Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Der Kreis

Die Herrschaft der höheren Sonne hebt an über der grünen Unermeßlichkeit. Der überschwengliche Frühling ist da. O Herrlichkeit und Glanz und Aufgebot aller Schönheit dieser kurzen Herrschaft!

Blaue und goldene Segel schwimmen seine Schiffe von Osten heran und ziehen majestätisch in grüne Dämmerungen hinweg. Dann ruht er unter dem goldgezierten Gewölbe hallender Nächte heiter und in verschwenderischen Träumen. Sein feierliches Antlitz umgaukelt jedes Gleichnis unirdischer Schönheit und Unmühsal.

Irdische Schmetterlinge, sind sie ein holdseliger Abglanz freundlicher Gedanken des Erschaffers. Wie sie dem Dunkel ihrer fragwürdigen Zwischengestalt sich entwinden und in der taubeglänzten Morgenstunde zitternd und von einem herrlichblinden Vertrauen beseelt ihre kostbaren Wimpel langsam dem Licht und der Wärme und dem Leben hissen, und dem Anblick des Erschaffers; und da sind, in einer schönen und 335 ruhigen Sicherheit; und nun, als schlüge die Natur selbst die Augen auf, da und dort auf ihren schimmernden Segeln das siebenfarbene Licht der Sonne widerstrahlen, jeder nach seiner Weise, nach der er gerufen ward, zu scheinen! Opfer der Schönheit! Schönheit des Opfers!

Und dort, wo die Agave ihre mutige und alleinige Kerze angezündet hat, die in hundert weißen, schönen, wohlriechenden Flammen brennt: welche Gaukler umschwirren sie? Vögel, meint ihr, wäret ihr? Vielleicht! Oder seid ihr Tropfen aus dem Regenbogen, den ja immer wieder aus dem hohen Himmel, in den er hinansteigt, seine demütige Sehnsucht sanft zur Erde hernieder beugt? Ja, seid ihr farbige Funken aus dem strahlenden Gewölbe, unirdisch in eurer Gedankenschnelle und schönen Gestalt? Jetzt hier, jetzt da, dem Auge kaum zu fassen, ein Blitzlein, ein Tropfen Himmelstau, herabgesunken aus der erhabenen Werkstatt, wo man die Farben dachte und die Edelsteine und den Schmuck der Welt? Unsichtbar eure schwirrenden Flügel, nur ein süßes Gebraus, ein zirpendes Leben, von aller Süße sich nährend und so wenig Atem und Leibesraum verbrauchend! Kleine stolze Seelen ohne Schwermut! Kleinodien auf dem Krönungsmantel dieser hinstürmenden Erde! Ihr wäret nicht so schön 336 erschaffen, wenn der Erschaffende nicht Freude hätte an der Schönheit! . . .

Hintrabend über dieses festliche Ornat, umblitzt von seinen Juwelen, umwogt von wallenden und starken Düften, in überschwenglicher Fülle bringen die Pferde den Kreis des Jahres zu Ende, der ohne Ende ist.

Denn schon pochen neue Lebendige an und harren des Lichts, der Zeit, des Raums, des Jahrs, des schönen, mühseligen Lebens . . .

Eines Morgens steht Mannsräuschlin nicht vom Boden auf, als der Hengst den Sammelruf tut und die Herde sich in Gang bringt. Sehr hilflos liegt Mannsräuschlin da und weiß nicht recht, was sich begibt, obwohl es das Ereignis erst vor wenigen Tagen bei einer braunen Stute gesehen hat. Aber es ist wohl etwas anderes, wenn man selber plötzliche Schmerzen hat und nicht aufstehen kann; nicht kann, obwohl man gerne dem Ruf gehorsam wäre. Wahrscheinlich ist man krank?

Wie der Hengst heranpoltert und die Krämpfe sieht und das Geschnauf und vielleicht auch das dumpfe Kollern hört, weiß er natürlich, was sich begibt, und macht sich davon. Dann kehrt er in einem Bogen um die Herde wieder um, und man verweilt. Man setzt sich nicht in Marsch. 337

Dann liegt um die Mittagszeit ein dürres steifes struppiges nasses junges Pferd mitten im Frühling da. Es hat ein rostbraunes Fell und schneeweiße Beine, ein breites weißes Mal von der Mähnenwurzel bis an die fleischfarbenen feinen Nüstern; dazu kohlschwarze Hufe, ein lächerliches Schweiflein und einen noch lächerlicheren winzigen Mähnenkamm, über einem schön gebogenen feinen Nacken. Ja, und es ist ein kleiner Hengst. Er schaut ganz gläsern vor sich hin und atmet schnell.

Die Stuten weiden vorüber, schreiten heran, betrachten und beschnuppern den feinen Kömmling und äugen aufmerksam, wie sie die weißen Beine gewahren. Dann werfen sie auf, kollern wohlwollend und weiden wieder. Ein Neuer in der Herde! Ja! Gut! Schön ist das Leben!

Jetzt trabt der Hengst herbei und verhält polternd. Er schnuppert so hin über das Fohlen und über Mannsräuschlin. Er weiß natürlich, daß das Junge nicht von ihm ist. Mehrmals und scharf äugend beugt er sich herab und beschnuppert das feine weiße Gestelze. Immer wieder schnaubt er über das Fremde hin. Dann dreht er bei, tut einen schönen Satz mitten hinein in ein hohes grünes Grasbüschel und wiehert hell. Natürlich freut er sich über den Zuwachs seiner Herde. 338

Groß ist das Erlebnis in Mannsräuschlins Gemüt. Ein blankes Staunen geht aus den großen braunen Augen. Immer wieder beschnuppert die Stute das steife Bürschchen. Dann steht sie auf und weidet ein wenig und läßt das Fohlen nicht aus den Augen.

Jetzt steht auch dieses mühselig und wie unter einer schweren Last auf. Ja, da steht der Neuling nun und zittert und hat die weißen Stelzen weit gegrätscht und starrt wohl geblendet in die funkelnde Welt. Ein Wunder!

Dann tut das Fohlen ein paar steife unsichere Schritte zu seiner Mutter, und mit noch unsicheren Bewegungen seines schmalen Kopfes sucht es das Euter. Und hebt an zu saugen. Und ist mitten innen im glücklichen Kreis des Daseins.

 


 


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