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Nach der babylonischen Verbannung war das Judentum von babylonischen Vorstellungen durchdrungen.

Zuweilen scheint man Nachwirkungen des großen babylonischen Gilgamesch-Epos zu spüren. Xisuthros treibt ruhig im Sturm auf den Wassern der Sintflut, Jesus schläft ruhig während des Sturms im Schiffe. Der Berg, auf dem Xisuthros vergöttlicht wurde, entspricht dem, auf welchem Jesus verklärt ward. Wer weiß, ob die zweitausend Schweine, in die Jesus durch eines seiner Wunder die bösen Geister fahren läßt und die ins Wasser springen und verschwinden, nicht eine Art Symbol für die sündige Menschheit gewesen sind, die durch die Sintflut ausgerottet wurden. Stammt doch die Sintflutsage aus Babylon.

In Begleitung der babylonischen Mythen kamen die iranischen, die der Zarathustrareligion, die wie das keimende Christentum auf Reinigung, Erlösung, Wiedergeburt, Vereinigung mit Gott, als Vereinigung der Kinder mit dem Vater, ausging. Der heilige Geist, dem man im Avesta begegnet, findet sich hier wieder.

In Anatolien wurde der alte Attis-Kybele-Kult teils von Westen durch verwandte griechische Mysterien, teils von Osten durch den Mithrakult befruchtet.

Der Grundgedanke, dem wir auch bei Paulus begegnen, ist die Klage über das Hinsterben des Lebens der Natur und die Freude über ihr Wiedererwachen.

Attis stirbt jung. Aus seinem Blute sprießen Veilchen. Seine Wiedererweckung wird mit Gesang und Freudenfesten gefeiert.

Der traurige Zustand der Welt wird auch außerhalb des Judentums wie bei Paulus durch Vermessenheit (adikia) erklärt. Die meisten, mit Vorliebe als christlich bezeichneten Gedanken entsprangen keineswegs dem Schoße des Christentums, sondern entstanden durch Völkermischung im Weltreich und wurden durch den starken Verkehr gefördert.

Als irdischer, fleischlicher Mensch war der Jesus, von dem die Evangelien berichten, schon nach Verlauf ganz weniger Jahre vollkommen aus der Erinnerung der Zeitgenossen verschwunden.

Nicht einmal Markus, der für den ältesten der Evangelisten angesehen wird, hat eine Ahnung, wie er aussah. Markus ist außerstande, eine Beschreibung von ihm zu geben. Schon bei ihm tritt er nicht als ein wahrer Mensch, sondern als Wundertäter, Mirakelmacher, Heiler durch Handauflegen auf.

Die Heilungswunder sind bei allen Evangelisten zahlreich; da diese jedoch keinen Begriff von Wissenschaft haben, die in ihrem Wesen griechisch, nicht israelitisch ist, fällt es keinem von ihnen ein, Jesus wie einen Pasteur ein Mittel angeben zu lassen, durch das eine unbegrenzte Zahl von Fällen geheilt werden könnte. Ihre Vorstellung von ärztlicher Kunst ist nur Suggestion oder Quacksalberei. Sie versuchen, durch volkstümliche Erzählung zu imponieren, wie etwa, daß der Zustrom, um Jesus einen Gichtbrüchigen heilen zu sehen, so groß war, daß der Kranke nicht hereinkommen konnte, sondern das Dach vom Hause gehoben und der Patient von oben heruntergelassen werden mußte (Markus 2, 4).

Markus faßt sich kurz und ist mit Wundern verhältnismäßig sparsam. Er kennt weder Stammtafel noch jungfräuliche Geburt oder irgendwelche Erzählungen von der Kindheit Jesu. Wenn Matthäus und Lukas unvergleichlich ausführlicher sind, so beruht das nicht darauf, daß sie Zugang zu Quellen hatten, die Markus nicht kannte, sondern, daß man desto mehr von Jesus weiß, je weiter man sich von der Zeit entfernt, in der er gelebt haben soll. Zuletzt, als die Gestalt ganz vergessen ist, wird die Kenntnis überströmend. Nur daß er jetzt der Sohn in seinem Verhältnis zu Gottvater ist, ein Verhältnis, das sein Vorbild in der babylonischen Mythologie besitzt. Die Mutter Gottes mit dem Kinde, die die katholische Kirche verehrt, entspricht Isis und Istar. Der Begriff Fülle der Zeit stammt aus Babylon. Jesus gegen die Pharisäer stimmt mit Buddha gegen die Brahmanen überein. Manches im Buddhismus erinnert an die Versuchungsgeschichte und an die Naturphänomene bei Jesu Tod. Der Seeweg von Indien ging nach Ägypten. Alexandria war früh ein Mittelpunkt.

So kann man mit Wahrheit sagen, daß, wenn auch das Messiasideal die Hauptmacht bei der Gestaltung der neuen Religion war, sich doch Eindrücke davon mit Eindrücken von den verschiedenen umgebenden Religionen verschmolzen.


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