Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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In der Hürde

Dann ist nach mehrtägigem Traben und Bocken und willigem Schreiten hinter dem Menschen her eine weite, umpflockte Hürde da. Wie der Mensch auf sie zureitet, geht helles Gewieher in ihr auf. Es sind mehrere Mutterstuten mit ihren Fohlen und einige Jährlinge in der weiten Hege. Lang schon haben sie den heranreitenden Menschen gehört und mit den Ohren in die Richtung gespielt. Sie kennen genau den Schritt des Reitgauls, und weil der Mensch laut mit Mannsräuschlin redet, um das Scheue und Überängstigte vertraut zu machen, haben sie auch lange schon die bekannte Stimme erhorcht. Sie wiehern nicht laut, nur sehr vertrauensvoll; und fast klingt ihr Kollern wie ein gutmütiges Lachen. Da stehen sie am Hürdenzaun, die schlanken Köpfe hoch aufgeworfen, die Ohren je nach Laune und Gemüt vorspielend, oder in launiger Frechheit hintenüber gelegt, und äugen groß aus blanken, braunen Augen dem Menschen entgegen. Eine 220 besonders zierliche, schlanke Rote überfällt die schöne Eitelkeit des Geschlechts, und sie tänzelt in kleinem, hohem Trab den Zaun entlang; die Kruppe ein wenig eingebogen, läßt sie beim Hin- und Widertraben den Menschen nicht aus den großen Augen. Ihre Nüstern beben und flattern. Sie ist im vierten Jahr, und alles Lebendige, das ihr naht, steigert das Gefühl des eigenen Lebens und ist wie eine glänzende Merke in dem dunklen Gebraus ihres Sichfühlens. Sie hat noch kein Fohlen gehabt.

Der Mensch verhält an der Tür der Hürde, und sogleich ist ein Gedränge und Geschnauf, daß die Fohlen ängstlich von den Müttern davonlaufen und in eine Ecke der Umzäunung flüchten, steif vergrätscht, dünn wiehernd herüberglotzen, was wohl werden soll. Jeden Tag zwar erfahren sie es, daß der Mensch an der Tür verhält, zu ihnen hineinkommt, ihnen Brot oder Zucker und gute Worte gibt, sie streichelt und mit Namen anruft. Aber die erstaunten Kinder, aus dem großen Schlaf erst vor kurzem ins Erwachen geheißen, vergessen in ihren Traumgemütern von Tag zu Tag das Ereignis; und weil der Mensch in ihrem Dasein doch ein Fremdes ist und bleibt, braucht es lange, bis sie ihm glauben, daß er es gut meint. Und oh, wie werden sie bitterlich enttäuscht sein, wenn es einmal kommen 221 sollte, daß der Mensch es nicht gut meint. Dann vergessen sie gleich auf ihr eigenes Dasein und sind des großen Glücks, sie selber zu sein, beraubt. So nahe der Demütigkeit und immer wie in Träumen des heiligen Lebensschoßes befangen, sind ihre Seelen erschaffen.

Mannsräuschlin stutzte schon lange und hatte spielende Ohren, als es das näher herhallende Gewieher hörte. Dann kam die Witterung deutlich, und jetzt ist der Lasso, der zwischen dem Menschen und dem erschöpften Wildling schlaff geschleppt hatte, auf einmal straff. Die Dreijährige verhält und schnaubt und äugt. Die kleinen Ohren sind jetzt höchst lebendig, und der Mensch gewahrt lachend, wie sie sich ganz flach nach hinten legen, indes die kleine Mähne am Widerrist sich versteift und der dünne Schweif aufgeregt wedelt.

»Aha«, lacht der Mensch. »Jetzt fühlst du dich schon wieder! Was? Also, was hast du für Absichten, mein Feines?«

Einen Augenblick, durch das breite Lachen des Menschen erschreckt, schlafft Mannsräuschlin. Aber gleich hat es sich wieder, und die Ohren liegen frech und flach. Und plötzlich feuert die junge Stute nach allen Seiten aus, bäumt sich, tut einen mächtigen Satz und will gegen die Hürde hin zu den verwandten Sippen ausbrechen. 222

Laut lacht der Mensch. Die Ohren Mannsräuschlins haben ihn gewarnt. Er ahnte, was kommen würde, hatte die Schlinge scharf gefaßt und kürzer genommen.

Da liegt Mannsräuschlin wieder am Boden, und die Schlinge schneidet.

»Unband! Du sollst ja da hinein! Natürlich sollst du! Ich halte dich gar nicht! Aber ich bin froh, daß der Zaun hoch ist. Da kann ich dich drinnen frei lassen. Sonst müßte ich dich anpflocken. Denn fort lasse ich dich nimmer. Du bist mir ein viel zu Feines, Schönes, du!«

Mannsräuschlin ist während dieser Ansprache auf die Füße gesprungen und zerrt nach rückwärts. Der Mensch gibt ihm lachend ein wenig nach, nimmt den Lasso langsam kürzer und bringt seinen Gaul an die Tür.

»Platz, Platz ihr da! Marsch! Packt euch! Kriegt eine feine Gesellschaft! Beißt nicht, schlägt nicht mehr als ihr, ist ein Weiblein wie ihr, hat noch kein Junges gehabt, ist ein feines Persönchen. Sie ist noch scheu und schüchtern. Ich hab sie mir aus der weiten Welt geholt. Haltet mir Frieden, ihr Alten und Jungen und Jüngsten!«

Jetzt ist die Tür offen, und der Reiter steht quer und 223 breit in ihr. Die Stuten weichen schnaubend und drängend langsam zurück. Er streichelt da eine, schlägt eine Vorwitzige mit der flachen Hand auf die Nase, daß sie kurz wiehernd aufbäumt und davonläuft; klatscht mit der Lederpeitsche durch die Luft. Oh, die kennen sie; sie machen Platz. Der Lasso ist jetzt ganz kurz in der Hand des Menschen, und Mannsräuschlin zittert, Flanke an Flanke fast mit dem Reitgaul.

Dann springt der Mensch ab, zieht die Bügel hoch und schlägt dem Gaul die flache Hand auf die Kruppe: »Marsch! Nach Hause!« Der Wallach setzt sich in kurzen Gang und trabt der Siedlung zu, wo er seinen Stall hat.

Mannsräuschlin, das noch keine Vorstellung vom Menschen hat, wenn er aufrecht auf der Erde geht, zerrte erschrocken nach rückwärts, als es ihn plötzlich vom Gaul herabschwingen sah und der Mensch nun in seiner aufrechten Größe vor ihm steht. Es weiß nicht, was von ihm gewollt wird. An den Reitgaul hat es sich halb schon gewöhnt, weil der das einzig Verwandte war auf dem tagelangen Weg. Jetzt war er davongetrabt, und wahrscheinlich mußte man ihm folgen. Die Dreijährige wiehert und zerrt dem Davontrabenden nach.

»Freilich, mein Kleines! Ein guter, sanftmütiger 224 Kamerad ist er schon«, lacht der Mensch. »Aber nichts für ein schönes Mannsräuschlin, das im nächsten Jahr ein Fohlen haben soll.«

Dabei klopft der Mensch, der den Lasso jetzt kurz wie ein Halfter hat, der zitternden jungen Stute den Hals und die mageren, vor Schreck und Erschöpfung fliegenden Flanken.

Oh, wie sind die Hände und die Stimme des Menschen gewaltig und überwältigend. Das Zitternde steht still und äugt; äugt groß und furchtsam und stolz und guten Willens auch und freimütig auf den hochragenden Menschen. Das Bild des Herrn der Erde nimmt Besitz vom Gemüt des freien Tieres, wie Sommerwolken über einen grenzlosen Himmel schattend herankommen und ihn endlich ganz erfüllen. Zu uralten Erbschächten, tief unter der einmaligen Wesenheit dieses Daseienden, leitet die Magie der Menschenstimme und der Menschenhände, und hebt eine große Bereitwilligkeit und Demütigkeit herauf in das stolze und sanfte Gemüt des edlen Pferdes, das lebenslang nun stumme und allezeit bereite Antwort geben wird dem überwältigenden Drinnensein des Menschen, mitten im Mittelpunkte seines Daseins.

»Komm, Mannsräuschlin, wir wollen trinken!« 225

Mitten durch die staunende kleine Herde – denn immer wieder staunen die Pferde vor dem Menschen, den sie doch täglich sehen – führt der Mensch die junge Stute. Ein herrischer roter Junghengst drängt sich heran, beschnuppert die feine Fremde, überholt die am Lasso ängstlich Hintänzelnde und paradiert ihr Kapriolen vor. Vor dem lauten Lachen des Menschen, der den roten Ritter gut kennt und sich über dessen täppische Werbekunststücke freut, galoppiert er kurz an und macht sich davon. Stuten kommen heran und bedrängen die Kömmlingin, daß der Mensch einmal die Lederpeitsche klatschen läßt. Erschrocken bäumt Mannsräuschlin vor der herrischen Bewegung, und weil die Stuten sofort davongaloppieren. Aber die Hand des Menschen klopft schon wieder den mageren Hals, und die freundliche Bewegung beruhigt es.

Dann sind sie am Wassertrog. Mannsräuschlin hat lange vergessen, wie klares Wasser aussieht und schmeckt. Es sind viele Monate her seit der Regenzeit. Der Mensch beugt sich zu dem dünnen Wasserstrahl hinab, der in den Trog rinnt, und trinkt. Die junge Stute begreift nicht gleich. Schnaubend äugt sie auf den Menschen, der plötzlich nicht mehr groß ist und kein Gesicht, vor allem keine Augen mehr hat, die sie besonders in ihrem Gemüt getroffen haben. Sie zerrt und 226 will rückwärts. Da nimmt der Mensch eine hohle Hand voll und führt die an die vertrockneten Lefzen. Hochauf wirft Mannsräuschlin den Hals vor der Kühle und Nässe. Schnaubend sprüht es die Tropfen umher. Wieder klopft die Hand des Menschen den mageren Hals. Es schnuppert noch immer mißtrauisch den Spiegel an und taucht endlich die Lefzen ein. Immer fühlt es dabei die warme und freundliche Hand des Menschen den Hals hinab, die Flanken hin, über die magere struppige Kruppe. So tief taucht es sich ein, daß die Nüstern Wasser ziehen. Prustend und schüttelnd fährt es zurück. Will man ihm doch übel?

»Nun, nun! Genug für jetzt, mein Feines! Zur Krippe führen dich schon die anderen. Ich lasse dich jetzt allein. Hast mir warm gemacht, kleiner Racker! So! Soo!« Dabei hat der Mensch die Schlinge vom Hals Mannsräuschlins gezogen und läßt es frei. »Morgen auf Wiedersehen! Und vertragt euch!«

Dann ist der Mensch gegangen. Groß äugt die junge Stute dem davonschreitenden Menschen nach und tut ein paar kurze Schritte hinter ihm her. Da ist er schon unter den anderen Pferden, tätschelt dort eines, reicht hier ein Stück Zucker, redet jedes beim Namen an und ist dann zur Tür hinausgegangen. Mannsräuschlin wiehert einmal auf und spielt die Ohren in die 227 Richtung der Menschenstimme. Dann trabt es kurz aus, gelangt an den Hürdenzaun, äugt darüber hinweg, trabt zurück, wiehert wieder, steht steif, wirft auf, spielt die Ohren nach allen Seiten. Dann kommt die kurze Dämmerung. Eine große Müdigkeit überfällt die junge Stute, und sie tut sich nieder. Rasch bricht die Nacht herein. 228

 


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