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19

Die beiden Brüderpaare sind bei Matthäus wie bei Markus offenbar die einzigen Jünger. Sie machen vier aus, zu denen dann ein fünfter hinzukommt. Bei Johannes (1, 35-49) folgt auf die vom Täufer vollzogene Taufe die Werbung einer Gruppe von Jüngern unter übernatürlichen Umständen. Zwei sehen ihn. Er fragt sie: »Was sucht ihr?« Sie antworten mit der Frage: »Rabbi, wo bist du zur Herberge?« Sie sehen es und sagen: »Wir haben den Messias gefunden.« Jesus gibt darauf Simon den Namen »Kephas«, der als Petrus ausgelegt ist, usw. Bei Johannes 6, 68 erklärt Petrus ihm, Jesus besitze die »Worte des ewigen Lebens« und er, Petrus, habe erkannt, daß Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes sei.

Jesus antwortet in diesem ganz frei erdichteten Evangelium: »Habe ich nicht euch zwölf erwählt? Und euer einer ist ein Teufel«, was auf Judas als künftigen Verräter gemünzt ist.

Die ursprünglichen vier Jünger sind allmählich zu zwölf Aposteln geworden – eine handgreifliche Mythe. Bei Markus 1, 16, 17 sind nur die zwei, Simon und Andreas, verzeichnet, die als Fischer das Netz auswerfen, und das Wortspiel: »Ich will euch zu Menschenfischern machen.« Der Symmetrie wegen kommt hierzu (1, 19) noch das fischende Brüderpaar Jakob und Johannes. Im selben Evangelium 2, 14 kommt ferner der Zöllner Levi, der Sohn des Alphäus, hinzu, der bei Matthäus 9, 9 den Namen gewechselt hat und wie der Evangelist Matthäus heißt.

Bei Matthäus werden dann wie mit einem Zauberschlage die vier Fischer und der eine Zöllner zu zwölf Aposteln (10, 2). Bei Markus (3, 13) sehen wir deutlich, wie die Mythe sich formt: Jesus geht auf einen Berg und setzt die Zwölfe ein, die die Macht haben sollen, Krankheiten zu heilen und Teufel auszutreiben.

Man hat die Notwendigkeit gefühlt, den Gottessohn mit einem ansehnlichen Hofstaat zu umgeben: 12 Apostel, 70 Jünger. Ganz sicher bezüglich der Namen wurde man nie. Bei Markus 3, 18 ist nicht mehr Levi, sondern Jakob der Sohn des Alphäus. Bei Lukas (5, 27) erscheint der Zöllner Levi wieder. Im 6. Kapitel ist er als Sohn des Alphäus wieder durch Jakob ersetzt, und in der Schar der Apostel befinden sich hier zwei des Namens Judas, Jakobs Bruder, und der Judas, der zum Verräter wurde. Thaddäus ist dagegen verschwunden. Die Verwirrung ist so groß, daß man unmöglich in dem Erzählten ein geschichtliches Dokument sehen kann. Woher die Zahl zwölf gekommen ist, bleibt dunkel. Möglicherweise hat Robertson recht, der in dem vorchristlichen Jesuskult eine Art kirchlichen Brauchs mit zwölf Teilnehmern gefunden zu haben meint, die sich um einen, der der Gesalbte (Christus) genannt wurde, als Mittelpunkt scharten. Die Zwölf haben sich als »Brüder des Herrn« gefühlt. Spuren dieser vorchristlichen Jesusverehrung finden sich in der Apostelgeschichte 19, 3, wo die Epheser sagen, daß sie auf die Taufe des Johannes getauft sind. Diese Lehre war ihnen mitgeteilt worden von einem zugereisten Juden, Apollos aus Alexandria, einem beredten Manne, brennend im Geiste, »wußte aber allein von der Taufe des Johannes« (Apostelgeschichte 18, 24).

Auf alle Fälle ist es dem denkenden Menschen klar, daß die Erzählung von den zwölf Aposteln, wie wir sie in den Evangelien haben, eine Mythe ist.

Die Mythe von einem dieser Apostel hat schweres Unheil verursacht. Daß man sie geglaubt hat, macht dem Scharfsinn der Menschheit keine Ehre. Die Judaslegende hat seit bald zwei Jahrtausenden als Ausdruck des Hasses einer Menschengruppe gegen eine andere eine Unzahl von Schrecken veranlaßt. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß diese Legende, die der Lichtgestalt einen Teufel gegenüberstellt, um ihr den rechten Hintergrund zu geben, Hunderttausende von Menschen gemartert und ermordet hat.

Nach der Voraussetzung selbst ist die Geschichte unmöglich. Die Voraussetzung ist ja, daß ein Mensch mit überirdischen Eigenschaften, ein Gott oder Halbgott, sich tagein, tagaus unter freiem Himmel in einer Stadt oder deren Umgegend bewegte. Er verbarg sich so wenig, daß er seinen Einzug kurz zuvor bei hellichtem Tage hielt. Es wird sogar behauptet, daß er mit Jubel von der Bevölkerung begrüßt wurde, daß also all und jeder ihn kannte, jedes Weib und jedes Kind. Er wandert, von Jüngern begleitet, umher, predigt bei Tage, schläft bei Nacht unter freiem Himmel inmitten der Jünger. Und da sollte es notwendig gewesen sein, einen dieser Jünger zu bestechen, daß er ihn verriete, und noch dazu – um des Effektes willen – mit einem Kuß! Man denke sich, daß die Berliner Polizei im Jahre 1880 einen Sozialisten hätte bestechen wollen, daß er ihr verriete, wo Bebel wohnte. Die Polizei hätte im Adreßbuch nachschlagen und das Geld sparen können.

Ja, wenn erzählt worden wäre, daß Jesus sich irgendwo in einem Keller verkroch, so hätte die Geschichte doch noch einen schwachen Sinn. Wie aber die Verhältnisse geschildert werden, brauchen die, die ihn suchen, nur zu fragen: Wer von euch ist Jesus. Und er hätte nicht versucht, seinen Namen zu verleugnen.

So ist Judas denn nicht nur überflüssiger als das fünfte Rad am Wagen, sondern direkt eine Absurdität, nur erklärlich als Äußerung des Hasses gegen die Judenchristen im zweiten Jahrhundert, als man vergessen machen oder weglügen wollte, daß der Jesus der Evangelien, daß Maria, Joseph, alle Apostel, alle Jünger, alle Evangelisten Juden gewesen waren.


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