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Kapitel XIII

                                   »Sagt, werter Herr,
Sind Hab und Gut auch wohl taxiert, dass Ihr
Dem Wechsel auch gewachsen seid?«

BEAUMONT & FLETCHER, Der edle Gentleman.

Nachdem Maltravers sich von dem ersten Schock dieses unerwarteten Treffens und der darauf folgenden anhaltenden Enttäuschung erholt hatte, wurde er allmählich empfänglich für ein eigentümliches Gefühl von Glück oder Zufriedenheit. Alice befand sich nicht in Armut, sie aß nicht das unheilige Brot des Lasters, erwarb nicht bitteren Lohn in mühseliger Arbeit. Er sah sie in achtbaren, ja sogar üppigen Verhältnissen.

Ein finsterer Alb, der oft inmitten der jugendlichen Vergnügungen oder der literarischen Triumphe auf seiner Brust gelastet hatte, war fort. Er atmete freier – er konnte friedlich schlafen. Sein Bewusstsein sprach nicht länger zu ihm: »Sie, die an deiner Brust geschlafen hat, wandert dahin auf dem Erdenrund – ist jeder Versuchung ausgesetzt und kommt vielleicht um vor Not.« Dieser einzige Blick auf Alice hatte gewirkt wie die Erscheinung der misshandelten Toten, die in Heraclea heraufbeschworen Herakleia am Pontos (am Schwarzen Meer, heute Türkei) galt in der Antike als einer der Zugänge zur Unterwelt; an ihnen wurden Totenorakel abgehalten. – Bulwer kommt auch in »Zanoni« II,2 auf diesen Ort der Totenbeschwörung zu sprechen. – Anm.d.Übers. wurden – sie anzuschauen vermochte dem Täter Frieden zu verschaffen und die Dämonen der Reue auszutreiben. Er war mit sich im Reinen und schritt der Zukunft mit kühnerem Schritt und erhobenem Kopf entgegen. War sie verheiratet mit jener gesetzten, nüchtern erscheinenden Person, die er mit ihr erblickt hatte? war das Kind das Ergebnis ihrer Verbindung? Er hoffte es fast – es war besser, sie zu verlieren, als dass sie zu Grunde ging. In der zweiten Auflage: »denn er liebte sie nun wie ein Bruder.« – Anm.d.Übers. Arme Alice! hätte sie sich träumen lassen, als sie zu seinen Füßen lag In der zweiten Auflage: »saß«. – Anm.d.Übers und zu seinen Augen aufschaute, dass Maltravers einst dem Himmel danken würde, dass sie mit einem anderen glücklich war?

Maltravers fühlte sich nun wie ein neuer Mensch: die Entlastung seines Gewissens begünstigte seine schriftstellerischen Leistungen. Ein beschwingterer und elastischerer Geist hatte sie beseelt – sie schienen wie in zweiter Jugend zu atmen.

Cæsarini hatte sich indes in die elegante Welt gestürzt und wurde zu seiner eigenen Überraschung gefeiert und umschmeichelt. In der Tat entsprach Castruccio genau der Sorte von Persönlichkeit, aus der Gesellschaftslöwen gemacht werden.

Die von Paris mitgebrachten Einführungsbriefe richteten sich an diejenigen bedeutenden Leute in England, zwischen denen und gleich bedeutenden in Frankreich die Politik eine Verbindungsbrücke herstellt. Sie sahen in Cæsarini einen hochgebildeten jungen Mann, der zudem noch Schwager eines angesehenen Mitglieds der französischen Kammer war.

Maltravers andererseits führte ihn ein bei den literarischen Dilettanten, die alle Schriftsteller bewundern, die mit ihnen nicht konkurrieren. Cæsarinis merkwürdige Kostümierung, die an einem Engländer für Empörung gesorgt hätte, entzückte sie an diesem Italiener. Er sehe aus, sagten sie, wie ein Dichter. Damen mögen es, wenn man Verse für sie schreibt, und Cæsarini, der wenig sprach, kompensierte dies durch unendliches Gekritzel.

Des jungen Mannes Kopf füllte sich mit Vergleichen an zwischen ihm selbst in London und Petrarca in Avignon. Petrarcas Vater hatte sich im italienischen Streit zwischen Ghibellinen (Anhänger des Kaisers) und Guelfen (Papstpartei) zu letzteren gehalten und musste Florenz verlassen; Petrarca selbst folgte ihm als Siebenjähriger nach Avignon, wo er einen großen Teil seines Lebens verbrachte. – Anm.d.Übers. Da er Ruhm immer als ein Geschenk hoher Damen und Herren betrachtet hatte und keine Vorstellung von der Rolle der Masse besaß, hielt er sich bereits für berühmt. Und weil eines seiner stärksten Gefühle in seiner Eifersucht gegenüber Maltravers bestand, freute es ihn zu hören, dass er selbst ein entschieden interessanteres Geschöpf sei als jene arrogante Person, die ihr Halstuch wie andere Leute trage und noch nicht einmal die unabdingbaren Attribute eines Genies aufweise: schwarzen Locken und ein Hohnlächeln.

Die ›feine Gesellschaft‹, welche nach dem Wort Madame de Staëls S. Anne Louise Germaine de Staël-Holstein (1766-1817), französische Schriftstellerin. Ihr meistgelesenes und langfristig wirksamstes Buch De l'Allemagne, »Über Deutschland«, sollte nach 1815 jahrzehntelang die Sicht der französischen Eliten prägen. Die Bezeichnung Deutschlands als »Land der Dichter und Denker« ist auf dieses Werk zurückzuführen. – Anm.d.Übers. die leichtfertigen Geister verdirbt und die kraftvollen stärkt, vervollständigte den Ruin dessen, was in Cæsarinis Intellekt noch männlich war. Er lernte rasch, sein Verlangen nach Wirkung und Anerkennung auf vergoldete Salons zu beschränken; und seine Eitelkeit gab sich mit Abfallhäppchen zufrieden, von denen sich das Löwenherz wahren Strebens voller Ekel abwendet.

Aber das war nicht alles. Cæsarini beneidete Maltravers um seinen größeren Wohlstand. Sein eigenes Vermögen belief sich auf ein kleines Kapital von acht oder neuntausend Pfund: hinein geworfen in die reichste Gesellschaft Europas aber konnte er sich nicht überwinden, dem geringsten Anspruch auf deren Wertschätzung zu entsagen. Er begann von der Übersättigung des Reichtums zu sprechen, und junge Damen lauschten ihm mit beachtlichem Interesse, wenn er dies tat – er erwarb den Ruf, über Reichtümer zu gebieten – er war zu eitel, dass ihn dies nicht entzückt hätte. Er bemühte sich diesem Ruf gerecht zu werden, indem er sich die extravaganten, modischen Ausschweifungen zu eigen machte. Er kaufte Pferde – er verschenkte Juwelen – er wurde Liebhaber einer Marquise von zweiundvierzig, die sehr liebenswürdig zu ihm war und eine große Freundin des é carté – er spielte – er war auf dem Weg, sich zu Grunde zu richten.


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