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Bei den heidnischen Schriftstellern Roms kommt keine irgendwie zuverlässige Erwähnung von Jesus vor. Der früheste Hinweis findet sich in einem der Briefe des jüngeren Plinius an Kaiser Trajan aus dem Jahre 111 oder 112, als Plinius in der Eigenschaft eines Legatus pro praetore in die Provinzen Bithynia und Pontus gekommen war und die dortige Gegend vom Christentum verseucht gefunden haben soll. – Aber ist der Brief echt? Es muß jedenfalls bemerkt werden, daß dieser Brief der Nachwelt hinterlassen ist in einer Handschrift, die sich von der der übrigen Briefe des Plinius unterscheidet, und daß Plinius in seinen Briefen über die Christen »Klemens von Rom« als einen bekannten Mann erwähnt, der die ihm zugeschriebenen Episteln verfaßt hat. Echt kann von den Klemens Romanus zugeschriebenen Briefen nach der allgemeinen Auffassung nur der erste von der römischen Gemeinde an die Korinther sein. Er wurde erst um das Jahr 170 anerkannt. Wie sollte Plinius ihn da gekannt haben? Dieser Umstand macht die Erwähnung der Christen in der 96. Epistel des Plinius äußerst verdächtig. Plinius schreibt hier an Trajan:

»Was die betrifft, die leugneten, Christen zu sein, so fühlte ich mich berechtigt, sie freizusprechen, sobald sie in meiner Gegenwart die Götter angerufen und dein Bild geehrt hatten. Diese, die behaupteten, nicht Christen zu sein – ehrten alle dein Bild und verfluchten Christus. Aber sie behaupteten, ihr ganzes Vergehen oder ihr Irrtum bestände darin, daß sie sich in Übereinstimmung mit ihren Gebräuchen an irgendeinem vorausbestimmten Tage vor Tagesanbruch versammelten und Christus wie einem Gotte abwechselnd einen Gesang (carmen) sangen (Christo quasi deo).«

Falls diese Briefstelle, was höchst unsicher ist, echt sein sollte, so hat Plinius in dem Tun und Lassen der Christen eine Gefahr gesehen, insofern dieser neue, auf den alten, eifernden, jüdischen Gott aufgepfropfte Gott, dem sie Hymnen sangen, ebenso unvereinbar war mit den anderen Göttern des Kaiserreiches, denen diese Messiasverehrer nicht Räucherwerk und Wein opfern wollten, wie mit der Anbetung des göttlichen Kaisers.

Es finden sich alles in allem nur zwei Andeutungen auf Christus in der lateinischen Literatur. Sie stehen bei zwei römischen Schriftstellern, die in der Übergangszeit vom ersten ins zweite Jahrhundert lebten. Diese Stellen finden sich bei Tacitus und Suetonius, beides Freunde des jüngeren Plinius.

In den stilistisch stark hergerichteten Annalen des Tacitus steht (15, 44) bezüglich des Brandes Roms unter Nero:

»Nero hatte gewisse Personen im Verdacht, Urheber dieses Verbrechens zu sein. Sie verurteilte er zu der grausamsten Tortur. Es sind dies die, welche wegen ihrer Infamie gehaßt und gemeinhin Chrestiani genannt werden. Der Urheber des Namens (Christus) ist unter der Regierung des Tiberius von dem Prokurator Pontius Pilatus zum Tode verurteilt worden.«

Für einen unparteiischen Kritiker scheint kein Zweifel herrschen zu können, daß diese Stelle eine Einschiebung, eine Fälschung ist, die lange nach der Zeit des Tacitus von irgendeinem christlichen Mönch oder doch christlichen Abschreiber ausgeführt ist. Der Satz ist ganz in Übereinstimmung formuliert mit der christlichen Überlieferung, wie sie sich allmählich bildete. Chrestiani, in griechischer Aussprache dasselbe wie Christiani, ist ein Name, von dem man nicht vermuten kann, daß Tacitus ihn kannte, als er die Annalen schrieb. Das griechische Wort Christus für Messias kam erst unter Trajan in Gebrauch. Keiner der Evangelisten gebraucht das Wort Christen mit Bezug auf die, welche Jesus folgten. Die einzige Stelle, an der die Bekehrung von Heiden erwähnt wird ( Apostelgeschichte 11, 20), läßt diese Bekehrung von Antiochia ausgehen. Tacitus nennt hier nicht den Namen Jesus, scheint ihn nicht zu kennen, glaubt offenbar, daß Christus ein Personenname sei, weiß nicht, daß er Messias bedeutet. Besonders verdächtig ist, daß er, gerade als wäre er ein Christ späterer Zeiten, von Pilatus wie von einer Persönlichkeit spricht, die der Leser ohne weitere Erklärung kennen müsse.

Kein Werk von Tacitus ist uns ohne verfälschende Einschiebung überliefert. Den Glauben Gibbons an die Reinheit des Textes in den ältesten Tacitus-Manuskripten hat man längst aufgegeben. Um so mehr Grund haben wir, die Stelle als unecht anzusehen, als das, was Tacitus von dem Verhältnis Neros zu den Christen erzählt – oder richtiger –, was in seine Schrift eingelegt ist – unmöglich wahr sein kann. Es ist undenkbar, daß sich schon zu Neros Zeit eine so große Gemeinde von Anhängern Jesu gebildet haben sollte, daß sie sich die öffentliche Aufmerksamkeit und den Haß der Bevölkerung zugezogen hätte, so daß sie beschuldigt worden wäre, Rom in Brand gesteckt zu haben. Und wie hätte Tacitus, der die Lehre der Juden nie ernst nahm, sondern (nach Tertullian) glaubte, daß der Gott der Juden, den er nicht von dem der Christen unterschied, ein Mensch mit einem Eselskopf war – wie auf dem bekannten Graphit – wie hätte er die Anwesenheit einer kleinen jüdischen Sekte in Rom als eine Gefahr für das Kaiserreich betrachten sollen?

Kein vernünftiger Mensch glaubt heute mehr an die Legende, daß Nero selbst Rom in Brand gesteckt habe. Suetonius, der ihn verdächtigt, kennt kein Gerücht, das ihn als Urheber bezeichnete. Es gab keinen Grund für Nero, die Christen der Brandlegung zu zeihen. Sie nannten sich selbst Jessäaner oder Nazaräaner, die Auserwählten oder die Heiligen usw. und wurden allgemein als Juden betrachtet. Sie beobachteten das Gesetz Mose, und die Bevölkerung konnte sie nicht von den anderen Juden unterscheiden. Sie verhielten sich still und machten sich so wenig wie möglich bemerkbar.

Die uns von Tacitus überlieferte Geschichte von den lebenden Fackeln scheint die Ausgeburt einer durch die Lektüre von der Erzählung späterer christlicher Märtyrer erregten Einbildungskraft zu sein. Feuerstrafe gab es zu Neros Zeit nicht in Rom. Die Gärten, in denen die lebenden Fackeln gestanden haben sollen, wurden zur Unterbringung der Unglücklichen benutzt, die durch den Brand Roms obdachlos geworden waren, sie standen voll von Zelten und Holzschuppen, und es konnte niemand einfallen, Scheiterhaufen für Missetäter dazwischen zu errichten.

Die heidnischen Schriftsteller wissen nichts von diesen Gräueln. Die ältesten christlichen Autoren kennen auch nicht die »lebenden Fackeln«, die sich doch so gut zu heftiger Propaganda geeignet hätten. Sie werden zuerst in einer bekannten Fälschung aus dem vierten Jahrhundert, dem erdichteten Briefwechsel zwischen Seneca und dem Apostel Paulus erwähnt. Eingehender ist die Rede davon bei dem 403 gestorbenen Sulpicius Severus, aber vermischt mit christlichen Legenden wie dem Tod Simons des Magikers oder Petrus' Bistum in Rom. Die Ausdrücke des Sulpicius stimmen in der Regel Wort für Wort mit denen des Tacitus überein. Es ist zweifelhaft, ob das Manuskript des Tacitus, das Sulpicius Severus benutzt hat, überhaupt den berühmten Passus über die Christen – odium generis humani – enthält. Sonst würden die anderen christlichen Autoren, die Tacitus benutzten, ihn doch gekannt haben. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Stelle in den Annalen (15, 44) zur Ehre Gottes durch irgendeinen Klosterbruder von Tacitus zu Sulpicius überführt wurde, um die christliche Überlieferung durch heidnisches Zeugnis zu erhärten.

Vermutlich existiert also in der zeitgenössischen römischen Literatur kein echter Ausspruch, der in die Richtung weist, daß Jesus eine historische Gestalt gewesen.


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