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Daß der Verfasser des Johannesevangeliums nicht der Apostel Johannes gewesen sein kann, von dem in den Evangelien gesprochen wird, ist klar. Er müßte ungefähr 150 Jahre alt gewesen sein, als er schrieb. Entscheidend ist zudem der Umstand, daß sich, wie wir sehen, die Judenchristen jener Zeit auf den Apostel Johannes als Stütze für ihre Auffassung beriefen, wie das Osterfest gefeiert werden sollte, während der Evangelist diese Auffassung als ungültig betrachtet.

Wir wissen nicht, wer der Verfasser war, aber wir wissen, daß er nichts mit dem Apostel zu tun hatte: er hätte nie die Geschmacklosigkeit besessen, sich selbst immer wieder als den Jünger zu nennen, den der Herr lieb hatte, als den, den er allen vorzog. Er hätte sich der Stelle erinnert (Matthäus 18, 1), wo die Jünger Jesus fragen: »Wer ist doch der Größte im Himmelreich?« und wo Jesus ein Kind zu sich ruft und ihnen, um ihren Hochmut zu demütigen, antwortet, wenn sie nicht wie Kinder würden, so kämen sie nicht ins Himmelreich.

Aber können wir dem Verfasser auch keinen Namen geben, so ist es doch nicht schwer, Kleinasien als die Entstehungsstätte sowohl dieses Evangeliums wie der Apokalypse, und nicht schwerer, annähernd die Entstehungszeit zu bestimmen.

Während Jesus bei den Synoptikern ein mit göttlichen Kräften ausgestatteter Mensch und bei Paulus das Gegenstück zu Adam, der geistige oder himmlische Adam war, dessen Wirksamkeit erlöst, ist der Ausgangspunkt für das vierte Evangelium die göttliche Natur des Inkarnierten.

Das Werk beginnt nicht wie eine Erzählung, sondern wie eine Fanfare, tönend, singend, dröhnend, sich in überraschender Mystik tummelnd: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort … Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht begriffen.«

Hier ist, als ob es galt, die gedrängteste, herausforderndste Form zu finden, alles gesammelt, was sich im Alten Testament anspruchslos verstreut findet.

Die Logos- und die Lichtlehre findet man ja rings im Alten Testament. Gottes Wort sagte: Es werde Licht, und es ward Licht (1. Buch Moses 1, 3). Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht und all sein Heer durch den Geist seines Mundes (Psalm 33, 6). Denn wie da hinabfährt der Regen und Schnee vom Himmel und dahin nicht zurückkehrt, sondern die Erde tränkt und fruchtbar macht … also auch mein Wort, das aus meinem Munde geht, nicht kehrt es leer zu mir zurück (Jesaia 55, 10). Doch die Weisheit, wo ist sie zu finden, und wo ist der Einsicht Stätte? Ihre Schätzung kennet nicht der Mensch, und im Land des Lebens ist sie nicht zu finden. Flut spricht: Nicht in mir ist sie … Gott kennt ihren Weg, er weiß ihre Stätte (Hiob 28, 12 ff.) – und so in vielen anderen verwandten Aussprüchen.

Der Verfasser des Evangeliums geht von einem ganz einfachen, in Wirklichkeit nicht tiefen Grundgedanken aus: Gott ist Licht, die Welt liegt in Finsternis. Die Möglichkeit dafür, daß nicht alles in die Brüche geht, ist mit Logos, dem beliebten Begriff der damaligen Gnostiker gegeben, der stärker als Chaos ist und den Teufel überwindet.

Sehr bezeichnend für den Zeitpunkt, zu dem das Evangelium geschrieben wurde, ist außerdem die häufige Anrufung des Geistes, der ersteht, wenn Jesus auch das Erdenleben verläßt, der Paraklet, wie er genannt wird, der Fürsprecher der Menschen bei Gott (14, 16 und 26, 16, 7), eine geistige Macht, die um die Mitte des zweiten Jahrhunderts in Kleinasien verehrt wurde, und hier so auftritt, daß sie die Wiederkunft Christi ganz überflüssig macht. Der Paraklet ersetzt ihn.

Hier ist außerdem an einer Stelle (5, 43) Jesus eine Weissagung in den Mund gelegt, die auf eine bestimmte historische Persönlichkeit gemünzt zu sein scheint. Aber sie steht isoliert da, und verliert hierdurch ihre Bedeutung. Jesus sagt: »Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmet mich nicht an. So ein anderer wird in seinem eigenen Namen kommen, den werdet ihr annehmen.« Möglicherweise wird hier auf Bar-Chochba, den Aufrührer unter Hadrian, hingezielt. Aber derartiges ist unwesentlich und wenig fruchtbar.


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