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Kapitel VI

»Ein schön Begegnen zweier Herzen.«

SHAKESPEARE, Der Sturm III,1.

Inzwischen befanden sich die Verlobten auf dem Weg nach London. Die balsamisch heitere Schönheit des Tages hatte sie veranlasst, die kurze Reise zu Pferd zurückzulegen. Irgendwo heißt es, dass Liebende nie so schön sind, als wenn sie sich beieinander befinden, und weder Florence noch Ernest sahen je so gut aus wie bei diesem Ritt. In der Stattlichkeit und der Anmut beider, selbst in den adlerartigen Gesichtzügen und der stolzen Nackenlinie lag etwas, das auf eine gewisse Ähnlichkeit dieser jungen Leute hinwies, wenn auch ihre persönlichen äußeren Vorzüge ganz unvergleichbar waren: Florence' Schönheit spotteten jedem Vergleich. Und als sie aus Clevelands Tor fortritten, wo die anderen noch verweilenden Gäste sich zum Abschiedsgruß versammelt hatten, herrschte die allgemeine Überzeugung, dass den Verlobten Glück bestimmt sei, – ein allgemeiner Eindruck, dass beide nach Leib und Seele hervorragend zueinander passten. Ihre Lage war von der Art, die stets Interesse erregt, sogar bei gewöhnlicheren Leuten, und in diesem Augenblick waren sie absolut beliebt bei allen, die auf sie schauten; und wenn der gute alte Cleveland sich mit Tränen in den Augen abwandte und »Gott segne sie!« murmelte, gab es niemanden in der Gesellschaft, der gezögert hätte, sich diesem Wunsch anzuschließen.

Florence empfand eine namenlose Bedrückung, als sie diesen Ort hinter sich ließ, der von so angenehmen Erinnerungen geheiligt war.

»Wann werden wir je wieder so glücklich sein?« sagte sie leise, indem sie sich umwandte, um über die Landschaft zu blicken, die hinter ihnen, heiter mit ihren Blumen, dem Gesträuch und dem hellen englischen Grün, wie ein Garten lächelte.

»Wir wollen versuchen, meinen alten Landsitz mit seinen trüben Schatten dazu zu bringen, dass er uns an diese schönere Szenerie erinnert, meine Florence.«

»Ach, beschreiben Sie mir den Charakter Ihres Besitzes. Wir werden hauptsächlich dort leben, nicht wahr? Ich werde ihn sicher mehr mögen als Marsden Court, so heißt der große Haufen von Säulen und Bögen in Vanbrughs John Vanbrugh (1664-1726), engl. Architekt, Erbauer von Blenheim Palace und Castle Howard. wuchtigstem Geschmack, die bald Ihnen gehören wird.«

»Ich fürchte, wir werden all Ihr riesiges Gefolge: die Kammerdiener, patagonischen Lakaien und der Himmel weiß wen noch alles, in Burleighs Löchern und Winkeln niemals unterbringen«, sagte Ernest lächelnd. Dann fuhr er fort und beschrieb den alten Besitz mit einigem dem Landedelmann von guter Geburt wohl anstehenden Stolz; und Florence lauschte, sie entwarfen Pläne, änderten sie, fügten etwas hinzu und schufen sich eine Landkarte für die Zukunft.

Von diesem Gegenstand wechselten sie zu einem anderen, Florence gleichermaßen interessierenden. Das Werk, an dem Maltravers gearbeitet hatte, war vollendet, befand sich in der Hand des Druckers, und Florence vergnügte sich mit Vermutungen über die Urteile, die es bei der Kritik hervorrufen würde. Sie war sicher, dass alles, was ihr am meisten gefallen hatte, für die Menge wie Perlen vor die Säue sein würde; sie konnte nicht glauben, dass irgend jemand außer ihr Maltravers verstand.

So verflog die Zeit, bis sie jenen Teil der Straße erreichten, an dem sich Ernests Abenteuer mit Mrs. Templetons Tochter ereignet hatte. Maltravers hielt inmitten einer seiner glänzenden Perioden unvermittelt an, als der Ort seine Assoziationen und Erinnerungen weckte, und schaute sich ängstlich forschend um. Aber die schöne Erscheinung war nicht wieder sichtbar; und welchen Eindruck der Ort auch immer hervorbrachte, er nahm schrittweise ab, während sie sich den Vorstädten der großen Metropole näherten. Zwei andere Herren und eine jungen Dame von dreiunddreißig (ich hätte sie fast vergessen) waren mit von der Gesellschaft, besaßen aber genügend Takt, um während des größeren Teils der Strecke ein wenig zurück zu bleiben; die junge geistreiche und kokette Dame hatte genug Klatsch und Empfindsamkeit für beide Kavaliere.

»Werden Sie heute abend zu uns kommen?« fragte Florence schüchtern.

»Ich fürchte, es wird mir nicht möglich sein. Ich muss einige Angelegenheiten regeln, bevor ich London verlasse, um nach Burleigh zu gehen, was nächste Woche geschehen muss. Drei Monate, liebste Florence, werden kaum hinreichen, um Burleigh sein bestmögliches Aussehen für die Begrüßung seiner neuen Herrin zu verschaffen; ich habe bereits die großen modernen Zauberer in Sachen Draperie und Ormulu Malergold. – Anm.d.Übers. bestellt, um zu beraten, wie wir Aladdins Palast für den Empfang der neuen Prinzessin bereit machen. Rechtsanwälte auch! – kurz: ich erwarte, vollständig in Beschlag genommen zu werden. Aber morgen um drei werde ich bei Ihnen sein, und wir können ausreiten, wenn der Tag schön wird.«

»Tatsächlich«, sagte Florence, »da ist Signor Cæsarini – wie abgezehrt und verändert er wirkt!«

Maltravers wandte seine Augen zu der Stelle, auf die Florence wies, und sah Cæsarini aus einer Gasse heraustreten mit einem Träger hinter sich, der einige Bücher und einen Koffer schleppte. Der Italiener sprach und gestikulierte wie zu sich selbst und nahm sie nicht wahr.

»Der arme Castruccio! er verlässt anscheinend seine Wohnung«, dachte Maltravers. »Diesmal, fürchte ich, wird er die letzte Summe, die ich ihm zukommen ließ, verbraucht haben – ich muss herausfinden, wo er sich aufhält, und seine Bestände auffüllen. – Vergessen Sie nicht«, sagte er laut, »mit Cæsarini zu reden und ihn zu drängen, die Stelle anzunehmen, über die wir sprachen.«

»Ich werde es nicht vergessen – ich werde morgen mit ihm reden, bevor wir uns treffen. Aber es ist ein peinigender Auftrag, Ernest.«

»Das gebe ich zu. Ach Florence, Sie schulden ihm ein wenig Wiedergutmachung. Er hielt sich zweifellos einmal selbst zu Hoffnungen berechtigt, deren Eitelkeit seine Unkenntnis unserer englischen Welt und seine ausländische Herkunft ihn zu erkennen hinderten.«

»Glauben Sie mir, ich gab ihm nicht das Recht, solche Erwartungen zu hegen.«

»Aber Sie entmutigten sie nicht hinreichend. Ach, Florence, unterschätzen Sie niemals die Qualen zerstörter Hoffnung, von verschmähter Liebe.«

»Fürchterlich!« sagte Florence fast schaudernd. »Es ist seltsam, aber mein Gewissen quälte mich früher nicht so. Seitdem ich liebe, fühle ich zum erstenmal, wie schuldig ein Geschöpf …«

»… als Kokette ist!« unterbrach Maltravers. »Nun, wir wollen nicht mehr an das Vergangene denken; aber wenn wir einem begabten Mann, dessen Jugend viel versprach, wieder aufhelfen können zu einer ehrenwerten Unabhängigkeit und einem gesunden Geist, wollen wir es tun. Mir kann Cæsarini niemals vergeben; er will daran glauben, daß ich Sie ihm gestohlen habe. Aber wir Männer – die Frau, die wir einst liebten, hat sogar, nachdem sie uns zurückstieß, immer noch einige Macht über uns; und Ihre Beredsamkeit, die mich so oft aufrichtete, kann nicht verfehlen, eine noch erregbarere Natur zu beeindrucken.«

Als Maltravers nach dem Abschied von Florence an ihrer Tür heimgekehrt war, rief er seinen Lieblingsdiener, gab ihm Cæsarinis Adresse in Chelsea, bat ihn herauszufinden, wo er sich aufhielt, falls er seine Wohnung aufgegeben hatte, und in seiner jetzigen Wohnung oder (falls sie nicht zu entdecken war) im Travellers-Club einen Umschlag zu hinterlassen, den er seinen Diener beschriften ließ und der eine Banknote von einigem Wert enthielt.

Falls der Leser sich wundert, warum Maltravers sich auf diese Weise zum unerkannten Wohltäter des Italieners machte, so muss ich ihm erklären, dass er Maltravers nicht versteht. Cæsarini war nicht der einzige Schriftsteller, dessen Schwächen ihn erbarmten und dessen Nöte er erleichterte. Obwohl sein Name selten auf den pompösen Subskriptionslisten erglänzte – obwohl er die Rolle des Mäcenas und Patrons verachtete, empfand er Mitgefühl für seine Mitmenschen und eine gewisse Dankbarkeit für diejenigen, die ihr Geschlecht zu erheben oder zu erfreuen strebten. Da er selbst Schriftsteller war, wusste er, in welch unermesslichem Umfang die Welt in der Schuld der Schriftsteller steht, die nur mit Verleumdung zu Lebzeiten und vertrocknetem Lorbeer nach dem Tod abgetragen wird. Seine echte Liebe zum Schönen erhielt Maltravers' Herz weich und mildtätig, mitfühlend und großzügig. Statt des letzten Satzes endet in der zweiten Auflage das Kapitel so:
»Er, dessen Beruf das Schöne ist, hat Erfolg nur durch Sympathie. Mildtätigkeit und Mitgefühl sind Tugenden, die gewöhnliche Menschen nur unter Schwierigkeiten erwerben; für das wirkliche Genie sind sie lediglich Instinkte, die es zu der Bestimmung leiten, zu deren Erfüllung er geboren ist, der Entdeckung und Rettung neuer Gebiete in unserer gemeinsamen Natur. Das Genie – der erhabene Missionar – schreitet vom gelassenen Verstand des Schriftstellers aus vorwärts, um in den Nöten, den Leiden, den Unsicherheiten anderer zu leben, um deren Sprache zu erlernen; und indem seine höchste Leistung das Pathos ist, so ist seine absolute Voraussetzung das Erbarmen.« – Anm.d.Übers.


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