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Mancher, der nach irgendeinem möglichen historischen Halt in den Legenden der Synoptiker suchte, hat sich an die Unwahrscheinlichkeit geklammert, daß sie ohne historische Grundlage etwas von dem Erlöser berichtet hätten, das relativ herabsetzend wirken mußte. Viel Gewicht ist z. B. auf die Stellen gelegt, die ein starkes Mißverhältnis zwischen Jesus, seiner Mutter und seinen Brüdern verraten, wenn er nicht das verwandtschaftliche Verhältnis anerkennen will, sondern die Jünger als seine Mutter und seine Brüder bezeichnet (Matthäus 12, 46-50, Markus 3, 31-35, Lukas 8, 19 bis 21). Ferner hat jeder aufmerksame Leser bei der Stelle verweilt, wo Jesus, in seiner Geburtsstadt mit Feindseligkeit und Unwillen empfangen, ausruft: »Ein Prophet gilt nirgend weniger denn in seinem Vaterland und in seinem Hause« (Matthäus 13, 53-58, Markus 6, 1-4, Lukas 4, 24).

Von derartigem findet man im vierten Evangelium keine Spur. Hier ist Jesus als Messias aus jedem Verhältnis zu Vaterstadt und nahen Verwandten gelöst. Er gehört hier der himmlischen Familie an. In Betracht kommen nur der Vater, Logos, der Geist, Paraklet. Seine Himmelfahrt hat von der ersten Zeile des Evangeliums an stattgefunden: Im Anfang war das Wort.

Und selbst die scheinbare Herabsetzung, die man sich als historisch denken könnte, weil sie vielleicht nur widerstrebend erzählt wurde, gibt keine Sicherheit. Sie schafft eine Kontrastwirkung, etwa wie wenn jemand Beethoven, um einen Eindruck von seiner Größe zu geben, in seiner Jugend in einem Dorfe Geige spielen und neben dem örtlichen Lieblingsgeiger durchfallen ließe. Hierzu kommt die Unwahrscheinlichkeit des Umstandes, daß ein Dorf Nazareth überhaupt damals existiert hat.

Es ist hoffnungslos, bei den Synoptikern historischen Boden erreichen zu wollen. Der Tod des Stephanus scheint das große tragische Ereignis gewesen zu sein, das zu der Zeit eintrat, als das Christentum keimte, und es dürfte möglich sein, daß der Bericht von dem geheimnisvollen Tode Jesu dem nachgestaltet ist, was von der empörenden Hinrichtung des Stephanus erzählt wurde.

Nach einer ephesischen Überlieferung aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts soll Markus das Sprachrohr des Petrus gewesen sein und später sein Evangelium nach dem Gedächtnis niedergeschrieben haben. Es muß in diesem Falle von Paulinischer Seite durchgesehen worden sein, da Petrus beständig als eine unbegabte Persönlichkeit, die nichts versteht, und außerdem als Feigling auftritt. Merkwürdig ist es auch, bei Markus mehrmals Wunder, die in der Apostelgeschichte dem Petrus zugeschrieben werden, von diesem Deuter und Jünger auf Jesus übertragen zu sehen.

Petrus heilt in Lydda einen Gichtbrüchigen namens Äneas, der acht Jahre im Bett gelegen hatte (9, 33-35). Petrus sagt zu ihm: »Stehe auf und nimm dein Bett!« Er tut es. Bei Markus (2, 3-4, 11-12) heilt Jesus in Kapernaum einen Gichtbrüchigen und gebraucht dieselben Worte.

In Joppe stirbt ein ausgezeichnetes Weib namens Tabitha: Petrus wird gerufen, sagt zu der Toten: »Tabitha, stehe auf!«, und sie ist dem Leben wiedergegeben (Apostelgeschichte 9, 36-42). Bei Markus (5, 21-43) erweckt Jesus die Tochter Jairi vom Tode mit den hier auf Aramäisch wiedergegebenen Worten: »Talitha, stehe auf!« Aber es ist kein weiter Weg von Tabitha bis Talitha, und dieselbe Geschichte scheint hier zweimal ihre Dienste getan zu haben.


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