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Kapitel VI

» … Le brillant de votre esprit donne un si grand éclat a votre teint et à vos yeux, que quoiqu'il semble que l'esprit ne doit toucher que les oreilles, il est pourtant certain que la votre éblouit les yeux.« Der Glanz Ihres Geistes taucht Ihren Teint und Ihren Blick in ein so strahlendes Licht, dass, wenngleich der Geist das Ohr nur treffen sollte, der Ihre sicherlich das Auge blendet. – Anm.d.Übers.

Lettres de MADAME DE SÉVIGNÉ.

In Lord Latimers Haus waren einige Hundert von jenen Leuten versammelt, die man in der Londoner Gesellschaft selten zusammen findet; denn Geschäft, Politik und Literatur hält die bedeutendsten Männer ab, so dass für die zum Empfang der Welt bereiten Häuser kaum Besseres übrig bleibt als Müßiggänger hohen Ranges oder protzender Reichtum. Sogar die vergnügungssüchtige Jugend rümpft heut zu Tage über Gesellschaften die Nase und findet sie langweilig. Aber es gibt ein oder zwei Dutzend Häuser, deren Eigentümer gleichermaßen außerhalb wie über der Mode stehen, in denen ein Fremder, unter demselben Dach versammelt, viele höchst bemerkenswerte Leute dieses geschäftigen, nachdenklichen, majestätischen England erblicken könnte.

Lord Latimer selbst hatte im Kabinett Ministerrang bekleidet. Aus dem öffentlichen Leben hatte er sich unter dem Vorwand angeschlagener Gesundheit zurückgezogen, in Wirklichkeit aber, weil die beklemmende Betriebsamkeit seinem feinen, hochgebildeten, aber etwas schwächlichen Gemüt nicht zusagte. Sein hohes Ansehen und sein ausgezeichneter Koch sicherten ihm große Beliebtheit sowohl bei seiner eigenen Partei wie überhaupt in der Welt; so bildete er das Zentrum eines kleinen, aber erlesenen Kreises von Bekannten, die Latimers Wein tranken, seine Aussprüche zitierten und Latimer um so mehr mochten, weil er weder Schriftsteller noch Minister war und ihnen daher nicht im Wege stand.

Lord Latimer empfing Maltravers mit betonter Höflichkeit, ja geradezu ehrerbietig, und lud ihn zu seinem eigenen Whist-Tisch ein, – eines der höchsten Komplimente, das seine Lordschaft Ernests Geistesgaben zu erweisen vermochte. Als sein Gast jedoch die ihm angebotene Ehre zurückwies, überließ der Graf ihn der Gräfin, als sei er damit Eigentum des weiblichen Geschlechts geworden, und war, auf den unerwarteten Stich lauernd, alsbald ganz ins Kartenspiel vertieft.

Während Maltravers sich mit Lady Latimer unterhielt, erhob er zufällig seinen Blick und sah ihm gegenüber eine junge Dame von solch bemerkenswerter Schönheit, dass er sich kaum eines bewundernden Ausrufs enthalten konnte. – »Und wer«, fragte er sich sammelnd, »ist diese Dame? Seltsam, dass gerade ich, der ich so wenig in die Welt komme, genötigt sein sollte, den Namen einer Dame zu erfragen, deren Schönheit sie längst berühmt gemacht haben muss.«

»Oh, das ist Lady Florence Lascelles – letztes Jahr hatte sie ihr Debüt. Sie ist tatsächlich sehr brillant, vielleicht noch mehr in Geist und Bildung als im Aussehen. Sie müssen mir erlauben, sie Ihnen vorzustellen.«

Bei diesem Angebot ergriff Maltravers eine merkwürdige Scheu, gleichsam ein widerstrebendes Misstrauen – eine Art Vorgefühl unheilvoller Gefahr. Er zog sich zurück und wollte irgendeine Entschuldigung anbringen, Lady Latimer beachtete seine Verlegenheit nicht und war bereits an Lady Florence Lascelles' Seite. Einen Augenblick später winkte die Gräfin Maltravers zu und stellte ihn der Lady vor. Als er sich verbeugte und neben seiner neuer Bekanntschaft niederließ, musste er bemerken, dass ihre Wangen mit lebhaftestem Rot übergossen waren und sie ihn mit einer Verwirrtheit empfing, die sogar für Damen ungewöhnlich gewesen wäre, die gerade ihr Debüt machten und nun einem »Löwen« der Gesellschaft vorgestellt würden. Er war eher betroffen als geschmeichelt ob dieser, seinen eigenen ziemlich ähnlichen, Zeichen von Verlegenheit; und so gerieten die ersten paar Sätze ihrer Konversation einigermaßen hilflos und reserviert. In diesem Augenblick gesellte sich – zu Ernests Überraschung, vielleicht eher Erleichterung – Lumley Ferrers zu ihnen.

»Ah, Lady Florence, küss die Hand! – ich bin entzückt, dass Sie schon bekannt sind mit meinem Freund Maltravers.«

»Und warum kommt Mr. Ferrers heute abend so spät?« fragte die schöne Florence mit plötzlicher Ungezwungenheit, die Maltravers ziemlich aufschreckte.

»Ein langweiliges Dinner, voila tout – eine andere Entschuldigung habe ich nicht.« Damit glitt Ferrers auf einen leeren Sessel zu Lady Florence' anderer Seite und begann wortreich ohne Unterbrechung zu reden, als ob er ihre Aufmerksamkeit monopolisieren wolle.

Ernest war von Florence' Verhalten nicht bei weitem nicht so gefesselt, wie ihn ihre Schönheit getroffen hatte, und da er sie nun offensichtlich mit einem anderen beschäftigt sah, erhob er sich und ging still fort. Bald geriet er in eine Gruppe von Männern, welche die hauptsächlichen Tagesthemen diskutierte; und indem nach und nach der anregende Gesprächsgegenstand seine natürliche Beredsamkeit und seinen männlichen Verstand hervor lockte, wurden aus den Rednern Zuhörer, die Gruppe erweiterte sich zu einem Kreis, und er selbst wurde unbewusst zum Objekt allgemeiner Aufmerksamkeit und Achtung.

»Und was halten Sie von Mr. Maltravers?« fragte Ferrers obenhin; »hält er Ihren Erwartungen stand?«

Lady Florence war in eine Träumerei versunken, und Ferrers musste seine Frage wiederholen.

»Er ist jünger, als ich ihn mir vorgestellt hatte, – und – und …«

»Hübscher, wollen Sie, glaube ich, sagen.«

»Nein! ruhiger und weniger lebhaft.«

»Er scheint nun lebhaft genug«, bemerkte Ferrers; »aber Ihre damenhafte Konversation vermochte nicht den prometheischen Funken zu schlagen. ›Legt dies als Schmeichelsalb' auf Eure Seele‹« Shakespeare, Hamlet, III, 4: »Lay not that flattering unction to your soul«. – Anm.d.Übers.

»Ach, Sie haben Recht – er hielt mich bestimmt für sehr …«

»... schön, ohne Zweifel.«

»Schön! – Ich hasse dieses Wort, Lumley, ich wünschte, ich wäre nicht einmal hübsch – dann würde man vielleicht meinen Intellekt zu schätzen wissen.«

»Hm!« sagte Ferrers mit Betonung.

»Oh, Sie glauben das also nicht, Sie Skeptiker!« rief Florence und schüttelte leise lachend ihren Kopf mit veränderter Miene.

»Was bedeutet es schon, was ich glaube«, sagte Ferrers, sich um etwas Sentimentalität bemühend, »wenn Lord Hinz und Lord Kunz und Mr. So-und-So und Graf Wie-heißt-er-noch bei Ihnen anrücken, um mich meines beneideten Monopols zu enteignen?«

Während Ferrers sprach, gruppierten sich mehrere der verstreuten Müßiggänger um Florence, und die Unterhaltung, deren Anziehungspunkt sie war, wurde lebhaft und fröhlich. Oh, wie glänzend sie war, diese einzigartige Florence! – mit welch launisch-prickelnder Huld kamen Witz und Weisheit, ja gar Genie von ihren roten Lippen! Sogar der selbstbewusste Ferrers empfand seinen subtilen Intellekt im Vergleich zu ihrem als plump und ungehobelt und scheute mit unwilliger Bangigkeit vor den Pfeilen ihrer sorglos-verschwenderischen Schlagfertigkeit zurück. In Florence Lascelles' Wesen lag nämlich eine geringschätzige Verbitterung, die ihren Witz öfter verletzend als ergötzlich machte. Fast zur Gelehrten erzogen – couragiert bis hin zur Verleugnung ihrer Weiblichkeit – machte es ihr sogar unter Menschen höchsten Ranges Spaß, mit Ignoranz und Überheblichkeit ihr Spiel zu treiben; und das hierdurch erregte Lachen war wie der Blitz – niemand vermochte vorherzusagen, wo er als nächstes einschlagen würde.

Doch Florence, obzwar gefürchtet und ungeliebt, wurde gleichwohl hofiert, umschmeichelt und war ›in Mode‹. Dafür gab es zwei Gründe: erstens war sie eine Kokette, und zweitens eine Erbin.

Und so teilten sich die Sprecher im dem Raum in zwei grundsätzliche Gruppen: bei einer davon hatte Maltravers sozusagen den Vorsitz, bei der anderen Florence. Als erstere sich auflöste, gesellte sich Cleveland zu Ernest.

»Mein werter Vetter«, flüsterte Florence plötzlich, sich Lumley zuwendend, »Ihr Freund spricht von mir – ich sehe es. Gehen Sie, ich flehe Sie an, und lassen Sie mich wissen, was er sagt!«

»Das ist kein schmeichelhafter Auftrag«, erwiderte Ferrer fast mürrisch.

»Oh doch, ein Auftrag, der zur Befriedigung weiblicher Neugier dient, ist stets eine der schmeichelhaftesten Gesandtschaften, mit der wir einen geschickten Diplomaten betrauen können.«

»Nun, dann muss ich Ihrem Geheiß Folge leisten, obgleich ich diese Gunstbezeigung eigentlich ablehne.« Ferrers macht sich auf und schloss sich Cleveland und Maltravers an.

»Sie ist tatsächlich schön: ein so vollkommenes Antlitz erblickte ich nie zuvor: sie ist die einzige Frau, die ich jemals sah, bei der die adlermäßigen Züge sogar klassischer erscheinen als die griechischen.«

»Aha, das ist also Ihre Meinung von meiner schönen Cousine«, rief Ferrers, »Sie hat's erwischt!«

»Ich wünschte, es wäre so«, sagte Cleveland. »Ernest ist jetzt alt genug, um sich häuslich niederzulassen, und es gibt in England keine glänzendere Partie – reich, hochgeboren, schön und gebildet.«

»Und was sagen Sie?« wandte Lumley sich beinahe ungeduldig an Maltravers.

»Dass ich nie eine Dame sah, die ich mehr bewundern oder weniger lieben könnte«, antwortete Ernest, als er die Räumlichkeiten verließ.

Ferrers schaute ihm nach und murmelte etwas vor sich hin; dann gesellte er sich wieder zu Florence, die gerade aufgestanden war, um sich zu verabschieden, und, Lumleys Arm nehmend, sagte: »Nun, mein Vater hält Ausschau nach mir – und so will ich ihm diesmal zuvorkommen. Also, Lumley, gehen wir hin zu ihm; ich weiß, dass er Sie sehen möchte.«

Als sie die jetzt halb leeren Gemächer durchquerten, fragte Florence tief errötend und nahezu atemlos: »Nun?«

»Was ›nun‹, meine Cousine?«

»Sie provozieren mich – nun, also: was sagte Ihr Freund?«

»Dass Sie Ihren Ruf der Schönheit verdienen, dass Sie aber nicht sein Fall seien. Maltravers ist doch verliebt.«

»Verliebt?«

»Ja, in eine hübsche Französin! Ganz romantisch – eine schon einige Jahre dauernde Zuneigung.«

Florence wandte ihr Gesicht ab und sagte nichts mehr.

»Ein guter Kerl, der Lumley«, sagte Lord Saxingham; »Florence ist mir nie willkommener als um halb zwei Uhr morgens, wenn ich an sie denke mit Verlangen nach leiblicher Ruhe und nach meinen armen Kutschpferden. Übrigens würde ich mir wünschen, dass Sie nächsten Sonnabend bei mir speisen.«

»Sonnabend: unglücklicher Weise bin ich da schon mit meinem Onkel verabredet.«

»Oh! er hat sich Ihnen gegenüber ja ›schön‹ verhalten!«

»Ja!«

»Mrs. Templeton wohlauf?«

»Ich denke schon.«

»Wie die Damen es zu sein wünschen &c.?« flüsterte seine Lordschaft.

»Nein, dem Himmel sei Dank!«

»Also, wenn der alte Mann Sie nur zu seinem Erben machen wollte, könnte man über den Titel noch einmal nachdenken.«

»Halt, mein lieber Lord! seien Sie so gut: schreiben Sie mir ein paar Zeilen mit einer taktvollen Andeutung hierauf!«

»Nein – keine Briefe; Briefe landen immer in den Zeitungen.«

»Aber vorsichtig verfasst – ohne Gefahr der Veröffentlichung, auf meine Ehre!«

»Ich werd's mir überlegen. Gute Nacht.«


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