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Kapitel Fünfzig. Das fünfzigste Ave

Es gibt eine ganze Menge von Soubirous an diesem größten aller Ehrentage, Kinder, Enkel, Neffen, Nichten der Geschwister von Bernadette. Den wahren Mittelpunkt bilden aber nicht sie, die fleischlichen Anverwandten, sondern der Erstgeborene des Wunders, das Kind Bouhouhorts. Das Kind Bouhouhorts, oder genauer Justin Adolar Duconte Bouhouhorts, ist siebenundsiebzig Jahre, ein Alterchen mit vergnügten Augen und einem pfiffigen Mund unter dem noch immer dunklen Schnurrbart. Man hat dem Kinde Bouhouhorts, das in Pau trotz seiner Jahre das rüstige Gewerbe eines Blumengärtners betreibt, eine Fahrkarte zweiter Klasse nach Rom in die Hand gedrückt und Anweisungen für Kost und Quartier dazu. Denn der Erstgeborene des Wunders von Lourdes soll den Ehrentag mitfeiern und mitgenießen, an dem der elfte Pius die kleine Bernadette Soubirous in den Katalog der Heiligen einreiht. Eine glanzvollere Zeremonie als solch eine Heiligsprechung durch den Stellvertreter Gottes auf Erden kennt die Christenheit nicht. Vom Kinde Bouhouhorts aber sagen die Leute, die neue Heilige habe es vor fünfundsiebzig Jahren oft in ihren Armen getragen, wenn die Nachbarfamilien einander besuchten. Daran freilich erinnert sich der alte Blumengärtner von Pau keineswegs deutlich. Im Laufe der Zeit aber hat die durch häufige Fragen und Erzählungen geschürte Phantasie seiner Erinnerung bedeutend nachgeholfen. Der Alte liebt es, umständlich und eingehend Aussehen, Stimme, Wesenheit und Betragen derjenigen zu malen, welcher er seine wundersame Rettung und den bescheidenen Segen eines langen Lebens verdankt:

»Als Kind hatte ich Krämpfe und war gelähmt, wie Sie ja sicher gelesen haben werden«, pflegt er zu sagen. »Da haben mich Bernadette und ihre Mutter oft umhergeschleppt und geschüttelt, damit ich wieder zu mir komme. Und ich habe sie immer wieder gesehen, bis sie sich verabschiedet hat, um nach Nevers ins Kloster zu fahren. Damals war ich acht oder neun vielleicht. Es waren halt unsre besten Freunde, das weiß ich von meinen eigenen Eltern. Und so bin ich nach mehr als siebzig Jahren der einzige lebendige Mensch, der mit unserer süßen Fürbitterin von Lourdes in der allernächsten Berührung stand, als sie noch selbst ein halbes Kind war, und ich sehe das Gesicht der Lieben vor mir, als wär sie vor ein paar Stunden davongegangen. Da kann die werte Verwandtschaft der Soubirous nicht mithalten. Die hat keine persönliche und leibliche Erfahrung mehr. Die weiß alles nur aus Büchern, Bildern und vom Hörensagen ...«

Fünfzigtausend Fremde sind zur Kanonisierung Bernadettens nach Rom gekommen. Sie gehören vierzig verschiedenen Nationen an. Fünfzehntausend Franzosen sind die stärkste Gruppe, Kleriker und Laien, unter welchen die Vertreter des Landes Bigorre den Kern bilden. Es ist kein Wunder, daß man den einzigen, der Bernadette noch vor den großen Februartagen mit Augen gesehn hat, den ersten, an dem die Gnadenquelle sich so blitzschnell und unwidersprechlich bewährte, mit großer Aufmerksamkeit behandelt. Man drängt sich um den alten Gärtner von Pau. Dem Verwirrten wird vielhundertmal die Hand geschüttelt. Man stellt ihn allerlei weltlichen und geistlichen Größen vor. Monsieur Charles Roux, Botschafter Frankreichs, zieht ihn ins Gespräch und sorgt dafür, daß er auf der Ehrentribüne einen guten Platz erhält. Und nun sitzt das Kind Bouhouhorts inmitten von Würdenträgern in Sankt Peter zu Rom und blinzelt schüchtern in das ungeheure Rund.

Es ist ein Heiliges Jahr, das dreiunddreißigste dieses Jahrhunderts. Es ist der achte Dezember, Tag der Conception Immaculée. Es ist neun Uhr morgens. Neben dem Kinde Bouhouhorts sitzt ein freundlicher und kundiger Herr, ein Landsmann, der in Rom lebt. Er belehrt es verschwenderisch folgendermaßen:

»Nur bei Heiligsprechungen, lieber Monsieur Bouhouhorts, werden alle Riesenfenster der Peterskirche mit rotem Damast verhängt und selbst die kleinen Fenster in der Kuppellaterne, so daß kein Tageslicht hereindringen kann. Es ist ein Eindruck, den man sonst niemals bekommt. Ich selbst, der ich ein halber Römer bin, habe erst einer einzigen Kanonisierung beigewohnt. Denken Sie nur, von den Scheinwerfern abgesehen, brennen sechshundert Lüster mit zwölftausend Glühbirnen, von denen jede mindestens hundert Kerzen stark ist. Demnach leuchten uns hier eine Million und zweimalhunderttausend Kerzen ...«

Nach dieser schlüssigen Rechnung schaut der Statistiker das Kind Bouhouhorts triumphierend an, worauf dieses zustimmend nickt. Der freundliche Landsmann ist aber mit seinen Berechnungen noch lange nicht zu Ende:

»Sehen Sie nur dieses beängstigende Gewoge! Achtzigtausend Menschen faßt San Pietro! Ich bin überzeugt, heute sind noch um zehntausend mehr gekommen. Dabei wird der Mittelgang sehr breit freigehalten für den Einzug Seiner Heiligkeit. Alle Kurienkardinäle werden sein Gefolge bilden. Ich brauche Ihnen nur solch berühmte Namen zu nennen wie Gasparri, Granito di Belmonte, Pacelli, Marchetti. Die Erzbischöfe und Bischöfe aber wird niemand bei Namen nennen können. Denn volle hundertachtzehn sind's. Was sagen Sie zu diesem großartigen Bild, Monsieur?«

»Ein großartiges Bild«, echot das Kind Bouhouhorts.

»Und wie muß Ihnen selbst zumute sein, verehrter Herr! Sie standen als Knabe in engster Beziehung zu den Soubirous. Sie haben diese Armut, dieses Elend mit angesehen. Oh, Sie erinnern sich gewiß noch daran, denn Kindheitseindrücke vergißt man nicht so leicht ...«

»Es war wohl ein dreckiges Leben«, seufzt der Alte offenherzig.

»Und jetzt diese Pracht, dieser Glanz«, schwärmt der Freundliche. »Ein Glanz, wie ihn die ganze Erde nicht zu vergeben hat. Und das vierundfünfzig Jahre nach dem Tode! Was ist ein Herrscher, ein Präsident, ein Diktator daneben? Das wird heraufgespült und verschwindet im tiefen Loch. Was bleibt? Ein Name in vergilbten Geschichtsbüchern! Denken Sie an unsern Napoleon den Dritten, Monsieur! Nichts auf der Welt ist verwester, ja lächerlicher als ein Mächtiger, der keine Macht mehr hat und niemandem schaden kann. Der Tod eines Mächtigen ist eine endgültige Niederlage. Mit großen Geistern steht es schon etwas besser. Aber, um profan zu sprechen, nichts übertrifft die dornige Karriere, die zum Himmel führt. Finden Sie nicht, Monsieur Bouhouhorts?«

Das Kind Bouhouhorts nickt und schüttelt den Kopf, womit es kein entschiedenes Urteil zu diesem Problem abgibt.

Schon haben die silbernen Trompeten geschmettert. Die Sedia gestatoria mit dem Papst ist durch den Gang geschwebt, inmitten der Schweizergarden, der Nobelgarden, der Maestri di Camera, der scharlachroten Sediari, der Advokaten des Konsistoriums im schwarzen Samt, der Prälaten der Signatura, der Pönitentiarier mit ihren langen, bekränzten Stäben. Der freundliche Landsmann hat dem alten Gärtner aus Pau alles erklärt und gedeutet. Mit mühsamem Blinzeln versucht dieser, die Fülle zu unterscheiden und in sich aufzunehmen.

Der Thron des Papstes ist in der Tiefe der Apsis errichtet, unter Berninis Gloria. Sechzehn Kardinäle sitzen ihm zur Seite, und auf den Stufen zu seinen Füßen nehmen die Prälaten des Hofstaats Platz. Das Kind Bouhouhorts erfährt nicht nur alle Namen, sondern auch den Sinn der erhabenen Vorgänge, die sich nun sehr langsam abzuwickeln beginnen. Eine schwarze Gestalt nähert sich dem Throne Seiner Heiligkeit, kniet nieder und rezitiert einige lateinische Worte. Es ist der Advokat des Konsistoriums, der den Kanonisierungsprozeß der Bernadette Soubirous zuletzt als Vertreter seiner Klientin geführt hat. Dieser Prozeß ist schon seit Jahrzehnten anhängig mit seinem gründlichen Für und Wider und dem unerbittlich eingeschalteten Element der Zeit, das als Scheidewasser zwischen Echt und Unecht wirkt. Unter den hier versammelten Anwälten des Konsistoriums befindet sich auch derjenige, welcher in den Verhandlungen des Prozesses gewissermaßen die Gegenpartei vertrat, die Partei des Zweifels, weshalb er auch mit seinem vulgären Titel »Advocatus Diaboli« heißt. Bernadette hatte es dem Advocatus Diaboli nicht leichter gemacht als einst dem kaiserlichen Staatsanwalt Vital Dutour. Noch als Leichnam entkräftete sie gleichmütig hartnäckig wie immer jede mögliche Einwendung. Mit ihrem Leichnam aber hatte es von Anfang an eine höchst sonderbare Bewandtnis. Als man ihn vier Tage nach dem Tode in die Kapelle des heiligen Josef zur Ruhe trug, da zeigte er, trotz der langen, zerstörenden Krankheit, nicht die leiseste Spur von Verwesung und Verwesungsgeruch. An den Wurzeln der Fingernägel sahen die staunenden Zeugen das zarte Rosa kindlichen Lebens. Neununddreißig Jahre später setzte der Gerichtshof der Heiligsprechung eine Kommission in Nevers ein, von der die Gruft geöffnet und der Leichnam exhumiert und untersucht wurde. Mehrere Ärzte, darunter der amtliche Stadtarzt, waren zugegen. Bernadettens mädchenhafter Körper erwies sich als unverwest, ja beinahe unverändert. Gesicht, Hände, Arme waren weiß, ihr Fleisch weich. Der Mund stand ein wenig offen, wie atmend, so daß man die glänzenden Zähne sehen konnte. Die Lider waren über den leicht eingesunkenen Augäpfeln geschlossen. Noch immer ruhte der Ausdruck träumerischer Entrückung auf den Zügen der Seherin. Der übrige Körper war starr und so widerstandsfähig, daß ihn die Damen von Nevers, die der amtlichen Untersuchung beiwohnten, mühelos heben und unversehrt in einen neuen Sarg betten konnten, wie einen soeben Abgeschiedenen. Das Protokoll dieses Augenscheins machte großes Aufsehen. In der Presse wurden Stimmen laut, die behaupteten, die Geschichte mit dem unverwesten Leichnam sei ein plumper Schwindel. Man hätte ihn wenige Stunden nach dem Tode kunstgerecht einbalsamiert, und nun beliebe man, eine gewöhnliche Mumie mit einer wunder- und gnadenmäßig bevorzugten Leiche zu verwechseln. Der Prozeßgegner Bernadettens, der Advocatus Diaboli, machte sich dieses Argument zu eigen. Auf sein Betreiben wurde siebzehn Jahre nach der ersten Kommission eine zweite eingesetzt, die Gruft neuerdings geöffnet und der unverwandelte Leichnam wiederum einer Prüfung unterworfen. Kein einziges Anzeichen vermochte jenen Verdacht zu stützen. Das geschah im Jahre 1925. Bernadettens Prozeßgegner erhob keinen Einwand mehr. Die Seligsprechung erfolgte.

Und jetzt sind wieder volle acht Jahre vergangen, da dort unten in der Tiefe der Apsis, unter Berninis Gloria, der Anwalt Bernadettens, der in allen Instanzen den Prozeß siegreich zu Ende geführt hat, den Pontifex in Demut bittet, er möge den Namen des Mädchens von Lourdes in den Katalog der Heiligen einschreiben. Der Papst antwortet nicht selbst, sondern durch seinen Sprecher, Monsignore Bacci, der auf einem Schemel unterm Thron sitzt, Pius sein Profil zuwendend. Der Heilige Vater, sagt Bacci, habe nichts dringlicher auf dem Herzen als diese Kanonisierung. Bevor aber die feierliche Aufnahme stattfinde, sei es nötig, das göttliche Licht noch einmal anzurufen. Auf die Knie geworfen, singt nun die Versammlung die Litanei der Heiligen. Dann gibt der Papst das Zeichen zum Veni Creator Spiritus, das auf den Stimmen der Priester und Sixtinischen Sängerknaben durch den gewaltigen Raum schwebt. Nach dem Hymnus wiederholt Bernadettens Advokat seine Bitte noch einmal. Monsignore Bacci erhebt sich, kniet nieder vor Seiner Heiligkeit und streckt die Arme empor mit diesen Worten:

»Erhebe dich, Petrus in Person, der du in deinem Nachfolger lebst, und sprich.«

Dann, sich zur Riesenmenge umkehrend, ruft er schallend:

»Ihr aber höret in Ehrfurcht Petri unfehlbares Orakel!«

Man hat ein Mikrophon vor den Papst hingestellt. Durch die Lautsprecher in der Runde verstärkt, dringt die sonore Stimme des elften Pius in jeden Winkel von Sankt Peter:

»Wir erklären und entscheiden, daß die selige Marie Bernarde Soubirous eine Heilige ist. Wir schreiben ein ihren Namen in den Katalog der Heiligen. Wir bestimmen, daß ihr Angedenken alljährlich fromm gefeiert werden möge im Namen der Jungfrau, am sechzehnten April, dem Tage ihrer Geburt im Himmel!«

Dies ist die Formel. Kaum ist sie gesprochen, erbraust das tausendstimmige Te-Deum, von den silbernen Trompeten umschmettert, umdröhnt von den tiefsten Glocken Sankt Peters. Es fallen ein die Glocken von dreihundert römischen Kirchen und unzählige andere Glocken auf dem ganzen Erdenrund, den ewigen Ruhm der kleinen Bernadette Soubirous aus der Rue des Petites Fossées verkündend. Es ist nun elf Uhr. Der Papst beginnt das Hochamt. Er zelebriert es lateinisch und griechisch, um die allumfassende Universalität der Kirche und dieses Tages kundzutun. Nach dem Evangelium hält er die Predigt. Und wiederum erschallt seine starke, warme Mannesstimme aus den Lautsprechern ringsum. Die Heiligen, sagt Pius, seien mit den Teleskopen der Astronomen zu vergleichen. Durch diese nehmen wir Sterne wahr, die niemand mit freiem Auge zu erblicken vermag. Durch die Heiligen aber lernen wir die ewigen Wahrheiten klarer sehen, die der Alltag vor unsern schwachen Augen verschleiert. Der Papst rühmt Bernadettens Reinheit, Einfalt und den unerschrockenen Kämpfermut, mit dem sie die Echtheit ihrer Vision gegen eine ganze Welt von Zweiflern, Spöttern und Hassern verteidigte. Nicht nur in den so segensvollen Mirakeln von Lourdes, im ganzen Leben der neuen Heiligen liege eine Botschaft von unerschöpflichem Reichtum. Pius kommt auch zu sprechen auf das dämonische Stimmengewirre, das Bernadette während ihrer Erscheinungen hörte. Dieses Stimmengewirre habe sich unfaßbar vermehrt seitdem. Die Welt sei voll davon und ein beträchtlicher Teil der Menschheit dämonisiert. Das Fieber der rasenden Irrlehren drohe den menschlichen Geist in blutigen Wahnsinn zu stürzen. Doch auch in diesem schweren Kampf um den endgültigen Sieg stehe nicht nur Lourdes da wie ein Felsen, sondern auch das Leben der Bernadette Soubirous wirke verheißungsvoll weiter in die Zeit ...

Der Kopf des Kindes Bouhouhorts wackelt in all diesem Wort-, Musik-, Farben- und Lichterrausch schon verräterisch. Der freundliche Kommentator hat ihm die Predigt des Papstes übersetzt. Der Feier aber ist noch immer kein Ende. Nun singt der Kardinal Verde zum erstenmal das Gebet zur Heiligen Bernadette. Es muß schon zwölf Uhr sein. Es wird mehr als ein Uhr, ehe das Kind Bouhouhorts, eingekeilt in die Menschenmasse, San Pietro verlassen kann.

Der Platz ist überflutet von den Unzähligen. Bouhouhorts hat seine Gesellschaft verloren. Willenlos läßt er sich in eine der Seitenstraßen spülen. Trotz des Dezembertags scheint die Sonne voll von einem wolkenlosen Himmel. Der alte Mann ist nicht nur erschöpft, sondern sehr durstig und hungrig. Auf einmal sitzt er in einer kleinen der Osterien, die wegen des schönen Wetters ihre Tische noch auf der Straße halten. Er ißt einen großen Teller voll Nudeln und trinkt den violetten Wein der Campagna. Nach der Mahlzeit ist dem Kinde Bouhouhorts sehr behaglich zumute. Es blinzelt vergnügt in das Treiben der Straße hinein, das an ihm vorüberflutet.

Schau einmal an, spricht das Kind Bouhouhorts zu sich selbst, der Herr neben mir hat recht gehabt. Das ist wohl eine Karriere! Und Bernadette Soubirous hat mich im Arm getragen. Und ich hab dazugehört in jenen Tagen. Und wie es in dem lausigen Cachot ausgesehen hat damals, das weiß ich noch ganz genau. Und jetzt ist die Bernadette eine hohe Persönlichkeit im Himmel, und Papst und Kardinäle rufen sie an. Und weil ich schließlich im Cachot dazugehört hab, werd ich vielleicht auch bald im Himmel dazugehören, wenn ich mir nicht im letzten Augenblick noch ein paar saftige Sünden einwirtschafte ...

Der Alte blinzelt hinauf zum großen, klaren Himmel Roms. Er ist überzeugt davon, daß dort oben, in dem Himmelsstück über Rom, sämtliche Heiligen der Kirche in einer dichten Versammlung wohnen und thronen. Dort gehören sie schließlich auch hin. Vielleicht sieht Bernadette Soubirous gerade auf ihn herab, wie er in der angenehmen Sonne sitzt, ganz allein an der lustigen Straße, gesund und rüstig mit Siebenundsiebzig. Da wandelt das Kind Bouhouhorts ein rechter Wunsch an, sich in Beziehung zu setzen mit Bernadette Soubirous. Das geschieht in altgewohnter Art. Seine Finger tasten nach dem Rosenkranz in der Tasche. Zwar, das Gebet gehört nicht auf die Straße, sondern in die Kirche. Ist dieses große Rom aber nicht eine einzige Kirche? Der Gärtner von Pau wendet seinen Sinn nicht dem schmerzensreichen, nicht dem freudenreichen, sondern dem glorreichen Rosenkranze zu, der die Gedanken der Menschen zum Sieg, zur Glorie, zur Himmelfahrt emporreißen soll. Seine Lippen flüstern ein Ave nach dem andern, wobei er die große Müdigkeit tapfer niederkämpft. Die noch immer schmunzelnden Äuglein aber folgen der Lebensflut auf der Straße. Autos flitzen dahin. Der Gelati-Mann klingelt Gassenjungen und Dienstmädchen heran, denen er sein Gefrorenes verkauft. Aus den Nebengassen schallen die tragischen Gesänge der Ausrufer, die Orangen, Fenchel und Zwiebeln feilbieten. Unter dem Himmel Roms, wo alle Heiligen versammelt sind und die neue Heilige feiern, dröhnt ein Militärflugzeug.

Nach dem vierzigsten Ave beginnen die schmunzelnden Äuglein immer schwerer zu zwinkern, und genau während des fünfzigsten nickt das Kind Bouhouhorts ein. Sein Herz aber ist sehr fröhlich im Schlaf.


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