Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Kameraden

Die Tage rollen herauf und hinab, und Mannsräuschlin muß seit Wochen selber für sich sorgen. Die Milch der Mutter wurde täglich dünner und der Hunger des Fohlens größer. Bekümmert hat die Stute das gefühlt, und so sanft als möglich hat sie sich dem Ungestüm immer öfter entzogen. Sie lief vor dem Hungrigen davon, und Mannsräuschlin, das dies für Spiel und Spaß hielt, bockte hinter ihr her. Aber sobald sie verhielt, suchte es ungestüm nach dem Euter. Da trat sie das ungehalten Wiehernde einmal heftig an. Sie hatte nichts mehr zu geben. Das Fohlen stutzte, als es die Stute drohen sah, grätschte steif und staunte das gute Gesicht der Mutter an, die zornig schnaubte. Es begriff nichts. Es starrte in die großen Augen und vergaß zu schnuppern. Dann beugte die Stute sich hinab und begann das dürre Gras zu weiden. Ganz 46 langsam und noch immer in steifer Grätsche bog auch das Fohlen sich hinab und weidete am selben Grasbüschel. Eine Weile trieb es das ohne sonderlichen Ernst und riß der Stute einmal die ausgerauften Halme aus dem Maul. Es schmeckte ihm schlecht; lange nicht so gut wie die grünen Blätter, die es an der Wasserstelle, mehr aus Übermut oder Naschhaftigkeit oder auch aus Neugier, weil es die anderen Pferde daran weiden sah, gekostet hatte. Als es jetzt zu fressen aufhörte und die Stute fragend aus seinen dunkelbraunen Augen anschaute, schüttelte diese schnaubend die Mähne. Oh, Mannsräuschlin hat ein feines Ohr für die Sprache der Mutter.

»Ich habe nichts mehr für dich! Du bist alt genug! Mir ist es ebenso gegangen. Und deinen Brüdern! Wir müssen selber für uns sorgen! Wir sind alle gleich! Und die Welt ist groß!«

Da warf Mannsräuschlin auf, wieherte dünn und trotzig und trollte sich. Nach ein paar Schritten verhielt es, sah sich nach der Stute um; und weil die ruhig weidete, feuerte es unwillig aus und bockte zu einem Trupp Jährlinge, die weiter draußen spielten und dösten.

Die Stute schaut ihm nach. Sie hat das nämliche Gefühl wie bei ihren Söhnen, als die eines Tages 47 von ihr fort zu den Jungpferden getrollt waren. In den ersten Wochen kommen sie oftmals wieder, begreifen lang nicht, daß es großer Ernst ist mit der Selbständigkeit, kommen dann immer seltener, und wenn sie die erste Regenzeit überstanden haben, treiben sie ihr mutiges Leben vor sich hin und kennen die Mutter nicht mehr.

Die Stute fühlt sich krank. Die harten Sommer und der letzte Winter haben sie geschwächt. Schwerträchtig ist sie tagelang bis an den Bauch im lehmigen Wasser gestanden, weil auch die Inseln zeitweilig überschwemmt waren. Mehr um des Jungen willen hat sie es nicht gewagt, schwimmend höheres Land zu suchen, sich von Wurzelwerk und hertreibendem Gesträuch ernährt, bis endlich Halmspitzen auftauchten. Dann bekam sie von dem nassen Futter eine Kolik und erholte sich erst, als Mannsräuschlin geboren ward. Aber sie hustet noch immer.

Mannsräuschlin beschnuppert sich mit den Jährlingen und Jüngsten, die gleich ihm im März oder Februar zur Welt kamen und auch zeitweise ihren Müttern entlaufen oder von ihnen verjagt werden. Die Jährlinge sind hochmütig und streitsüchtig. Sie dulden es allenfalls, daß die jungen Stelzbürschchen sich an sie heranmachen. Kameradschaft aber werden sie 48 erst anerkennen, wenn man sich einmal ordentlich gebissen hat und auch jederzeit bereit ist, die tollsten Streiche zu machen, deren kühnster ist: dem alternden Hengst auf eine Viertelstunde Gehorsam zu verweigern, weit aus der Herde zu galoppieren und keinen Deut sich um den zornigen Ruf des Führers zu kümmern. Im Gegenteil: sich taub stellen, warten, bis der Ergrimmte heranpoltert, und dann ins Weite flüchten, statt sich in die Herde zu machen. Die Verwegenen merken recht gut, wie der Alte schwitzt und schnaubt, und daß er lieber seinen Kopf im kargen Schatten des Artischockengebüschs ließe und döste; und sie hänseln ihn übermütig und ohne Mitgefühl, lassen ihn auf ein paar Längen heran und galoppieren in verschiedenen Richtungen davon, bis er die Verfolgung aufgibt. Er kennt sie ja! Aber Auflehnung reizt ihn immer; und je älter er wird um so mehr. Sie schwitzen auch! Aber bei ihrer Jugend! Ach, Gott befohlen! Sie haben gesehen, daß die vierjährigen Hengste im Frühjahr dem Alten schwer zu schaffen machten und recht wenig Respekt vor ihm hatten. Und sie fühlen sich keineswegs geringer als die Vierjährigen. Freilich, wenn der Schrei des Jaguars herüberkommt, oder im Winter das Wasser sie zu ersäufen droht: dann, o dann werden sie gehorsame und anhängliche Bursche. 49

Mannsräuschlin hat sich zu einem kleinen Hengst gesellt, der einen Monat jünger ist als es selber und ein hochmütiges und feines Gesicht hat. Eine Weile haben die beiden sich abgeschnuppert und Gefallen aneinander gefunden. Dann sind sie im Kreis hintereinander hergestelzt, und jetzt stehen sie sich gegenüber und betrachten einander aus großen, braunen, gewölbten Augen ernsthaft. Beide wedeln mit den kleinen dünnen Schweifen und wissen, daß sie es gut meinen. Sie sind sehr nah verwandt. Die Mutter des Hengstfohlens ist Mannsräuschlins Großmutter. Der rote Hengst, der zu altern anhebt, ist der Vater beider Fohlen und zugleich Mannsräuschlins Großvater. In der unabsehbaren Reihe der Ahnen sind sie die jüngsten und rechtmäßigen Glieder und gehören seit Urzeiten zueinander. Sie haben in ihrer Jugend gar kein Wissen, daß es Hengste und Stuten gibt, und sind freie Geschöpfe, ohne einen Auftrag ans Leben, mitten noch in dem stillen Bezirk und kaum noch auf dem Weg hinaus, wo es zu wirbeln beginnt, wo man herumgeschleudert wird, je weiter man an den Rand gerät, und eines Tages dann aus dem wirbelnden Kreis ins Unergründliche hinabfällt.

Oh, jetzt sind die zwei zierlichen und struppigen Fohlen erst aus dem Unergründlichen hereingestelzt. 50 Herrlich steigt die Wölbung vor ihnen auf, der Welt, des Lichts und des Lebens; und wie die glühenden Tage mit den kühleren Nächten im Kreis sich drehen: traben und galoppieren, weiden und dösen die kleinen Kömmlinge, gehegt in der hinschweifenden Herde, durch das glückselige Dasein aller Gottesgeschöpfe auf Erden. 51

 


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