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Er war im Jahre 10 oder 12 in Tarsus in Kilikien geboren. Erst, als er sich zum Apostel der Heiden machte, latinisierte er seinen Namen Saul in Paulus. Seine Familie stammte aus Gischala in Galiläa und glaubte, dem Stamm Benjamin anzugehören. Sein Vater war römischer Bürger, hatte diesen Titel entweder durch erwiesene Dienste erworben oder auch vielleicht von einem seiner Vorfahren geerbt, der ihn sich gekauft hatte. Die Familie gehörte, wie alle besseren jüdischen Familien, zur Partei der Pharisäer. Selbst als er mit der Partei gebrochen hatte, behielt er doch noch ihren Eifer, ihre seelische Spannung, die Schärfe ihrer Ausdrucksweise.

Tarsus war damals eine blühende Stadt, die Bevölkerung griechisch und aramäisch. Die Juden waren dort wie in allen Handelsstädten zahlreich. Der Sinn für Literatur war verbreitet, und keine Stadt, selbst nicht Athen oder Alexandria, war reicher an wissenschaftlichen Institutionen. Nicht, daß Saul eine sorgfältige hellenische Erziehung genossen hätte. Die Juden besuchten selten die Schulen, in denen weltliche Kenntnisse verbreitet wurden. In den Schulen wurde in erster Reihe ein reines Griechisch gelehrt. Hätte Saul es gelernt, so hätte Paulus nicht seine eigenartige, so ungriechische Sprache geschrieben – oder wohl eher diktiert –, die so von aramäischen und syrischen Redensarten wimmelt, daß ein gebildeter Grieche seiner Zeit sie wohl kaum verstehen konnte. Ohne sich über den Mangel dessen zu schämen, was die damalige Zeit unter Bildung verstand, nennt er sich selbst (2. Korinther 11, 6) idiotes to logo, nicht kundig der Rede, natürlich nur, um zu behaupten, wie wenig darauf ankäme. Er hat offenbar in der syrochaldäischen Sprache gedacht, wie sie denn auch seine Muttersprache war, die er am liebsten redete, auch wenn er Selbstgespräche führte oder Stimmen in seinem Ohre hörte.

Was er verkündet, hat denn auch nicht das geringste Verhältnis zu griechischer Philosophie. Das so oft erwähnte Zitat aus Menanders verlorengegangenem Schauspiel Thais, » Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten«, war eine Redensart, die von unzähligen angewendet wurde, welche nie Menander gelesen hatten.

Die beiden griechischen Zitate, die man sonst noch findet, kommen in Briefen vor, die kaum echt sind. Die eine Stelle (Titus 1, 12), wo es heißt: »Es hat einer aus ihnen gesagt, ihr eigener Prophet: ›Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche‹«, wurde Epimenides zugeschrieben, der im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung lebte und im Altertum als ein großer Wahrsager angesehen wurde. Die andere Stelle (Apostelgeschichte 17, 28) lautet: »Denn in ihm leben, weben und sind wir, wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben.« Die Dichter, an die er hier denkt, sind Aratos aus Kilikien und Kleanthes aus Lykien. Mit dem Worte ihm ist bei ihnen Zeus gemeint.

Man sieht, daß der junge Saul fast seine ganze Bildung dem Talmud verdankt, er läßt sich mehr von Worten als von Gedanken leiten, ein Wort bringt ihn dazu, eine Gedankenreihe zu verfolgen, die weit vom Ausgangspunkt entfernt ist.

An einer einzigen Stelle (Kapitel 13) hebt sich der Korintherbrief zu so hohem Fluge, daß wenige Stellen ihm nahe kommen an glühender Begeisterung und strömender Beredtsamkeit. Es muß eingeräumt werden, daß die Stelle allerdings von einem so gewiegten Kenner wie van Manen als spätere Einschiebung bezeichnet wird. Es sind die schönen Worte: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.« Es folgen noch ein Dutzend ebenso wertvolle Ausbrüche, Funken eines Feuers, desgleichen jahrhundertelang nicht gewesen war und nicht kommen sollte.

Aber man untersuche, wie seltsam dieser schöne Abschnitt eingerahmt ist. In langweilige, spitzfindige Beschreibungen wie das lang ausgedehnte Gleichnis des vorigen Kapitels, daß wie im menschlichen Körper die Glieder zusammenhängen, so auch die Gemeinde zusammenhalten soll, und dazu Argumente, wie: »So aber der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum bin ich des Leibes Glied nicht, sollte er um deswillen nicht des Leibes Glied sein? Und so das Ohr spräche: Ich bin kein Auge, darum bin ich nicht des Leibes Glied, sollte es um deswillen nicht des Leibes Glied sein?« usw., bis ins Unendliche. Oder man schlage nach, was auf die erhabene Lobpreisung der Liebe folgt. Ein Kapitel, das gedanklich so schwach und so lose im Gedankengang ist: »Denn der mit Zungen redet, der redet nicht den Menschen, sondern Gott, denn ihm hört niemand zu, im Geist aber redet er die Geheimnisse. Wer aber weissagt, der redet den Menschen zur Besserung und zur Ermahnung und zur Tröstung. Wer mit Zungen redet, der bessert sich selbst« usw. – die leersten Redensarten.


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