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Kapitel VIII

            »Aestuat ingens
Imo in corde pudor, mixtoque insania luctu,
Et furiis agitatur amor, et conscia virtus.« Ihm wühlten im Herzen / gleichzeitig bittere Scham und Wut und schmerzliche Trauer, / leidenschaftliche Liebe, Bewusstsein des eigenen Wertes. (Übersetzung W. Herzberg, 1859) – Mit Bezug auf Florence muss »Ihm« hier natürlich als »Ihr« gelesen werden. – Anm.d.Übers.

Virgil, Aenis XII,666.

Am nächsten Tag fand sich Cæsarini pünktlich zur vereinbarten Zeit zu seiner entscheidenden Unterredung mit Lady Florence ein. Ihr Gesicht, welches, wie das der meisten, die ihre Gefühle nicht im Zaume haben, stets allzu getreu ausdrückte, was in ihr vorging, war ungewöhnlich gerötet. Lumley hatte Andeutungen fallen lassen, die den Schlaf von ihrem Kissen, die Ruhe aus ihrem Gemüt vertrieben hatten.

Sie erhob sich nervös von ihrem Platz, als Cæsarini eintrat und sich gravitätisch verbeugte. Nach einer kurzen verlegenen Pause hatte sie jedoch ihre Selbstbeherrschung zurück gewonnen und drang mit all ihrem weiblich-zartfühlenden und gewandten Takt in den Italiener, wie sinnvoll es sei, das sich ihm nun darbietende Angebot einer ehrenvollen Unabhängigkeit anzunehmen.

»Sie besitzen Fähigkeiten«, sagte sie abschließend, »Sie haben Freunde, Sie sind jung; nutzen Sie die Vorzüge dieser Gaben der Natur und des Glücks mit einem Lächeln und beschreiten Sie eine solche Laufbahn, die«, fügte Lady Florence mit einem Lächeln hinzu, »von Dante nicht für unvereinbar mit der Poesie gehalten wurde.«

»Ich kann keine Laufbahn ablehnen«, sagte Cæsarini angestrengt, »die dazu dienlich wäre, einem Land den Rücken zu kehren, das für mich seinen Reiz verloren hat. Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit; ich werden Ihnen gehorchen. Mögen Sie glücklich werden; und dennoch – nein, ach nein! – glücklich müssen Sie werden! Sogar er muss Sie früher oder später mit meinen Augen betrachten.«

»Ich weiß«, erwiderte Florence stockend, »dass Sie besonnen und großmütig eine vergangene Illusion gemeistert haben. Mr. Ferrers erlaubte mir, den Brief anzuschauen, den Sie an Ern– … an Mr. Maltravers schrieben; er war Ihrer wert: er berührte mich tief; aber ich vertraue darauf, dass Sie Ihre Vorurteile überwinden werden, die Sie gegen …«

»Warten Sie!« unterbrach Cæsarini. »Hat Ihnen Ferrers die Antwort auf diesen Brief mitgeteilt?«

»Nein, das nicht.«

»Darüber bin ich froh.«

»Weshalb?«

»Oh, das ist gleichgültig. Der Himmel segne Sie. Leben Sie wohl.«

»Nein, ich flehe Sie an, gehen Sie jetzt nicht. Was stand in dem Brief, das mich schmerzen könnte? Lumley machte dunkle Andeutungen, wollte es aber nicht aussprechen: seien Sie freimütiger!«

»Das kann ich nicht: es wäre Verrat an Maltravers, Grausamkeit Ihnen gegenüber – und doch: wäre es tatsächlich grausam?«

»Nein, das wäre es nicht. Sie wären gütig und barmherzig. Zeigen Sie mir den Brief – Sie haben ihn dabei.«

»Sie könnten es nicht ertragen. Sie würden mich hassen für den Schmerz, den ich Ihnen zufüge. Lassen Sie mich gehen.«

»Mann, Sie tun Maltravers Unrecht! Das sehe ich jetzt. Sie möchten ihn im Dunkeln verleumden, da Sie ihn sich bei Tageslicht nicht zu verunglimpfen wagen. Gehen Sie, es war ein Fehler, Sie anzuhören – gehen Sie!«

»Lady Florence, nehmen Sie sich in Acht, mich nicht so zu schmähen, dass ich Sie aus Ihrer Täuschung reiße! Hier ist der Brief, es ist seine Handschrift. Wollen Sie ihn lesen? Ich warne Sie!«

»Ich glaube nur der Wahrnehmung meiner eigenen Augen. Geben Sie her!«

»So warten Sie: unter zwei Bedingungen. Erstens, dass Sie mir hoch und heilig versprechen, dass Sie ohne meine Zustimmung Maltravers nicht enthüllen, dass Sie diesen Brief gesehen haben. Glauben Sie nicht, ich fürchte seinen Zorn! Nein! Aber falls Sie mich verrieten, würde bei dem notwendig folgenden tödlichen Zusammentreffen auch Ihre Person in den Augen der Welt Schaden nehmen, und sogar ich (da niemand meine Entschuldigung kennt) stünde nicht da als derjenige, der ehrenvoll ihrem Wunsch gehorchte und Sie warnte, solange noch Zeit war, Ihre Liebe nicht für die Habsucht eines anderen zu verschachern. Versprechen Sie mir das!«

»Das tue ich, ich verspreche es aufs feierlichste.«

»Zweitens: Versichern Sie mir, dass Sie mich nicht bitten werden, den Brief zu behalten, sondern ihn mir unverzüglich zurückzugeben.«

»Ich verspreche es. Nun denn!«

»Da ist der Brief.«

Florence ergriff ihn und las rasch das fatale entstellte Dokument: ihr Kopf schwirrte, ihre Augen verdunkelten sich, in ihren Ohren rauschten Wasserfälle, die Erregung rief Übelkeit und Schwindel hervor; aber sie hatte genug gelesen. Dieser Brief war also als Antwort auf den Castruccios von gestern abend geschrieben worden; er bekannte Missfallen an ihrem Charakter; er bestritt die Aufrichtigkeit ihrer Liebe; die habsüchtige Natur seiner eigenen Gefühle war mehr als nur angedeutet. Ja, sogar dort, wo sie die reinen Güter ihres Herzens versammelt hatte, war sie nicht Florence, die liebenswerte und geliebte Frau, sondern Florence, die begüterte Erbin von hoher Geburt. Die Welt, die sie um Maltravers' Herz und Vertrauen errichtet hatte, zerfiel ihr unter den Füßen. Der Brief entglitt ihren Händen; ihre ganze Gestalt schien zu schrumpfen, ihre Zähne waren zusammengebissen und ihre Wangen marmorbleich.

»Oh Gott!« schrie Cæsarini von Gewissensbissen gepeinigt. »Sagen Sie etwas, Florence, sprechen Sie mit mir! Ich habe einen Fehler gemacht; vergessen Sie den verhassten Brief! Ich war falsch – falsch!«

»Ach, falsch – sagen Sie es noch einmal – nein, nein, ich erinnere mich, wie er mir sagte – er, der so klug, so tief den menschlichen Charakter beurteilt – dass er für Ihre Vertrauenswürdigkeit bürge –, dass Ihre Ehre und Ihr Herz unbestechlich seien. Es stimmt; ich danke Ihnen – Sie haben mich vor einem furchtbaren Schicksal bewahrt.«

»Oh, Lady Florence, teure – zu teure – aber, würde das … ach! sie hört mir nicht zu«, murmelte Castruccio, während Florence, die Hände an die Schläfen gedrückt, aufgelöst den Raum auf und ab lief. Endlich machte sie vor Cæsarini Halt, sah ihm voll ins Gesicht, gab ihm wortlos den Brief zurück und wies zur Tür.

»Nein, nein, befehlen Sie mir jetzt nicht zu gehen«, sagte Cæsarini, in reumütiger Bewegung zitternd und zugleich in eifersüchtiger Wut über ihre Liebe zu seinem Nebenbuhler.

»Mein Freund, gehen Sie«, sagte Florence in auffallend beherrschtem Tone leise. »Sorgen Sie sich nicht um mich; in mir ist mehr Stolz als Gefühl; aber es gibt gewisse Kämpfe im Innern einer Frau, die sie niemals irgendeinem verraten könnte – außer ihrer Mutter. Gott helfe mir, ich habe keine mehr! Gehen Sie. Wenn wir uns wiedersehen, werde ich ruhig sein.«

Sie streckte ihre Hand aus, während sie sprach, der Italiener sank auf sein Knie, küsste sie krampfhaft und verließ in Angst, sich selbst nicht mehr zu vertrauen, den Raum.

Er war nicht lange fort, als Maltravers zu erkennen war, wie er durch die Straße ritt. Während er sich vom Pferd schwang, schaute er zum Fenster hinauf und warf einen Handkuss zu Lady Florence, die dort stand und seine Ankunft mit Gefühlen beobachtete, die allerdings ganz verschieden waren von denen, die er voraussetzte. Leichtherzig und fröhlich betrat er das Zimmer.

Florence machte keine Anstalten ihn zu begrüßen. Er näherte sich und nahm ihre Hand; sie entzog sie ihm mit Schaudern.

»Geht es Ihnen nicht gut, Florence?«

»Es geht mir gut, denn ich bin wieder gesund.«

»Was meinen Sie damit? Warum wenden Sie sich von mir ab?«

Lady Florence heftete ihre buchstäblich lodernden Augen auf ihn, ihr Mund zitterte höhnisch.

»Mr. Maltravers, endlich erkenne ich Sie. Ich verstehe die Gefühle, um derentwillen Sie eine Verbindung zwischen uns suchten. O Gott! Warum, warum bin ich so mit Reichtum gestraft – warum wurde ich ein Gegenstand von Schacher, Habsucht und niederem Ehrgeiz? Nehmen Sie mein Vermögen, nehmen Sie es, Mr. Maltravers, wenn es das ist, worauf Sie es abgesehen haben. Der Himmel weiß, wie leicht ich es von mir werfen kann. Verlassen Sie jedoch die Unglückliche, die Sie lange täuschten, und die nun, so unglücklich sie sein mag, sich von Ihnen lossagt und Sie verachtet!«

»Lady Florence, höre ich recht? Wer hat mich bei Ihnen angeklagt?«

»Niemand, Sir, niemand. Ich hätte niemandem geglaubt. Es muss Ihnen genügen, dass ich überzeugt bin, dass unsere Verbindung für keinen von uns jemals glücklich werden kann. Fragen Sie mich nicht weiter. Aller Verkehr zwischen uns ist für immer vorbei.«

»Halt«, sagte Maltravers mit kalter, ernster Feierlichkeit, »noch ein Wort, und die Kluft wird unüberschreitbar werden. Halt!«

»Sprechen Sie«, rief die unglückliche Lady aus, gereizt von einer Haltung, die sie für den Beweis verhärteter Heuchelei hielt, »sprechen Sie nicht in diesem arrogant-überlegenen Ton, darauf falle ich nicht mehr herein. Ich war Ihr Sklave, während ich Sie liebte: das Band ist zerrissen. Ich bin frei, und ich hasse und verachte Sie! Geldgierig und verkommen wie Sie sind, erneuert die Niedertracht Ihrer Geisteshaltung die Unterschiede unseres Ranges. Von nun an, Mr. Maltravers, bin ich Lady Florence Lascelles, und nur unter diesem Titel werden Sie mich kennen. Hinaus, Sir!«

Während sie mit einer Erregung sprach, die jeden Zug ihres Gesichts in Mitleidenschaft zog, entwich für die Augen des stolzen Maltravers all ihre Schönheit wie durch Zauberkraft: Der Engel schien in eine Furie verwandelt. Und kalt, bitter und sengend war das Auge, das er auf das verwandelte Antlitz heftete.

»Geben Sie Acht, Lady Florence Lascelles«, sagte er sehr ruhig, »Sie haben nun gesagt, was Sie niemals widerrufen können. Weder bei einem Mann noch bei einer Frau vergaß oder vergab Ernest Maltravers jemals einen Satz, der ihn der Unehrenhaftigkeit zieh. Ich sage Ihnen auf immer Lebewohl. Und mit meinen letzten Worten verdamme ich Sie zum dunkelsten aller Verhängnisse – zur Reue, die zu spät kommt!«

Langsam entfernte er sich. Und als die Tür sich hinter der hohen, stattlichen Gestalt schloss, fühlte Florence bereits, dass sein Fluch sich zu erfüllen beginne. Sie eilte ans Fenster – sie warf einen letzten Blick auf ihn, als sein Pferd ihn flugs hinfort trug. Ach! wann werden sie sich wieder begegnen?


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