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Kapitel III

»Folg dem GEFÜHL, der Seele aller Kunst.«

POPE, Moralische Aufsätze, Aufsatz IV

Ernest Maltravers verbrachte viel Zeit mit der Familie De Montaigne. Es gibt keinen Lebensabschnitt, in dem wir zugänglicher für das Freundschaftsgefühl sind als in Zeiten moralischer Erschöpfung, welche den Enttäuschungen der Leidenschaft folgen. Es liegt dann etwas Einladendes in jenen feineren Gefühlen, die den Kreislauf der Zuneigung am Leben erhalten, anstatt ihn in Fieber zu versetzen.

Maltravers schaute mit dem Wohlwollen eines Bruders auf die glänzende, vielseitige und ruhelose Teresa. Sie war die letzte Frau auf der Welt, in die er sich hätte verlieben können – denn seine Natur, feurig, erregbar und doch verwöhnt, verlangte etwas wie Ruhe im Verhalten und Temperament der Frau, die er lieben konnte, und Teresa wusste kaum, was Ruhe war. Ob sie mit ihren Kindern spielte (sie hatte zwei allerliebste – das älteste sechs Jahre alt) oder ihren ruhigen und nachdenklichen Ehemann neckte, ob sie extemporierte Verse hervorsprudelte oder Lieder, die sie nie beendete, auf der Gitarre oder dem Piano klimperte, ob sie Ausflüge auf dem See machte oder, kurz gesagt, bei welcher Beschäftigung auch immer: sie erschien wie die »Cynthia der Minute«, Luftgeister. – Anm.d.Übers. immer heiter und beweglich, nie humorlos, nie eine einzige Sorge oder ein Kreuz im Leben anerkennend, niemals empfänglich für Ärger, außer wenn ihres Bruders empfindliche Gesundheit oder seine krankhafte Veranlagung ihre sonnige Atmosphäre trübte. Sogar dann erholte sie sich in der sanguinischen Elastizität ihres Gemüts rasch von der Depression; und sie überredete sich selbst, dass Castruccio jedes Jahr stärker und zu einem gefeierten und glücklichen Mann werde.

Castruccio selbst lebte, was romantische Poetaster Möchte-gern-Dichter. – Anm.d.Übers. ein »Dichterleben« nennen. Er liebte den Sonnenaufgang über den fernen Alpen – oder den mitternächtlichen Mond, schlafend auf dem See. Er verbrachte den halben Tag, und oft die halbe Nacht, mit einsamem Umherstreifen, ersann dabei seine liedhaften Verse oder gab sich seinen düsteren Träumen hin und glaubte, Einsamkeit bilde das Element eines Dichters. Ach! Dante, Alfieri, Vittorio Alfieri (1749-1803), italienischer Dichter und Dramatiker. – Anm.d.Übers. sogar Petrarca hätten ihn lehren können, dass ein Dichter intime Kenntnis des Menschen ebenso wie der Berge haben muss, wenn ihn verlangt, ein SCHÖPFER zu sein. Wenn Shelley Percy Bysshe Shelley (1792-1822), englischer Dichter der Romantik. – Anm.d.Übers. in einem seiner Vorworte prahlt, mit Alpen und Gletschern vertraut zu sein und der Himmel weiß womit, so kann der kritische Künstler nur wünschen, er hätte sich besser mit der Fleet Street oder dem Strand Berühmte Londoner Straßen. – Anm.d.Übers. vertraut gemacht. Dann wäre vielleicht dieses bemerkenswerte Genie fähiger gewesen, Charaktere von Fleisch und Blut zu gestalten, und hätte greifbare und vollendete Ganzheiten geschaffen anstatt konfuser, gleisnerischer Fragmente.

Obwohl Ernest Teresa zugetan war und Castruccio ihn tief interessierte, war es De Montaigne, für den er das höhere und ernstere Gefühl der Wertschätzung entwickelte. Dieser Franzose war bekannt mit einer viel größeren Welt als der bloßer Cliquen. Er hatte in der Armee gedient, hatte sich mit Auszeichnung in der Zivilverwaltung betätigt und besaß jene robuste, gesunde moralische Verfassung, die es mit jedem Wechsel des gesellschaftlichen Lebens aufnehmen kann und gefasst das Gleichgewicht unseres sittlichen Schicksals berechnet. Erprobung und Erfahrung hatten aus ihm jenen wahren Philosophen gemacht, der zu klug ist, Optimist, zu gerecht, Misanthrop zu sein. Er genoss das Leben mit nüchternem Urteil und verfolgte den für ihn günstigsten Pfad, ohne ihn als den besten für alle anderen zu deklarieren. Er war vielleicht ein wenig hart in Bezug auf die Irrtümer, die mit Schwäche und Einbildung zusammenhängen – nicht aber gegenüber solchen, die ihren Ursprung in großen Naturen oder großzügigen Gedanken haben.

Unter seinen Merkmalen stach eine tiefgründige Bewunderung für England hervor. Sein eigenes Land liebte er halb, halb verachtete er es. Die Unbesonnenheit und Leichtfertigkeit seiner Landsleute missfiel seinen nüchternen und gediegenen Begriffen. Er konnte ihnen nicht vergeben (wie er gewöhnlich sagte), die zwei großen Experimente der Volksrevolution und der Militärdiktatur vergeblich durchgeführt zu haben. Es sympathisierte weder mit den jungen Enthusiasten, die eine Republik herbeisehnten, ohne hinreichend die zahlreichen Schichten von Gewohnheiten und Bräuchen zu kennen, auf denen ein solches Gebilde, wenn es denn auf Beständigkeit konzipiert war, aufgebaut werden sollte – noch mit dem ungebildeten und grimmigen Ritterstand, der nach einer Restauration des kriegerischen Kaiserreiches verlangte – ebensowenig mit den geistlosen und hochnäsigen Frömmlern, die alle Ideen von Ordnung und Herrschaft mit der unglückseligen abgetakelten Bourbonen-Dynastie verbanden. In der Tat war für ihn GESUNDER MENSCHENVERSTAND das principium et fons aller Theorie und Praxis. Diese Idee war es, die ihn zu den Engländern brachte. In diesem Punkt war seine Philosophie allerdings ziemlich merkwürdig.

»Gesunder Menschenverstand«, sagte er eines Tages zu Maltravers, als sie bei De Montaignes Villa am Seeufer hin und her gingen, »ist kein bloß intellektuelles Attribut. Es ist eher das Ergebnis einer gerechten Abwägung all unserer geistigen und moralischen Fähigkeiten. Die Unehrlichen oder die Spielbälle ihrer eigenen Leidenschaften, mögen Genie haben; aber sie haben selten, wenn überhaupt, gesunden Menschenverstand in der Lebensführung. Sie mögen oft bedeutende Preise erringen, aber aus einem Glücksspiel, nicht aus Befähigung. Derjenige, indes den ich ehrenwert und aufrecht seine Bahn beschreiten sehe – gerecht zu andern und auch zu sich selbst (denn wir sind zur Gerechtigkeit uns selbst gegenüber verpflichtet – zur Sorge um unser Geschick, unserem Ruf – zur Handhabung unserer Leidenschaften) – ist ein würdigerer Repräsentant seines Schöpfers als das bloße Kind von Genialität. Von einem solchen sagt man, er habe GESUNDEN MENSCHENVERSTAND; ja, aber er besitzt ebenfalls Integrität, Selbstachtung und Selbstverleugnung. Tausend Erprobungen, die sein Verstand niederzwingt und besiegt, sind auch Versuchungen für seine Rechtschaffenheit – sein Temperament – mit einem Wort: für all die vielen Seiten seiner komplizierten Natur. Nun, ich glaube nicht, dass er diesen gesunden Menschenverstand weiterhin haben wird, ebensowenig wie ein Trunkenbold starke Nerven haben wird, es sei denn, er ist beständig gewohnt, seinen Geist frei zu halten von der Vergiftung durch Neid, Eitelkeit und die verschiedenen Regungen, die uns betrügen und irreführen. Gesunder Menschenverstand ist daher kein abstrakter Wert oder ein gesondertes Talent, sondern das natürliche Ergebnis der Gewohnheit, gerecht zu denken und darum klar zu sehen, und unterscheidet sich deshalb vom Scharfsinn, wie er zu einem Diplomaten oder Staatsanwalt gehört, ebenso wie die Philosophie des Sokrates sich vom Sophismus des Gorgias Gorgias von Leontinoi (um 495 - um 380), zu den Sophisten zählender Rhetoriker und Philosoph; Platos Dialog Gorgias hat diese philosophische Richtung nachhaltig mit abwertenden Attributen versehen; statt um Wahrheitssuche gehe es um durch bloße Streitkunst erzielbare, eigennützige Zwecke. – Anm.d.Übers. unterscheidet. So wie eine Menge individueller Vorzüge dieses Attribut ausmacht, so ergibt eine Menge solcher in dieser Weise charakterisierten Menschen einer Nation ihren Charakter. Ihr England ist daher berühmt für seinen gesunden Menschenverstand, aber ebenso berühmt für die Vorzüge, welche einen starken Verstand in einem Individuum begleiten – hohe Redlichkeit und Vertrauenswürdigkeit in seiner Handlungsweise, eine ausgeprägte Neigung zu Gerechtigkeit und anständigem Verhalten, eine allgemeine Freiheit von den auf dem Kontinent üblichen brutalen Verbrechen und die energische Beharrlichkeit in einmal begonnenen Unternehmungen, die aus einer kühnen und gesunden Veranlagung resultiert.«

»Unsere Kriege, unsere Schulden …« begann Maltravers.

»Verzeihen Sie«, unterbrach De Montaigne, »ich spreche von Ihrem Volk, nicht von Ihrer Regierung. Eine Regierung ist oft eine sehr ungerechte Vertretung einer Nation. Doch sogar bei den Kriegen, auf die Sie anspielen, werden Sie, wenn Sie sie einer Prüfung unterziehen, im Allgemeinen finden, dass sie der Liebe zur Gerechtigkeit entspringen, was die Grundlage des gesunden Menschenverstandes darstellt, und nicht irgendeinem wahnsinnigen Verlangen nach Eroberung oder Ruhm. Ein Mensch, jedenfalls ein vernünftiger, muss ein Herz in seiner Brust haben, und eine große Nation kann nicht Teil eines eigennützigen Mechanismus sein. Angenommen Sie und ich sind vernünftige, kluge Männer und wir sehen in einer Menge einen brutalen Kerl einen anderen ohne Recht auf den Kopf schlagen, so wären wir Vieh und keine Menschen, wenn wir dem Rohling nicht Einhalt geböten; aber wenn wir uns selbst in eine Menge würfen mit einem großen Knüppel und unsere Nachbarn durchprügelten in der Hoffnung, dass die Zuschauer schrien ›Schaut, was für ein kühner, starker Kerl das ist!‹ – dann würden wir bloß den Verrückten spielen um des Hahnenkamms willen. Ich fürchte, Sie werden in der französischen und englischen Militärgeschichte die Anwendung meines Gleichnisses entdecken.«

»Und doch, muss ich gestehen, gibt es einen Edelmut und einen ritterlichen, normannischen Geist im gesamten französischen Volk; dafür vergebe ich ihm viele seiner Auswüchse und glaube, es ist für bedeutende Zwecke bestimmt, wenn Erfahrung sein heißes Blut ernüchtert haben wird. Einige Völker reifen – ähnlich manchen Menschen – langsam, andere scheint es bereits in die Wiege gelegt. Die Engländer waren, dank ihrem derben sächsischen Ursprung – erhöht, nicht niedergedrückt durch die normannischen Infusion -, niemals Kinder. Der Unterschied beeindruckt, wenn Sie die Vertreter beider in ihren großen Männern in Betracht ziehen – seien es Schriftsteller oder aktive Bürger.«

»Ja«, sagte De Montaigne, »in Milton John Milton (1608-1674), englischer Dichter, bis heute durch das Epos »Paradise Lost« berühmt. – Anm.d.Übers. und Cromwell Oliver Cromwell (1599-1658), Feldherr des Parlamentsheeres im Bürgerkrieg gegen den englischen König, der 1649 enthauptet wurde. Cromwell beherrschte danach England in Form einer Militärdiktatur. John Milton war zeitweise sein Mitarbeiter. – Anm.d.Übers. gibt es nichts von einem glänzenden Kind. Von Voltaire Voltaire, eigentlich François-Marie Arouet (1694-1778) war einer der meistgelesenen und einflussreichsten Autoren der französischen und europäischen Aufklärung. – Anm.d.Übers. oder Napoleon kann ich das nicht sagen. Sogar Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Premier Duc de Richelieu, Kardinal Richelieu (1585-1642), frz. Staatsmann, der die Stärkung der königlichen Zentralmacht im Sinne eines Absolutismus betrieb. – Anm.d.Übers. der männlichste unserer Staatsmänner, besaß so viel von einem französischen Kind in sich, um sich selbst für einen beau garç on, einen Galan, einen Witzbold, einen Dichter zu halten. Was die Dichter der Racine-Schule Jean Baptiste Racine (1639-1699), einer der bedeutendsten Autoren der französischen Klassik; gilt den Franzosen als ihr größter Tragödienautor neben oder gar vor Pierre Corneille. – Anm.d.Übers. angeht, so waren sie keineswegs frei vom Gängelband der Nachahmung – kalte Kopisten einer Pseudoklassik, in der sie nur die Form sahen und niemals ihren Geist erfassten. Wozu solche kleinen römischen, griechischen, hebräischen Dramen wie ihre? Ihr roher Shakespeare besitzt mit Julius Caesar, sogar mit seinem Troilus und Cressida antiken Geist, während jene Imitationen von nichts Antikem sind. Aber unsere Franzosen kopierten die großen alten Vorbilder so wie Schulmädchen, die eine Zeichnung ans Fenster halten und die Linien auf Silberpapier nachziehen.«

»Aber Ihre neuen Schriftstellen – De Staël Anne Louise Germaine de Staël-Holstein (1766-1817), französische Schriftstellerin. Ihr meistgelesenes und langfristig wirksamstes Buch De l'Allemagne, »Über Deutschland«, sollte nach 1815 jahrzehntelang die Sicht der französischen Eliten prägen. Die Bezeichnung Deutschlands als »Land der Dichter und Denker« ist auf dieses Werk zurückzuführen. – Anm.d.Übers. – Chateaubriand Zur Zeit dieser Unterhaltung hatte letztere Schule, geschmückt durch Victor Hugo, einen – trotz bis ins Einzelne falschen Kunstbegriffen – dennoch außergewöhnlich genialen Mann, sich noch nicht zu ihrem gegenwärtigen zweifelhaften Ansehen erhoben. …«

»Ich habe an diesen Gefühlsmenschen nichts auszusetzen«, antwortete der strenge Kritiker, »abgesehen von ihrer ausufernden Kraftlosigkeit. Sie haben weder Knochen noch Muskeln in ihrem Genie – alles ist schlaff und rundlich in seiner weiblichen Symmetrie. Sie scheinen zu denken, dass Kraft aus blumigen Phrasen und kleinen Aphorismen besteht, und schildern all die mächtigen Stürme des menschlichen Herzens mit der polierten Niedlichkeit eines Miniaturbildes auf Elfenbein. Nein! – diese beiden sind Kinder von anderer Art – affektierte, herausgeputzte, gutgekleidete Kinder – sehr clever, sehr altklug – aber trotzdem Kinder. Ihr Gewinsel, ihre Sentimentalität, ihr Egoismus und ihre Eitelkeit können männliche Wesen, die das Leben und seine ernsten Gegenstände kennen, nicht interessieren.«

»Ihr Schwager«, sagte Maltravers mit feinem Lächeln, »muss an Ihnen einen entmutigenden Kritiker finden.«

»Mein armer Castruccio«, entgegnete De Montaigne mit einem halben Seufzer, »er ist eines jener Opfer, die öfter vorkommen sind, als wir uns träumen lassen – Männer, deren Ansprüche über ihre Kräfte gehen. Ich stimme mit einem großen deutschen Dichter überein, dass bei den ersten Schritten in der Kunst niemand ein Zutrittsrecht hat, wenn er nicht überzeugt ist, stark und schnell genug zu sein, das Ziel zu erreichen. Castruccio könnte ein liebenswürdiges Mitglied der Gesellschaft sein, ja sogar ein fähiger und nützlicher Mensch, wenn die Kräfte, die er besitzt, zu dem Lohn, der ihnen gebührt, anwenden würde. Er besitzt genügend Talent, um sich Ansehen in jedem Metier zu verschaffen außer dem eines Dichters.«

»Aber Autoren, die Unsterblichkeit erlangen, sind nicht stets ersten Ranges.«

»Ersten Ranges auf ihre Weise, vermute ich; sogar wenn diese falsch oder belanglos sein sollte. Sie müssen mit der Geschichte ihrer Literatur verbunden sein; man muss von ihnen sagen können: ›In dieser Schule, mag sie gut oder schlecht sein, übten sie diesen und jenen Einfluss aus.‹ Mit einem Wort, sie müssen ein Glied in der großen Kette der nationalen Autoren darstellen, das später von den Oberflächlichen vergessen sein mag, ohne das jedoch die Kette unvollständig wäre. Und so sind sie zwar nicht erstklassig für alle Zeit, zu ihrer eigenen waren sie es aber. Castruccio freilich ist nur ein Echo auf andere – er kann weder eine Schule begründen noch eine zu Grunde richten. Trotzdem, diese« (fuhr De Montaigne nach einer Weile fort) – »dieses melancholische Leiden in meinem Schwager würde vielleicht von allein heilen, wenn er kein Italiener wäre. In Ihrem lebhaften und umtriebigen Land würde er, nach hinreichender Enttäuschung als Dichter, einem anderen Ruf folgen, und seine Eitelkeit, seine Gier nach Wirkung würde ein vernünftiges und männliches Ventil erhalten. Aber in Italien, was kann ein gescheiter Mann hier tun, wenn er nicht Dichter oder Räuber ist? Wenn er sein Land liebt, ist dieses Verbrechen genug, um ihn für eine zivile Anstellung untauglich zu machen, und sein Geist kann auf den kühnen Pfaden der Spekulation keinen Schritt tun, ohne mit den Österreichern oder dem Papst in Konflikt zu geraten. Nein, das Beste, das ich für Castruccio hoffen kann, ist, dass er als Altertumsforscher endet und mit den Römern über Ruinen debattiert. Besser das als mittelmäßige Poesie.«

Maltravers schwieg und dachte nach. Seltsamerweise dämpften De Montaignes Ansichten nicht seinen neuen geheimen Feuereifer für geistige Erfolge, nicht weil er sich schon fähig genug fühlte, sie zu erreichen, sondern weil er die eiserne Härte seiner eigenen Natur wahrnahm und ihm bewusst wurde, dass er letztlich im Stande sein würde, dieses Metall für den Gebrauch zu schärfen.

Dem Wirt und dem Gast schloss sich nun Castruccio selbst an – schweigsam und finster, wie er ja gewöhnlich war, besonders in Gegenwart De Montaignes, durch den er seine »Selbstliebe« verletzt glaubte; denn obwohl er seinen Schwager zu verachten wünschte, sah sich der junge Dichter zu der Einsicht genötigt, dass De Montaigne kein Mann war, der verachtet werden konnte.

Maltravers dinierte mit den De Montaignes und verbrachte den Abend mit ihnen. Er kam nicht umhin zu beobachten, dass Castruccio, der in seinen Versen die weichsten Regungen vortäuschte – der in der Tat von seiner eigentlichen Natur her zart und fein war – von dem schlimmsten aller geistigen Laster – dem ewigen Pochen auf seine eigenen Vorzüge, Talente, Demütigungen und Misshandlungen – so vollständig verzogen war, dass er keinerlei Beitrag leistete zum Wohlbefinden anderer; er beherrschte keine jener kleinen Künste gesellschaftlichen Wohlwollens, besaß nichts von jenem jugendlich-ausgelassenen, gewöhnlich den Gutherzigen eigenen Temperament, das an Menschen von wahrhaftem Genie, wie abgehoben ihre Studien auch sein, wie streng und reserviert sie der gewöhnlichen Welt auch immer gegenüberstehen mögen, gemeinhin spürbar ist inmitten geliebter Freunde oder in dem Haus, dem sie zur Zierde gereichen. Besessen von einem Traum, kreisend in sich selbst verhielt sich der junge Italiener mürrisch und grämlich zu jedem, der sich mit seinen morbiden Fantasien nicht anfreunden konnte. Von den Kindern – der Schwester – dem Freund – der ganzen lebenden Erde floh er zu einem Gedicht auf die Einsamkeit oder zu Stanzen über den Ruhm. Maltravers sagte sich: »Ich werde niemals ein Dichter – ich werde nie um Ruhm seufzen – wenn ich Schatten zu einem solchen Preis erwerben muss.«


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