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Reichsfahnen, dazwischen Kränze und Guirlanden aller Art zierten die Balkone und Fenster von Nürnberg. Endlich sollte Karl der Fünfte kommen, um die blühende Stadt zu besuchen, die in solch eigensinniger Weise den evangelischen Glauben aufgenommen hatte. Seit etlichen Tagen hatte verlautet, daß Seine Majestät auf dem Wege sei; gegen Ende Januar kam eines Morgens in aller Frühe ein Eilbote zu dem Stadtthor herangeritten und setzte unter schallendem Hufschlag den Burgweg hinauf zu dem Hause, das der Herzog von Alba bewohnte, um zu melden, daß der Kaiser am folgenden Morgen in die Stadt einziehen werde. Für Nürnberg war es nichts Neues, mit kaiserlichem Besuche beehrt zu werden. Karl der Vierte hatte während seiner dreizehnjährigen Regierungszeit die Stadt zu zehnmalen besucht; Friedrich der Dritte war fünfmal da und auch Maximilian beehrte sie viermal mit seiner Gegenwart. Dem Schutze der Stadt Nürnberg hatte er viele Jahre lang die wertvollsten der königlichen Juwelen anvertraut, eine große goldene Krone, besetzt mit köstlichen Steinen, und Schwert und Scepter, die noch von Karl dem Großen herstammten. – Dieser Januarmorgen brach klar und schön an; liebliche Sonnenstrahlen schienen den Schnee in blitzende Juwelen zu verwandeln, die nicht weniger glänzten, als die Edelsteine in der Krone Karls des Großen. Ganz Nürnberg war in Aufregung. Auch Hans Sachs, seine Hausehre, die gute Kunigunde, und Marie, seine Tochter, kleideten sich aufs beste und bereiteten sich vor, den Kaiser zu bewillkommnen.
»Du kannst Dich heute sehen lassen,« sagte der Schuhmacher voll Stolz, indem er sein Weib mit einer so bewundernden Miene anschaute, daß ihre Wangen sich rosenrot färbten.
»Wie stattlich die Mutter ist!« rief Marie, indem sie herzlich lachte. »Wenn Du wüßtest, Vater, welche Arbeit es ihr bereitete, ihr Kleid gerade so zurecht zu machen, um in gebührender Weise die kaiserliche Majestät zu empfangen, so würdest Du es mehr schätzen. Es ist neu, Vater, ganz neu!«
Der Meister betrachtete seine Ehehälfte, die in ihrem Schmucke dem wackern Manne alle Ehre machte. Ihr Rock war von dunkelbraunem Samt, ringsum verziert mit kostbarer Silberstickerei. Ein seidener Ueberwurf von hellbrauner Farbe fiel in reichen Falten über denselben. Ein Mieder von Samt umschloß ihre gerundete Form und verbarg zum Teil die Taille von Seide mit ihren vollen Aermeln. Um ihren Nacken hing eine goldene Kette in doppelten Reihen, und auf ihrem Kopfe ruhte eine mit Spitzen besetzte Haube, die unter dem Kinn von einem Perlschloß gehalten wurde. In ihren Händen war ein großer Muff aus Wieselfell und von ihrer Taille bis zu den Füßen hing ein breites Band aus demselben Pelzwerk verfertigt. Wahrhaftig, diese sonst so einfache Bürgersfrau wußte der Stellung ihres Mannes gerecht zu werden.
»Es steht Dir gut,« sagte vergnügt der Meister. »Laß uns jetzt gehen, sonst wird's schwer halten, einen ordentlichen Platz zu finden.«
Der Gänsemann.
Marie folgte ihrem Vater und ihrer Mutter; obschon sie bescheiden gekleidet war, war sie doch eine sehr anziehende und liebliche Erscheinung. Sie trug eine enganliegende Kappe aus dunkelblauem Samt, von einer Perlenschnur umfaßt, und ihr Kleid war von dunkelblauem Tuch, mit Einsätzen aus hellerer Farbe und mit Silberborden verziert. Es war etwas Ungewöhnliches für die Schuhmachersfamilie, festlich gekleidet in der Oeffentlichkeit zu erscheinen, und während sie aus der engen Gasse, wo ihre Heimat stand, auf die breite Schloßstraße traten, zogen sie nicht geringe Aufmerksamkeit auf sich. Die Fenster waren bereits mit schönen Mädchengesichtern angefüllt, begleitet von ihren würdevollen Müttern. Die meisten der Männer standen drunten auf der Straße oder saßen auf den vielen Bänken, welche für die Festlichkeit errichtet worden waren. Hans Sachs hatte seine Tracht nicht verändert und erschien, wie jeden Sonntag in der Kirche, in einem dunkeln, unansehnlichen Tuchanzug. Manche seiner Mitbürger waren indessen in farbigem Samt, mit goldenem Schmuck und in Federhüten erschienen.
Amalie Ebner erblickte den Schuhmacher, wie er, gefolgt von seiner Familie, über einen offenen Platz schritt. Herr Ebner bewohnte ein prächtiges Haus, nicht weit von der Casa d'Oro. Amalie lehnte aus dem Fenster und winkte Marie einladend zu. Das junge Mädchen war aber zu sehr in Bewunderung der reich geschmückten Häuser versunken, als daß sie ihre Freundin bemerkt hätte. Mutter und Tochter standen ruhig an einer Ecke, als ein Diener den Arm der älteren Frau berührte. »Frau Sachs,« sagte er, »Jungfer Ebner schickt mich, Euch zu fragen, ob Ihr nicht einen Platz an ihrem Fenster einnehmen möchtet. Ihr könnt den ganzen Aufzug von dort sehen, ohne irgendwelche Unbequemlichkeit.«
»Vielmals Dank,« antwortete Frau Sachs, »Wir werden kommen, sobald ich meinen Mann gesehen habe.«
Etliche Minuten später gingen die beiden Frauen durch das Thor des Ebnerschen Hauses und wurden die weite Treppenhalle hinaufgewiesen. Frau Ebner und Frau Sachs kannten sich nur oberflächlich. Es war für die Gattin des früheren Bürgermeisters schwer, zwischen der Ehre zu unterscheiden, die der Frau eines Meistersängers gebührte, welcher – wie man sagte – durch ganz Deutschland und selbst in anderer Herren Länder in Ansehen stand, und der Stellung, welche die Frau eines Schuhmachers natürlicher Weise einnahm. Die Bürgermeisterin versuchte diesem Standesunterschied Rechnung zu tragen, als sie eine Gruppe von Frauen verließ und vortrat, um die neuen Gäste zu bewillkommnen. Die liebe, gute Meistersfrau fühlte sich nicht gerade sehr angenehm berührt, als sie so von oben herab angesprochen und behandelt wurde. Das Verlangen der Frau Sachs, den Kaiser in die Stadt einziehen zu sehen, war jedoch zu groß, und noch lebhafter erfüllte sie der Wunsch, daß ihre Tochter sich dieses Schauspieles erfreuen sollte, so daß sich die zornige Röte auf ihren Wangen bald verzog. Nach etlichen höflichen Worten, wie sie niemand besser auszudrücken vermochte als die Gattin von Hans Sachs, nahm sie an einem großen Fenster Platz, von wo aus sie die ganze Länge der Straße überschauen konnte. Amalie küßte Marie herzlich und warm. In ihren ersten Schuljahren waren sie gute Freundinnen gewesen. In späteren Jahren jedoch, nachdem sie die für Mädchen als nötig erachtete Schulbildung genossen hatten – etwas Lesen und Schreiben und genug vom Rechnen, daß sie ihre Haushaltung ordentlich führen konnten –, waren sie zu Hause geblieben, um sich im Kleiderflicken, im Kuchenbacken und im Häkeln ihrer eigenen Kleider zu vervollkommnen. »Du hast Elsa nicht vergessen?« frug Amalie und führte ihr Ulrichs Schwester entgegen, damit sie dieselbe grüße. »Elsa vergessen! O nein. Komm, Elsa, setze Dich hierher und erzähle mir alles, was Du kürzlich erlebt hast. Ein ganzes Jahr ist verflossen, seitdem ich Dich gesehen habe, obschon Du nur auf der Burg bist und ich in der Stadt. Du könntest beinahe einen Kieselstein aus Deinem Fenster uns aufs Dach werfen. In herzlicher Weise ergriff Marie die Hand ihrer Freundin. Es war nur ein Jahr Unterschied in dem Alter der beiden Mädchen, doch trat Marie mit mehr Weiblichkeit und Selbstgefühl auf. Elsa war ein schüchternes, feines Mädchen mit blendend weißer Haut und großen tiefliegenden Augen. Es war auch nicht die geringste Aehnlichkeit zwischen ihr und ihrem Bruder Ulrich zu finden.
»Ich war beschäftigt, Marie, und dann weißt Du, die Mutter« – Elsa konnte nicht weiter reden. Marie nahm teilnahmsvoll ihre zarte Hand. »Ich weiß,« sagte sie liebevoll. Auf der Straße entstand plötzlich eine große Bewegung und sie erhoben sich, um nach einem Trupp spanischer Soldaten zu sehen, die vorüber ritten.
»Der Herzog ist heute in aller Frühe ausgeritten,« sagte Amalie in nachdrucksvollem Ton; »er begegnete dem Kaiser weit draußen auf der Ebene. Hast Du ihn schon gesehen, Marie?« – »Nein.«
»Er ist eine hohe Erscheinung; doch sie sagen, er sei sehr grausam.«
Während sich die Gesellschaft im Zimmer laut unterhielt, wandte sich Elsa mit leiser Stimme zu Marie: »Wir hörten, daß Ulrich sich in Eurem Hause aufgehalten habe. Bitte, sage mir, ist er sicher aus Nürnberg entkommen? Ich träumte des Nachts von ihm, solche schreckliche Träume! Den ganzen Tag denke ich an ihn und bilde mir ein, er sei in der Gewalt dieses finstern Menschen. Sie sagen, daß der Herzog in seinem Zorn keine Grenzen kennt. Er haßt die Evangelischen und verfolgt sie ohne Barmherzigkeit. Sage mir, was Du weißt, bitte, Marie.«
»Ich weiß wenig, Elsa. Dein Bruder verließ uns am Tage nach der Ankunft des Herzogs. Ich fürchtete, er möchte auf das Schloß gehen, um Dich noch einmal zu sehen, und ich warnte ihn davor. Ich habe gedacht, daß er trotzdem gegangen sei, doch es scheint nicht, sonst hättest Du sicher etwas davon gehört.«
»Ohne Zweifel. Ich habe ihn seit jenem Morgen nicht mehr gesehen, da er so unerwartet bei uns eintrat, nicht ahnend, wie schwer wir heimgesucht worden waren. Nun ist er gewißlich in Sicherheit und weit fort von hier.«
»Ich sollte vermuten,« und beide Mädchen wandten sich mit leichterem Herzen zum Fenster, das nun weit offen stand trotz der kalten Luft, die hereinströmte. Man hatte aus der Ferne den Klang einer Trompete vernommen, und die Damen, festlich gekleidet, spähten hinaus nach dem Thor, wo die alten viereckigen Türme standen.
»Er kommt!« rief jemand.
Doch nein, es war ein falscher Alarm. Nur ein Haufe Landsknechte ritt vorbei, schöne, kräftige Männer in glänzendem Harnisch, die Schwerter aufrecht in den gepanzerten Händen. Dann kamen zwei Herolde in grünem Kostüm; sie ritten auf kohlrabenschwarzen Rappen, jeder trug eine silberne Trompete. Hinter ihnen ritt ein anderer Herold, ganz allein, der mit lauter Stimme das Kommen Kaiser Karls des Fünften ankündigte. »Das muß der Kaiser sein, der etwas vorausreitet,« sagte Marie aufgeregt. Aufrecht im Sattel sitzend, in seinem Mantel von Samt und Pelz, der über die prächtigen Decken seines Pferdes fiel, verbeugte sich der Monarch leicht als Antwort auf die Hochrufe der Menge zu beiden Seiten der Straße. An seiner Seite, etwas zurückhaltend, ritt der Herzog von Alba; augenscheinlich hatte er dem Kaiser angenehme Mitteilungen zu machen, denn die Lippen Seiner Majestät umspielte ein zufriedenes Lächeln. In der Nähe des Herzogs ritt der Marchese di San Marzano. Sein Blick war nach den mit schönen Mädchen angefüllten Fenstern gerichtet und er grüßte die Gruppe in Herrn Ebners Haus mit Lächeln und einer ritterlichen Handbewegung. Die Jungfrauen, durch diese Aufmerksamkeit in Verlegenheit gebracht, traten zurück, doch erschienen sie bald wieder, um den Rest der Kavalkade zu sehen. Fünfhundert geharnischte Ritter befanden sich im Zug Kaiser Karls, als er zu Beginn des Jahres 1547 in Nürnberg einzog. Seit vielen Tagen hatte sich in der Stadt kein so lustiges Leben mehr gezeigt als jetzt, da so viele glänzende Offiziere und Tausende von Soldaten in ihren Mauern weilten.
Auf einem Balkon der Casa d'Oro stand Frau Weber baren Hauptes, vom Sonnenschein übergossen. »Barhäuptig!« rief Frau Ebner in einem gestrengen Ton. »Das zeugt nicht von großer Bescheidenheit, zumal sie doch eine Fremde ist in unserer Stadt.«
»Vielleicht ist es so der Brauch in Venedig,« bemerkte Frau Sachs mild. Es war eine ihrer lobenswerten Eigenschaften, die Abwesenden, wenn sie angegriffen wurden, in Schutz zu nehmen. »Ich habe gehört, daß die Frauen dort keinerlei Kopfbedeckung nötig haben, weil es so warm ist.«
Doch ihre Worte waren vergeblich gesprochen, denn was drunten vor sich ging, nahm das Interesse aller in Anspruch. Der kaiserliche Zug hatte Casa d'Oro erreicht, als plötzlich der Herzog von Alba sich an den Marquis wandte und dann, mit dem Kaiser sprechend, nach dem Balkon deutete. Wären sie in der Nähe gewesen, so hätten die neugierigen Frauen den lächelnden Wink bemerkt, den Seine Majestät dem Marquis zuwarf, und ebenfalls seine Worte: »Bitte, würde die Dame sich freundlichst zu uns herunter bemühen?« Und vor der Casa d'Oro hielt der Kaiser, zur Bestürzung aller Nürnberger, bei denen die kalte, italienische Dame nie in Gunst gestanden, mit seinen fünfhundert Rittern an. Carlotta Weber gewahrte dies alles, und als sie die kaiserliche Botschaft erhielt, winkte sie ihrem Sohn und dem Priester, Vater Antonio, ihr zu folgen. Wie die Nürnberger Damen zu ihrem Aerger wahrnahmen, war ihr glänzendes, schwarzes Haar, das mit großer Sorgfalt arrangiert war, mit Perlen durchflochten, deren brillantes Weiß die Schönheit ihrer reichen Locken erhöhte. Sie trug keine entstellende Haube, wie sie jede deutsche Frau als notwendig erachtete. Ihr prächtiges Samtkleid aus Purpur umschloß ihre Gestalt in langen Falten und ihr Gürtel war besetzt von vielen kostbaren Steinen. Während sie durch das weite Portal des Hauses schritt, bot sie ein Bild, über das sich selbst Tizian gefreut hätte und auf welchem die Augen des Kaisers und seiner Begleiter mit ungeteilter Bewunderung ruhten. Sie hätte sich niedergekniet, doch gebot ihr der Kaiser, sich zu erheben, und entbot ihr huldreich seine Hand zum Gruß.
»Frau Weber ist eine Stammverwandte unseres Freundes, des Marquis von San Marzano?« sagte er fragend.
»Ja, Euer Majestät.«
»Und dies ist Euer Sohn?«
Orlando trat vor und kniete nieder.
»Mein einziger Sohn, Euer Majestät;« ein bitterer Ton machte sich in der Stimme der Frau geltend. Orlandos verkrüppelte Form war ihr ein beständiger Dorn im Auge. Der Kaiser vermutete sofort die Ursache dieser Veränderung und neigte sich zu Orlando hinüber. »Stehe auf, mein Sohn,« sagte er freundlich, »komm und besuche mich auf der Burg.« Dann wandte er sich wieder an die Mutter und sprach, so daß die Umstehenden es kaum hören konnten: »Oft findet man köstliche Juwelen in unscheinbarer Hülle.« Auf den Priester deutend fuhr er fort: »Laßt meinen alten Freund, Vater Antonio, den Knaben aufs Schloß begleiten, damit ich ihn sprechen kann. Sein Gesicht gefällt mir ausnehmend gut.« Dann bewegte sich die Kavalkade weiter und bald konnte man die Huftritte der Pferde vernehmen, als diese über die Zugbrücke des Schlosses sprengten.
Frau Weber, gefolgt von ihrem Sohne und dem Pater, betraten wiederum das Haus. Sie war hocherfreut über die Herablassung des Kaisers und besonders waren ihr dessen Worte über Orlando zu Herzen gegangen. Zu seiner großen Verwunderung – denn es waren mehrere Wochen verflossen, seitdem sie ihm zuletzt besondere Zuneigung gezeigt hatte – zog sie ihren Sohn zu sich und küßte ihn herzlich. Thränen traten in die Augen des Krüppels und er warf seine Arme liebend um ihren Nacken.