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Isis und Horus sind Jahrtausende hindurch als Mutter Gottes und als das göttliche Kind verehrt worden. An ihre leibliche Existenz glaubt nichtsdestoweniger heute niemand mehr.

Das größte Mysterium, das man im alten Ägypten alljährlich feierte, war der Tod des Osiris und seine Auferstehung. Mit dem Begriffe Gott war unzertrennlich der Begriff ewiges Leben verknüpft. Für den Gott ist Tod nur Durchgang zu neuem Leben. Wir wissen aus einer Beschreibung Plutarchs, wie das Osirisfest in einer kleinen Stadt im Nildelta gefeiert wurde. Osiris wird vermißt, ist im Nil verschwunden. Nach drei Tagen erscheint der Jubelschrei Tausender: Wir haben Osiris wiedergefunden. Tödliche Betrübnis wird abgelöst von unsagbarem Entzücken, einem wahren Ostermorgenjubel.

Nichtsdestoweniger gibt es heute niemand, der über das Verschwinden des Osiris trauerte oder sich über seine Auferstehung freute. Das ist heute für uns eine uralte und als solche ehrwürdige Mythe.

Osiris war Korngott und außerdem auch Weingott. Schon die Pyramidentexte nennen ihn den Gott der Weinkelter oder den Herrn des überströmenden Weins. Nach Epiphanius, dem bekannten christlichen Bischof von Zypern (in Palästina von jüdischen Eltern geboren, der fanatische Widersacher des Origines, † 403), offenbarte Osiris sein göttliches Wesen, indem er Wasser in Wein verwandelte. Dies geschah nach ägyptischer Zeitrechnung am 1. Tybi, nach christlicher am 5. Januar, ein Datum, das die Christen als den Tag übernahmen, an dem der Stern die weisen Magiker zum Kinde leitete. Der 6. Januar war ursprünglich der Geburtstag Jesu, der erst im vierten Jahrhundert auf den 25. Dezember verlegt wurde. In Griechenland wurde dasselbe Datum adoptiert als der Tag der Offenbarung des Weingottes Dionysos. Nach Plinius wurde er auf der Insel Andros an diesem Tage gefeiert, und zum Gefolge des Gottes gehörten Oinotropoi (Weinverwandlerinnen). Epiphanius erwähnt zudem ein Geburtsfest in Alexandria am 25. Dezember, das er griechisch Kronia, ägyptisch Kekillia nennt. An anderer Stelle wird es das Fest des Helios (des Sonnengottes) genannt. Dabei wurde ein kleines Kind aus dem Allerheiligsten geholt unter dem Rufe: Eine Jungfrau hat geboren, das Licht nimmt zu.

Die Übereinstimmung mit der christlichen Lehre ist auffallend. Das mystische Gepräge der Gebräuche nicht weniger.

Daß Prometheus der große Wohltäter der Menschheit gewesen ist, ihr die gute, entscheidende Gabe des Lichtes geschenkt und für seine Menschenliebe mit jahrtausendelangem Martyrium gebüßt hat, bewirkt nicht, daß heute jemand glaubt, er habe gelebt und gelitten. Apollon, der Gott des Lichtes und der Reinheit, ist länger als ein Jahrtausend in zahlreichen Tempeln verehrt worden, hat Priester und Priesterinnen die Menge gehabt, hat Schicksale durch Orakelsprüche geleitet und wird heute noch geehrt. Daß er je existiert haben sollte, glaubt im 20. Jahrhundert nicht ein einziger mehr, daß er aber nicht existiert hat, verringert ihn so wenig, wie es Achilles, Odysseus, Hamlet oder Faust verringert.

Wir wissen unendlich viel mehr von Ophelia und Gretchen, als wir von der Martha und Maria des Neuen Testaments wissen, und doch haben die beiden ersteren keine unbezweifelbarere irdische Existenz geführt als die beiden letzteren.

In seiner Ytring af Taknemmelighed mod Lessing hat Sören Kierkegaard (in Afsluttende Efterskrift) mit leidenschaftlicher Zustimmung den Satz Lessings hervorgehoben, daß zufällige historische Wahrheiten nie ein Beweis für ewige Vernunftweisheiten werden können. Damit hängt es zusammen, daß er in seinem Buche Indövelse i Christendom die Frage stellt: Kann man aus der Geschichte etwas über Christus erfahren? und die Antwort gibt: Nein.

Das heißt in den Gedankengang und die Sprache unserer Tage übertragen: Es ficht göttliche Wesen nicht an, daß sie ihr wahres Leben, ihr einziges Leben im Gemüt des Menschen haben.



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