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Kapitel XIV

»Trauervoll grübelnd und düster'n Gemüts.« – SPENSER

   

»Da brach unterm Rauch des Altars hervor
Ein furchtbarer Feind.«

DERS . zum Aberglauben

Neun von zehn Malen geht es über die Seufzerbrücke, wenn wir den schmalen Steg von der Jugend zum Mannesalter beschreiten. Diese Zeitspanne ist gewöhnlich ausgefüllt von einer unschicklichen oder enttäuschten Liebe. Wir erholen uns und sehen uns dann verwandelt in neue Wesen. Der Verstand kommt gehärtet aus dem Feuer, durch das er gegangen ist. Die Vernunft profitiert von den Schiffbrüchen jeder Leidenschaft, und wir vermessen unseren Weg zur Weisheit anhand der Leiden, die wir durchmachen.

Aber Maltravers befand sich noch auf der Brücke, und für eine Zeitlang lagen Leib und Seele kraftlos danieder. Cleveland entdeckte scharfsinnig, dass diese Krankheit zu tun hatte mit den Veränderungen, die er betrübt miterlebte; er besaß jedoch genügend Feingefühl, um sich nicht in das Vertrauen des jungen Mannes zu drängen. Nach und nach erreichte indes seine Freundlichkeit so vollständig das Herz seines Mündels, dass Ernest ihm eines Abends die ganze Geschichte erzählte. Als Mann von Welt war Cleveland möglicherweise glücklich, dass es nicht schlimmer war, denn er hatte schon ein Techtelmechtel etwa mit einer verheirateten Frau befürchtet. Aber weil er besser war als die Welt im Allgemeinen, brachte er Sympathie auf für das unglückliche Mädchen, das Ernest ihm in glaubwürdigen, ungeschönten Farben malte, und er verzichtete lange auf jeden tröstenden Zuspruch, weil er dessen Vergeblichkeit vorhersah.

Er spürte indes, dass Ernest kein Mensch war, »den Mittag des Mannesalters an einen Myrtenschatten zu verraten«: Thomas Campbell, The Pleasures of Hope, Part II (Dryden merkt zu dieser Stelle an: »Der Myrtenschatten ist Venus geweiht.«) – Anm.d.Übers. – dass er sich, mit seinem so lebensvollen, heiteren und widerstandfähigen Temperament, schließlich erholen würde von einer Schwermut, die zudem, falls sie eine Warnung hinterließ, nicht gänzlich der Reue entblößt sein mochte. Und er wußte ebenfalls, dass kaum jemand ein großer Schriftsteller oder ein bedeutender Mann werden könne (und er stellte sich vor, dass Ernest zu dem einen oder dem anderen geboren war) ohne die heftigen Gefühlsbewegungen und die leidenschaftlichen Kämpfe, mit denen sich der Wilhelm Meister des wirklichen Lebens in seiner Lehrzeit herumschlägt, um schließlich die Meisterschaft zu erlangen. Zuletzt jedoch überkamen ihn ernste Bedenken wegen der Gesundheit seines Mündels. Ein beständiger gespenstischer Trübsinn schien den jungen Mann ins Grab zu ziehen. Vergeblich bemühte sich Cleveland, der insgeheim wünschte, dass er nach einer öffentlichen Laufbahn lechze, seinen Ehrgeiz anzustacheln – der Geist des Jungen schien ganz gebrochen – und der Besuch einer politischen Persönlichkeit, die Erwähnung einer politischen Tätigkeit trieb ihn unverzüglich in sein einsames Zimmer.

Nach einiger Zeit nahm sein seelisches Leiden eine neue Wendung. Er wurde ganz plötzlich auf äußerst morbide und fanatische Weise – ich hätte beinahe gesagt ›religiös‹: aber das trifft den Sachverhalt nicht; ich möchte es einmal ›pseudo-religiös‹ nennen. Sein starkes Empfinden und sein kultivierter Geschmack erlaubten ihm nicht, sich an den schwärmerischen Traktaten ungebildeter Fanatiker zu ergötzen – und doch beschwor er aus den harmlosen und schlichten Bestandteilen der Heiligen Schrift einen ebenso düsteren und intensiven Fanatismus herauf. Er verlor den liebenden Gott aus dem Blick und träumte Tag und Nacht nur von dem rächenden Gott. Seine lebhafte Vorstellungskraft hatte sich verkehrt, um aus seinen eigenen Abgründen Fantome kolossalen Schreckens emporzuheben. Fassungslos schauderten ihn seine eigenen Schöpfungen, und Himmel und Erde erschienen gleichermaßen schwarz vor der ewigen Rache. Diese Symptome verblüfften und verwirrten Cleveland vollständig. Er kannte kein Mittel zur Abhilfe – zu seiner unaussprechlichen Betrübnis und Überraschung bemerkte er, dass Ernest, ganz im Geist seiner befremdlichen Bigotterie, Cleveland – den liebenswerten, den wohlwollenden Cleveland – als jemanden zu betrachten begann, der sich nicht weniger als er selbst außerhalb des Standes der Gnade befand. Seine eleganten Betätigungen, seine heiteren Studien wurden von dem jungen, aber gestrengen Enthusiasten eingestuft als elende weltliche Erholungen im Geiste Mammons. Es sprach alles dafür, dass Ernest Maltravers entweder im Narrenhaus sterben oder bestenfalls mit seinem Wahn glücklich würde, allerdings ohne die heiteren Zeiten eines Cowper. William Cowper (1731-1800), englischer Dichter, litt seit seiner Kindheit an schweren Depressionen und versuchte mehrmals, sich das Leben zu nehmen. Sein Werk hat vorwiegend religiös-romantischen Charakter, doch fehlen auch humoristische Akzente. – Anm.d.Übers.


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