Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Mutter und Kind

Der kurze Frühling ist gekommen. Grün und schimmernd und trocken rauschen die Wellen des hohen Grases unterm Wind ins Unabsehbare hin. Den Pferden reicht es an die Brust. Da und dort werfen Akazien und Mimosen breite Schatten. Der starke Geruch blühenden Gesträuchs, roter Verbenen, des Fenchels, der Mimosen und Akaziendolden zieht im trockenen Nordwest eine, zwei Wochen lang über die Pampa. Noch ist der Boden weich und elastisch.

Große Schmetterlinge gaukeln in der lauen Brise über die Gräser, und wenn sie mit ausgespannten Flügeln sich hinsetzen oder wie atmend sie auf und zu tun, funkeln sie gleich Kleinodien und kostbaren Metallen. Noch sind die blutsaugenden Fliegen zahm und klein.

Kolibri surren über die Gräser, vom hinwallenden Duft herangelockt aus den westlichen gebirgigen Gegenden, in die der Frühling wenig später hinansteigt und dann ein viel bunteres Wesen hat. Wie aufblitzende Tautropfen schimmern sie da und dort, 27 über Kakteenglocken, um Distelgebüsche, an den Ästen blühender Bäume.

Als ein solch blitzender, hummelgroßer Surrer plötzlich vor Mannsräuschlins Nüstern aufschwirrt, gerade als es sich über ein fettes Blatt beugt, tut das Fohlen einen erschrockenen Satz zur Seite. Oh, da ist das Fünklein schon weit draußen und schillert kupferrot und stahlblau über einem Distelkopf. Es wollte gar nichts von dem jungen Pferd. Es ist kein Blutsauger. Beide haben sich voreinander gefürchtet.

Es ist die nachsichtigste Zeit, die die strenge Sonne dieser unübersehbaren Landschaft gewährt.

Mannsräuschlin schreitet täglich weiter ins Leben hinaus. Es hält sich hart an der Mutter. Manchmal bleibt es stehen, dreht bei und starrt wie in Gedanken verloren ins Weite, indes die weidende Stute langsam weitergeht. Dann überfällt es plötzlich der Schrecken des Alleinseins. Es wirft auf und ist mit ein paar steifen Sprüngen neben ihr, sucht das Euter und weiß sich geborgen. Im hohen Gras verschwindet es beinahe, und manchmal schaut nur der kluge schmale Kopf aus dem Gehalm. Noch hat es das wollige Jugendfell, und die Mähne ist nur ein dunklerer gekrauster Saum über dem feinen Nacken. Seine Ohren hat es überall, und unaufhörlich spielen sie nach allen 28 Seiten. Wenn die Stute das sieht, weiß sie, daß ihr Fohlen eine feine und schnelle Seele hat, die es tauglich machen wird, das Leben glücklich vor sich her zu treiben. Viertelstundenlang stehen Mutter und Kind einander gegenüber und schnuppern sich zärtlich ab.

Mannsräuschlin ist das dritte Fohlen, das die Stute geboren hat, und es ist das erste weibliche. Den Ältesten bekommt sie selten mehr zu Gesicht. Lange hat der sich zu den tollen Burschen gemacht, die ihre Tage auf eigene Faust leben und höchstens vor dem alten Hengst, der die Herde führt, Respekt haben. Wenn er je an seiner Mutter vorbeikommt, geschieht dies zumeist im gestreckten Galopp, und sie kann zufrieden sein, wenn er in seiner Ausgelassenheit ihr nicht einen Rippenstoß mit dem schmalen Hinterhuf versetzt. Gutmütig und sanft, wie sie ist, würde sie ihm das nicht einmal übelnehmen; auch zweifelt sie, ob er sie noch kennt. Sie hat die genaue Witterung ihres Sohnes, und in der Freude über sein herrisches Gedeihen wiehert sie ihm nach. Ach, Gott befohlen! Der ist schon in Staub und Dunst verschwunden oder wälzt sich im hohen Gras auf dem Rücken.

Ihr zweiter Sohn ist eines Abends nicht mehr gekommen. Er war kaum ein Jährling. Kurz erst hatte er sich die Mutter abgewöhnt und es mit dem Gras 29 versucht. Stets war er noch in Rufweite geblieben, und seine ersten Versuche, sich unter die Zwei- und Dreijährigen zu machen, waren mißglückt. Das wurde ihm wahrscheinlich zum Verhängnis. Ärgerlich und bockig war er dann eigene Wege zu weit ins Land hinaus getrabt. Die Stute hatte ein paarmal gerufen. Sie war zu matt, ihm nachzutraben; der Tag war glühend heiß. Weil sie ihn dann nicht mehr sah, hatte er sich wahrscheinlich hingelegt. Als er am Morgen ausblieb, vermißte der Hengst das Fohlen. Einen großen Kreis nahm er auf und galoppierte den wiehernd mehrmals ab. Einmal sah ihn die Stute zur Seite ausbrechen, dann kehrte er in gestrecktem Galopp zurück. Er hatte sich vor dem Geruch einer versickerten Blutlache, draußen an einer kahlen Sanddüne, erschreckt. Er gab die Suche auf. Eng trieb er die Herde zusammen, setzte sich an die Spitze und jagte in polterndem Galopp voraus, dem Wind entgegen. Da begriffen die Stuten, daß er sie einer Gefahr entführte. Schnaufend warf der Hengst auf, als wollte er die verhaßte Witterung des Jaguars, die er an der Blutlache heftig gespürt hatte, aus den Nüstern schütteln.

In großer Zärtlichkeit hütet die Stute ihr feines Fohlen; und als dem zwei Wochen alten die ersten 30 Zähne kommen, braucht sie keine Sorge um ihr empfindliches Euter zu haben. Mannsräuschlin ist ein behutsames und feinfühliges Tier und hängt mit der leidenschaftlichen Kraft seines Herzens an der Mutter.

Wenn die es betrachtet, stellt sie Vergleiche an mit den da und dort grasenden Jährlingen und gewahrt, daß sein Kopf schlanker ist von der Seite, breiter an der Stirn. Die Ohren findet sie kürzer, als ihre Söhne sie hatten, und den schöngebogenen Hals länger. Wenn es vor ihr herstelzt, gewahrt sie die langen Oberschenkel und die sehr zarten und feinen Fesseln und Hufe, und daß das Geäder deutlich unter dem Fell sichtbar ist. Am liebsten hat sie es, wenn es auf sie zutrabt und aus großen, dunkelbraunen, schöngewölbten, o wie fröhlichen und freundlichen Augen sie anschaut. Dann schnuppert sie vor Vergnügen an seinen samtweichen Nüstern, die weit offen stehen, viel weiter, als sie dies bei ihren Söhnen fand. Mannsräuschlin wedelt mit dem kleinen Schweif vor Glück und Wohlgeborgenheit und tut einen schwachen Versuch zu wiehern, der die Stute mit Freude erfüllt.

Stundenlang liegt sie satt und müd im hohen Gras, indes das Fohlen in ihrem Schatten döst und nur die kurzen Ohren lebendig sind. Dann steigen in ihrer Seele hundertjährige verworrene Erlebnisse der 31 Ahnen auf. Lichte und dunkle Gefühle wogen auf und ab. Sie weiß nicht, daß ihre Vorfahren unter goldenen und roten Schabracken im königlichen Zug einherschritten; daß sie im Gedröhn der Trommeln und Heerpauken stolz aufgaloppierten; daß sie, silbern und golden geschirrt, dem hellen Ton der Trompeten mit hellerem Wiehern noch antwortend, mit fliegenden Flanken hinstürmten, unbekümmert um den Tod; ihn verachtend wie ihr Herr und Freund, der Mensch, dem allein unter allen Lebendigen sie sich gehörig fühlten in großem Stolz und freudiger Unterwerfung. Kein Wissen von dem allen ist in der sanften und ruhigen Seele der Stute. Aber als Mannsräuschlin mit einer leichten und freien Bewegung sich jetzt auf die Beine stellt, ihre Nüstern beschnuppert; als sie seine guten und edlen Augen sieht und die feine und hoffärtige Witterung spürt: da stürmt es wie Trompeten und Siegesmärsche durch ihr Gemüt; sie steht auf und ist glücklich, als das Fohlen jetzt zu saugen beginnt. 32

 


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