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Kapitel VIII

»Die Seele sieht. Den bloßen Gegenstand
Erfasst das Aug'; der Geist hat ihn erkannt,
Hat Freude, Ekel, Gleichmut in der Hand.«

CRABBE.

Als Maltravers den riesigen Salon betrat, der behangen war mit Damaststoff und dekoriert mit dem gewichtigen Zierat und Mobiliar aus der Zeit Ludwigs XIV. (jenem protzigsten und barbarischsten Geschmack der Welt, der aber auch nichts Anmutiges oder Malerisches an sich hat und den heutzutage Leute, die es besser wissen sollten, mit aberwitziger Unterwürfigkeit nachahmen), – fand er sechzehn Person versammelt. Sein Gastgeber trat aus einem ihn umgebenden Kreis hervor und präsentierte offiziell seinen neuen Gast den Übrigen. Er war betroffen, wie ähnlich Valeries Schwester dieser sah; aber es war eine nüchterne, eher blasse Ähnlichkeit – sie war nicht so schön und weniger eindrucksvoll. Mrs. George Herbert – dies war nun ihr Name – war ein hübsches, zurückgezogenes, furchtsames Mädchen, das seinen Ehemann liebte und vom Schwiegervater mächtig eingeschüchtert war. Maltravers setzte sich zu ihr und zog sie ins Gespräch. Er konnte die arme Lady nur bedauern, als er vernahm, dass sie nun ganz in Doningdale Park leben musste – abgeschieden von allen Freunden und Gewohnheiten ihrer Kindheit – allein, soweit es die Gefühle betraf, mit einem jungen Ehemann, der leidenschaftlich Rasensport liebte und, nach den drei Worten, die Ernest mit ihm gewechselt hatte, nur drei Gedanken zu haben schien: seine Hunde, seine Pferde und seine Frau. Ach, die letztgenannte würde nur zu bald die geringste Bedeutung besitzen. Eine traurige Stellung ist es, – eine lebhafte junge Französin, eingesargt auf einem englischen Landsitz! Ehen mit Ausländern sind selten glücklich verlaufende Experimente.

Ernests Aufmerksamkeit wurde allerdings von der Schwester rasch abgelenkt: Valerie selbst trat ein, auf den Arm ihres Gatten gelehnt. Bis dahin hatte er nicht sehr genau beobachtet, welche Veränderungen die Zeit in ihr hervorgerufen hatten – vielleicht hatte er eine gewisse Furcht davor. Nun aber schaute er sie mit neugierigem Interesse an. Valerie war immer noch überaus schön, ihr Gesicht war jedoch schärfer geworden, ihre Gestalt schmaler und eckiger; in ihren Augen und Lippen lag etwas Unzufriedenes, Rastloses, geradezu Nörglerisches: – so wird gewöhnlich der Gesichtsausdruck derer, die zur Liebe geboren und verdammt sind zur Gleichgültigkeit. Die kleine Schwester war mehr zu beneiden von den beiden – komme, was da mag: sie liebte ihren Mann so wie er war, und mochte ihr auch das Herz brechen: in ihm herrschte keine Leere.

Monsieur de St. Ventadour schlurfte bald auf Maltravers zu – mit einer längeren Nase als je.

»Hm – hm – wie geht's Ihnen – wie geht's Ihnen – nett, Sie zu sehen – sahen Madame schon früher als mich – hm – hm – ich fürchte – ich fürchte …«

»Mr. Maltravers, würden Sie Madame de St. Ventadour Ihren Arm reichen?« sagte Lord Doningdale, als er auf dem Weg zum Speisesaal mit einer Herzogin am eigenen Arme vorbei stolzierte.

»Und Sie haben Neapel verlassen«, fragte Maltravers, »für immer?«

»Wir denken nicht an eine Rückkehr.«

»Es war ein bezaubernder Ort – wie habe ich ihn geliebt! – wie gut ich mich an ihn erinnere!« Ernest sprach ruhig – es war lediglich eine allgemeine Bemerkung.

Valerie seufzte leise.

Während des Essens verlief das Gespräch zwischen Maltravers und Madame de St. Ventadour vage und verlegen. Ernest war nicht mehr in sie verliebt – er war dieser jugendlichen Fantasie entwachsen. Sie hatte Einfluss auf ihn ausgeübt – die neuen, von ihm selbst geschaffenen Einflüsse hatten ihr Bild vertrieben. So ist das Leben. Lange Abwesenheiten lassen alle falschen Lichter verlöschen, nicht aber die wahren. Die Lampen sind düster im Bankettsaal von gestern; aber in tausend Jahren werden die Sterne, auf die wir heute schauen, ebenso hell leuchten. Maltravers war nicht mehr in Valerie verliebt. Aber Valerie – ach, vielleicht war ihre die wahre Liebe gewesen.

Maltravers war überrascht, als den Stand seiner eigenen Gefühle untersuchte – sein Puls schlug nicht schneller bei ihrer Berührung, während einst bereits ihr flüchtiger Blick ihn bis in die Seele hatte erschauern lassen – es überraschte ihn – und freute ihn doch. Er war nicht mehr darauf erpicht, Erregung zu suchen, sondern sie zu meiden, und war zu einem besseren und höheren Wesen geworden, als damals an den Ufern Neapels.


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