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Was das Buch mitteilen will, kann in Kürze ausgedrückt werden, wenn vorausgeschickt wird, daß sein Hintergrund der Glauben an das Unheil ist, das nach jüdischer Theologie das Kommen des Messias anzeigt. Es stehen große Umwälzungen im Himmel und auf Erden bevor. Sonne und Mond verlieren ihr Licht, Krieg, Aufruhr, Hungersnot und Pest sollen über die Menschheit losbrechen. Satan kämpft mit seinen letzten Kräften, da er wohl weiß, daß seine Zeit bald um ist.

Im Jahre 66 hatten die Juden sich gegen Rom erhoben. Aber in zahlreichen Zusammenstößen waren bereits viele tausend Juden gefallen, und Vespasian rückte gegen Jerusalem vor. Weder Juden noch Judenchristen konnten den Gedanken ausdenken, daß Jahve seine heilige Stadt und seinen Tempel den Heiden ausliefern sollte. Bald erfuhr man, daß die Heere in Gallien und Spanien Galba, einen erprobten Feldherrn, zum Gegenkaiser Neros ausgerufen hatten. Wie bekannt, floh Nero aus Rom und beging mit Hilfe eines Sklaven Selbstmord, als er sah, daß er seinen Verfolgern nicht entgehen konnte.

Indessen gab es viele, die nicht an seinen Tod glaubten, sondern vermuteten, daß er zu den Parthern geflohen sei und bald an der Spitze eines großen parthischen Heeres Rache an Rom nehmen werde. Dies Gerücht hatte auch Ephesos erreicht, kam den Christen, die Rom haßten, wahrscheinlich vor, und vermutlich ist auf Nero nicht nur 17, 10 der Offenbarung gemünzt, wo steht, daß fünf Könige gefallen sind (Augustus, Tiberius, Kaligula, Klaudius, Nero), sondern auch 17, 11, wo von dem Tier gesprochen wird, das gewesen ist und nicht ist, aber doch selber der achte König ist. Soweit ersichtlich, ist hier an Nero gedacht, der zurückkehren wird, um dann endgültig zugrunde zu gehen.

Das Unheil, das den Untergang der Menschheit anzeigen sollte, hatte damals seinen Anfang genommen. Das Römische Reich war von blutigen Kriegen, Judäa von Hungersnot, Italien von Pest, Kleinasien von Erdbeben heimgesucht worden. Von den sieben Städten, an die die Apokalypse wie ein Rundschreiben gerichtet ist, Ephesos, Thyatira, Sardes, Philadelphia, Laodikea, Smyrna, Pergamon, waren nur die beiden letzten vom Erdbeben verschont geblieben.

Nach Weissagungen im Buche Daniel, das für den Verfasser der Apokalypse die Grundlage bildete, sollte die Unterdrückung des jüdischen Volkes ein Ende haben nach »einer Zeit und einer halben Zeit«, was nach der ursprünglichen Auslegung 3½ Jahre bedeutete. Als echter Prophet hatte sich Daniel ja indessen nicht irren können. Wenn er an einer Stelle von Wochen spricht (Daniel 9, 24), meint er eine Siebenzahl von Jahren, nicht von Tagen, und also schloß man, daß die Weissagung der Zeit galt, da die Apokalypse geschrieben wurde, weil 3½ Jahrzehnte vergangen waren seit dem Zeitpunkt, zu dem die Kreuzigung erfolgt sein sollte.

Was die Apokalypse verkündet, ist also folgendes: Bald ist die bei Daniel angegebene Frist abgelaufen. Das Ende der Zeiten ist nahe. Furchtbare Plagen stehen bevor. Aber die Auserwählten werden verschont, die Gemeinde wird trotz Satans Sturmlauf erhalten bleiben. Rom dagegen wird vom Erdboden verschwinden, und Nero selbst wird das Strafgericht an der gottlosen Hauptstadt der Welt vollziehen.

Nichts hiervon wird natürlich mit prosaischer Einfachheit mitgeteilt, sondern alles in Form von geheimnisvollen Gesichten.

Der Messias offenbart sich als Hoherpriester, als Menschensohn, in das priesterliche Festgewand gekleidet (1, 13). Außerdem (zufolge Jesaia 53, 7) als das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, oder (Psalm 2, 7) als der soeben gezeugte Sohn eines Gottes, der (Apokalypse 12, 5) alle Völker mit einem eisernen Stabe regieren soll, ferner (nach Daniel 7, 13) als der mit den Wolken des Himmels kommende Menschensohn – siehe Apokalypse 14, 14, wo er eine goldene Krone auf sein Haupt und eine scharfe Sichel in seine Hand erhalten hat – endlich als siegreicher Feldherr, als römischer Triumphator in einem Aufzuge. »Und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm ward gegeben eine Krone, und er zog aus sieghaft, und daß er siegte« (6, 2), und der Seher erblickt ein weißes Pferd, und der darauf sitzt, wird wahrhaft und treu genannt, und er richtet und streitet gerecht, seine Augen sind wie Feuerflammen, es sind viele Kronen auf seinem Haupte. Er hat einen Namen geschrieben, den keiner kennt, als er selber. Er trägt ein in Blut getauchtes Gewand, und sein Name lautet: Gottes Wort ( Logos tu theu).

Gottes Gemeinde offenbart sich als ein mit Sonne, Mond und einer Krone aus zwölf Sternen geschmücktes Weib, das unter Geburtswehen den Messias zur Welt bringt (12, 1), doch wird die Gemeinde gleichzeitig als Braut des Messias dargestellt: Die Hochzeit des Lammes steht bevor, seine Braut hat sich geschmückt (19, 7). 21, 9 und 22, 7 wird wieder von der Gemeinde als Braut gesprochen. Dies ist die oben erwähnte orientalische Vermischung der Mutter und der Braut Gottes.

Satan tritt (nach dem 1. Buche Moses 3, 1) als Schlange oder Drache mit sieben Köpfen und zehn Hörnern auf. Das in Satans Diensten stehende Römische Reich ist ebenfalls (übereinstimmend mit Daniel 7, 3) ein Tier mit sieben Köpfen und zehn Hörnern.

Nero als Antichrist wird zu einem Tier, das aus dem Boden aufsteigt. Es hat zwei Hörner wie das Lamm und redet wie der Drache (13, 12). Damit die Eingeweihten sich nicht irren, wer gemeint ist, heißt es (13, 18): »Hier ist die Weisheit. Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres, denn es ist eines Menschen Zahl (d. h. eine Zahl, die den Namen eines Menschen angibt), und seine Zahl ist sechshundertundsechsundsechzig.« Schreibt man mit hebräischen Buchstaben Neron Kaisar und rechnet die einzelnen Buchstaben nach ihrem Zahlenwert zusammen, so erhält man ganz richtig die Summe 666.

Dies ist der Triumph des Rebusstils.

Daß nun die Erwartungen und Weissagungen der Apokalypse nicht in Erfüllung gingen, weiß jeder. An und für sich war die Schrift also als Prophezeiung ebenso wertlos wie ihre Originalität gering, da sie nichts ist als ein christliches Pastiche aus dem Buche Daniel. Aber unermeßlich sind die Wirkungen des Werkes gewesen. Wohl 1800 Jahre lang haben die Schwärmer und Fanatiker Europas die ganze Weltgeschichte aus dieser Phantasterei herausgelesen und darin himmlische Verdammungsurteile über jede historisch hervortretende Erscheinung von Nero bis Napoleon, über jeden, der ein Gegenstand ihres Hasses war, gefunden. Man denke beispielsweise an Gustav IV. Adolf von Schweden und an Grundtvigs »Eine merkwürdige Weissagung«. Die Apokalypse ist ein Horst geworden, in dem sich die menschliche Torheit nun schon das zweite Jahrtausend eingenistet, sich dabei innig wohl gefühlt und kräftig bestärkt gefunden hat.

Dies wird nicht davon aufgewogen, daß gleichzeitig auch apokalyptische Dichter wie Dante oder Milton von diesen gigantischen Visionen eines fernen Altertums beeinflußt werden konnten.


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