Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Die schwarzen Leute

Gegen die Mitte des April hörte der Regen mählich auf. Tagelang rieselte er dünner, und die grauen Wände wurden durchsichtiger. Das niedere Gewölke fuhr eilender heran und hinweg, ballte sich und stieg dann höher. Die Welt wurde größer und sichtiger. Stundenweise hörte es zu regnen auf; dann stand der bleiche Schild der Sonne schärfer im Himmel, und zuzeiten blendete er schon die Augen der Pferde.

Sie haben nach jenem schrecklichen Erlebnis in der großen Lagune noch wochenlange harte Mühsale erduldet. Das höhere Land, das sie damals erreichten, blieb von der Überschwemmung nicht verschont. Selbst auf den höchsten Bodenwellen, auf denen die wenigen trächtigen Stuten sich aufhielten, stand es denen weit über die Hufe. Es war ein besorgtes Hinwarten, ob das Wasser nicht höher stiege und die Neugeborenen, die nicht im Augenblick aufstehen können, und auch die gebärende Mutter nicht ertränken würde. Aber das Unerbittliche hatte sich ausgetobt. Das Wasser stand. 157

Seit Tagen tritt es langsam zurück, und das Gras taucht hoch und höher aus der gelben Flut. Bis an die Spitzen ist es lehmüberkrustet und schmeckt nach Fäulnis und Verwesung. Langsam dann weitet sich die Welt der Pferde zu den großen Räumen, die sie so sehr lieben.

Mannsräuschlin hat sein erstes Jahr vollendet und hält sich immer noch gerne bei den Mutterstuten auf. Furchtsam hat es die Geburt eines Hengstfohlens erlebt. Als das dumpfe Stöhnen herkam, schritt es neugierig dem Laut nach. Eine der hohen roten Stuten lag am Boden im dünnen Wasser, indes zwei andere nahe dabei lässig an den Grasspitzen rauften und manchmal die ernsthaften Gesichter nach der Gebärenden wandten. Sie kannten das und wußten, was kommen würde. Der Hengst tritt schnaubend einmal heran und beschnuppert die liegende Stute. Dann ist neben der Liegenden ein feines zitterndes Fohlen. Mannsräuschlin will es abschnuppern. Da schnauft die Mutter wild und bleckt die gelben Zähne. Die anderen Stuten schnaufen und schütteln die Hälse, treten den Jährling an, daß er erschrocken davontrabt, ins tiefere Wasser hinab, und einen sprühenden Schwall um sich hat.

Dann kommt nach wenig Tagen noch ein Fohlen zur Welt, und nach einer Woche ein drittes. Die Mutter 158 des letzten stirbt wenige Tage nachher an der Kolik, und es ist gut, daß die Welt räumiger wird für die Pferde. Denn über der toten Stute balgen sich die Rabengeier mit solchem Gekreisch und geben so üblen Gestank von sich, daß die Pferde froh sind, dem mißtönigen Lärm und der widrigen Witterung ausweichen zu können.

Weit können sie nicht entweichen, denn immer noch wallt das gelbe Wasser um die Ränder der niedrigeren Bodenwellen. Da erlebt Mannsräuschlin das Wesen dieser schwarzen Leute, die seiner Seele, oh, wie fremd sind. Es ist ein seltsames Erlebnis, als das Fohlen, das noch vor wenigen Stunden die lebendige Stute gesehen und sie überhaupt genau gekannt und oft hinter ihrer warmen und guten Witterung hergetrabt ist, sieht, was sich begibt.

In steifer Grätsche steht das Fohlen und spitzt die Ohren nach dem lauten Gebalge über dem Leichnam. Alle Wochen der nassen Wanderschaft hindurch waren die Rabengeier der Herde gefolgt. Wenn sie nächtigte, machten die Vögel auf Bäumen und Büschen im weiten Umkreis fest und waren am Morgen kreischend da. Tagweise verschwanden sie. Dann gab es irgendwo Tod und Verwesung. Die große Regenzeit hindurch 159 darben auch sie. Aber wenn das Wasser sich verläuft, dann ist ihr Tisch allenthalb reich besetzt. Solange es regnet, halten sie sich zu den wandernden Tieren. Sie wissen, daß es Unglück und Tod gibt im Wasser, und sie sind zur Stelle. Wenn sie hinschreiten, haben sie eine herrische Haltung, und sie fliegen in leichter Schwebe. Aber ihre niedrigen Seelen verraten sie sogleich, wenn sie Laut geben, und mehr noch durch ihr unedles, gierendes, scharfes Auge.

Jetzt hocken sie um den Leichnam der Stute, und einer beargwöhnt den anderen, daß keiner zu früh beginne. Die braunen Augen, die wie aus Glas waren, haben sie noch der Sterbenden ausgehackt. Sie warten, bis die Verwesung ihnen ihr Geschäft erleichtert. Dann schlüpfen sie in den aufgeplatzten Leib und balgen sich um die Eingeweide. Es ist ein Gekreisch und Flügelschlagen und Aufeinanderhacken, daß die edlen Pferde die Mähnen schütteln und dumpf schnauben vor Widerwillen. Wenn der Hengst sichernd herantrabt, stehen die Schwarzen ungern auf. Sie schmälen nach dem Stolzen. Jetzt ist ihr Recht, ihre Zeit! Er soll sich packen! Oh, wenn er lahmen würde, krank wäre! Sie kämen bald über ihn. Aber an den herrisch Lebendigen wagen sie sich nicht im größten Hunger. Sie zehren nur von Totem und Krankem. Seltsame Seelen! 160

Ihr Geschrei und die hundert schwarzen Flüge haben einen Großen herangelockt. Der ist ihr Herr. Zwar: er will nichts von ihnen. Er ist nur nahe verwandt mit ihnen und ihnen an Größe und in jedem Sinn überlegen. Wie er mit rötlich weißen Schwingen heranschattet, wie sein weißer Bauch und die weißen Unterschwingen langsam herabtauchen über die Versammlung der Schwarzen, machen die ihm ehrerbietig Platz. In weitem Kreis hocken sie um den Leib der toten Stute, und ein paar Spätlinge, die im finsteren Bauch des Kadavers den Anflug des Königsgeiers nicht gewahrt haben, machen sich jetzt vor dem Warnruf der Sippen trippelnd und flügelnd in die Reihe der ihren Respekt bezeugenden Rabengeier.

Da hockt der Gewaltige und ist wahrlich in Festtracht. Er hockt auf breiten schwarzgrünen Krallenfüßen über der Kruppe der toten Stute. Sein hellrotes Gesicht und einen roten Helm hält er hochaufgerichtet, auf einem gelben faltigen Hals. Der lange Schnabel reckt sich waagrecht lang aus; den Grund des Halses schmückt eine graue Federkrause. Aus silberweißen, alten und weisen Augen blickt er kalt auf die Versammlung und scheint sie zu mißachten. Die ducken sich und nicken immerzu mit den häßlichen Köpfen und weiten ihren Kreis und fühlen sich wie nichts vor dem Gewaltigen. 161 Aber sie werden keinesfalls abstreichen. Soweit geht ihre Ehrfurcht nicht. Sie lassen dem Königsgeier den Vortritt bei der Mahlzeit. Der schickt sich an. Schwerfällig hüpft er von der Kruppe und schreitet bedächtig um den Kadaver. Er ist zu groß, um sich in die Bauchhöhle zu zwängen, und hält sich an die Ränder, die den Verwandten noch zu fest sind. Eine gute halbe Stunde hat er sich gemästet. Das Gekreisch der Schwarzen, deren Gier beim Anblick des Kröpfenden sich schrecklich steigert, hebt stärker an, und sie rücken allmählich näher. Der Kreis verengert sich. Oh, sie werden den Königsgeier keinesfalls verjagen. Sie sind zu feig dazu. Der postiert sich endlich auf die Kruppe, putzt den Schnabel und die Fänge und ist satt. Dann hat er ein Einsehen mit den Verwandten. Solange er da ist, wagen sie nicht zu fressen. Er ist überdies zum Dösen gestimmt. Weit hinter der überschwemmten Steppe, wo das Land gegen die Gebirge hin läuft, hat er seinen Schlafbaum. Klatschend fächert er die riesigen Schwingen, tut ein paar sausende Schläge und schraubt sich hoch. Dann hat er die Richtung und ist bald im Gewölk verschwunden.

Die Rabengeier machen vor dem großen Schatten noch ein paar Verbeugungen und stürzen dann schreiend und flügelnd auf ihre unterbrochene Mahlzeit. 162

Mannsräuschlin ist vor dem sausenden Anflug des Königsgeiers erschrocken davongelaufen. Noch steht das Fohlen schnaubend und ängstlich äugend fast bis an den Bauch im Wasser und hat die Ohren spitz gegen die seltsamen Leute gerichtet. In sein Gemüt sind schwarze, übeltönige, widrigriechende, fremdfremde Lebendige neben die feisten Nager eingezogen und werden in seiner Vorstellung um tote Verwandte wesen. 163

 


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