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Von Gewicht ist dagegen, daß Jesus bei den Synoptikern denen, die er heilt, verbietet, ihn Gottes Sohn zu nennen. Er will sogar erst später von seinen Jüngern den Messiastitel annehmen und erlaubt ihnen nie, ihn öffentlich so zu nennen, läßt sich den Zuruf erst bei seinem Einzuge, wenige Tage vor seinem Tode, gefallen.

Im vierten Evangelium ist dieses Verhältnis ganz verändert. Wie es mit einer Fanfare eröffnet wird, so hallt es wider von vergötternden Lobpreisungen in jedem Bekenntnis, das ein Jünger ablegt: dem des Andreas »Wir haben den Messias gefunden«, des Nathanael »Du bist Gottes Sohn und König von Israel«. In den früheren Evangelien wehrt Jesus diese Ehrentitel ab, hier ermuntert er seine Anhänger dazu, ja, übertrifft sie sogar in seinen eigenen Aussprüchen. Bei den Synoptikern nennt Jesus sich nicht selbst Messias. Der Glaube der Jünger scheint sich langsam zu formen, schließlich sieht es aus, als forme sich dieser Glauben endlich auch in ihm selber.

Im vierten Evangelium hat jedoch eine vollständige theologische Versetzung stattgefunden. Wie Jesus in der Taufe aufgerückt ist, daß er nicht zuvor vom Täufer getauft wird, sondern selbst zum Täufer gemacht ist, und zwar zu einem Täufer, von dem der ältere sagt: »Ihm gebührt es, zu wachsen, mir, mich zu verringern«, so ist Jesus hier vom ersten Wort an Messias: Philippus trifft Nathanael und sagt: »Wir haben den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesum, Josephs Sohn von Nazareth.« Jesus sieht Nathanael zu sich kommen und ruft aus: »Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist«, und Nathanael sagt zu ihm: »Du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel.« Jesus entgegnet darauf: »Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn.« Hier ist mit andern Worten alle Psychologie aufgegeben zum Besten eines theologischen Dogmas, das von Anfang an in seiner ganzen Nacktheit hervortritt.

Sehr lehrreich ist auch folgendes: Bei den Synoptikern ist sorgfältig darauf geachtet, daß das Verhältnis Jesu zum römischen Staate unbedingt loyal und neutral ist. Immer wieder betont der Messias: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Wo man ihn in einen Streit mit der Staatsgewalt verwickeln will und ihn ausfragt, ob dem Kaiser Steuern bezahlt werden müssen, antwortet er überlegen und ohne den geringsten Versuch einer Losreißung von Rom: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.«

Aus der Aufschrift König der Juden, die (nach Markus 15, 26, Matthäus 27, 37, Lukas 23, 38) nach Lukas sogar in drei Sprachen: Griechisch, Latein und Hebräisch, über dem Haupte Jesu angebracht war, um das Verbrechen des Hingerichteten zu verkünden, ersieht man, daß die Beschuldigung gegen ihn die nach den drei ersten Evangelisten ganz unvernünftige und ungerechte war, daß er als König des jüdischen Volkes aufgetreten wäre.

Im vierten Evangelium ist zu unserem Erstaunen die Rücksicht, die Benennung als ungerecht zu stempeln, ganz fortgefallen. Die Inschrift selbst wird hier auch nicht weiter besprochen.


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