Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Erste Schritte

Die Pferde haben ihre Inseln verlassen. An den höher auftauchenden Halmen haben sie das Rückfluten des Wassers erkannt; haben den großen Hunger notdürftig gestillt und nehmen zögernd, täglich weiter in das seichtende Wasser sich wagend, von ihrer Erde wieder Besitz. Noch können sie nicht traben. Noch reicht das Wasser über die Brust. Da und dort sprüht es um einen aufgaloppierenden Hengst. Helles Gewieher geht zwischen den verstreuten Herden hin und vereint die Getrennten in der Lust des heraufziehenden Frühlings.

Sehr verängstigt und eng an die Mutter gedrängt, ist Mannsräuschlin steif und unbeholfen eines Tages ins Leben hinausgeschritten. Den feinen schmalen Kopf auf einem schön gewölbten freien Hals hat es, wie nur immer möglich, an der Flanke der Stute. Wenn die wedelt, übersprüht sie den Rücken des Fohlens. Vorsichtig tastet sie sich ins Wasser. Es reicht noch weit 22 über ihr Sprunggelenk. Mannsräuschlin ist bis zur Brust eingetaucht und begreift nicht, was es im Wasser soll. Aber weil die Mutter langsam weiterschreitet, stelzt es mit. Wohl weiß die braune Stute, daß ihr Fohlen kein Wassertier ist. Aber der Hunger plagt sie. Den hätte sie um des Jungen willen ertragen. Wovon aber soll dieses satt werden, wenn sie selber hungert? Überdem ist sie der Meinung, daß die Gewalten des Lebens ertragen werden müssen. Ihr ist es nicht anders ergangen. Sie erinnert sich gut, wie sie am ganzen Leib gezittert hat, als ihre Mutter bedächtig ins Wasser hinausschritt, das Milcheuter ihr aus dem saugenden Maul zog und ins Bodenlose trat.

Vor einem dichten Grasbüschel, das grün und saftig im Wind schaukelt, verhält die Stute und beginnt zu weiden. Mannsräuschlin, bis an die Brust im Wasser stehend, betrachtet aufmerksam die Zurichtungen, die das große Maul der Mutter macht; wie sie mit der Zunge die Halme biegt, wie die Lippen sich schürzen und die großen gelben Zähne dann das Gras abschneiden. Vom Zuschauen kriegt es Hunger, tut ein paar steife Schritte und schnuppert am Gras. Die spitzen Enden fahren ihm in die samtzarten Nüstern, und vom Hin- und Herschwanken des Büschels wird sein kleines Gesicht übergischtet. Davon erschrickt es, tut 23 einen unbeholfenen Satz zur Seite und steht im rechten Winkel zur Flanke der Stute, deren große Augen das Fohlen keinen Augenblick auslassen. Von allenthalb kommt das Gewieher der Sippen, und das Fohlen weiß nicht, wohin es die Ohren richten soll. An ihm vorüber schreiten ernsthafte Stuten und beschnuppern es. Zaghaft läßt es diese Liebkosungen, die es in seinem Gemüt gleich recht erkennt, sich gefallen. Der Hengst trabt vorbei, verhält einen Augenblick, übergischtet in stolzem Gang das Armselige, daß es scheu sich an die Mutter drängt, die mit vollem Maul unmutig schnauft über die Wildheit des Mannes. Der ist dabei, sich umzusehen, ob seine Frauen vollzählig sind. Das Wasser hat eine und die andere versprengt. Sie haben sich auf benachbarte Inseln geflüchtet, und er hat schwimmend und ärgerlich wiehernd versucht, sie zur Rückkehr zu bewegen. Ängstliche Gemüter, die manche sind, haben sie sich vor dem Schwimmen gescheut. Jetzt, da das Wasser im Fallen ist, kehren sie zu ihm zurück. Wehe ihnen, wenn sie zögerten! Aber sie zögern nicht. Sie kennen seine Hufe und die gelben Zähne. Und überdies: sie sind ihm aus ganzer Seele ergeben.

Ein paarmal hat Mannsräuschlin versucht, seinen Hunger zu stillen. Aber die Stute steht so tief im 24 Wasser, daß es beim Aufsuchen des Euters den Atem verliert. Prustend schüttelt es den kleinen Kopf und tut einen schwachen zornigen Laut. Es versteht gar nichts. Hungern und dabei im Wasser stehen, scheint ihm eine feindselige Zumutung. Wie es die Jährlinge draußen planschen und weiden sieht, meint es, daß es diesen besser gehen müsse. Es dreht bei und tut ein paar steife Schritte gegen die Vettern. Da weiß die Stute, daß es Zeit ist. Ein kurzes lockendes Wiehern bringt das Fohlen gleich zurück, und sie schreitet gemachsam auf das höher liegende Land. Eng an ihre Flanke geschmiegt folgt Mannsräuschlin. Als sie im Trockenen verhält, bekommt dieses eine warme und süße Mahlzeit und ist mit dem Leben sehr zufrieden.

Dann verlaufen sich die Wasser und sickern ein. Gelbe Nebel dunsten über schlammigem Boden, um wölbende Bäume und grünes Gedörn. Der riesige Strom ist in sein Bett zurückgeflutet und rollt graugelb und gurgelnd weit im Osten, wohin die Pferde wegen der dichten Wälder an seinen Ufern nicht gelangen. Halbverweste Fische stauen sich in flachen Tümpeln. Schildkröten wandern im Schlamm, bucklig und mühselig, der Witterung des Stromes nach.

Die Albatrosse, deren Geschrei die Tage erfüllte, kreisen johlend draußen am Horizont. Je höher die 25 Sonne heraufkommt, je weiter an die Küste ziehen sie sich zurück und haben überm Meere selten so fette Jagd wie in der überschwemmten Pampa.

Verstummt sind die nächtlichen Chöre der Frösche und Sumpfvögel. Anderes Leben drängt unter den höher sich wölbenden Tag. 26

 


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