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Das nächste Glied der Erzählung ist die durch einen Engel verursachte Flucht nach Ägypten, die stattfindet, als (der längst verstorbene) Herodes alle kleinen Kinder in Bethlehem im Alter von zehn Jahren und darunter durch seine Henker ermorden läßt – ein Kindermord, von dem die Geschichte aus guten Gründen nichts meldet.

Es liegt hierin eine doppelte Nachahmung einer Sage des Alten Testaments. Erstens von Pharaos Versuch, die Juden in Ägypten auszurotten (2. Buch Moses 15), indem er von den hebräischen Hebammen verlangt, daß sie bei der Geburt wohl auf das Geschlecht achten, jeden Knaben töten, aber die Mädchen leben lassen sollen. Die Hebammen antworten schlau: Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen, sie sind stark. Ehe die Hebamme kommt, haben sie schon geboren. Da gebietet Pharao all seinem Volke, daß jeder neugeborene hebräische Knabe in den Fluß geworfen und nur die Mädchen am Leben bleiben sollen, worauf die Sage bekanntlich Pharaos Tochter den kleinen Moses finden läßt, der in einem Korb auf dem Flusse ausgesetzt ist. Die ägyptische Geschichtschreibung weiß nichts hiervon. Die Sage ist, wie eine Inschrift zeigt, babylonischen Ursprungs. König Sargon soll in einem Korb auf dem Euphrat gefunden worden sein.

Die zweite Parallelstelle im Alten Testament, die für die Dichtung vom Kindermord in Bethlehem benutzt wurde, ist die im 1. Buch der Könige erzählte Sage, wie Hadad aus dem Königsgeschlecht Davids dem Blutbad entrann, das stattfand, als Joab in einem halben Jahre alle Einwohner männlichen Geschlechtes in Edom ausrottete. Hadad floh nach Ägypten, wo er große Gnade vor Pharaos Augen fand. Er blieb dort, bis er hörte, daß David gestorben war, gerade wie Joseph und Maria in Ägypten bleiben, bis sie erfahren, daß Herodes tot ist. Die Nachahmung ist handgreiflich.


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