Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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In der Dämmerung

Dann kommt die kurze Dämmerung. Und mit ihr kommen lustige und behende Leute aus dem Bauch der Erde. Die Fliegen haben ausgesummt; die schwarzen Gaukler blinzeln, noch in ihren Schlüffen, ins vergehende Licht. Zikaden schleifen einzeln, lösen einander ab und berauschen sich nicht mehr überschwenglich an ihrer lärmenden Lebenslust. Aber die feisten Tagschläfer recken ihre beweglichen Schnauzen da und dort aus schwarzen Löchern und sichern in die Szene, auf der sie nun ihre Rolle zu spielen haben: auf der großen und herrlichen und ihrer tausendfältigen Spieler nimmermüden Bühne.

Der Hengst kennt diese Leute gut, und die hohe Stute kennt sie auch. Mannsräuschlin aber, das seine Nächte gehegt im Kreis der Stuten verschlafen hat, begegnet diesen Burschen zum erstenmal. Denn in die Nähe einer schlafenden schnaubenden Roßherde gehen die Hamster nicht, obzwar sie schwer die große Neugier 98 bezähmen; denn Huftritte sind schrecklich. Während der kurzen Dämmerung aber ist das Fohlen immer im Bezirk der Herde gewesen.

Erschrocken springt Mannsräuschlin auf, als unter seiner Flanke der Boden sich bewegt. Nein, der Boden war es nicht, sondern der Dickschädel eines fetten lustigen Hamsters. Der glaubte, es sei tiefe Nacht, weil sein Höhleneingang durch das liegende Fohlen verfinstert ward. Natürlich hat er die Witterung des Pferdes in der Nase; die aber ist ihm so geläufig und ist, wenn man nur ein wenig klug ist – und das ist man! oh! –, so gefahrlos, daß der Nager seelenruhig weiterschlüpft und endlich mit der Nase an Mannsräuschlins Fell landet. Dann wird es augenblicklich hell in der Röhre, und das Gepolter des aufspringenden Fohlens dringt dumpf in seine Wohnhöhle, wohin der Bursch sofort geflüchtet ist. Erdbrocken kollern hinterher, und dann kommt die Roßwitterung stark den Gang herab. Mannsräuschlin schnaubt in das Loch hinab.

Oh, nicht nur der Hamster ist neugierig. Junge Pferde sind es fast noch mehr. Wenn gar die Höhle eine so lebendige und keineswegs feindselige Witterung hat und das feine Ohr alle möglichen wunderlichen Töne aus dem Loch vernimmt, dann trollt ein Fohlen sich keineswegs davon. Den erschrockenen Satz, der zu 99 seinem Wesen in allen zweideutigen Fällen nun einmal gehört, hat es getan; jetzt ist es fast beruhigt und sehr gespannt. Denn was das Leben einem vor Hufe und Nase bringt, das gehört genau zum Dasein und darf nicht übersehen werden. Dazu lebt man wahrscheinlich. Man legt die kleinen Ohren ein wenig hochmütig und mißtrauisch an, verstaut sein dürres Gewicht auf die Hinterbeine, grätscht die Vorderbeine straff vor sich hin; die krause Mähne ist aufgereckt, das Schweiflein wedelt in nervöser Spannung: . . . Jetzt! Bitte! Nur heraus aus dem Loch! Wir sind auf alles gefaßt!

»Was treibt man?« grunzt der Hamster. Sein Schädel ist plötzlich da und füllt das Loch völlig aus. Die listigen, beweglichen und sehr selbstzufriedenen Augen, aus denen eine eigensüchtige, aber lustige und gutmütige Seele glotzt, gehen flink nach allen Seiten, und ebenso flink folgen ihnen die stumpfen Nüstern. Dann haften sie im Gesicht des Fohlens.

»Schlaft Ihr noch nicht? Ich bin zu früh aufgestanden!«

Mannsräuschlin reckt die Ohren spitz aus. Solch quäkende Rede hat es noch nicht erhorcht. Das Gürteltier ist ein stummer Gesell; der Jaguar schreit zornig und tapfer; die schwarzen Vögel reden am meisten beim Futtern, und dann alle zugleich und sehr häßlich. Die 100 stolze Sprache seiner Sippe, die das Fohlen selber dünn und schüchtern erst gebraucht, ist die schönste in der weiten Steppe. Ho, wann der Hengst rief oder warnte oder drohte! Dann schwiegen auf einen Augenblick sogar die Zikaden. Und die sanftere Rede seiner Mutter war Mannsräuschlin besonders vertraut gewesen. Auch die groben Rüpelreden der Junghengste kennt es gut. Aber diese fette Stimme, die geradeswegs aus dem Bauch kommt, die ist ihm ganz neu. Das Fohlen stellt sein Gleichgewicht wieder her und schnuppert den Hamster vorsichtig ab. Es hat recht wenig Achtung vor dem Dicken. Aber man kann nie wissen!

Der Hamster ist zum Loch heraus, sitzt auf den Hinterbeinen, reibt sich mit den kurzen Vorderpfoten Nase und Augen, grunzt schlaftrunken einmal vor sich hin und ist dann kerzengerade in Positur. Er reicht dem jungen Pferd ans erste Sprunggelenk und zeigt der Landschaft seinen weißgelben Bauch. Dreist windet er die Nüstern des Fohlens ab und sichert gegen die zwei großen liegenden Pferde. Dann grunzt er hinter sich in die Höhle.

»Kommt herauf! Die Polterer schlafen bald!« Sie sind für den Dicken die Polterer, die edlen Pferde. Er erlebt sie tief in seinem Bau, wenn sie lärmend über seinen Schlaf hinweggaloppieren. Wenn er beim 101 Bauen ungeschickt war, kommt es vor, daß in seine Träume ein Pferdehuf prescht, der die Höhlendecke durchgetreten hat. Das kann ihm das Leben kosten und dem Pferd das Bein. So gehen diese so fremden Tiere sich zuweilen ans Leben, und doch fürchten sie einander nicht, hassen einander keineswegs, weil beide ganz und gar keine Absicht haben, einander Leids zu tun. Unübersehbar ist ihre Lebensbühne. Trotzdem: das große Pferd und der kleine Nager haben zuzeiten eine Szene, in der sie voneinander Notiz nehmen müssen.

Sonst spielt das Viscacha seine lustigen Stegreifkomödien nur mit seinesgleichen. Höchstens, daß es die kleine Eule mitspielen läßt, der es manchmal in seinem Bau ein kleines Quartier abtritt. Den großen Fliegern ist der Hamster gram. Wenn er je deren gelle Schreie in der Dämmerung noch erhorcht, geht er ihnen schleunigst und erbittert grunzend aus dem halben Licht. Dann schimpft er bis in die tiefe Dunkelheit in seiner Kammer, und die Familie schimpft mit. Als ob eine Herde Ferkel im Bauch der Erde rumorte.

Oh, die geduldige Erde! Vierzig und mehr Zugänge wühlen diese Burschen für eine einzige Schlafhöhle, in der sie dick und familienselig zu zehn dösen, rülpsen, grunzen, Kinder gebären, säugen, aufziehen und nur nachts und auf verschiedenen Wegen an die obere Welt 102 kommen. Dann staunen sie, wenn sie noch wache und lebendige Leute gewahren, und wundern sich, daß es so viel Mut gibt, am hellen Tag zu leben, und gar noch über der Erde.

Vor allen Höhleneingängen sitzen jetzt die dreisten Dickwänste und glotzen auf Mannsräuschlin, und es fällt ihnen nicht ein, sich auch nur um Leibeslänge von ihren Löchern zu entfernen. Weidlich beschimpfen sie das dürre Fohlen, und es ist ein Gegrunze und Gequiek, dem Mannsräuschlin recht gut den Zorn und die Erbitterung anhört. Jetzt ist ihre Zeit! Ihr Auftritt hat begonnen! Pack dich, Polterer! . . . Aber das Fohlen ist neugierig. Wie es seine Art ist, schreitet es im Kreis um den Hamster, der sich schimpfend ihm nachdreht und dabei stets in Positur am Höhlenrand hockt. Dann zottelt Mannsräuschlin zu den Vettern und Kindern und Frauen der Sippe, die aber gleich ins Dunkel hinabflüchten. Dann schnuppert das Fohlen an der leeren schwarzen Röhre und schüttelt den schmalen Kopf vor der dumpfen und fetten Witterung. Es tritt sehr vorsichtig auf im Bereich der Löcher. Es kennt diese heimtückischen Fallen. Seine Mutter hat sie ihm, mit dem Huf daran scharrend und dünn wiehernd, gezeigt, und Mannsräuschlin weiß jetzt genau, was für eine Bewandtnis es damit hat. Seine Neugier ist gestillt. 103 Es will den Nagern weder wohl noch übel. Sie grunzen und graben neben seinem Leben durch Dämmerung und Nacht, und das Fohlen hat eine dicke, seltsame, weißbauchige, stumpfnäsige und quäkende Vorstellung in seiner Seele. Der Lebensraum ist um eine Merke weiter hinausgerückt.

Enger umkreist die Dämmerung die Pampa. Jetzt poltert der Hengst auf. Alle vier schleudert er von sich und steht dann groß und schwarz und schnaufend, die Mähne schüttelnd, da. Alsogleich ist auch die Stute aufgestanden. Mannsräuschlin trabt herbei, und vor dem Getöse haben die Hamster sich in die Erde gemacht. Dann schreitet der Hengst langsam davon. Sein rechter Hinterfuß gehorcht unwillig, aber die lange Rast hat ihn gestärkt. Er fühlt, daß er wieder gesund wird. Rauh schreit er den Sammelruf hinaus. Die Stuten traben heran, und die Junghengste galoppieren um die sich vereinigende Herde. Dann ist die Nacht da, und die Herde verstummt schwarz und schnaufend unterm weißen Sternenlicht. 104

 


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