein sollte. Das Geld gehört dem verkrüppelten Sohn.«
»Und nur zu bald wird es in seinen Händen sein.«
»Wann?«
»Laut dem väterlichen Testament mit achtzehn Jahren.«
»Und erbt er dann alles?«
»Alles, mein Herzog, mit Ausnahme einer Leibrente, die ausschließlich der Kontrolle der Mutter unterstellt ist.«
»Dann,« fuhr der Herzog fort, »wird dieser verkrüppelte Junge über einen ganz bedeutenden Reichtum verfügen.«
»Es ist geradezu überraschend, wie der alte Kaufmann so große Summen erübrigen konnte. Aber das Geld ist da und überdies gut angelegt. Und das Schlimmste ist, daß die Vormünder des Knaben einflußreiche Bürger Nürnbergs und strenge Protestanten sind. Herr Weber selbst war der neuen Lehre nicht abgeneigt.«
»Es ist mir auch schon angedeutet worden, daß der Krüppel den Anhängern Luthers besonders zugethan ist.«
Der Pater nickte, ohne jedoch ein Wort zu sagen. Er zog es vor, seine Entdeckungen in dieser Richtung für sich selbst zu behalten, bis die geeignete Zeit kommen sollte, wo er dieselben mit Erfolg offenbaren konnte.
»Doch genug bezüglich des Krüppels,« sagte der Herzog in ungeduldiger Weise. »Im Verlauf weniger Tage werden wir wieder in den Sattel steigen und bald diese eintönige alte Stadt im Rücken liegen haben. Wie können es die Leute hier in dieser langweiligen Luft nur aushalten? Da laß ich mir ein freies lustiges Soldatenleben im Kampf und Frieden besser gefallen.
»Hat der Kaiser Nachrichten vom Norden erhalten?« frug der Pater mit großem Interesse.
In einem kurzen Augenblick verfiel der Herzog wieder in seinen stolzen, gleichgiltigen Ton. »Nichts von Wichtigkeit. Es ist mein Wunsch, Vater Antonio, daß Ihr Euch noch einmal zu dem jungen Ulrich von Reuß bemüht und alle Mittel in Anwendung bringt, um ihn zum Widerruf seiner Lehre und zum Eintritt in unser Heer zu bewegen. Der Jüngling gefällt mir und ich bewundere seinen Mut, Er hat Heldenblut in sich. Ich möchte ihn gern in den Reihen meiner Feldobristen sehen, vorausgesetzt, daß er entsagt und widerruft.«
»Dazu wird er sich nie verstehen, Euer Gnaden,« gab in einem positiven Ton der Pater zur Antwort.
»Vermag keine Gewalt ihn dazu zu bewegen?«
»Ich zweifle daran, daß er selbst angesichts des Todes seinen Grundsätzen, die ihm teurer sind als das Leben, entsagen wird.«
Der Herzog schritt erregt im Zimmer auf und ab. »Glaubt Ihr, daß es etwas nützen wird, wenn man ihn aufs neue foltert?«
Der Priester lächelte; es lag die Grausamkeit eines Tigers in seinen Zügen. »Wollt Ihr ihn auf diese Weise aus dem Wege räumen? Ich kann Euch versichern, daß er eine andere solche Stunde, wie er sie unlängst in der Folterkammer verlebte, nicht überstehen wird. Erinnert Ihr Euch seiner Gesichtszüge, als man ihn in seine Zelle zurückbrachte?«
Die Stirne des Herzogs legte sich in Falten. Es war ihm nicht so angenehm, mit den Opfern seiner Grausamkeit bekannt zu werden, als die Befehle dazu zu erteilen. »Er sah aus wie der Tod,« bemerkte er trocken.
»Und es wird auch sein letztes sein, wenn er noch einmal gefoltert wird.« Es herrschte eine solche Stille im Zimmer, daß man die Stimmen der Burgwachen, welche auf den Wällen standen und sich durch Zurufe unterhielten, vernehmen konnte. Plötzlich erhob sich der Herzog und sein Gesicht nahm denselben eisernen Ausdruck an, wie dies wohl zwanzig Jahre später der Fall war, da er auf Befehl des Königs Philipp von Spanien zwei unschuldige Führer der protestantischen Sache in den Niederlanden ins Gefängnis werfen ließ und deren Hinrichtung anordnete. Er sah aus, als wäre der leibhaftige Gottseibeiuns sein intimster Busenfreund.
»Besucht den Ketzer noch einmal und macht ihn auf die ihm drohende Gefahr aufmerksam. Thut alles, was in Eurer Kraft steht, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Macht ihm alle Versprechungen, um ihn zu gewinnen. Sollte alles fehlschlagen, so sagt ihm, daß er übermorgen um acht Uhr sterben muß.«
Der Pater stand am Fenster und schaute mit einer Leichenbittermiene über die unregelmäßig geformten Dächer der Stadt. Ein lustiges Lied, von einer mädchenhaften Stimme gesungen, drang an das Ohr der beiden Männer und die Sonne schien so freundlich, als ob es auf dieser schönen Erde keinerlei Spuren von Sünde und Tod gebe.
»Soll ich ihm mitteilen, was die Art seiner Todesstrafe sein wird?«
Der Herzog zögerte etwas, dann erklärte er: »Ich habe heute morgen darüber nachgedacht. Wir müssen an diesem Jungen ein Beispiel statuieren. Sein Tod muß allen Evangelischen zur Warnung dienen, daß der Herzog von Alba nicht ungestraft mit sich spaßen läßt.« Seine kleinen, kühnen Augen schienen sich noch mehr zusammenzuziehen. »Der Tod durch den Strang ist eine zu gewöhnliche Hinrichtungsart, als daß sie Schrecken einflößen würde; der Tod durch das Schwert ist zu ehrenhaft für ihn – selbst Könige sind auf diese Weise gestorben. Befindet sich nicht ein altes Instrument im Schloß, wovon ich schon manche Legende gehört habe, die sogenannte ›Eiserne Jungfrau‹?«
Die Art und Weise, wie der Pater jetzt auffuhr, war keine Verstellung. Er war grausam und kannte kein Erbarmen, doch die Blutgier dieses Menschen besaß er nicht. »Euer Gnaden wollen ihn sicherlich nicht zur ›Eisernen Jungfrau‹ verurteilen?« rief er aus, fast in Selbstvergessenheit.
»Warum nicht? Er würde ihre Umarmungen nicht zu sanft finden. Ihre spitzen Nägel haben vor dieser Zeit schon manchen Ketzerleib zerfleischt, wo anders die Sagen auf Wahrheit beruhen.«
»Doch dies war vor vielen, vielen Jahren. Heute hat die Kultur Fortschritte gemacht.«
»Ist Vater Antonio ein Schwächling geworden?« frug der Herzog. »In diesem Falle möchte es angebracht sein, auch im Auslande die Thatsache zu veröffentlichen, wie er in den Tagen seiner Jugend, da er in den Weingärten und unter den Feigenbäumen in den sabinischen Hügeln weilte, er –«
Der Priester erbleichte; ein Gemisch von Zorn und Furcht gab sich auf seinem Antlitz kund. »Euer Gnaden brauchen nichts zu befürchten,« sagte er schnell, »Eure Befehle sollen gehorsamst vollzogen werden.«